Sie beraten Menschen aller Fachrichtungen zum Thema Führung. Haben Sie hier Unterschiede zwischen Menschen in technischen Berufen und solchen mit eher betriebswirtschaftlichem Hintergrund festgestellt?
Ich sage mal ja und nein. Es gibt natürlich insofern Unterschiede, als dass Menschen in technischen Berufen noch mehr auf Zahlen, Daten, Fakten fokussiert sind, projektorientierter sind, und das Zwischenmenschliche vielleicht weniger wichtig genommen wird. Aber de facto werden ja auch Ingenieure von ihren Gefühlen und Neigungen getrieben. Sie wollen etwas sehr gut machen, tolle Ergebnisse liefern. Das ist alles von Emotionen getrieben. Man kann aber nicht sagen, die Techniker könnten das nicht, mitnichten. Empathie ist bei allen vorhanden, man muss nur anerkennen, dass sie – bei gleichzeitiger Beachtung der Zielorientierung – auch im Berufsleben wichtig ist.
Eines Ihrer Bücher heißt „Loslassen für Führungskräfte“. Aber im Maschinenbau sind die Auftragsbücher so voll, der Druck so hoch, dass an ein Loslassen gar nicht zu denken ist. Wie soll das klappen?
Gerade dann ist es wichtig, loszulassen. Es geht darum Prioritäten zu setzen, aber nicht derart, dass man seine Prioritäten einteilt und alles in einer gewissen Reihenfolge abarbeitet. Sondern, dass man sein Arbeitsfeld durchforstet und fragt, was muss ich davon überhaupt wirklich machen? Ich hatte ein Coaching mit einer Führungskraft, die an einem enorm wichtigen Projekt für die ganze Firma arbeitete. Er müsste dafür 70 bis 80 Prozent seiner Zeit investieren. Er investierte gefühlt aber nur ungefähr 40 Prozent, weil einfach tausend andere Sachen auch noch zu tun waren. So jemand langweilt sich nicht, der ist auch nicht faul, wenn er sich um andere Sachen kümmert. Aber er kümmert sich eben nicht um dieses wichtige Projekt. Erfolg hat man da nur, wenn man brutal Dinge reduziert oder gar nicht macht. Der Anspruch, dass alles gemacht werden muss, das geht zu Lasten der großen Steine, der großen Projekte, weil sie einfach mit weniger Energie bearbeitet werden. Mein Tipp ist, wenn etwas wirklich Wichtiges zu tun ist, mach es immer morgens als erstes.
Nie mit E-Mails anfangen, nie mit Smalltalk an der Kaffeemaschine anfangen, sondern immer als erstes in einen Meetingraum setzen für eine Stunde und am wichtigen Projekt arbeiten. E-Mails mögen wichtig erscheinen, aber sie sind die To-do-Listen der anderen.
Aber die meisten Führungskräfte haben ständig volle Schreibtische…
Alle haben die Schreibtische voll. Man muss sich wirklich überlegen als Führungskraft, am besten mit dem Team zusammen, welche Projekte im Umfang, in der Quantität und in der Qualität reduziert werden können, und wo Vollgas gegeben wird. Es muss irgendwas liegenbleiben. Anders geht es nicht. Führungskräfte müssen sich fokussieren, abgeben. Sie haben Mitarbeiter! Machen Sie nicht alles selbst, etablieren Sie Prozesse, bilden Sie die Mitarbeiter aus. Man muss sich fokussieren und andere Sachen brutal – wirklich brutal, ist nun mal so – wegdrücken. Wir könnten locker auch 16 Stunden arbeiten jeden Tag und es wäre uns nicht langweilig. Viele machen das ja sogar.
Buchvorstellung
Loslassen für Führungskräfte: Meine Mitarbeiter schaffen das – in der zweiten Auflage auch mit einem Kapitel zum Loslassen für Mitarbeiter. Von der German Speakers Association (GSA) ausgezeichnet mit dem Preis „Trainerbuch des Jahres 2013“. Nur wenn jeder sein Bestes gibt, kann das Unternehmen sein volles Potenzial entfalten. Eigenverantwortliche und kreative Mitarbeiter, die den Laden praktisch alleine schmeißen, während der Chef sich aus dem operativen Geschäft zurückzieht und sich voll und ganz auf seine Führungsaufgaben konzentriert: Das ist der Traum einer jeden Führungskraft. Doch wie genau geht das? Markus Jotzo weiß aus eigener Erfahrung, wie Mitarbeiter zu Mitunternehmern werden. In diesem Ratgeber zeigt er, dass Mitarbeiterverantwortung kein Luftschloss bleiben muss. Lesenswert.
In Ihrem zweiten Buch sagen Sie, dass man als Chef nicht nett sein soll. Wie meinen Sie das?
Das interpretieren manche so. Man darf ruhig nett sein, aber wichtig ist, situativ immer wieder unnett oder unbequem zu sein. Warum exzellente Führungskräfte nicht immer nett sind, so müsste es eigentlich ganz korrekt heißen. Man darf als Chef natürlich gerne wertschätzend sein – muss man sogar. Aber wenn etwas im Argen liegt, also Fehler passieren oder auch wenn ich ehrgeizige Ziele habe, was ja fast immer der Fall ist, dann muss ich mich selbst und mein Team weiterentwickeln. In solchen Fällen gilt es als Chef, seine Mitarbeiter ins kalte Wasser zu werfen, in Aufgaben, die sie vielleicht so noch nicht bearbeitet haben. Der Chef oder ein erfahrener Mitarbeiter muss mit dem Rettungsring in der Nähe stehen, das Wasser darf nicht so kalt sein, dass man erfriert, aber es darf ruhig kalt sein. Irgendwann hat er sich warmgeschwommen und dann kommt er damit gut zurecht. Wenn ich als Mitarbeiter größere und mehr Aufgaben habe, dann brauche ich einen Chef, der mir nicht alles abnimmt, sondern der sagt, das ist jetzt deins, den Part übernimmst du jetzt selbst. Und wenn dann etwas nicht passt, muss das vom Chef klar gesagt werden. Das ist dann nicht nett, das ist aber wertschätzend. Und das ist wichtig, um gute Mitarbeiter zu halten. Denn Menschen verlassen Führungskräfte, nicht Firmen.
Zum Abschluss: Wie sind Sie zum Berater geworden?
Nach meinem BWL-Studium in Deutschland und USA war ich neun Jahre bei Unilever im Bereich Marketing und Vertrieb, davon acht Jahre als Führungskraft. 2005 habe ich mich dann als Trainer und Coach selbstständig gemacht. Ich habe entdeckt, dass mir an meiner Führungstätigkeit vor allem die Entwicklung der Mitarbeiter am besten gefallen hat. Diese Leidenschaft habe ich dann zum Beruf gemacht.