Wie verhält sich ein Getriebemotor im Praxisbetrieb? Welche Rückschlüsse lassen sich aus den Betriebsdaten eines Frequenzumrichters für die Lebensdauer und die Wartung eines Antriebes ziehen? Wo müssen an einem neuen Antriebskonzept noch Optimierungen vorgenommen werden? Um den Kunden zugeschnittene Produkte und Servicekonzepte anbieten zu können sucht Nord Drivesystems am hauseigenen Applikationstestfeld Antworten auf diese Fragen. Das Testfeld besteht aus einem Förderband-Oval mit Steigung und Gefälle sowie einer Bypass-Strecke mit Ein- und Ausschleusungsweichen zur Hauptstrecke. Die einzelnen Förderbänder der Strecke werden mit verschiedenen Getriebemotoren des Unternehmens und Frequenzumrichter-Typen angetrieben. Die fünfzehn Antriebe sind über Standardschnittstellen vernetzt und können webbasiert überwacht werden. Die Frequenzumrichter und Motorstarter werden über einen Profinet-Bus angesteuert, die Antriebstechnik beherrscht aber auch alle anderen üblichen Bussysteme.
Antriebsdaten in der Cloud
Die Antriebe des Applikationstestfeldes sind wie alle Nord-Antriebe voll industrie-4.0-fähig. Sie versenden ihre Zustandsdaten wie Stromaufnahme, Drehzahl und Spannung regelmäßig mit dem Kommunikationsprotokoll UDP auf der Busleitung, ohne die Steuerungskommunikation zu beeinträchtigen. Um das Datenvolumen gering zu halten werden nur die Werte verschickt, die sich seit der letzten Übermittlung verändert haben. Von der Anlagensteuerung werden die Zustandsdaten über ein Internet-Gateway in eine sichere Cloud übertragen, wo sie für die weitere Analyse und Auswertung zur Verfügung stehen. Fehlerzustände oder eine Überlastung der Antriebe können visualisiert und erkannt werden. Darüber hinaus lassen sich die Zustandsdaten für Energiemanagement und Fernwartung auswerten.
Ein wichtiges Ziel ist es, auch für kleinere Getriebemotoren, die in Intralogistik-Installationen in großer Zahl verbaut sind, wirtschaftliche Konzepte für netzbasiertes Condition Monitoring und Predictive Maintenance zu entwickeln und anzubieten. Zusätzliche reale Sensoren für das Condition Monitoring wie sie in Industriegetrieben zum Einsatz kommen, sind in diesen Anlagen oft zu kostenintensiv. Durch virtuelle Sensorik, also eine Vorverarbeitung der internen Zustandswerte lässt sich beispielsweise ohne einen Temperatursensor die Öllebensdauer für eine vorausschauende Wartung sensorlos ermitteln. Nord arbeitet intensiv an Lösungen zur Zustandsüberwachung mit Hilfe virtueller Sensorik und nutzt dazu alle Möglichkeiten des Applikationstestfeldes.
Qualifizierte Einblicke gewinnen
Weitere Applikationsdaten wie die Daten angeschlossener Sensoren und Aktoren können jederzeit in die Cloud gespeist werden. Unter anderem hat Nord die Antriebe im Testfeld mit Drehgebern ausgestattet, um tiefere Einblicke in das tatsächliche Verhalten der Antriebe zu erhalten. Beim Einschleusen eines kiloschweren Objekts auf ein laufendes Band ist Dynamik gefragt um das erforderliche Drehmoment zu erreichen. Anhand der Drehgeber kann zum Beispiel ermittelt werden, ob die Getriebemotoren die vorgesehene Beschleunigung auch in der Realität und bei größeren Lasten auf den Förderbändern erreichen und die Vorgaben und Kundenanforderungen tatsächlich erfüllen. Gleichzeitig ermittelt das Unternehmen Zusammenhänge und Abhängigkeiten von Umgebungsbedingungen im realen Einsatz, die man bei einem reinen Prüfstandsbetrieb mit standardisierten Bedingungen nicht erhält – Know-how für die Beratung, Fehlerbehebung und Wartung beim Kunden.
Soll- und Ist-Abgleich per Algorithmus
Über Lichtschranken an den Förderbändern des Applikationstestfeldes erkennt der Frequenzumrichter für sein Band ob eine Last darauf liegt. Ist keine Last vorhanden, so misst er die elektrischen Daten und vergleicht diese Werte mit einem Referenzwert. Ist dieser überschritten, erkennt der Umrichter, dass sich am mechanischen System etwas verändert hat. Das kann durch stärkere Reibung, Verschleiß, ein beschädigtes Lager oder Getriebe sowie eingeklemmte Fremdkörper geschehen. Mit dem Abgleich zwischen virtuell ermittelten Zustandsdaten und realen Messwerten können mathematische Zusammenhänge der Anlage abgeleitet und Algorithmen für die Datenauswertung validiert und verbessert werden. Auch die Beanspruchung der Antriebe durch Dauerlauf oder häufiges Anlaufen und Bremsen kann ermittelt werden. Die Frage welche Aussagen man mit Hilfe von Algorithmen aus den Messwerten ableiten kann und wie sich diese für Predictive Maintenance nutzen lassen, erprobt der Hersteller zusammen mit Pilotkunden in der Praxis.
Förderaufgaben realitätsnah simulieren
Das Ziel ist, in Zukunft in einer Lernphase an der Kundeninstallation die Normalwerte für Strom und Last zu ermitteln. Im späteren Betrieb sollen Algorithmen überwachen, ob alle Betriebsparameter im Normalbereich sind. Rechenmodelle die mit Hilfe des Applikationstestfeldes erstellt wurden, helfen Nord außerdem bei der Planung der Kundenprojekte: Anhand eines mathematischen Modells können die Eigenschaften eines Förderbandes modelliert werden. Parameter wie die Bandreibung oder die Trägheit des Bandes sind bekannt. Zusammen mit den Werten aus den Praxisversuchen im Applikationstestfeld kann eine Förderanlage hinreichend genau simuliert werden, um dem Kunden dann genauere Auslegungsempfehlungen für Intralogistikprojekte zu erstellen, als sie bei reiner Kenntnis der geplanten Leistungsparameter möglich wären. Teure Überdimensionierungen werden dadurch vermieden. Natürlich dient das Testfeld auch als anschauliche Demonstrationsanlage zum Thema Industrie 4.0 für die Kunden. Dank der Cloud-Anbindung kann das Applikationstestfeld auch weltweit auf Messen und bei Vor-Ort-Terminen vorgeführt werden. jl