Die additive Fertigung entwickelt sich durch ihre zahlreichen Vorteile immer mehr zu einem Standardverfahren für die Industrie, darin sind sich viele Experten einig. Insbesondere durch die Vorzüge hinsichtlich der schnellen Verfügbarkeit von benötigten Teilen und die schnelle Umsetzung komplexer Projekte hätten Unternehmen erkannt, dass der 3D-Druck selbst bei schwierigsten Herausforderungen eine adäquate Lösung darstelle, sagt exemplarisch Daniel Cohn. Der Geschäftsführer Deutschland bei Protolabs betont, dass auch in der Corona-Pandemie mittels 3D-Druck gefertigte Teile ihren großen Mehrwert bewiesen und zu einer Verbesserung der Versorgung geführt hätten.
Auch bei HP beobachtet man eine stetig steigende Nachfrage nach industriellem 3D-Druck. „Viele Unternehmen hatten während der Pandemie mit Lieferengpässen und unterbrochenen Lieferketten zu kämpfen. Für eine Reihe von Produkten war der 3D-Druck eine Lösung: Die Bauteile ließen sich drucken und machten Unternehmen unabhängiger von Lieferketten“, sagt Raffi Beglarian. Der EMEA 3D Printing Market Manager bei HP ist sich sicher, dass die Unternehmen diese Vorteile nicht mehr missen möchten und deshalb in die additive Fertigung investierten. Er registriert branchenübergreifend eine hohe Nachfrage. Besondere stark komme diese aus der industriellen Produktion, der Automobilbranche, aber auch aus dem Gesundheitswesen, wo sich etwa speziell angepasste Prothesen und Orthesen produzieren ließen. In der industriellen Fertigung sind laut Beglarian Greifarme und End-of-Arm-Tooling für Roboter ebenso nachgefragt wie Elektronikgehäuse oder Beschichtungstechnologien.
„Der industrielle 3D-Druck ist mittlerweile so ausgereift, dass die gesamtePalette von Prototyping bis zur Serienproduktion möglich ist.“
Raffi Beglarian, EMEA 3D Printing Market Manager bei HP
Schichten verschmelzen vollständig
HP bietet 3D-Druck-Verfahren sowohl mit Metall als auch mit Polymer an. Laut Beglarian nutzen derzeit die meisten Unternehmen Kunststoff für ihren industriellen 3D-Druck. HP bietet hier mit seiner ‚HP-Multi-Jet-Fusion‘-Serie drei unterschiedliche Modelle für Unternehmen an. Auch die verwendete Drucktechnologie unterscheide sich deutlich vom Lasersintern, die andere 3D-Anbieter nutzen, erläutert der HP-Manager. Denn im Gegensatz zu anderen 3D-Drucktechnologien ist bei ‚HP Multi Jet Fusion‘ die vorherige Schicht noch flüssig, wenn eine neue Lage an Material und Agents aufgetragen wird. So können beide Schichten vollständig miteinander verschmelzen. Das Ergebnis sind robuste, hochwertige, detailgetreue und funktionale 3D-Druckteile. Darüber hinaus lassen sich Beglarian zufolge kosteneffizient und schnell Bauteile und Produkte in Stückzahlen produzieren.
HP hat das Potenzial der additiven Metall-Fertigung bereits 2018 erkannt und stieg in diesen Markt ein. Der HP Metal Jet biete Unternehmen schnelle Produktion, hohe Qualität, und Kosteneffizienz für Metall-Bauteile, so Beglarian. Damit lassen sich geometrisch komplexe Teile mit einer Voxel-3D-Druckgenauigkeit von HP von 1 200 x 1 200 dpi produzieren. Der 3D-Printing-Experte ist sich sicher, dass der Trend hin zu Klein- und Großserienproduktion geht – vor allem auch deswegen, weil die Technologie ausgereifter und auf die Anforderungen höherer Stückzahlen als bislang ausgelegt ist. Diese begünstige dabei einige Entwicklungen, die sich seit Längerem abzeichneten, aber nicht realisieren ließen. Dazu gehöre neben individualisierten Produkten auch die Herstellung in Stückzahlen. „Der industrielle 3D-Druck ist mittlerweile so ausgereift, dass die gesamte Palette von Prototyping bis zur Serienproduktion möglich ist“, so Beglarian.
