Zeitmessung als Extremsport
Bei den antiken olympischen Spielen dürften Sonnen- und Sanduhren die einzigen verfügbaren Zeitmesser gewesen sein. Nach dem Neustart der olympischen Idee dominierten lange Zeit manuell bediente mechanische Stoppuhren. Mit dem Einzug digitaler Technologien in die Stadien ist auch das Thema Zeitmessung zu einer Extrem-Sportart geworden. Das zeigen etwa die Leichtathletik-Systeme des Schweizer Uhrenherstellers Omega, der mit der Zeitnehmung bei Olympia 2024 in Paris betraut ist:
Präzise Zeitnehmung beginnt schon beim Start: Das Problem mit herkömmlichen Startpistolen ist, dass sich der Schall langsamer ausbreitet als Licht. Das bedeutet, dass die Athleten auf den am weitesten entfernten Bahnen den Startschuss später hören als alle anderen. Omegas elektronische Startpistole ist mit Lautsprechern verbunden, die hinter jedem Läufer positioniert sind. Betätigt der Starter den Abzug, geschehen drei Dinge: Ein akustisches Signal ertönt, ein Blitzlicht ist zu sehen und ein Startimpuls wird an das Zeitnahme-Instrument übertragen.
Die Startblöcke sind mit Sensoren ausgestattet, die 4.000-mal pro Sekunde die von den Sportlern auf die Fußstütze ausgeübte Kraft messen. Im Falle eines Fehlstarts sendet das Warnsystem die Daten umgehend an einen Computer vor Ort, mit dem der Starter die Reaktionszeit visuell analysieren kann. Die Regeln der World Athletics geben eine Mindestreaktionszeit von 100 Millisekunden (eine Zehntelsekunde) vor.
Omegas Fotofinish-Kamera Scan ‘O’ Vision Ultimate nimmt an der Ziellinie von Wettkämpfen bis zu 40.000 digitale Bilder pro Sekunde auf. Das macht es für die Kampfrichter einfacher, knappe Ergebnisse möglichst klar zu unterscheiden und eine Entscheidung zu fällen. Eigens dazu entwickelte Farbsensoren ermöglichen außerdem klare Bilder ohne Pixel-Interferenzen.
Mit KI Dopingsündern auf die Schliche kommen
Derzeit kämpfen wieder tausende Athlet:innen bei den Olympischen Spielen um Medaillen. Bei einigen davon wird man später fragen: Ging hier alles mit rechten Dingen zu oder war Doping im Spiel? Helfen, diese Frage zu beantworten, kann bei künftigen Wettkämpfen Software, die ein Team um den Saarbrücker Wirtschaftsinformatiker Wolfgang Maaß entwickelt hat. Mit bisher unerreichter Genauigkeit kann das Programm anhand weniger Datenpunkte vorhersagen, wer sicher nicht gedopt hat – und somit diejenigen Sportler:innen herausfinden, bei denen sich ein genauerer Blick lohnt.
- Das Problem: Nimmt man von all diesen Athleten Urinproben als Dopingtest, ist ein Labor wochenlang damit beschäftigt, die Proben zu analysieren. Zudem versuchen Sportler:innen zuweil, ihre eigenen Urinproben durch „saubere“ Proben von einer anderen Person auszutauschen.
- Die Lösung: Eine Software, die mithilfe von KI schnell und kostengünstig die Daten der Urinproben analysieren kann. „Bei Dopingtests werden die Konzentrationen und Verhältnisse verschiedener Steroide gemessen und auf Schlüssigkeit überprüft“, so Wolfgang Maaß. Sie ergeben eine Art Fingerabdruck. Dem lernenden Programm reichen schon die Daten aus drei Urinproben, die ein Athlet im Laufe seines Sportlerlebens abgeben musste, um Abweichungen zu erkennen, die auf eine Probenmanipulation hindeuten.
Olympia mal zwei: Digital Twins
Im Maschinenbau sind digitale Zwillinge schon Alltag - mit den olympischen Spielen in Paris sollen die Digital Twins auch ins Scheinwerferlicht großer Sportereignisse treten. Für die Planung der Spiele wurden von den Sportstätten digitale Abbilder erstellt, um Themen wie die Platzierung von Kameras, die Steuerung der Zuschauerströme oder die Ausleuchtung von Zufahrten zuvor simulieren zu können. Dafür kommt bei Paris 2024 die Digital-Twin-Software des britischen Unternehmens OnePlan zum Einsatz. Als Hardware werden die jüngsten Prozessortechnologien von Intel wie die Xeon Scalable processors and Intels ARC A770 GPUs genutzt.
