Jede Maschine will dem potenziellen Kunden eine Botschaft übermitteln, beispielsweise: „Ich bin solide konstruiert und lasse mich schnell umbauen“. Die entscheidende Frage lautet: Kommt diese Botschaft beim möglichen Anwender an? Darüber entscheiden nicht nur die inneren Werte, sondern auch das Äußere der Anlage, das Produktdesign.
Auf den ersten Blick verbinden wir Design mit Ästhetik. Ästhetik verbinden wir mit Schönheit, und diese ist bekanntlich subjektiv. Hat Ästhetik deshalb im Reich der Konstruktion nichts zu suchen? Das Gegenteil ist der Fall! Denn Ästhetik ist die Lehre von der Wahrnehmung und diese bezieht sich keineswegs nur auf positive Reize, sondern genauso auf störende Faktoren und negative Empfindungen. Eine Maschine muss in der Regel mit komplexen Produkteigenschaften überzeugen. Dabei hat die äußere Gestaltung die Aufgabe, als Vermittler der inneren Werte zu fungieren. Und gerade die Rolle des Vermittlers wird oftmals völlig unterschätzt. Für Konstrukteure gelten Qualität und die Solidität als Merkmale guter Konstruktionslösungen. Tatsächlich ist unsere Wahrnehmung im Hinblick auf diese beiden Eigenschaften extrem geschult und deshalb in der Lage, sehr feine Unterschiede festzustellen. Dabei ist die Wahrnehmung von Qualitätsunterschieden Teil unserer Selektionsstrategie und begleitet uns täglich, um zwischen verschiedenen Optionen auswählen zu können.
Wir nehmen gute und schlechte Qualität wahr
Unsere Wahrnehmung ist sogar so differenziert, dass uns manchmal Worte oder Begriffe fehlen, um die Unterschiede zwischen guter und schlechter Qualität beschreiben und artikulieren zu können. Im Automobilbereich beispielsweise ist durch diese verstärkte Aufmerksamkeit für eine sogenannte Qualitätsanmutung der Begriff Spaltmaß entstanden. Das Spaltmaß im Karosseriebau hat sich als hybride ästhetische und technisch definierte Eigenschaft bewährt. Es zeigt einerseits die Beherrschung komplexer Prozesse und ist andererseits eine äußerlich wahrnehmbare und sehr fein differenzierbare Produkteigenschaft. Das Qualitätsversprechen steigt, wenn die Spaltmaße einerseits sehr eng sind und andererseits über den kompletten Spaltverlauf eine maximale Parallelität der angrenzenden Blechkanten aufweisen. Rein technisch gesehen bedeutet diese Anforderung einen maximalen Prozessaufwand, denn die Beherrschung einer perfekten Montage und engste Toleranz der Fertigungsteile sind dabei eine zwangsläufige Voraussetzung. Der Autokäufer wird die damit einhergehende technische Komplexität gar nicht erfassen können, dennoch kann er über das bloße Auge auf dem Parkplatz erkennen, welche Automarke und welche Karosserie das größere Qualitätsversprechen abgeben.
Der Vorher-Nachher-Vergleich: Ein Beispiel für Designsprache
Bei einem Fertigungsmodul für das Unternehmen Elha Maschinenbau ging es darum, einen kompetenten, qualitätsvollen und sachlichen Eindruck zu vermitteln. Die Maschinenmodule werden immer wieder an unterschiedliche Fertigungssituationen angepasst und müssen daher auf Basis einer modulartigen Architektur stets neu im Detail konfiguriert werden. Diese Kundenanpassung soll aber weder in einer Kostensteigerung noch in einem Verlust der wahrnehmbaren Maschinenqualität enden.
Bild 1 – so sah der ursprüngliche Entwurf des Fertigungsmoduls aus: Das sichtbar Geplante wirkte noch recht generisch und konnte kaum die Präzision und Leistungsfähigkeit vermitteln, die das Fertigungsmodul auszeichnet. Farbgebung und Produktfgrafik wirkten eher plakativ. Das Gehäusekonzept war trotz der fast kubischen Grundform ungeordnet, stark zerklüftet und proportional wenig abgestimmt.Bild 2 – der Entwurf von Squareone: Kernthema des neuen Entwurfs war die Betonung des modularen Produktaufbaus aus ebenen Paneelen, die zum einen leicht aus Stahlblech zu fertigen und zum anderen multifunktional einsetzbar sind. Türen, Spaltmaße und Öffnungen wurden ganz bewusst konsistent geplant und erzeugten so ein harmonisches Raster. Markenspezifische Akzente wurden durch dezenten Einsatz von Farbe an beweglichen Elementen gesetzt.