Entscheidend: die diffizile Kostenabwägung
Weniger optimistisch ist hier Daniel Cohn von Protolabs. Insbesondere sehr hohe Stückzahlen lassen sich nach seiner Einschätzung nur schwer mittels additiver Fertigung darstellen. Hier sei eine diffizile Kostenabwägung entscheidend. Der Geschäftsführer gibt zu bedenken: „Wird als Zielsetzung eine Großserienproduktion angestrebt, sollte womöglich auf herkömmliche Fertigungsmethoden wie die Spritzgussfertigung zurückgegriffen werden und nicht zwingend auf Rapid Manufacturing.“ Cohn rät dazu, die jeweiligen Herausforderungen von Rapid Prototyping und Rapid Manufacturing voneinander abzugrenzen und hier stets die Zielsetzung im Blick zu behalten. Während diese beim Rapid Prototyping auf Mustern liegt, ist man beim Rapid Manufacturing vor allem auf funktionale Teile fokussiert. Wird etwa für die Instandhaltung einer Industrieanlage dringend ein Ersatzteil benötigt, handelt es sich um Rapid Manufacturing. Dies lasse sich insbesondere durch Direktes Metall-Lasersintern (DMLS) ermöglichen.
Corona hat die Potenziale gezeigt
„Die DNA von Protolabs basiert auf Rapid Prototyping“, betont Cohn. Daher seien alle Verfahren auf der schnellen und exzellenten Befriedigung von Kundenwünschen ausgerichtet. In den vergangenen Monaten stand hier vor allem die Bekämpfung der Auswirkungen der Corona-Pandemie im Fokus. Hierzu gehören laut Cohn Schlüsselelemente für Beatmungsgeräte ebenso wie medizinische Schutzausrüstung.
Im Portfolio von Protolabs finden sich neben diversen Kunststoffen auch Metalle für den Einsatz in rauen Umgebungen. Cohn hebt hier unter anderem die Inconel-718-Legierung hervor, die in besonders anspruchsvollen Umgebungen wie der Luft- und Raumfahrt oder der Öl- und Gasindustrie zum Einsatz komme.
Zudem setzt man auf Digitalisierung. Die E-Commerce-Plattform Protolabs 2.0 hilft Kunden dabei, unter anderem anhand der gewünschten Stückzahl, die richtige Wahl hinsichtlich des für sie geeigneten Fertigungsverfahrens zu treffen. Cohn beobachtet, dass die Kundenanfragen zunehmend stärker auf die Möglichkeiten der additiven Fertigung zugeschnitten sind. „Komplexe Geometrien und Bauteile, die sich mit herkömmlichen Methoden nicht umsetzen lassen, werden immer gefragter“, hat der Geschäftsführer ausgemacht. Mit dem Vapour Smoothing habe man hier eine Möglichkeit gefunden, additiv gefertigte Bauteile in der Qualität von Spritzgussbauteilen anbieten zu können.
„Je ausgereifter die Technologien sind und je schneller die Systeme werden, desto attraktiver ist der Preis für den Einsatz additiver Technologien zur Produktion größerer Serien gegenüber konventionelleren Techniken.“
Martijn Vanloffelt, Director Application Innovation Grou bei 3D Systems
Von Machbarkeit zu Schnelligkeit
Nach der Einschätzung von Stefan Holländer haben sich die Kundenanforderungen von Machbarkeit hin zu Schnelligkeit und Kosteneffizienz verlagert. „Während es noch vor einigen Jahren darum ging, ob ein Produkt 3D-gedruckt werden kann, geht es heute darum, wie schnell und kosteneffizient es produziert werden kann“, sagt der Managing Director EMEA beim Anbieter Formlabs. Der 3D-Druck trete damit in bestimmten Bereichen in direkte Konkurrenz mit klassischen Herstellungsverfahren. Die Entscheidung laute deshalb häufig: ‚make or buy‘ – selbst inhouse mittels 3D-Druck produzieren oder extern einkaufen? Immer öfter entscheiden sich Hersteller laut Holländer für den 3D-Druck.
Bauteile, die sich drucken lassen, machen Unternehmen auch unabhängiger von Lieferketten.
