Verbundwerkstoffe in verschiedenen Konfigurationen gelten derzeit als der große Trend, nicht nur in der Automobilindustrie. Sie sind leichter als Metall, meist ebenso stabil, aber variabler in der Nutzung. Die Duroplaste SMC und BMC sind zwei Beispiele, die schon in den 60er Jahren verwendet worden sind und heute in neuen Anwendungsgebieten und mit immer neuen Rezepturen ihre Renaissance erleben.
Die scheinbare Neuheit hat eine lange Geschichte: Duroplast-Verbünde – speziell Sheet Moulding Compounds (SMC) und Bulk Moulding Compounds (BMC) – wurden schon in den 60er Jahren verwendet, etwa für Stromverteilerkästen. Ihre hohe mechanische Festigkeit und ihre Korrosionsbeständigkeit sind zwei der offensichtlichsten Eigenschaften der Duroplaste, wie das Beispiel der Stromverteilerschränke im Straßenbild zeigt: das SMC, ein Verbund aus duroplastischen Reaktionsharzen, Glasfasern von meist 25 bis 50 Millimeter Länge sowie diversen Füll- und Zusatzstoffen, ist hier häufig jahrzehntelang Abgasen, Witterung, Kälte und Sonneneinstrahlung ausgesetzt, ohne seine Funktion zu verlieren.
Diese Robustheit macht das Material inzwischen beispielsweise auch für das Bauwesen interessant, das daraus haltbare Schalungen, Abdeckungen und Schächte fertigen lässt. Gleiches gilt für die Automobilindustrie, die unter anderem immer häufiger Verkleidungsteile, Motorhauben oder Heckdeckel aus dem stabilen Werkstoff verbaut und damit massiv Gewicht einspart, da SMC-Formteile rund 25 Prozent leichter sind als vergleichbare Stahlblechkomponenten.
Nachdem die Thermoplaste mit ihren teils einfacheren Verarbeitungsprozessen sie lange Zeit verdrängt hatten, feiern die hochstabilen Duroplast-Verbünde inzwischen also in immer mehr Branchen ihr Comeback.
Flexible Mixturen
Ein weiterer Vorteil der Duroplast-Verbundwerkstoffe gegenüber Metallen oder auch anderen Kunststoffen, ist ihre sehr flexible Einstellbarkeit. Über die Art und das Mischverhältnis seiner Bestandteile lässt sich das Material vom Brandverhalten bis hin zum Oberflächenwiderstand individuell an die jeweiligen Einsatzanforderungen anpassen.
Lorenz Kunststofftechnik befasst sich bereits seit 1966 mit der Zusammenstellung und Produktion von Duroplasten und stellt jährlich rund 200 Rezepturen her. Nun hat das Unternehmen mit dem BMC 0204 einen Kunststoff geschaffen, der nach UL 94 selbst bei nur 0,4 Millimeter Dicke die Stufe V0 erreicht. Gleichzeitig eignet sich das Material dank eines CTI-Werts von 600 Volt und einer Wärmeleitfähigkeit von 1,35 W/m*K besonders gut für den Elektronikbereich.
Eingesetzt wird dieser Werkstoff – ebenso wie das verwandte SMC 0208 – vor allem in sicherheitskritischen Bereichen, zum Beispiel für Schienenfahrzeuge, da beide Werkstoffe im Brandfall kaum Rauch entwickeln und nicht schmelzen oder tropfen. Im Gegensatz zu Thermoplasten, deren Verformbarkeit durch Wärme namensgebend ist, behalten derartige Bauteile auch in Extremsituationen ihre Funktionalität und tragen nicht zur Brandausbreitung bei. Sie erfüllen damit selbst die strengen Vorgaben der neuen Bahnnorm Din EN 45545-2. Auch bleiben die verschiedenen Eigenschaften von SMC, BMC und der Mischform CIC (Continuous Impregnated compound) über einen weiten Anwendungs- beziehungsweise Einsatztemperaturbereich von -40 Grad bis zu +180 Grad, teils sogar +200 Grad.
Mineralstofflastige Rezeptur spart Kosten
Einen Teilaspekt davon, die hohe Dimensionsstabilität, macht sich die Automobilindustrie schon seit längerem zu Nutze: Scheinwerferreflektoren nehmen im ungenutzten Zustand die Umgebungstemperatur an, die leicht auch unter 0 Grad liegen kann. Werden die Lampen jedoch eingeschaltet, erwärmen sie sich schnell auf über 100 Grad. Damit sich die Reflektoren trotz dieser Temperaturveränderung nicht verziehen oder springen, werden sie überwiegend aus BMC gefertigt und millionenfach in Fahrzeugen aller Klassen verbaut.