Spezialbegriffe und Analogien zur Bezeichnung
Da unserer Sprache zur Erfassung der Qualitätsunterschiede und ihrer Merkmale in der Regel wenig trainiert ist, benötigen wir immer wieder solche Spezialbegriffe, die sowohl für Gestalter als auch für Konstrukteure einen richtungsweisenden und verständlichen Charakter haben. Gelingt das nicht, bemüht unsere Sprache zumeist Analogien. Manchmal gelingt es uns auch zu erfühlen, dass eine Konstruktion zu schwach, zu labil, zu schwer oder zu wuchtig ist. Diese Einschätzungen beruhen alle auf unserem hoch sensiblen Wahrnehmungsradar für Qualität. Wir sind es aber oft nicht gewöhnt, Rückschlüsse von der Wahrnehmung zur Konstruktion zu ziehen. Dem Betrachter Rückschlüsse von der Wahrnehmung zur Konstruktion zu vermitteln ist die Aufgabe des Industriedesigners.
Diese Berufsgruppe beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Vermittlungs- oder Sprachfähigkeit der Produkte, die sie gemeinsam mit Ingenieuren konzipiert und entwickelt. Dazu antizipiert der Industriedesigner die Wirkung einer Konstruktion vorab. Anschließend vergleicht er die konzeptionellen Ansätze im Hinblick auf ihre technische Umsetzbarkeit und Angemessenheit sowie gleichzeitig im Hinblick auf ihre Wirkung, insbesondere die mögliche Diskrepanz aus beabsichtigten Produktversprechen und der tatsächlich verständlichen Produktkommunikation. Die Expertise des Industriedesigners ist es, Werte, Qualität, systemische Eigenschaften, Bedienungsabläufe und letztendlich das Gebrauchswertversprechen von Produkten und Maschinen in eine adäquate, äußerlich wahrnehmbare Produktkommunikation zu übersetzen.
Markensprache und Markenversprechen
Eine Designsprache funktioniert ähnlich wie die gesprochene Sprache. Vereinfacht gesagt lässt sich Sprache in drei strukturelle Bereiche aufteilen: Das Vokabular, die Grammatik und die Aussprache oder den emotionalen Kontext. Ähnlich wie der gesprochenen Sprache steht auch der Produktwelt ein bestimmtes Vokabular zur Verfügung. Dieses ist oft eine Interpretation und Abwandlung von anderen Sprachen und Sprachformen. Es gibt daher eine Art Grundwortschatz, der aufgebaut werden kann, um die Sprache grob zu beherrschen und zu strukturieren. Zudem gibt es feine Adaptionen und Erweiterungen der Sprache, um sie in einen speziellen Kontext einzugliedern. Ein in sich geschlossenes und eindeutiges Vokabular ist immer einfacher einer Sprache zuzuordnen. Daher bedienen sich viele weit entwickelte Marken dieses Instruments und versuchen, ihre verschiedenen Produktangebote unter den Schirm einer Markensprache und eines Markenversprechens zu stellen. Im Automobilbereich reicht das von der typologischen Verwandtschaft des Kühlergrills bis hin zum konsistent gestalteten Sounderlebnis des Motors, wie es beispielsweise BMW oder Porsche umsetzen. Das Vokabular der Designsprache umfasst also alle wahrnehmbaren Sprachelemente und kann vom Spaltmaß, technischen Konstruktionsprinzipien und Festigkeiten, bis hin zu Farbe, Textur und Geruch reichen.
Jede Maschine hat eine Botschaft
Die Grammatik oder das sogenannte Framework beschreiben, wie die einzelnen Sprachelemente zueinander in Beziehung gesetzt werden. Damit wir über die Sprache Inhalte und Themen transportieren können, müssen die Vokabeln in Sätze, Satzstrukturen und eine sinnvolle Beziehung zueinander gebracht werden. Gerade dieser Teil der Sprache wird in der Gestaltung von Produkten und Maschinen oft vernachlässigt. Das Zauberwort für eine verständliche und markenübergreifende Kommunikation lautet Konsistenz. Inkonsistente Verwendung von Sprachelementen führt zur Verwirrung im Verständnis, in der Bedienung von Maschinen und Produkten sowie in der Lesbarkeit von Baugruppen, Funktionen oder zu falschen Interpretationen zwischen Produktversprechen und Realität. Erst der emotionale Ausdruck macht gesprochene und richtig vorgetragene Sprache verständlich und zweifelsfrei interpretierbar. Emotional ist in diesem Zusammenhang wertfrei zu verstehen und kann auch sachlich oder funktional bedeuten. Möchten wir eine positive Sprachbotschaft übersenden, so muss diese mit der passenden emotionalen Regung vermittelt werden, um als ehrlich, aufrichtig und verständlich zu gelten. Auch jede Gestaltung, jede Maschine und jedes technische Objekt hat unzweifelhaft eine Botschaft, die es dem Betrachter übermitteln will. Die entscheidende Frage lautet also, ob die Intention der Botschaft mit der gewählten Sprache übereinstimmt.