Dabei habe die Materialentwicklung bei Formlabs in den letzten Jahren ‚riesige Fortschritte‘ gemacht. Das Unternehmen bietet über 30 verschiedene Kunstharze für den 3D-Druck per Stereolithographie (SLA) an, von elastischen und biokompatiblen Resins bis hin zu Hochleistungspolymeren. „Für den Prototypenbau haben wir spezielle Kunstharze entwickelt, mit denen schneller gedruckt werden kann, zum Beispiel unser Grey Resin“, so Holländer. Formlabs liefert Komplettlösungen – von der Druckvorbereitungssoftware über den Drucker und die Materialien bis hin zum Post Processing. Erst kürzlich habe man den Markt mit der Veröffentlichung des Fuse 1 und des Fuse Sift „auf den Kopf gestellt“, hebt der Managing Director hervor. Diese beiden Geräte und die Nylonpulver Nylon 12 und Nylon 11 seien die Komplettlösung für den Druck per Selektivem Lasersintern (SLS). Dabei führt Fuse 1 die Benutzer intuitiv mit einer Checkliste durch den Druckprozess, von der Vorbereitung bis zur Wartung, so Holländer. Nach seiner Beobachtung steigen Anwender „aktuell häufig von teuren SLS-Lösungen auf den Fuse 1 um, da sie hier nutzungsfreundlich und kosteneffizient eine vergleichbare Qualität und Präzision erzielen können“.
Immer häufiger für hochwertige Produktionen
Bei 3D Systems beobachtet man, dass Unternehmen zunehmend die additive Fertigung einsetzen, um ihren Produktentwicklungszyklus zu beschleunigen. Die Technologie werde sogar immer häufiger für hochwertige Produktionsanwendungen mit kleinen bis mittleren Stückzahlen in Branchen wie dem Gesundheitswesen, der Luft- und Raumfahrt, in der Verteidigung und im Automobilbereich sowie im Motorsport und der Halbleiterfertigung eingesetzt, sagt Martijn Vanloffelt. Der Director Application Innovation Group bei 3D Systems sieht am Markt eine Mischung aus Anwendern, die größere Prototyping-Anbieter nutzen, und andere, die ihre Geräte bereits eingesetzt haben, wenn die Vorlaufzeit entscheidend war oder die zu produzierenden Mengen ausreichten. Dabei würde er nicht unbedingt so weit gehen, für Produktionsläufe den Begriff „Rapid Manufacturing“ zu verwenden. Aber in den Fällen, in denen die additive Fertigung eingesetzt werde, bringt sie laut Vanloffelt typischerweise weitere Vorteile als nur die Vorlaufzeit. Hier nennt er Leichtbau, Kostensenkung oder verbesserte Funktionalität. Der 3-D-Druck-Experte hat dabei einen klaren Zusammenhang ausgemacht: „Je ausgereifter die Technologien sind und je schneller die Systeme werden, desto attraktiver ist der Preis für den Einsatz additiver Verfahren zur Produktion größerer Serien gegenüber konventionelleren Techniken.“
„Im Bereich Rapid Prototyping sind wir einem hohen Preisdruck ausgesetzt. Im Rapid Manufacturing besteht dagegen nach wie vor erheblicher Beratungsbedarf.“
Carl Fruth, CEO der FIT AG
Besseres Verständnis bei Kunden
Im Allgemeinen hätten Kunden inzwischen ein viel besseres Verständnis der Vorteile und Einschränkungen additiver Technologien. „Wir erkennen dies daran, dass die Anforderungen präziser und auch weniger konservativ werden“, so Vanloffelt. Hierfür biete 3D Systems ein sehr breites Spektrum an Technologien, Materialien und Software. „Ganz allgemein gesprochen werden hauptsächlich unsere Kunststofftechnologien für Prototyping-Zwecke verkauft, mehr noch als Metall“, sagt der Director Application. „Für kleinere Unternehmen ist oft unsere Figure-4-Lösung interessant, da mit dieser Technologie Teile außergewöhnlich schnell gefertigt werden können – oft in nur wenigen Stunden.“ Zudem hebt er noch die Direktmetalldruck-Maschinen (DMP) hervor, die feine Metallpulver aus Titan, Stahl, Nickel und Aluminiumlegierungen aber auch andere Materialien verarbeiten. Die neueste Ergänzung des Portfolios sei Scalmalloy. Aufgrund der vakuumbasierten Maschinenarchitektur könne man damit eine ‚außergewöhnliche Qualität‘ erreichen.