Eine der Grundlagen für die Temperaturstabilität und Feuerfestigkeit ist neben der starken Vernetzung der Polymere im Duroplast der hohe Anteil an Mineralstoffen. Dieser wirkt sich aber nicht nur auf die Eigenschaften der Werkstoffe aus, sondern sorgt auch für ihren gleichbleibend niedrigen Preis. Während andere Kunststoffe vornehmlich auf Erdölderivaten basieren und damit an den steigenden Ölpreis gebunden sind, machen diese Grundstoffe bei SMC und BMC je nach Rezeptur teilweise nur noch 20 Prozent oder weniger aus und haben entsprechend wenig Einfluss auf die Kosten.
Große Designfreiheit
Dass die Duroplast-Werkstoffe bei all diesen Vorteilen heute nicht weiter verbreitet sind, liegt wohl vor allem in Vorurteilen bezüglich der Verarbeitungsmöglichkeiten begründet, die auf die Anfänge der Verbundwerkstoffe zurückgehen. Frühe Duroplaste konnten nur als Pressmassen verarbeitet werden, zudem war die notwendige Vorgehensweise – Ausformung bei niedrigen, Härtung bei höheren Temperaturen – vor allem in Bereichen, die sonst mit Metall arbeiteten, ungewohnt. Die heutige Situation ist damit nicht mehr vergleichbar: Längst gibt es etablierte und vor allem wirtschaftliche Fertigungsverfahren, mit denen auch große Stückzahlen erreicht werden können.
SMC lässt sich zum Beispiel zuschneiden und per Fließpressen in Form bringen, wobei andere Elemente bereits in die Pressform gelegt und so im selben Prozessschritt integriert werden können. BMC kann per Heißpressverfahren oder mittels Spritzgießen verarbeitet und auch zum Umspritzen verwendet werden. Das Spektrum möglicher Formen reicht vom ein Quadratzentimeter kleinen Stecker bis zu Platten mit mehreren Quadratmetern. Gleichzeitig sind die modernen Rezepturen auf gute Fließwerte ausgerichtet. Das neue BMC 0204 beispielsweise erreicht einen Fließwert von mindestens 1000 Millimeter in der Fließspirale bei 100 Megapascal. Die Wertstoffe sind damit leicht zu verarbeiten und füllen Werkzeuge dreidimensional bis in die äußersten Kavitäten zuverlässig aus. Durch die Zugabe von Styrol und weiteren Stoffen lässt sich zudem die Schwindung bei der Fertigung nahezu ausheben und eine sehr hohe werkzeugfallende Genauigkeit erreichen.
Hintergrundwissen
Lorenz Kunststofftechnik
Lorenz Kunststofftechnik wurde 1966 von Siegfried Lorenz gegründet und ist seit 1996 unter der Leitung von Thomas Lorenz in zweiter Generation in Familienbesitz. Zunächst war das Unternehmen auf die Herstellung von verschiedenen Glasfaserprodukten spezialisiert, bevor es seine Expertise in den folgenden Jahren auf die Produktion von SMC und BMC erweitert hat. Heute ist Lorenz in den Bereichen Halbzeugfertigung, Forschung und Entwicklung, kunden- und bauteilspezifische Werkstoffentwicklung sowie im Recycling von Duroplasten tätig. Kunden aus der Fahrzeug-, Elektro-, Bau-, Sanitär- und Chemieindustrie, Haushaltsgerätehersteller sowie Schienenfahrzeugbauer werden mit individuell produzierten Halbzeugen beliefert. Am Sitz des Unternehmens in Wallenhorst bei Osnabrück beherbergt das Werk neben der Produktion außerdem ein Labor und eine eigene Werkstatt. Forschung und Weiterentwicklung haben einen hohen Stellenwert für die Kunststoffexperten. Das Unternehmen kooperiert daher mit diversen Hochschulen im Umfeld.
Dies minimiert nicht nur den Nachbearbeitungsaufwand, in Verbindung mit dem geringen Wärmeausdehnungskoeffizienten von Duroplasten. So können auch Präzisionskomponenten, wie etwa für Einsspritzsysteme oder Motoren, innerhalb enger Toleranzen hergestellt werden. Die Taktzeiten sind dabei im Allgemeinen etwas länger als bei Thermoplasten, was aber durch den geringeren Materialpreis und die anpassbaren Eigenschaften ausgeglichen wird. Einige Varianten der Verbundstoffe sind durchaus umweltfreundlich: Die Mischungen von Lorenz enthalten weder Halogene noch Schwermetalle und lassen sich zudem recyceln. Das Unternehmen hat dazu ein Konzept entwickelt, bei dem das Material schonend zerkleinert wird, so dass die Glasfasern möglichst gut erhalten bleiben und problemlos wieder als Ausgangsstoff für SMC und BMC verwendet werden können. Zum Zurückschicken der Stoffabfälle an den Hersteller wurde eine eigene Transportbox konstruiert – natürlich aus glasfaserverstärktem Duroplast. jl