
Führten ein angeregtes Gespräch über Vertriebswege und geopolitische Herausforderungen für die Automatisierungsbranche und was die Generation Z und die Maker-Szene damit zu tun haben: DigiKey EMEA-Chef Hermann Reiter (l.) und Automation NEXT Chefredakteur Peter Koller. (Bild: Bernhard Richter / ANX)
Herr Reiter, vor zwei Jahren schrieben Sie in einem Gastbeitrag für uns, die Automatisierungsbranche sei bereit für den elektronischen Handel. Hat sich das bestätigt?
Hermann Reiter: Ja, ganz klar. Die Entwicklung bestätigt unsere damalige Einschätzung. Wir beobachten, dass E-Commerce und Automatisierung zunehmend zusammenwachsen – und zwar nicht nur bei der reinen Beschaffung von Komponenten, sondern auch bei den digitalen Tools und Zusatzdiensten, die über Plattformen wie unsere angeboten werden. DigiKey war von Anfang an ein digital geprägtes Unternehmen – vom klassischen Kataloggeschäft über die Einführung der Website bis hin zu unserem heutigen digitalen Vertriebsmodell. In der Automatisierungsbranche sind wir noch relativ neu, etwa seit sieben bis acht Jahren. Eine Kundenumfrage hatte uns damals gezeigt, dass es hier ein enormes Potenzial gibt. Inzwischen arbeiten wir mit über 500 Herstellern in diesem Segment. Und obwohl wir keine Außendienstmitarbeiter im Feld haben, sehen wir deutlich: Die Branche akzeptiert digitale Beschaffung – und der Trend geht klar weiter in diese Richtung.
Der deutsche Maschinen- und Anlagenbau steckt seit rund zwei Jahren in einer Krise. Beeinflusst das die Entwicklung des elektronischen Sourcings?
Reiter: Ja, das lässt sich nicht wegdiskutieren. Die Krise hat spürbare Auswirkungen. Wenn man sich die gesamte Elektronikdistributionsbranche ansieht, hat sie 2023 gegenüber dem Vorjahr über fünf Milliarden Euro an Volumen verloren. Die Ursachen lagen nicht nur in der schwächeren Produktion, sondern vor allem auch in übervollen Lagern, die nach der Pandemie aufgebaut worden waren. Im Maschinenbau war es ähnlich: Viele Unternehmen haben Projekte stark vorgezogen – teilweise solche, die über Jahre hinweg geplant waren. Der Wunsch nach Autarkie war groß. Das Schlagwort „autonom“ hat enorm an Bedeutung gewonnen – möglichst keine manuelle Arbeit mehr, alles durch Roboter und automatisierte Prozesse. Diese Dynamik hat zu einer kurzfristigen Überhitzung geführt, was sich jetzt deutlich zeigt.


Unser Geschäftsmodell ist global ausgerichtet – das war schon immer so.
Wie geht DigiKey mit geopolitischen Herausforderungen wie den jüngsten Zollentscheidungen der US-Regierung um?
Reiter: Unser Geschäftsmodell ist global ausgerichtet – das war schon immer so. Wir betreiben ein zentrales Logistikzentrum in den USA, das bereits 2008 in eine sogenannte „Free Trade Zone“ eingebunden wurde. Das bedeutet: Waren, die dort lagern, gelten zollrechtlich nicht als eingeführt, solange sie nicht in die USA verkauft werden. Das verschafft uns enorme Flexibilität, denn wir exportieren weltweit – etwa 50 % unserer Umsätze erzielen wir in den USA, die anderen 50 % in Europa und Asien. So können wir auf neue Zölle flexibel reagieren. Darüber hinaus betreiben wir seit einigen Jahren einen Marktplatz, auf dem auch Lieferanten direkt an Kunden liefern können – etwa bei schweren oder regulierten Produkten wie Batterien oder Chemikalien. Die E-Commerce-Plattform bleibt unser zentraler Kanal, aber die Logistik kann dezentral ablaufen.
Das ganze Gespräch im Video:
Eine Studie der Allianz spricht von bis zu 33 Milliarden Euro an zusätzlichen Produkten aus China, die aufgrund der Zölle nicht mehr in die USA gehen und stattdessen Europa erreichen könnten. Wenn chinesische Produkte künftig verstärkt nach Europa umgeleitet werden – wird das zum Problem?
Reiter: Diese Entwicklung beobachten wir sehr genau. Das wird vor allem den Maschinenbau betreffen. Wohin das führt, ist schwer vorherzusagen, aber es wird sicherlich den Wettbewerb intensivieren.

Unsere Kunden suchen gezielt nach Lösungen und vertrauen auf Marken, die am Markt etabliert sind.
Wie bereitet sich DigiKey auf diese Entwicklung vor?
Reiter: Unsere Kunden suchen gezielt nach Lösungen und vertrauen auf Marken, die am Markt etabliert sind. Ich glaube daher nicht, dass es zu einem reinen Preiswettbewerb kommt. Qualität, Verlässlichkeit und Support spielen weiterhin eine große Rolle – besonders im industriellen Umfeld.