Damit ist es etwa möglich, die geplante Eiffelturm-Arena für Beachvolleyball für 12.860 Zuschauer im sogenannten "Venue Twin" vorab zu simulieren und alle Aspekte des Betriebsplans von Sicherheitsmaßnahmen bis zur Servicepersonalplanung für diese Arena zu simulieren und zu visualisieren, wie die folgende Bildergalerie zeigt:
Mit Technologie gegen Spanner
Japanische Sportlerinnen werden bei Olympia 2024 mit Sportkleidung auflaufen, die es im wahrsten Sinne des Worten "in sich" hat. Nach den Spielen 2020 in Tokio hatten sich japanische Athletinnen beschwert, dass auf Social Media Fotos mit "sexuell eindeutigen Inhalten" von sich aufgetaucht wären. Sie wurden offenbar mit Smartphones und einschlägigen Apps ausgenommen, die gezielt den Infrarotanteil des Lichts nutzen, um durch Oberbekleidung hindurchzusehen. Die japanischen Unternehmen Mizuno, Sumitomo Metal Mining, und Kyodo Printing haben nun laut einem Bericht der französischen Tageszeitung Le Monde ein textiles Innenfutter für die Trikots entwickelt, das den Infrarotanteil blockiert.
Sicherheit: die neue Königs-Disziplin bei Olympia
Großereignisse wie die olympischen Spiele sind immer auch potenzielle Anschlagsziele. Laut Medienberichten plant die französische Regierung während der Olympiade eine umfassende, KI-basierte Videoüberwachung, um mögliche terroristische Aktivitäten frühzeitig erkennen zu können.
Laut einem extra für diese Sicherheitsmaßnahme verabschiedeten Gesetz darf die Künstliche Intelligenz auf eine Reihe definierte Ereignisse in den Video-Streams mit Warnungen reagieren:
- Menschenansammlungen
- ungewöhnlich große Menschenmengen
- zurückgelassene Gegenstände
- das Vorhandensein oder die Verwendung von Waffen
- eine Person am Boden
- ein ausbrechendes Feuer
- Verstöße gegen die Verkehrsregeln
Dabei lassen sich pro Kategorie bestimmte Grenzwerte definieren, etwa ab welcher Zahl von Personen eine "ungewöhnlich" große Menschenmenge beginnt. Eine Gesichtserkennung soll dabei nur in Ausnahmefällen zulässig sein.
Eine besonders große Bedrohung sehen die Sicherheitsbehörden offenbar in einem möglichen Angriff mit Drohnen. Bestimmt Ereignisse während der olympischen Spiele sollen daher mit dem Laser-basierten Drohnenabwehrsystem HELMA-P geschützt werden. Das Akronym steht für High Energy Laser for Multiple Applications – Power. Das vom Unternehmen Cilas entwickelte Drohnenabwehrsystem verfügt über einen 2-Kilowatt-Laser. Feindliche Drohnen bis zu einem Gewicht von 25 Kilogramm sollen aus einem Kilometer Entfernung erkannt und abgeschossen werden können.
Olympia 2024: Grün statt Gold?
An den Olympischen Spielen werden 15.000 Sportler und über 10 Millionen Besucher aus aller Welt teilnehmen. Bei den vorangegangenen Sommerspielen wurden mehr als 3,5 Millionen Tonnen Kohlendioxid (CO2) durch Transport, Verpflegung, Unterbringung und Energieverbrauch ausgestoßen. Die Organisatoren in Paris streben an, 1,5 Millionen Tonnen nicht zu überschreiten. So soll dieses Ziel laut einer Studie von Carbon Market Watch erreicht werden:
- Verkehr: 2.650 Elektrofahrzeuge (EVs) und öffentliche Verkehrsmittel werden die Veranstaltung versorgen.
- Gebäude: Fast alle (95 %) der Veranstaltungen werden in bestehenden, temporären Arenen untergebracht, nur zwei neue Einrichtungen werden gebaut - das Wassersportzentrum und die Kletterhalle in Le Bourget. In den neuen Gebäuden werden kohlenstoffarme Materialien, Sitzgelegenheiten aus recyceltem Kunststoff, Wärmerückgewinnung und groß angelegte Fotovoltaikanlagen zum Einsatz kommen. Eine innovative Gebäudedämmung wird die Innentemperatur um 6° niedriger halten als die Außentemperatur, ergänzt durch Ventilatoren, was durch thermodynamische Simulationen überprüft wurde. Zur Verringerung des Abfalls und der Transportkosten werden Bettgestelle aus recyceltem Karton verwendet.
