
Definieren die Masse: Das Ur-Kilogramm aus einer Platin-Iridium-Legierung und die aktuell gültige 1-kg-Kugel aus Silizium. (Bild: PTB)
„Könnte ich bitte drei Kwirrel Kartoffeln bekommen?“ Bei einer solchen Frage auf dem Wochenmarkt wird die Antwort wohl ein großes Fragezeichen sein, denn: Was ist ein Kwirrel? Sollte eine Gewichtseinheit gemeint sein, funktioniert sie offensichtlich nur, wenn alle Beteiligten an dieser Interaktion – inklusive der Waage – davon wissen. Eine gemeinsame Sprache sorgt eben dafür, dass Verständigung möglich wird.
Wie wurde aus dem Kilogramm ein globales Fundament?

In der wissenschaftlich-technischen Welt begann vor 150 Jahren das Zeitalter der großen Verständigung. Am 20. Mai 1875 einigten sich die ersten 17 Staaten (darunter Deutschland, Frankreich und die USA) darauf, von nun an mit den gleichen Maßen zu messen, nämlich mit den Einheiten Kilogramm und Meter. Zu diesem Zweck wurde ein völkerrechtlicher Vertrag geschlossen, die sogenannte Meterkonvention, die nun ihr 150-jähriges Jubiläum feiert.
Aus den 17 Staaten, die am 20. Mai 1875 die Meterkonvention unterzeichneten, sind heute über 100 geworden - 64 Mitgliedstaaten und 37 assoziierte Staaten. Alle Industrie- und Schwellenländer sind vertreten, so dass diese Gemeinschaft weit über 90 % der weltweiten Wirtschaftsleistung repräsentiert. Ihr gemeinsames Credo: Wir messen alle mit den gleichen Maßen, entscheiden gemeinsam über die Weiterentwicklung der Metrologie, der Wissenschaft vom Messen, und sorgen so für eine weltweit einheitliche Grundlage allen wirtschaftlichen Handelns und wissenschaftlichen Austauschs.
Vom Ur-Meter zum digitalen Metaversum der Metrologie
Zu den beiden „Ur-Maßen“ Kilogramm und Meter und der seit jeher allgegenwärtigen Sekunde gesellten sich nach und nach weitere physikalische Einheiten, die notwendig waren, um die Phänomene der Welt darzustellen. Es waren die Einheiten der Temperatur (Kelvin), der elektrischen Stromstärke (Ampere), der Lichtstärke (Candela) und der Stoffmenge (Mol). Sieben sogenannte Basiseinheiten bilden damit das Rückgrat des Internationalen Einheitensystems SI (Système international d‘unités), in dem die Idee des einheitlichen metrischen Maßes vollständig verwirklicht ist: Alles, was prinzipiell messbar ist, lässt sich mit diesen Basiseinheiten und den daraus abgeleiteten Einheiten ausdrücken.
Was plant das SI-System für die Zeitmessung der Zukunft?

Auch wenn das SI oberflächlich betrachtet als ein gut bekanntes und damit abgeschlossenes System erscheint (jeder glaubt zu wissen, was ein Kilogramm oder ein Ampere ist), ist es doch ein „lebendes System“, das sich ständig weiterentwickelt. So wurden im bisher letzten großen Entwicklungsschritt im Jahr 2019, an dem die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig maßgeblich beteiligt war, alle Einheiten mithilfe von Naturkonstanten wie der Lichtgeschwindigkeit, der Elementarladung oder der Planck-Konstante definiert.
Mit diesen Neudefinitionen haben die Einheiten das denkbar stabilste Fundament erhalten, das für alle Zeiten Bestand haben kann - ein wichtiger Meilenstein, um den technischen Fortschritt nicht durch instabile Ur-Maße (wie das in seiner Masse wankelmütige Ur-Kilogramm) zu behindern. Und der nächste Entwicklungsschritt im Internationalen Einheitensystem zeichnet sich bereits ab: Durch die rasante Entwicklung optischer Atomuhren wird es möglich sein, die Sekunde als Einheit der Zeit um Größenordnungen genauer zu realisieren als mit den bisherigen Cäsium-Atomuhren. Die Generalkonferenz für Maß und Gewicht (CGPM), das Entscheidungsorgan der Meterkonvention, wird darüber in den nächsten Jahren zu entscheiden haben.
Wie entsteht das Digitale SI – die nächste Revolution?
Darüber hinaus steht das Einheitensystem vor einer weiteren Herausforderung: Was vor 150 Jahren in der analogen Welt begann, nämlich ein einheitliches Maßsystem für alle und für alle Zeiten zu schaffen, findet heute seine Fortsetzung in der digitalen Welt: Messergebnisse müssen auch in der Kommunikation zwischen Mensch und Maschine funktionieren, was nur gelingt, wenn das Einheitensystem entsprechend „übersetzt“ wird. Mit großer Intensität wird daher am „digitalen SI“ gearbeitet. Auch hier ist die PTB als eines der größten Metrologieinstitute der Welt maßgeblich beteiligt.