Kranseile mit dem Siegel Made in Germany werden weltweit geschätzt. Um diese Qualität nachzuweisen, prüft Pfeifer Seil- und Hebetechnik die Leistungsfähigkeit von Stahlseilen in ständigem Auf und Ab auf Herz und Nieren. Die dabei anfallende Rückspeiseenergie kann durch eine Antriebslösung von SEW-Eurodrive erneut genutzt werden.
Anwendungen mit Senk- und Bremsbewegungen in den Lastzyklen, wie zum Beispiel Kräne oder Hochregallager, werden sinnvollerweise an rückspeisefähiger Antriebselektronik betrieben. Beim Abbremsen oder beim Senken einer Last arbeiten Elektromotoren generatorisch. Diese freiwerdende Energie kann dann über einen Frequenzumrichter ins Versorgungsnetz zurückgespeist werden.
Daher tragen Netzrückspeisungen zur Senkung des Gesamtenergieverbrauchs bei und führen zu geringeren CO2-Emissionen. SEW-Eurodrive hilft Anwendern, hierfür die passenden Lösungen zu finden.
Eine konstruktive Herausforderung
Stahlseile bestehen aus mehreren Drähten und Litzen (verdrillte Drähte); ihr Kern kann eine Faser, Litze oder wiederum ein Seil sein. Der Verschleiß von Stahlseilen ist grundsätzlich beherrschbar, soweit sie einlagig auf Trommeln gewickelt werden. Denn diese Wicklungsart ist für das Seil am schonendsten. In mehrlagigen Wicklungen sind Seile einem erheblich stärkeren Verschleiß ausgesetzt, wie wissenschaftliche Untersuchungen zeigen. Aufgrund dieser Tatsache müssen bislang deutlich niedrigere Aufliegezeiten der Seile im Vergleich zur Einlagenwicklung in Kauf genommen werden. Um hier zu fundierten Aussagen zu kommen, hat die Firma Pfeifer für diesen Belastungsfall auf ihrem Firmengelände einen Prüfturm für Mehrlagenwicklungen errichtet. Die Anlage ist seit Januar 2013 in Betrieb. Hier werden das Verschleißverhalten und die Lebensdauer von Seilen für die Mehrlagenwicklung, vor allem in Turmdreh- und Mobilkranen, untersucht.
Im Prinzip funktioniert auch der Turm wie ein Kran: Die Last wird auf- und abgefahren. „Wir fahren, bis die Ablegereife eintritt“, erläutert Ulrich Weiskopf, Leiter des Technischen Service Seilanwendungstechnik bei Pfeifer in Memmingen. „Das ist ein definierter Zeitpunkt, an dem man bestimmte Schadenskriterien am Seil feststellen kann.“ Dazu gehört zum Beispiel eine bestimmte Anzahl äußerlich sichtbarer Drahtbrüche. Wenn sie auftreten, muss das Seil vom Kran abgelegt werden. „Mit der Prüfeinrichtung fahren wir darüber hinaus, bis der erste Litzenbruch eintritt. Dieser Zustand wird automatisch erkannt. Dann ist der Versuch beendet.“
Im Unterschied zum Kran wird die Last hier in Schienen geführt – sozusagen ein Schwerlastaufzug. Die bewährte Technik aus dem Aufzugsbau wurde hier für größere Lasten ausgelegt. Die maximal zulässige Masse beträgt 54 Tonnen – über 30 Prozent mehr als das Gewicht eines voll beladenen Lastzugs. Aktuell läuft eine Dauerprüfung mit einer Last von 21 Tonnen Beton. Weitere 7,5 Tonnen wiegt die Lasteinheit, der Stahlrahmen zur Aufnahme der Betonkörper. Käme es zu einem Seilbruch, würde die Last nicht abstürzen. In diesem Fall wird – wiederum mit entsprechend dimensionierter Technik aus dem Aufzugbau – automatisch ein Fang ausgelöst, bei dem sich die Last an den Schienen festklemmt. Die Führungsschienen verhindern zudem, dass der Belastungskörper bei stärkerem Wind pendelt.
