SLE-Mehrachsenportal

Das SLE-Mehrachsenportal von Winkel bietet Verfahrwege von 3000 Millimetern auf der X-Achse, 2200 Millimetern auf der Y-Achse und 800 Millimetern auf der Z-Achse. (Bild: Winkel)

Um die verschiedenen Betonmischungen zuverlässig und exakt in die richtige Form zu bringen, nutzen die Forscher ein SLE-Mehrachsenportal des Lineartechnik-Spezialisten Winkel.

Ob Wohnhaus oder Wolkenkratzer, Autobahnbrücke oder Eisenbahntunnel: Beton ist ein Baustoff, ohne den die meisten modernen Bauwerke undenkbar wären. Seine vielfältigen Einsatzmöglichkeiten, seine Stabilität, Widerstandsfähigkeit und Langlebigkeit sowie die hohe Verfügbarkeit machen ihn unverzichtbar. Gleichzeitig ist er jedoch auch Ursache für erhebliche Emissionen: Die Herstellung von Zement, dem Grundstoff für Beton, verursacht jährlich einen CO2-Ausstoß, der drei- bis viermal höher ist als der des weltweiten Luftverkehrs.

Der Grund: Das Rohmaterial, das zu einem großen Teil aus Kalkstein besteht, wird in Hochöfen bei Temperaturen von 1400 bis 1450 Grad Celsius gebrannt – oft mit fossilen Brennstoffen. Beim Herunterkühlen wird das im Kalk gebundene Kohlendioxid freigesetzt – die nach der Verbrennung zweitgrößte CO2-Quelle. Zwar werden die Verfahren mit der Zeit umweltfreundlicher, doch immer noch entfallen rund sechs Prozent der weltweiten Emissionen auf die Zementindustrie.

Hexapod
An der Z-Achse ist ein Hexapod montiert, mit dem sich die Spritzdüse zusätzlich unabhängig vom Portal bewegen lässt. (Bild: Winkel)

Vorbild aus der Natur

Steuerung Winkel
Die Bewegungen des Portals und der Spritzdüse werden vollautomatisch gesteuert. Damit entsteht ein reproduzierbarer Vorgang, bei dem die Forscher sämtliche Parameter erfassen und dokumentieren können. (Bild: Winkel)

Hersteller von Betonbauteilen sind daher an Lösungen interessiert, mit denen sich Material einsparen lässt. Ein vielversprechendes Verfahren ist die sogenannte Gradierung des Betons. Dabei werden die Bauteile entsprechend ihrem statischen und bauphysikalischen Belastungsprofil mit variablen Materialeigenschaften gefertigt: Dort, wo das Bauteil hohen Belastungen ausgesetzt ist – etwa an den Außenflächen – kommt eine dichte Betonmischung mit hoher Festigkeit zum Einsatz.

An Stellen mit niedriger Beanspruchung, beispielsweise im Bauteilinneren, sorgt eine poröse Mischung für eine erhebliche Materialersparnis und ein geringeres Gewicht. „Wir kennen dieses Prinzip von zahlreichen Beispielen aus der Natur, zum Beispiel vom Aufbau unserer Knochen“, erläutert Mark Wörner vom Institut für Systemdynamik (ISYS) der Universität Stuttgart. „Außen, wo große Kräfte auf den Knochen wirken, ist er hart und fest – im Inneren dagegen elastisch und porös. Das macht ihn leicht und gleichzeitig hochbelastbar.“

Wörner und seine Kollegen vom ISYS sind Teil eines interdisziplinären Forschungsprojekts der Universität Stuttgart: Gemeinsam mit Wissenschaftlern des Instituts für Leichtbau, Entwerfen und Konstruieren (ILEK) sowie des Instituts für Werkstoffe im Bauwesen (IWB) arbeiten sie an einer Methode, gradierte Betonteile für den Einsatz in der Bauindustrie herzustellen.

Als geeignetes Verfahren hat sich das Trockenspritzen herausgestellt: Zwei unterschiedliche Betonmischungen – die eine fest, die andere porös – werden in einer Mischdüse nach Bedarf vermengt und anschließend in die gewünschte Form gespritzt. Mit dem Mischungsverhältnis ändern sich die Eigenschaften des Materials – je nachdem, ob ein fester, belastbarer oder ein leichter, poröser Beton benötigt wird.

Automatisierung für reproduzierbare Ergebnisse

Spritzdüse
Die Spritzdüse trägt die Betonmischung Schicht für Schicht auf eine Form auf. (Bild: Winkel)

„Für den industriellen Einsatz ist es besonders wichtig, dass wir reproduzierbar genaue Ergebnisse erzielen“, erklärt Wörner. Dies ist bei einem groben Vorgang wie dem Betonspritzen eine große Herausforderung: Jede unkontrollierte Bewegung der Spritzdüse, jede Schwankung im Abstand zwischen Düse und Auftragsfläche kann die Materialeigenschaften des Bauteils verändern – von Ungenauigkeiten im Mischungsverhältnis ganz zu schweigen. „Auf manuellem Weg lässt sich das nicht effizient bewerkstelligen“, meint Wörner. „Deshalb versuchen wir, den gesamten Fertigungsprozess soweit wie möglich zu automatisieren.“

Die Wissenschaftler entwickelten dafür ein automatisiertes Applikationssystem, mit dem sich die verschiedenen Variablen des Spritzprozesses präzise und nachvollziehbar steuern und verändern lassen. Die Führung der Spritzdüse übernimmt dabei ein Schwerlast-Mehrachsenportal vom Typ SLE (Stahl-Linear-Einheit) des Lineartechnik-Spezialisten Winkel. Mit diesem lässt sich die Düse dreidimensional bewegen: Die Verfahrwege betragen 3000 mm auf der X-Achse, 2200 mm auf der Y-Achse und 800 mm auf der Z-Achse.