Die Zusammenarbeit von Designer und Konstrukteur zählt
Das Funktionsversprechen beschreibt die Fähigkeit der Maschine, ihre Funktionen, Baugruppen, die Leistungsfähigkeit und prozessuale Abläufe auszudrücken. Je nach Auslegung einer Maschine und ihrer Komponenten betont eine Gestaltung, die das Funktionsversprechen positiv beeinflussen will, bestimmte Prozessrichtungen und Baugruppeninteraktionen besonders. Unter Funktionsversprechen fallen auch Dinge, die der Betrachter implizit unterstellt. Beispielsweise vermittelt eine besonders schwere und abgekapselte Maschine eher den Eindruck von Solidität und Unverwüstlichkeit in der Funktion als ein filigranes, aus vielen Kleinteilen zusammengesetztes Ensemble von technischen Einzelkomponenten. Diese Wahrnehmung basiert auf der Erfahrung, dass aufgeräumte, kompakte Gestaltformen durchdachter und langlebiger sind. Umgekehrt würde der Betrachter bei der Betonung von Servicefähigkeit eher die lose Einzelkomponentenkonstruktion vorziehen, da diese im Servicefall frei zugänglich sind. Diese Art der Produktsprache lässt sich nicht als ästhetischer Lacküberzug generieren. Ingenieure und Designer müssen bereits in der Konzeptphase miteinander und parallel arbeiten, um die Auswirkungen von Konzeptentscheidungen auf die Wahrnehmung des fertigen Produkts bereits im Vorfeld abschätzen und eventuell anpassen zu können. Es gibt viele Überschneidungsbereiche bei den Verantwortlichkeiten von Design und Konstruktion. Dafür ist es jedoch wichtig, dass beide Seiten ihre beruflichen Stärken und Grenzen anerkennen und sich gemeinschaftlich für die Kommunikationsfähigkeit ihrer Maschine einsetzen. Wenn die Vertreter beider Professionen aufeinander zugehen, wartet auf sie nicht nur eine sehr befriedigende und motivierende Arbeit sondern auch ein mit dem Ergebnis nachhaltig zufriedener Kunde.
Autor: Gert Trauernicht, Squareone
ke NEXT hakt nach
Zwei Fragen an Gert Trauernicht, Professor für Konsumgüterdesign und Strategic Innovation an der Bergischen Universität Wuppertal und Mitgründer des Düsseldorfer Unternehmens Squareone
Herr Prof. Trauernicht, das erste Axiom der Kommunikation lautet nach dem Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Würden Sie sagen, dass das auch auf Maschinen zutrifft?
Das trifft genauso zu. Jedes Objekt, jedes Produkt, jede Maschine, auch die Natur um uns herum spricht mit uns. Da wir unsere Umgebung in hohem Maße visuell verstehen und unsere Erfahrungen immer wieder mit dieser visuellen Information abgeglichen werden, neigen wir umgekehrt dazu, einer Bildinformation eine Erfahrung oder mindestens eine Erwartung zuzuordnen. Darin liegt das Grundprinzip sinnvoller Gestaltung. Designer und Architekten gestalten ihre Produkte und Gebäude in der Regel nach sinnvollen Gestaltungsprinzipien und antizipieren damit die Wirkung, die diese Gestaltung auf ihre Nutzer oder Bewohner hat. Das Steuern einer Erwartungshaltung über gestaltrelevante Prinzipien ist dabei nicht theoretisch und in der Konstruktion tief verankert. Jeder Ingenieur hat ein Gefühl für die richtige Dimensionierung, Wandstärke, Auslegung einer Konstruktion. Eine verschraubte Verbindung spricht eine andere Sprache als eine geklemmte oder gepresste. Ein Rundflansch kommuniziert ein gleichförmigeres Belastungsbild als eine rechtwinklige Konstruktion, um nur zwei Beispiele zu nennen. Industriedesigner gehen jedoch über die rein konstruktive Aussage des Details hinaus. Sie beachten immer auch die Gesamtaussage einer Konstruktion oder mehrerer Maschinen eines Herstellers, um so eine Wiedererkennbarkeit einer Marke mit ihren positiven Attributen zu erreichen.Wo sehen Sie aus Ihrer Erfahrung heraus in puncto Maschinendesign noch Defizite in der Praxis?
Das Design steht im Maschinenbau immer noch am Anfang seiner Möglichkeiten. Auch wenn es bei einzelnen Unternehmen schon eine Jahrzehnte dauernde Tradition gibt, sind die einzelnen Funktionen des Designs, seine Stärken, Limitationen und die Notwendigkeit es einzusetzen in vielen Unternehmen nicht bekannt. Das liegt zum einen an der mangelnden Verankerung von Industriedesign in der Maschinenbauausbildung und zum anderen an der damit einhergehenden Unsicherheit, wann, wie und in welcher Form Design in den Entwicklungsprozess integriert werden sollte. Eine sich daraus ergebende Schwäche ist es, Design zu spät in den Entwicklungsprozess zu integrieren. Gut ausgebildete Industriedesigner sind daran gewöhnt, konstruktiv und konzeptionell auf Augenhöhe mit der Konstruktion zu sprechen. Sie verstehen in der Regel Baugruppen, Konstruktionsprinzipien, konstruktive Anforderungen und deren Kostenimplikationen, können diese jedoch auch gleichzeitig leichter variieren und nach ihrer späteren Gesamtwirkung und Gesamtlogik überprüfen. Der Mangel an technischem Tiefgang wird somit durch ein breites Gesamtverständnis für das Zusammenspiel von Produkt, Marke, Nutzer und Käufer aufgewogen.Die Fragen stellte Angela Unger, Redaktion