Kommt Ihnen das bekannt vor? Sie wollten eigentlich schon längst mit Ihrem Chef über Ihr Gehalt oder Ihre Arbeitsbelastung gesprochen haben, schieben das Gespräch aber immer wieder auf. ke NEXT hat mit Marco von Münchhausen, Coach und Autor des Bestsellers „So zähmen Sie Ihren inneren Schweinehund“, darüber gesprochen, wie man seine Aufschieberitis in den Griff bekommt.
Herr von Münchhausen, was sind Ihrer Erfahrung nach Aufgaben, die Mitarbeiter und Chefs am liebsten aufschieben?
Hier würde ich drei Gruppen bilden: Das eine sind lästige Routinetätigkeiten, die einen eher langweilen, wie Formulare ausfüllen und irgendwelche Berichte schreiben. In die zweite Gruppe fallen alle neuen, unbekannten Sachen, von denen man sich überfordert fühlt, weil man noch keine Ahnung hat, wie man rangehen soll. Denn immer, wenn man noch keine klare Vorstellung davon hat, wie etwas zu erledigen ist, schiebt man es gerne auf. In die dritte Gruppe fallen persönliche Angelegenheiten, bei denen zwischenmenschliche Probleme und Konflikte auftauchen können. Die Vorstellung davon erzeugt ein unangenehmes Gefühl, und dann lässt man die Aussprache lieber sein.
Welche Ausreden führen denn die Hitliste an?
Die Hauptausrede lautet sicherlich: Das ist noch nicht so dringend, das hat noch Zeit. Das ist die Verharmlosungsstrategie. Oder umgekehrt das Ammen- oder Lügenmärchen: Dafür habe ich keine Zeit. In Wirklichkeit räumt man der Aufgabe einfach nicht die oberste Priorität ein. Oder die Unmöglichkeitsstrategie: Das kann ich nicht, das ist wahnsinnig schwierig. Dann schiebe ich es unbewusst weg. Manchmal wird auch die Unzuständigkeitsstrategie
herangezogen. Dann heißt es: Dafür bin ich nicht zuständig.
Was sind überhaupt die Gründe für die Aufschieberitis?
Im Prinzip ist das ein Prozess, der im Gehirn stattfindet. Wenn mir einfällt: „Ach, das muss ich noch machen“, erzeugt das Gehirn in diesem Moment automatisch eine Vorstellung dazu. Wenn mir diese Vorstellung nicht klar und einfach erscheint, kriege ich in der Regel automatisch ein negatives Gefühl. Und wenn ich dieses negative Gefühl habe, setzt sofort ein automatisierter Prozess einer Ausweichhandlung ein. Denn wir sind nun mal so konstruiert, dass wir allem, was uns unangenehm ist, ausweichen. Also suchen wir eine Ersatzhandlung und legitimieren diese innerlich als: „Naja, das ist aber jetzt auch wichtig.“ Wenn ich mir dieses Musters nicht bewusst bin, dann mache ich eben etwas anderes.
Könnten Sie das bitte anhand eines Beispiels verdeutlichen?
Beispielsweise habe ich mir den Samstagvormittag freigehalten, um endlich meine Ablage abzuarbeiten. In der Früh wache ich auf und mein erster Gedanke im Kopf lautet: „Oh, Ablage!“ Das bedeutet, ich bleibe noch ein bisschen länger im Bett liegen – es ist ja Samstag –, das Frühstück dauert etwas länger, die Zeitungslektüre dehnt sich aus.
Dann komme ich ins Büro und mache erst noch mal kurz was anderes. Danach telefoniere ich erst noch mit einem Kollegen und daraufhin merke ich, ich bin nicht in Stimmung, deshalb gehe ich erst noch einen Kaffee trinken. Und dann kann es sein, dass irgendwann um zwölf Uhr die innere Stimme sagt: „Ach, das hat heute sowieso keinen Zweck mehr.“ Und so lasse ich es sein.
Das heißt, wenn ich das Bild ändere, dann höre ich auch auf aufzuschieben?
Richtig, sofern ich eine klare Vorstellung davon habe, wie es geht.
Wie kriege ich es denn auf die Reihe, das Bild zu ändern?
Indem ich mir erst einmal einen Überblick über die Aufgabe verschaffe. Das, was mir groß und unangenehm erscheint, muss ich erst mal zerlegen. Ein Beispiel: Man will komplett entrümpeln. Bei der Vorstellung, dass ich den Keller, den Speicher, die Garage angehen muss, überkommt mich sofort ein lähmendes Gefühl und ich mache etwas anderes.