An letzterer haben Wörner und sein Team einen Hexapod montiert, mit dem sich die Spritzdüse zusätzlich unabhängig von dem Portal bewegen lässt. Damit können die Forscher den Betonspritzprozess bis ins Detail steuern und variieren, um so zu einem sehr guten Ergebnis zu gelangen.

Die Linearachsen des Portals werden mit gehärteten Zahnstangen und Ritzeln angetrieben. Die Führungen basieren auf den Rollen des Lineartechnik-Spezialisten mit den dazugehörigen Profilschienen. Die Tragkraft an der Z-Achse kann zwischen 50 und 5000 Kilogramm betragen. Mit Wiederholgenauigkeiten von +/- 0,5 Millimeter und einer Geschwindigkeit von bis zu zwei Metern pro Sekunde sind die Linearachsen gleichermaßen präzise und dynamisch.

Der Kontakt zu Winkel entstand bereits vor ein paar Jahren auf der Fachmesse Motek, erinnert sich Wörner: „Wir waren auf der Suche nach einer Lösung, die auch unter den extrem rauen Einsatzbedingungen zuverlässig funktioniert.“ Beim Trockenspritzen von Beton bilden sich große Mengen von Zementstaub. Außerdem prallt ein Teil des Spritzguts – der sogenannte Rückprall – von der Auftragsfläche ab und landet auf der Anlage, was insbesondere bei den Linearführungen für Störungen sorgen kann. Für besondere Freude sorgte die Zusage von Winkel, die Universität Stuttgart mit dem Portal und dem entsprechenden Know-how bei der Forschung an diesem Herstellungsprozess zu unterstützen.

Die Experten des Unternehmens entwickelten eine Lösung genau nach den Vorgaben des ISYS. Aufbau und Inbetriebnahme der Anlage erfolgten in Zusammenarbeit. „Neben den rauen Einsatzbedingungen war auch die Dynamik ein wichtiges Kriterium“, erklärt Athanasios Loupas, Vertriebsleiter bei Winkel. Denn die Düsenführung muss während des Spritzprozesses schnelle Bewegungen und Richtungsänderungen durchführen können. „Mit einer Verfahrgeschwindigkeit von bis zu einem Meter pro Sekunde und einer Beschleunigung bis 2 m/s² erfüllt unser Portal diese Voraussetzung voll und ganz“, so Loupas.

Mithilfe des Portals konnte das Forscherteam einen vollautomatischen Fertigungsprozess realisieren: Die zwei Betonmischungen stehen in jeweils einem Silo bereit. Die Prozesssteuerung ermittelt auf Basis der statischen Kennzahlen ein Gradientenlayout, also mit welcher Dichte das Bauteil an welcher Stelle gefertigt werden muss, und veranlasst das entsprechende Mischungsverhältnis.

Die Spritzdüse trägt die Betonmischung Schicht für Schicht auf eine Form auf. Auch die Bewegungen des Portals und der Spritzdüse werden automatisch gesteuert. „Somit entsteht ein reproduzierbarer Vorgang, bei dem wir sämtliche Parameter erfassen und dokumentieren können“, erläutert Wörner. „Wir können also feststellen, welche Auswirkungen eine Veränderung im Fertigungsprozess auf das Endergebnis hat und so das Verfahren optimieren.“

Seit fünfzehn Monaten ist das Mehrachsenportal bei der Universität im Einsatz. Für die Wissenschaftler ist das Projekt vielversprechend: „Momentan sind wir zwar noch in der Forschungsphase, aber wir hoffen, die Technologie in den nächsten Jahren bis zur Serienreife zu entwickeln“, sagt Wörner. Sollte das Gradierungsverfahren eines Tages industriell genutzt werden können, hätte es das Potenzial, die Herstellung von Betonbauteilen zu revolutionieren: „Es ließen sich damit bis zu 60 Prozent der bisherigen Masse einsparen – und damit auch 35 Prozent des CO2-Ausstoßes“, betont Wörner. Nicht nur aus wirtschaftlicher, sondern auch aus ökologischer Sicht wäre das ein bedeutender Fortschritt. jl

Das Unternehmen

Winkel

Das Unternehmen Winkel ist Marktführer im Bereich Schwerlast-Linearführungen. Seit mehr als 30 Jahren liefert der Komponenten- und Systemanbieter aus Illingen bei Stuttgart innovative Lösungen für die Linear- und Handhabungstechnik für weitgehend alle Industriebereiche. Als langjähriger Partner von Generalunternehmern und Systemintegratoren bietet Winkel nicht nur ein umfangreiches und bewährtes Standardsortiment, sondern auch individuell angefertigte Sonderlösungen.

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