Die Fluidtechnik gehört in vielen Branchen zu den Kerntechnologien in der Antriebs- und Steuerungstechnik. Leistungsdichte, Energieeffizienz und kostenoptimierte Lösungen – dies sind seit jeher wesentliche Merkmale. Die Digitalisierung der Prozesse und die Vernetzung von Maschinen, Produkten und Komponenten bedeutet nichts anderes, als dass die Daten aus Fluidanlagen zukünftig in geeigneten Berechnungsmodellen verarbeitet werden können und am Ende eine Aussage entsteht, wie lange das Bauteil bis zur Wartung noch arbeiten kann. Dabei bieten Hersteller als Dienstleistung komplexe Algorithmen an, die den Anlagenbetreiber bei der Überwachung der Parameter unterstützen.
Das kann so weit gehen, dass zum Beispiel ein bevorstehender Dichtungswechsel beim Hydraulikzylinder über Sensoren erkannt wird und beim Kunden einen Bestellvorschlag auslöst, damit die Ersatzteile rechtzeitig vorliegen. „Industrie 4.0 beschleunigt die Elektronifizierung der Hydraulik. Vernetzte Hydraulik kann alles, was elektromechanische Antriebe auch können, bietet aber zusätzliche physikalische Vorteile wie eine einzigartige Kraftdichte und Robustheit“, erklärt Dr. Steffen Haack, Leiter der Business Unit Industrial Hydraulics bei Bosch Rexroth.
„Die Komponenten der Fluidtechnik übernehmen oft Hauptfunktionen in einer Maschine oder Anlage. Um diese Anlagen in einer Fertigung zu vernetzen und jederzeit den Zustand zu kennen, ist es nötig, diese Bauteile intelligent zu machen.“
Tanja Hänchen, Geschäftsführerin, Herbert Hänchen
Daten für Predictive Maintenance
Predictive Maintenance steht seit geraumer Zeit im Fokus fluidtechnischer Anwendungen. Daher wird der Bedarf an intelligenten Komponenten, die sich selbst überwachen, weiter ansteigen. Sensoren überwachen Leckagen sowie Zustandsdaten wie Weg, Kraft, Druck, Geschwindigkeit und Temperatur, Hydraulikventile protokollieren ihre Schaltvorgänge, Pumpen ermitteln ihre Lastkollektive. Auch Sensoren mit Partikeldetektion, zur Ölfeuchtemessung und Öltemperaturmessung liefern Daten, die die Überwachung erweitern. Die Daten sind also da.
Allerdings ist die große Herausforderung deren Interpretation, wenn es um belastbare Vorhersagen bezüglich des Ausfalls oder des Handlungsbedarfs geht. „Es gilt, Komponenten zu überwachen, die bei Ausfall einen Maschinenstillstand bewirken. Das Ziel ist es, ungeplante Wartungsarbeiten in der Fertigung zu vermeiden, da solche Störgrößen einen Prozessablauf unplanbar machen“, sagt Tanja Hänchen, Geschäftsführerin des Unternehmens Herbert Hänchen. Bei Hydraulikzylindern heißt das zum Beispiel, einen benötigten Dichtungswechsel rechtzeitig zu erkennen und diesen in regelmäßigen Wartungsarbeiten einzuplanen. Daten, die vor allem für Condition Monitoring benötigt werden, sind Schmutzüberwachung des eingesetzten Mediums, Veränderung der Leckage-Menge beim Hydraulikzylinder sowie Seitenkraftmessungen und Spannungen im Bauteil.
Im Rahmen der Markteinführung des Festo Motion Terminals VTEM, der ersten Automatisierungsplattform, deren pneumatische Ventile mit Software-Apps angesteuert werden, hat Festo hierfür unter anderem die App Leckage-Management entwickelt. Mit ihrer Hilfe erkennt der Anwender Leckagen innerhalb der kompletten pneumatischen Steuerkette mit Ventilen, Schläuchen, Verbindungen und Antrieben. Ziel ist auch hier, fehlerhafte Komponenten frühzeitig zu entdecken und auszutauschen, bevor diese die Produktion lahmlegen oder die Maschine beschädigen. Zusätzlich kann das Festo Motion Terminal den fehlerhaften Luftkanal verschließen, sodass im Falle einer Leckage nicht immer noch mehr Druckluft nachgeliefert wird. Damit unterbindet die Automatisierungsplattform unnützen Luftverbrauch.
