Das Elektromobil als Stromlieferant? In einem virtuellen Kraftwerk wäre das durchaus denkbar. An der Idee wird bereits geforscht, aber es gibt auch Hürden, die es noch zu überwinden gilt.
Ein Punkt in Diskussionen rund um den Einsatz von Elektroautos ist der Faktor Energie. Hierbei geht es nicht nur um die lokale Infrastruktur und die Möglichkeit des Ladens der Fahrzeuge, sondern auch um die Auswirkungen auf Stromnetze und das Austarieren des Strombedarfs.
Oft fällt in diesem Zusammenhang das Stichwort Smart Grid: die intelligente Vernetzung von Energielieferanten und –verbrauchern sowie deren Steuerbarkeit über eine einheit-liche Kommunikation. Dabei wird das Elektroauto nicht nur als Stromabnehmer, sondern auch als kurzfristiger Stromlieferant gesehen: Die Batterie als Notstromaggregat. Die beste CO2-Bilanz bieten Elektrofahrzeuge, die mit Strom aus erneuerbaren Energiequellen geladen werden. Wird diese Energie bei Netzschwankungen ins Stromnetz zurückgespeist, wirkt sich das positiv auf die Bilanz des Gesamtsystems aus.
TU München erforscht energieautarke Elektromobilität
Die Technische Universität München (TUM) ist bekannt für ihr Forschungsengagement im Bereich Elektromobilität. Ein Beispiel ist das im Jahr 2012 vorgestellte Fahrzeugkonzept Mute, das seither als Basis für das Folgeprojekt Visio.M dient. Dessen Ziel ist es, den Bau effizienter, sicherer und Massenmarkt-tauglicher Elektrofahrzeuge zu erforschen.
Jetzt wird an der TUM vom Zentrum für nachhaltiges Bauen zusammen mit dem Lehrstuhl für Energiewirtschaft und Anwendungstechnik sowie den Partnerfirmen BMW und SMA Solar an den Wechselwirkungen zwischen Elektromobilität und lokaler, regenerativer Energieerzeugung geforscht. Im Juni 2014 fand in Hallbergmoos der Spatenstich für ein neues Forschungsgebäude statt.
Strom wird von der 8,8 kWpeak leistungsstarken PV-Anlage geliefert und kann je nach ermitteltem Bedarf für eine Wärmepumpe, zum Betrieb verschiedener Haushaltsverbraucher, zum Laden eines Elektroautos oder zur Vorhaltung in einem 9,9 kWh großen Batteriespeicher auf Lithium-Ionen-Basis genutzt werden. Zusätzlich kann erzeugte Wärme in einem PCM (Phase-Change-Material)-Aggregat aus Salzhydrat gespeichert werden.
Das Energiemanagement des Gebäudes lernt über die Zeit den Bedarf der einzelnen Verbraucher im Gesamtsystem kennen und passt die Regelung entsprechend an. Mit dem Projekt „e-MOBILie“ soll gezeigt werden, wie sich das Elektroauto und sein Fahrer in ein autark gesteuertes Kleinststromnetz einfügen lassen, ohne zu starken Eingriff in das tägliche Leben vorzunehmen. Denn was über die intelligente Gebäudesteuerung technisch machbar ist, muss für den Bewohner nicht immer sinnvoll sein. Die Testpersonen – eine vierköpfige Familie – können sich noch bewerben und sollen Ende 2014 einziehen. Ansprechpartner an der TUM für das Projekt ist Diplom-Ingenieur Michael Huith.
ke NEXT hakt nach
Fünf Fragen an Jan Aengenvoort, Next Kraftwerke
Wie groß ist ihr virtuelles Kraftwerk? Gibt es Schwerpunkte bei der Stromerzeugung?
Im Juni dieses Jahres haben wir mit 2000 Anlangen erstmalig eine Leistung von über einem Gigawatt erreicht. Knapp 70 Prozent, stammen aus Bioenergie-Anlagen, gut 18 Prozent wurde jeweils über Sonnenenergie und Wind bereitgestellt und etwa fünf Prozent stammt aus Wasserkraft oder Notstromaggregaten.
Ab welcher Größe rechnet es sich für einen Anlagenbetreiber, in Ihr virtuelles Kraftwerk aufgenommen zu werden?
Wir unterscheiden hier nach den beiden Kernmärkten Strombörse und Regelenergiemarkt, auf denen wir für unsere Kunden tätig werden. Im ersten Fall sollten Solar- und Windanlagen eine Nennleistung von 500 kW aufweisen, damit wir sie optimal vertreten können. Bei anderen Anlagen wie Biogas, aber auch Wasserkraftwerken oder Notstromaggregaten gilt eine Grenze von 100 kW. Lastabwürfe in Industrie und Gewerbe sollten mindestens 300 kW auf die Waagschale bringen.
Virtuelle Kraftwerke werden immer wieder kontrovers diskutiert, da sie eine Nische besetzen. Worin sehen Sie ihren Nutzen?
Einerseits können wir über unseren Verbund eine zuverlässige Sekundärreserve zur Netzstabilität liefern und dies aus rein erneuerbaren Energien. Biogasanlagen sind unseres Erachtens nach sehr gut dafür geeignet. In den Kuppeln der Fermenter lassen sich große Mengen an Biogas speichern, die kurzfristig, ohne Wandlungsverluste zur Stromerzeugung genutzt und als Primärenergie bereitgestellt werden können, was wiederum eine sehr hohe Flexibilität bietet. Auch große Batterien als Stromspeicher sind aktuell im Kommen. Andererseits erhalten die angeschlossenen Anlagen über unsere gebündelten Strommengen ein größeres Gewicht an der Strombörse, sodass wir für die Betreiber gute Skaleneffekte bei den Preisen erzielen können.