Die Prüfung
Pfeifer plant, Durchmesser und Verschleißzustand der Seile bei Belastung automatisch zu messen. „Dieser Turm ist einzigartig“, sagt Dr. Weiskopf. „300 Meter Seil mit einem Durchmesser von 16 Millimeter können wir hier maximal bewegen. Das Seil ist aktuell sechssträngig eingeschert“, so der Spezialist für Seilwicklungen. Das heißt, die Last verteilt sich auf sechs Stränge. Die Prüfanlage ist variabel: zwei bis sieben Stränge lassen sich auf ihr einscheren.
„Wir prüfen 16 Millimeter dicke Seile. Das ist der Standardprüfdurchmesser bei uns im Haus“, erläutert Dr. Weiskopf. Durchschnittlich hat ein 16-Millimeter-Seil – je nach Machart – etwa 230 Kilonewton Bruchkraft. Der Test wird mit fünffacher Sicherheit gefahren – wie im Kranbetrieb üblich. Dabei kann man Last und Strangzahl verändern. Dr. Weiskopf ergänzt: „In eine Wickellage passen 25 Windungen. Aktuell fahren wir bis zu fünf Lagen.“ Auf der Trommel ist eine Rillung angebracht, in der das Seil läuft. Die Halbschalen der Trommel kann man abnehmen und durch andere ersetzen, die zum Beispiel Rillen für 25 Millimeter Seildurchmesser haben. Dann sind auch die Seilscheiben auszutauschen, weil hier ebenfalls die Rille passen muss. „Grundsätzlich lässt sich das Verhalten des Seils in einer Mehrlagenwicklung innerhalb bestimmter Grenzen auch auf andere Seildurchmesser übertragen“, erklärt der Spezialist. „Unser Ziel ist die Prüfung rund um die Uhr.“ Der Ablauf erfolgt vollautomatisch und wird elektronisch überwacht. Die obere und untere Endlage wird über induktive Näherungssensoren in Verbindung mit einer Absolutwertgeber-Positionierung angefahren. Bei Überlast oder Litzenbruch sorgen Sensoren für die Abschaltung des Prüfturms.
Die Seiltrommel wird durch leistungsstarke Standardantriebstechnik von SEW-Eurodrive angetrieben. „SEW lieferte eine Antriebs-Komplettlösung, Schaltschrankplanung und -bau mit inbegriffen“, berichtet Michael Epp, Leiter des Technischen Büros von SEW-Eurodrive in Augsburg. Als Antrieb für den Prüfturm kam ein Drehstrommotor DR 315, der größte von SEW-Eurodrive, zum Einsatz. Über ein Getriebe KH167 aus der Standardgetriebebaureihe 7 treibt er die Seiltrommel an. Der Antrieb ist im Freien jeder Witterung ausgesetzt. Deshalb wurde er mit Korrosionsschutz und einem OS-2-Oberflächenschutz ausgerüstet. Auf dem Turm sind neben den erforderlichen Sicherheitseinrichtungen Sensoren für die Seilgeschwindigkeit und die Zugspannung im Seil angebracht.
Aufgrund der hohen geforderten Leistung wurden pro Motorphase zwei Adern verlegt. Die beiden Kabel am Motoranschlusskasten führen in das benachbarte Gebäude, wo die Antriebselektronik untergebracht ist.
Leistungselektronik und Antriebsregelung
Der Schaltschrank der Anlage beinhaltet den Frequenzumrichter, die Rückspeiseeinheit und die Steuerung einschließlich der Sensorikauswertung sowie den Ein- und Ausspeiseschrank. Neben der Antriebstechnik projektierte SEW ebenfalls die Leistungsschränke und lieferte sie anschlussfertig. Im Ausspeiseschrank wurden leistungs- und signalseitig Blitzschutzelemente installiert, die die Elektronik vor Blitzüberspannungen schützen. Das ist erforderlich, weil der als Stahlkonstruktion ausgeführte Turm eines der höchsten Gebäude der Umgebung ist.