In den Bereichen Condition Monitoring und Predictive Maintenance haben sich neue Geschäftsmodelle etabliert. So bindet Rexroth seit zwei Jahren beispielweise hydraulische Großanlagen über sein Dienstleistungspaket Odin an. Dazu werden die Anlagen mit Sensoren ausgerüstet, die Betriebszustände erfasst und die Messdaten auf Webserver weitergeleitet. Selbstlernende Software wertet diese Informationen aus, erkennt frühzeitig Verschleiß und stößt entsprechende Wartungsmaßnahmen an, bevor er zu einem Stillstand führt. Ob dabei die Sensordaten dezentral vorverarbeitet oder zentral verarbeitet werden, hängt unter anderem auch von den zur Verfügung stehenden Bandbreiten ab. Die ortsunabhängige Auswertung in einer Cloud wird laut Haack zukünftig immer häufiger der Fall sein.
„Die Hydraulik ist eine sehr sichere Technologie, die auch extreme Kräfte zuverlässig beherrscht. In vernetzten Umgebungen fügen sich die zunehmend digitalisierten Steuerungslösungen für die Elektro-hydraulik nahtlos in moderne Maschinensicherheitskonzepte ein.“
Dr. Steffen Haack, Leiter der Business Unit Industrial Hydraulics, Bosch Rexroth
Neue Tools erleichtern das Engineering
Verschiedene Unternehmen bilden den gesamten Produktlebenszyklus ab dem Engineering-Prozess mit CAD-Tools, der Produktauswahl, Konfiguration und virtueller Inbetriebnahme bis hin zum Monitoring digital ab. Der Anwender kann so sein Produktionssystem als virtuellen Zwilling entwerfen und erkennt durch den simulierten Betrieb bereits im Vorfeld, ob die Module seiner Anlage wie geplant zusammenarbeiten. Über Daten aus dem Anlagenbetrieb wie Temperaturverläufe, Druckluftverbrauch, Verschleiß oder auch Leckage-Ortung entsteht eine Art Maschinengedächtnis, aus dem die optimale Konfiguration und die Parametrisierung abgeleitet werden können. Anlagenhersteller können beispielsweise mit den Simulationswerkzeugen von Rexroth, die auch die Besonderheiten der Hydraulik abbilden, die Hydraulik sicher dimensionieren und auslegen.
Bei Serienmaschinen ermöglichen die Softwaretools die virtuelle Inbetriebnahme der Steuerungsfunktionen vor oder parallel zur Montage, was die Markteinführungszeiten erheblich verringert. Elektronifizierte Hydraulik muss sich außerdem einfach in Betrieb nehmen lassen. Hier bietet Rexroth eine Engineering-Software an, die den Techniker logisch und schnell durch die Inbetriebnahme führt. Software-Wizards schlagen die für die Anwendung passenden Parameter vor.
Seit Anfang 2018 bietet Festo einen Webservice an, mit dem – über den Bestellcode automatisiert – ein konfigurationsrichtiges Eplan-Projekt erstellt werden kann. „Was früher mehrere Stunden in Anspruch nahm und fehleranfällig war, lässt sich jetzt in wenigen Minuten fehlerfrei und nach Norm erledigen“, erklärt Eberhard Klotz. Aktuell ist der Service für die Automatisierungsplattform CPX und die Ventilinselfamilien MPA und VTSA verfügbar. Gleichzeitig hat Festo die Online-Version der Konfigurations-Software Festo Design Tool 3D in seinen Produktkatalog integriert. Damit können Konstrukteure vormontierte Baugruppen oder Pre-Packs mit allen Einzelteilen und dem Montageplan sicher und effizient bestellen.
„Das Festo Motion Terminal VTEM katapultiert die Pneumatik ins Zeitalter von Industrie 4.0 – mit Apps, die es ermöglichen, über 50 Einzelkomponenten zu ersetzen. Neueste Entwicklungen in Piezotechnik und Software machen es möglich.“
Eberhard Klotz, Leiter der Kampagne Industrie 4.0, Festo
Energieeffizienz ist stark gefragt
„Der Energie- und Kostenbedarf ist ein wichtiges Thema in der Antriebstechnik. Um dies fair und im Sinne der EU-ErP-Richtlinie bewerten zu können, muss der gesamte Lebenszyklus von der Herstellung der Produkte über den Betrieb bis zur Entsorgung berücksichtigt werden“, betont Tanja Hänchen. Wenn man hier transparent und durchgängig die Daten zum Energieaufwand bei der Herstellung, zu Standzeiten, zur Wartungsanfälligkeit aller Komponenten in der Supply Chain erfasst, kann die passende Technologie für den jeweiligen Einsatz präzise ausgewählt werden. „Das bedeutet aber auch, wenn in Zukunft die Fluidtechnik automatisch verschiedene technische Daten über den Einsatz ihrer Komponenten zur Verfügung stellt, braucht es weniger Diskussionen über deren Einsatz. Zudem bietet die Datensammlung die Möglichkeit, die Fluidkomponenten aufgrund der erfassten Einsatzdaten energetisch und technisch weiter zu optimieren“, so Tanja Hänchen weiter.