- IT: Überschüssige Wärme aus Rechenzentren wird an 1600 benachbarte Haushalte und Unternehmen abgegeben, und auch das olympische Schwimmbecken wird damit auf einer konstanten Temperatur gehalten.
- Lebensmittel: 80 % der Lebensmittel werden aus lokaler Produktion stammen, und es wird doppelt so viele pflanzliche Lebensmittel geben. Einwegplastik wird verboten und Pfandsysteme für Lebensmittel- und Getränkebehälter werden eingeführt.
Olympische IT: schneller, höher, weiter
Insgesamt werden bei den Olympischen Spielen in Paris mehr als 12.000 vernetzte Displays, 13.000 Computer und 400.000 Kilometer an Glasfaserkabel zum Einsatz kommen, so Bruno Marie-Rose, Chief Information and Technology Officer für Paris 2024.
Die IT-Infrastruktur für olympische Spiele wird schon seit Jahrzehnten vom französischen IT-Dienstleister Atos bereit gestellt. Die Eröffnung des Technology Operations Center (TOC) für Paris 2024 war daher quasi eine Art "Heimspiel". Im TOC arbeiten auf 610 Quadratmetern rund 70 Mitarbeiter, die von dort aus mehr als 2000 IT-Experten von insgesamt 15 Technologiepartnern koordinieren.
Das TOC stellt die IT-Ausrüstung bereit, um die Durchführung der Wettbewerbe und die Bereitstellung der Ergebnisse zu ermöglichen. Zudem unterstützt Atos die 60 Venue Results Managers des TOC. Diese sind für die korrekte Erfassung und Veröffentlichung von Leistungsdaten und Statistiken im Olympic Diffusion System (ODS) verantwortlich.
Atos wird diese Daten innerhalb eines Zeitrahmens von 0,35 Sekunden bekannt geben, damit sie auf den Webseiten des Wettbewerbs und anderen Medien veröffentlicht und von sämtlichen Geräten, einschließlich Desktops, Smartphones und Tablets, abgerufen werden können. Das Commentator Information System (CIS) wird beispielsweise Sportjournalisten mit Daten versorgen, unabhängig davon, ob sie live vor Ort in Paris oder in ihrem Heimatland sind.
Bereits Ende April 203 hatte die Testphase der IT-Infrastruktur begonnen. Bis zum Start der Spiele waren 250.000 Stunden für das Testing der mehr als 150 Anwendungen geplant. Die Zahl der physischen Server hat Atos dabei zugleich im Vergleich zu früheren olympischen Spielen mehr als halbiert.
Einen Blick in das TOC ermöglicht das folgende Youtube-Video:
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Smart City für smart Olympics
Bei seiner Bewerbung für die olympischen Spiele 2024 hat Paris das Thema Smart City in den Mittelpunkt gestellt. Ein Beispiel dafür ist die Überwachung der Wasserqualität der Seine. Seit 1923 war aufgrund der Verunreinigung des Wassers ein Badeverbot in der Seine in Kraft. Für Paris 2024 werden nun bestimmte Abschnitte des Flusses für Schwimmwettkämpfe genutzt und 2025 soll die Seine allgemein wieder für das Baden freigegeben werden. Dafür notwendig war zum einen bessere Ableitung und Wiederaufbereitung von Abwässern aus Häusern und Booten entlang des Flusses und zum anderen eine kontinuierliche Überwachung der Wasserqualität. Dafür kommt eine IoT-Lösung des Unternehmens Fluidion zum Einsatz.
Weitere Smart City Initiativen in Verbindung mit Olympia 2024:
- Smart Buildings: Zur Steuerung von Menschenmassen werden Gebäude mit automatischen Türen ausgestattet, die sich je nach Andrang schneller oder langsmaer öffnen, um den Besucherstrom zu kanalisieren.
- Proximity Marketing: Olympia-Besucher bekommen ortsbasierte Push-Nachrichten auf ihre Handy, etwa Echtzeit-Informationen über die Wartezeiten an bestimmten Orten.
- Multimodaler Nahverkehr: Keine der Sportstätten ist direkt mit dem Auto erreichbar, gleichzeitig erfordert die Anreise mit Öffentlichen aber die Kombination mehrerer Verkehrsmittel. Das sollen Apps erleichtern, die etwa die Echtzeitpositionen von Bussen anzeigen.
Der Autor: Peter Koller
Gelernter Politik-Journalist, heute News-Junkie, Robotik-Afficionado und Nerd-Versteher. Chefredakteur des Automatisierungsmagazins Automation NEXT. Peter Koller liebt den Technik-Journalismus, weil es das einzige Themengebiet ist, wo wirklich ständig neue Dinge passieren. Treibstoff: Milchschaum mit Koffein.