Der Frequenzumrichter Movidrive B hat eine Nennleistung von 160 Kilowatt; die Rückspeisung Movidrive MDR ist für die gleiche Nennleistung ausgelegt. Ein Zwischenkreisadapter verbindet beide Umrichtermodule. In diesen Modulen sind starke, drehzahlgesteuerte Lüfter eingebaut. Deshalb reichte es aus, in den Schaltschranktüren passive Lüftungsgitter einzubauen; zusätzliche motorische Schranklüfter sind nicht erforderlich. Die warme Abluft wird über einen Luftkanal und das Schaltschrankdach komplett in die Umgebung geführt.
Ein Absolutwertgeber liefert die Position der Last an den Frequenzumrichter, der in der Betriebsart Voltage Flux Control (VFC) mit Drehzahlregelung arbeitet. SEW-Eurodrive entwickelte dieses spannungsgeführte Flussregelverfahren für dynamisch und präzise gesteuerte Drehstromantriebe mit großer Drehzahlkonstanz. Es wird eingesetzt, um bei Fördertechnik-Anwendungen kurzzeitige, hohe Lastspitzen abzufangen und schnell auszuregeln. Die Last kann auch in der Schwebe gehalten werden – die Bremse fällt erst ein, wenn der Antrieb gesperrt wird.
Die sinusförmige Netzrückspeisung Movidrive MDR61B in der Leistungsklasse 160 Kilowatt ist die zentrale Ein-/Rückspeisung zur Versorgung der angeschlossenen Umrichter und Motorwechselrichter mit Energie. Im Grundgerät der Netzrückspeisung sind bereits Taktfrequenzfilter, Stellerdrossel, Netzschütz sowie die automatisierte Vorladung des Zwischenkreises integriert. Der abgesicherte Netzanschluss kann also ohne die Vorschaltung zusätzlicher, netzseitiger Komponenten erfolgen. Das senkt den Montage- und Installationsaufwand erheblich, speziell bei den erforderlichen Leitungsquerschnitten. Die geregelte Zwischenkreisspannung sorgt für stabile Verhältnisse auf der Gleichspannungsseite.
Bei der Anlage wurden zusätzlich ein Netzfilter und eine Ausgangsdrossel eingebaut, um die Grenzwertklasse C2 zu erreichen. „Eine sinusförmige Netzrückspeisung lässt sich relativ problemlos in bereits bestehende Anlagen integrieren“ erläutert Klaus Kröner, Spezialist für Rückspeiseeinheiten bei SEW-Eurodrive. Durch die geregelte Rückspeisung weist der Frequenzumrichter einen sinusförmigen Netzstrom auf. Der THDi-Wert (Total Harmonic Distortion of Current) liegt unter fünf Prozent.
Der gesamte Prüfturm ist ferner über Profinet verkabelt. Der Bediener kann sich an mehreren Stellen über ein Mobile Panel mit dem Netzwerk verbinden. Die Anlagensteuerung erfolgt über eine sicherheitsgerichtete SPS. Auch die beiden Energiezähler in der Rückspeiseeinheit, welche die motorische und die generatorische Energie getrennt erfassen, werden über Profinet ausgelesen und im Prozessvisualisierungssystem zur Anzeige gebracht.
Je nach Größe der Last und dem aktuellen Fahrdiagramm kann die Firma Pfeifer jährlich bis zu 100.000 Kilowattstunden Elektroenergie von ihrem Prüfturm ins Netz zurückspeisen, die dann für andere Verbraucher im Betrieb zur Verfügung steht. Der Wirkungsgrad der Netzrückspeisung liegt bisher bei knapp über 50 Prozent. Durch den wiederverwertbaren Strom amortisiert sich die Rückspeiseeinrichtung nach ungefähr 1,5 Jahren. Der Wettbewerbsvorteil für die Pfeifer Seil- und Hebetechnik durch detailreichere Kenntnis über die Leistungsfähigkeit ihrer Seile hält jedoch wesentlich länger an. bf