Beim Thema Energieeffizienz wird die Hydraulik stets mit elektrischen Antrieben verglichen. Das Unternehmen Hänchen sieht darin einen Ansporn, den Hydraulikzylinder energieeffizienter zu machen. „Das verwirklichen wir zum Beispiel mit Leichtbau-Materialien, wie leichten Metallen oder Carbon, um die bewegte Masse zu verringern und damit die Antriebsleistung zu reduzieren“, sagt Tanja Hänchen. Auch Dichtungen beeinflussen den hydraulischen und mechanischen Wirkungsgrad sowie die Energieeffizienz. Das Dichtungssystem Servoseal reduziert laut Hänchen die Reibung gegenüber konventionellen Dichtungen. Außerdem arbeitet es nahezu leckagefrei und ist eine Alternative zu Drosselspaltdichtungen.
Um den Verschleiß zu verringern und die Lebensdauer der Komponenten zu erhöhen, setzt Rexroth auf ein optimiertes Fluidmanagement mit modernen Filtrationskonzepten. „Denn mit dem Umstieg auf die Verdrängersteuerung und die Synchronisation dezentral angetriebener und gesteuerter hydraulischer Achsen per Software sinken in vielen Anwendungen die notwendigen Ölmengen deutlich. Und durch den geringeren Wärmeintrag steigt die Standzeit der Medien“, begründet Dr. Steffen Haack.
Software ersetzt Hardware
Die Verlagerung von Funktionen in die Software hat auch Auswirkungen auf die Inbetriebnahme und den Betrieb. Wichtig ist dabei, dass die Vorteile der Hydraulik wie Kraftdichte und Robustheit mit den Möglichkeiten der digitalen Regelung verknüpft werden können. Bei anspruchsvollen Anwendungen werden inzwischen hydraulische Systemlösungen zunehmend voll digital gesteuert und überwacht. Insbesondere im Umfeld der Fabrikautomation werden moderne Industrie 4.0-Schnittstellen wie OPC-UA und Bluetooth und integrierte Sensorik immer wichtiger. „Dennoch wird es auch zukünftig Anwendungen mit einfacherer, konventioneller Ansteuerung geben. Diese können mit geringen Kosten über IO-Link in vernetzte Umgebungen eingebunden werden“, sagt Dr. Steffen Haack. Er ist überzeugt, dass in absehbarer Zeit innerhalb von Maschinen und Anlagen verschiedene Echtzeit-Ethernet-Protokolle eingesetzt werden und Multi-Ethernet-Schnittstellen eine ausreichende Investitionssicherheit bieten. Aber auch OPC-UA und Wireless-Schnittstellen werden für den Informationsaustausch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. „Auch sehen wir seit einiger Zeit, dass klassische Drosselsteuerungen mit Ventilen durch intelligente Verdränger-Steuerungen mit variablem Volumenstrom mittels Innenzahnradpumpe ersetzt werden“, so Haack weiter. Diese drehzahlvariablen Pumpenantriebe regeln hydraulische Funktionen aus der Software-gesteuerten Drehzahl heraus. Damit verlagern Maschinenhersteller die Funktionsvarianz von der Hardware in die Software, was den Hardwareaufwand und die Kosten für die Anpassung an neue Aufgaben erheblich verringert.
Festo geht diesen Weg mit seinem Motion Terminal VTEM, das als cyber-physisches System aufgebaut ist und bis zu 50 pneumatische Einzelfunktionen ersetzen kann. „Diese neue Art der Funktionsintegration, kombiniert mit Software-Apps, vereinfacht die Wertschöpfungskette, denn es wird nur noch eine Hardware benötigt“, betont Eberhard Klotz, Leiter der Kampagne Industrie 4.0 bei Festo. Durch schnelles Zuschalten neuer Funktionen über Apps können Maschinenentwickler einen Basis-Maschinentyp erstellen und je nach Auswahl der Apps diese Maschine mit unterschiedlichen Funktionen und Ausprägungen je nach Kundenwunsch ausstatten. Die Funktionszuweisung per Software bietet laut Festo weitere Vorteile in Bezug auf Manipulationssicherheit und Know-how-Schutz, denn von außen ist den Ventilen nicht anzusehen, welche Funktionen sie ausführen. Außerdem vereinfacht sich das Thema Wartung, da lange Ersatz- und Verschleißteillisten obsolet werden. aru