Viele Maschinenbauer kämpfen mit Bürokratie und Regularien. Kann DigiKey hier unterstützen?
Reiter: Definitiv. Content ist für uns ein zentrales Element. Als rein digitaler Anbieter haben wir keine klassische Außendienststruktur. Stattdessen investieren wir stark in Wissensvermittlung und digitale Unterstützung. Unsere Plattform bietet nicht nur technische Daten, sondern auch FAQs, Tech-Foren und Schulungsmaterialien. Derzeit haben wir rund 15 Millionen Produkte gelistet, davon etwa eine Million aus dem Bereich Automatisierung. Unser Ziel ist es, alle relevanten Informationen bereitzustellen – auch nachts um zwei Uhr, wenn ein Entwickler gerade an einer Idee arbeitet. Dieser 24/7-Zugriff auf hochwertigen Content ist Teil unserer DNA.
Viele Automatisierungsprodukte basieren auf Halbleitern. Droht hier eine neue Krise?
Reiter: Halbleiter bleiben ein zentraler Bestandteil der Automatisierung. Während der Covid-Krise war das deutlich spürbar. Aber seitdem hat sich viel getan. In den USA, Europa und Asien wurden im Rahmen der „Chip Acts“ Milliarden investiert. Ich persönlich glaube eher, dass wir in den nächsten Jahren mit einem Überangebot zu tun haben werden – viele neue Fabriken gehen ans Netz, aber die Nachfrage ist aktuell verhalten. Natürlich beobachten wir das genau und schützen uns – zum Beispiel durch gezielte Mengenbeschränkungen. So stellen wir sicher, dass Ingenieure nicht leer ausgehen, wenn es Engpässe gibt.
Hintergrund: DigiKey
- DigiKey ist ein weltweit führender Distributor für elektronische Bauteile, Baugruppen und Automatisierungsprodukte mit Sitz in Thief River Falls, Minnesota (USA).
- Das 1972 gegründete Unternehmen bietet über 15 Millionen Produkte von mehr als 3.000 Herstellern an und ist besonders für große Auswahl und schnelle Lieferung bekannt.
- DigiKey beliefert sowohl Unternehmen als auch Privatpersonen in über 180 Länder und ist für seine digitalen Tools, technischen Ressourcen und eine hohe Lagerverfügbarkeit geschätzt.
DigiKey bietet ein sehr breites Produktportfolio, dazu Services. Wie weit ist denn da noch der Weg vom Distributor zum Integrator?
Reiter: Das ist ein spannender Gedanke. Wir bieten Produkte und das passende Wissen. Unser Ziel ist es, den Zugang zu vereinfachen: „Easy to do business with“ – so lautet unser oberstes Kriterium. Die Integration selbst ist aber ein eigenes Geschäftsfeld mit viel spezifischem Know-how. Deshalb möchten wir Integratoren und Installateure ermutigen, sich auf unserer Plattform zu registrieren – kostenlos – und dort ihr Portfolio zu präsentieren. So können Kunden direkt passende Partner finden.
Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit für DigiKey?
Reiter: Auch hier sind Daten der Schlüssel. Wir arbeiten daran, umfassende Produktbeschreibungen bereitzustellen – inklusive historischer und regulatorischer Informationen. Zudem trägt unser Geschäftsmodell zur Ressourcenschonung bei: Statt viele einzelne Lieferungen zu erhalten, konsolidieren wir Bestellungen. Weniger Pakete, weniger Transport – das ist effizient und nachhaltig.
DigiKey unterstützt stark die Maker-Szene. Warum ist das für Sie so wichtig?
Reiter: Wir glauben fest daran, dass Begeisterung für Technik früh geweckt werden muss. Mit Plug-and-Play-Komponenten können junge Menschen schnell erste Projekte umsetzen – vom Roboterbaukasten bis zum Single-Board-Computer. Ziel ist es, MINT-Berufe wieder attraktiver zu machen. Wer heute in der Schule an einem Roboter bastelt, entwickelt morgen vielleicht industrielle Automatisierungslösungen.
Zum Abschluss: Wo liegen die größten Chancen und Risiken für DigiKey im Automatisierungsbereich?
Reiter: Die größten Chancen sehe ich in der Breite und Tiefe des Automatisierungs-Marktes – besonders in Regionen mit starker Industrie wie Deutschland oder Norditalien. Wir haben ein riesiges Logistikzentrum mit 240.000 Quadratmetern Fläche – Platz ist also genug vorhanden. Das größte Risiko besteht darin, dass Kunden uns nicht finden. Denn was man nicht sieht, kann man nicht kaufen. Deshalb investieren wir in Sichtbarkeit, Suchbarkeit und Auffindbarkeit. Wir wollen der One-Stop-Shop für Automatisierungskomponenten werden – so wie wir es in der Elektronikbranche längst sind. Mit einem Portfolio, das rund zwei Drittel der führenden Marken abdeckt, sind wir auf einem guten Weg. Und nicht vergessen: Die Generation Z mit ihrer Digitalkompetenz ist längst im Berufsleben angekommen – und die „Generation Alpha“, die mit KI aufgewachsen ist, steht schon in den Startlöchern.