Besser ist es, wenn ich das Entrümpeln zerlege und mir vornehme, jede Woche eine Stunde, beispielsweise Freitagabend von 18 bis 19 Uhr, zu entrümpeln – mehr nicht. Damit ich ein positives Gefühl bekomme, nehme ich mir im Anschluss eine Belohnung vor und gehe um 19 Uhr in den Wellness-Bereich.
Und das funktioniert?
Ja! Erstens habe ich dann schon mal eine kleine Einheit. Zweitens mache ich mir vorher ein Bild: Ich komme in die Garage und werde als erstes die Gegenstände X und Y zum Sperrmüll bringen oder ins Auto rausräumen und am Samstagfrüh fahre ich zum Sperrmüll. Wenn ich das Bild habe, wie es geht, und mir dazu einen inneren Film konstruiere, dann bekomme ich das Gefühl der Machbarkeit. Das ist das, was der Schweinehund braucht: Je kraftvoller die Vision, desto leichter ist er zu überzeugen. Die kleinen Häppchen sorgen auch für schnelle Erfolgserlebnisse. Akten zum Beispiel packt man gebündelt weg. Schon habe ich wieder einige leere Regalreihen.
Nun sucht man sich die Bilder natürlich nicht aus. Haben Sie eine Erklärung, wie solche negativen Bilder entstehen?
Ich würde es anders formulieren: Es sind nicht die Bilder, die negativ sind, sondern ich habe die vage Vorstellung von etwas, von dem ich noch nicht genau weiß, wie ich es hinkriege und das erzeugt das unangenehme Gefühl und ich frage mich: „Wie soll ich denn das schaffen?“ Wenn ich aber schon sehe, wie ich das hinbekomme, dann habe ich auch das Gefühl, ich kann es schaffen. Und dann habe ich ein positives Bild.
Wie geht man denn am besten vor, wenn man beruflich größere, unangenehme Projekte zu bewältigen hat?
Da hilft die Salami- oder Elefantenfuttertechnik. Wie esse ich einen Elefanten? Ich zerlege ihn in kleine Einheiten!
Haben Sie spezielle Tipps für Konstrukteure und Ingenieure oder sehen Sie keinen Unterschied zu anderen Berufsgruppen?
Der Konstrukteur hat zunächst einmal den Vorteil, dass er viele Dinge sachlich angeht. Zweitens muss der Konstrukteur lernen, auch mit Gefühlen umzugehen und sich diese anzuschauen, weil er das normalerweise nicht so gerne macht, und sich dabei vielleicht Unterstützung holen.
Aber die Art, wie man seinen Schweinehund zähmt, nämlich einmal in klaren Bildern von dem, was ich erreichen will und einem inneren Film, der mir das Gefühl der Machbarkeit gibt, und dann natürlich die Technik, große Projekte in kleine Einheiten runter zu brechen, und so ein Gefühl der Machbarkeit zu bekommen, mich dann zu fordern ohne mich zu überfordern, gilt für Konstrukteure genauso wie für Schauspieler oder Entertainer.
Angenommen, ein Konstrukteur oder Ingenieur möchte gerne ein unangenehmes Gespräch mit seinem Chef führen, beispielsweise über das Gehalt oder die schlechte Qualität der eigenen Produkte. Wie hilft Ihre Methode hierbei gegen das Aufschieben?
Konstrukteure und Ingenieure sind in der Regel rational denkende Menschen, die nicht unbedingt als Erstes gerne mit Gefühlen umgehen und da auch meistens nicht so erfahren sind. Ein schwieriges Gespräch zu führen liegt vielen von ihnen nicht so sehr. Deshalb schieben sie es auf. Der Weg könnte sein, auch hier erst einmal über die Sachebene heranzugehen, indem sie sich zunächst sachlich genau überlegen, was nicht gut läuft. Oder wenn es ums Gehalt geht: Was spricht für die Gehaltserhöhung?
Die zweite Überlegung wäre auch noch sachlich: Was passiert, wenn ich das Gespräch darüber ein Jahr lang nicht führe. Der dritte Punkt ist der Schwierigste. Wenn er sich gut vorbereitet, muss er sich überlegen: Wie tickt denn mein Chef? Was ist das für eine Persönlichkeit. Wenn ich ihm das jetzt vortrage, wie reagiert er wahrscheinlich darauf? Wenn man nicht geübt hat, sich in die Person des anderen hinein zu versetzen, kann das sehr schwierig sein.
Wie kann ein Techniker das trotzdem hinbekommen?
Ich würde demjenigen raten: Hol dir einen guten Freund, der die Situation mit dir durchspielt. Nenn ihm die sachlichen Gründe, und der andere darf dann durchaus kontern. Beide können also gemeinsam Rollenspiele machen, wie der Chef möglicherweise reagieren wird. Sich einen Coach zu nehmen, ist natürlich noch besser, aber das kann nicht jeder – und man kann sich auch von einem guten Freund coachen lassen.