Anwendungsentwicklung kommt langsam voran
Laut Carl Fruth, CEO der FIT AG sind die Herausforderungen so verschieden wie die Anwendungsszenarien: „Im Bereich Rapid Prototyping sind wir einem hohen Preisdruck ausgesetzt. Im Rapid Manufacturing besteht dagegen nach wie vor erheblicher Beratungsbedarf.“ Außerdem drehe sich hier bei den professionellen Anwendungen alles um Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement. Fruth zufolge kennzeichnet eine Schere die aktuelle Branchensituation: „Es wurden unter anderem durch die mediale Überzeichnung von additiver Fertigung schnell sehr hohe Anlagenkapazitäten aufgebaut, während sich im Vergleich zum Hype der Bereich der Anwendungsentwicklung nur langsam entwickelt.“ Doch auch der Firmenchef sieht Lerneffekte. Schließlich würden mit zunehmendem Gespür darüber, was 3D-Druck wirklich bedeutet und leisten kann, immer mehr echte, realisierbare Produkte entstehen.
„Unsere Stärke ist die kompetente Projektentwicklung“, sagt Fruth. Der Kunde erhalte das gewünschte Ergebnis, auch bei schwierigen Projekten an der Grenze des Machbaren. So sei man beispielsweise die einzigen gewesen, die das acht Meter hohe, 3D-gedruckte und goldschimmernde Altarkunstwerk in der Pfarrkirche Altmühldorf realisieren konnten.
Der Maschinenpark von FIT ist breit aufgestellt. Dazu zählen die klassischen Verfahren wie Laserschmelzen, Selektives Lasersintern, Elektronenstrahlschmelzen und Stereolithographie ebenso wie seltenere Technologien wie das Laserauftragsschweißverfahren Wire Arc Additive Manufacturing für Metalldrähte, das Kaltschweißverfahren Supersonic 3D Deposition für Kupferkomponenten oder Robotic FDM für großformatige Kunststoffkomponenten.
Als Beispiel für die Synergie aus effizienter Produktentwicklung und einem additiven Spezialverfahren nennt Fruth die massiven, testfähigen Schwenklagerprototypen für Gleisbau-Stopfmaschinen, die FIT kürzlich in einem Bruchteil der konventionell benötigten Zeit im Aufschweißverfahren hergestellt habe. Interessant ist auch das neu entwickelte rohstoffschonende Verfahren Selective Cement Activation für individuelle Freiformteile im Bereich Architektur/Innenarchitektur. Der damit verarbeitete neue Werkstoff econit ist nachhaltig, recycelbar und kann durch verschiedenste Zuschlagstoffe gezielt mit Eigenschaften versehen werden.
Produktivität als wichtiger Faktor
Auch beim Anbieter Stratasys beobachtet man eine Sensibilisierung der Kunden in Richtung Return on invest (ROI). „Dies hat dazu geführt, dass die Kosten pro Bauteil sowie die Materialkosten bei der Entscheidungsfindung viel zentraler geworden sind“, sagt Vice President Zehavit Reisin. Zudem sei der Bedarf an erhöhtem Durchsatz und Produktivität ebenfalls ein wichtiger Faktor bei der Entscheidung für eine Investition oder ein Upgrade der Technologie.
Nach der Beobachtung von Reisin haben sich PolyJet und die Schmelzschichtung, das Fused Deposition Modeling (FDM), zu den wichtigsten Wachstumsmotoren in den Zielbranchen des Unternehmens entwickelt. Die Hauptgründe dafür sieht sie in Kosteneinsparungen, schnellerer Markteinführung, Qualität der Bauteile, einfacher Bedienung, Zugänglichkeit und gesicherter IP, wenn man im eigenen Haus druckt und nicht auslagert. „Die Technologie fördert die Kreativität und gibt Designern und Entwicklern mehr Möglichkeiten“, so Reisin.
Als Beispiel nennt die CEO den ‚J35-Pro-3D-Drucker‘, der auf der allerneuesten PolyJet-Technologie basiere. Diese sei für die Herstellung von Prototypen, Modellen und Endbauteilen für eine Vielzahl von Branchen entwickelt worden – und „das alles bequem vom Büro aus und zu wesentlich geringeren Kosten als andere Multi-Material-PolyJet-Lösungen“.
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