Wenn man alleine arbeitet, trägt man alleine die Konsequenzen der Aufschieberitis. Im Team hingegen kann es zu Frust untereinander führen, wenn der andere etwas aufschiebt. Wie kann man damit umgehen?
Sobald mehr als eine Person beteiligt ist, gibt es ein ganz einfaches Rezept: die Aufgaben auflisten, verteilen, und Termine ausmachen. Dann hat wieder jeder seine Eigenverantwortung. Wenn die nur zusammensitzen und sagen: „Wir wollen das bis dann geschafft haben“ und sich dann trennen, dann mag es das Arbeitstier geben, das sich sofort reinhängt, und der andere sagt: „Das hat ja noch Zeit“.
Für manche lautet die Team-Definition auch: „Toll, ein anderer macht´s“. Das ist für viele auch eine gerne genutzte Ausweichmöglichkeit, und das liegt daran, dass keine konkreten Vereinbarungen getroffen wurden.
Was mache ich denn als Ingenieur, wenn ich einen Chef habe, der viel aufschiebt?
Wenn der Chef eine Aufgabe übernimmt, sollte man ruhig den Mut haben zu fragen, bis wann man mit dem Ergebnis rechnen darf. Und wenn der Chef sagt: „Ich mache das schon“, sollte man den Termin einfach einfordern und darauf verweisen, dass man sich auch seine Zeit einteilen muss und auf das Ergebnis aufbauen muss.
Und wenn der Chef sich nicht auf Termine festnageln lässt?
Dann kann es helfen, dem Chef die Konsequenzen aufzuzeigen, beispielsweise: „Gut, dann kann ich leider dem Kunden kein Angebot machen.“ Wichtig ist, dass man freundlich, aber klar bleibt.
Was würden Sie unseren Lesern als konkreten Tipp gegen die Aufschieberitis am Arbeitsplatz geben?
Zuerst sollte man eine Liste der Dinge, die zu erledigen sind, anfertigen. Denn bei der Ablage weiß man ja oft gar nicht, was schon alles am Schimmeln ist. Man braucht nicht mehr als eine halbe Stunde, um den Schreibtisch leer zu räumen und die Ablage in Häufchen zu unterteilen. Plötzlich merke ich, das sind ja eigentlich ganz einfache Dinge. Manches hat sich schon erledigt, dann werfe ich es weg. Das einzige, was ich beachten muss, wenn ich mir einen Überblick verschaffe, ist, dass ich nicht an die Ausarbeitung gehe. Im zweiten Schritt mache ich dann einen Plan – hier kommen die Bilder ins Spiel – und schaue, wie ich die Aufgabe verteile. Wenn ich beispielsweise mehrere Aufgaben auf die nächsten Wochen verteile, sagt der Schweinehund: Das ist ja alles machbar.
Und wie bekommt man größere Verhaltensänderungen hin? Den berühmten Neujahrsvorsatz, jeden Tag joggen zu gehen?
Für solche Verhaltensweisen gibt es drei Grundregeln. Die erste lautet: Wenn ich mir etwas vornehme und es täglich machen möchte, braucht es für die nächsten sechs bis acht Wochen absolute Priorität. Wenn ich etwas wöchentlich machen möchte, beträgt die kritische Zeit ein halbes Jahr. Schweinehundeangelegenheiten haben Vorfahrt.
Das bedeutet …?
Das bedeutet: Ich muss meine Aufmerksamkeit bei der zeitlichen Planung als erstes auf die Schweinehundangelegenheiten richten und diese als erstes berücksichtigen. Die zweite Grundregel lautet: Ich muss klein anfangen und mich langsam steigern. Beispielsweise fange ich mit fünf Minuten täglichem Joggen an, wenn ich untrainiert bin, und nehme mir nicht gleich eine halbe Stunde tägliches Laufen vor. Die dritte Regel ist die allerwichtigste: In der Anfangsphase keine einzige Ausnahme zulassen. Sonst schlägt der Schweinehundeddreisatz zu: Ausfallen lassen, schleifen lassen, sein lassen.
Manchmal schafft man ein Vorhaben aber wirklich nicht.
An dem Tag, an dem es wirklich nicht geht, absolviert man ein Minimumprogramm, beispielsweise joggt man nur zwei Minuten, läuft also einmal um den Block. Das bringt für die Fitness nichts, aber psychologisch gesehen ist man am Ball geblieben.
Das Interview führte Angela Unger, Redaktion ke NEXT; Marco von Münchhausen ist Coach und Autor des Bestsellers „So zähmen Sie Ihren inneren Schweinehund“.