Für die Kommunikation mit den einzelnen Anlagen in Ihrem Verbund ist eine Fernsteuerung über Ihr Leitsystem notwendig. Wie beurteilen Sie die Sicherheit Ihres Systems?
Sehr sicher, da verschiedene Maßnahmen greifen. Die bei den Anlagenbetreibern installierte Next Box, deren SPS-Steuerung direkt mit der Anlagensteuerung verbunden ist, kommuniziert nach Fernwirkprotokoll IEC 60870-5-104 über ein GPRS-Modem mit unserem Leitsystem. Zur Absicherung erfolgt die Kommunikation nicht nur mit verschlüsselter Datenübertragung, sondern auch innerhalb einer geschlossenen Nutzergruppe, deren Zutritt nur über das Leitsystem gewährt werden kann. Dieses arbeitet autark und ist von allen anderen Systemen wie unseren Bürorechnern abgekoppelt.
Wie sehen Sie den Einsatz von Elektrofahrzeugen in einem virtuellen Kraftwerk?
Diese ist Idee sehr reizvoll. Allerdings gibt es dabei einige Hürden zu überwinden, denn das Fahrzeug muss sich einerseits von außen steuern lassen und andererseits, ähnlich einem Handy, dem Stromnetz ein Signal geben, ob es für einen Be- oder Entladevorgang bereit ist. In Projekten wie beispielsweise dem Aktivhaus B10 in Stuttgart, bei dem zwei Elektro-Smarts in einen geschlossenen Energiekreis integriert sind, werden wir sehr viel lernen.
Eine Nische, die den Großen zu klein war
Zielsetzung in Deutschland ist es, im Jahr 2020 etwa 35 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energiequellen zu gewinnen. Zweifler betonen hier immer wieder, dass Sonnen- und Windstrom unzuverlässig und nicht planbar sind. Virtuelle Kraftwerke treten diesem Kritikpunkt entgegen. Über eine intelligente Vernetzung verschiedener dezentraler Naturstromanlagen, die sich über ein zentrales Leitsystem steuern lassen, wird eine flexible Energiebereitstellung möglich, die zeitnah auf die Anforderungen zweier Systeme abgestimmt werden kann.
Zum einen kann der Bedarf der Leipziger Strombörse berücksichtigt werden; zum anderen kann der Regelenergiemarkt bedient werden, dessen Aufgabe die Stabilisierung des Versorgungsnetzes ist. Das deutsche Stromnetz gilt als stabil, wenn der Transport des eingespeisten sowie des entnommenen Stroms bei einer Frequenz von 50 Hertz erfolgt. Allein aufgrund der nicht vollständig vorhersagbaren Energieabnahme herrscht im Stromnetz ein ständiges sogenanntes Zittern.
Denkanstoß: Kommunikationshoheit
Denkt man an volle Parkhäuser oder Firmenparkplätze, wären Elektrofahrzeuge als Teil des Smart Grids interessante Bausteine. Eines der größten Hindernisse wird jedoch die Kommunikation mit dem Fahrzeug darstellen. Um Zugriff auf die Batterieleistung zu bekommen, müssten die Automobilhersteller externen Dienstleistern wie zum Beispiel Betreibern von virtuellen Kraftwerken oder Eigentümern von autarken Gebäuden Zugang zu ihren Kommunikationsprotokollen und -mechanismen geben. Diese zählen, selbst bei einer Standardisierung von 80 Prozent der Protokolle und Transportwege, immer noch zu den Kronjuwelen.
Hinzu kommt, dass von außen verübte Regeleingriffe in die Batterie des Fahrzeugs vom Hersteller nicht mehr kontrollierbar sind. Dies ist ein hoher Risikofaktor, der nicht in die Garantieleistung eingerechnet werden kann, da die Anzahl der Be- und Entladezyklen nicht vorhersagbar ist. Über einen Zugriff auf das elektronische Management des Fahrzeugs werden letztlich auch Türen aufgestoßen, die rechtliche Konsequenzen haben können. Hier wären Sicherheitsstandards notwendig, um Cyberattacken zu verhindern. Bereits letztes Jahr hatten zwei von der Darpa bezahlte Forscher einen Toyota Prius über die Diagnoseschnittstelle gehackt. Wer übernimmt in so einem Fall die Verantwortung? Gut vorstellbar wäre, dass Tesla über die Veröffentlichung seiner Patente und die geplante Standardisierung der Ladetechnik zusammen mit Partner wie BMW und Nissan vorprescht und einen Präzedenzfall schafft.
Da im Netz selbst keine Energie gespeichert werden kann, müssen bei Unter- oder Überschreiten des von 49,98 bis 50,02 Hertz festgelegten Toleranzbandes entsprechend Lasten hinzu- oder abgeschaltet werden. Je nach Reaktionszeit wird in Primärreserve, die derzeit in Deutschland bei etwa 700 Megawatt Stand-by-Energie liegt und sofort abgreifbar sein muss, und Sekundär- oder Minutenreserve, die jeweils nach 30 Sekunden und fünf Minuten vorliegen müssen, unterschieden. In Deutschland sind dafür die vier Übertragungsnetzbetreiber Tennet, Amprion, 50Hertz und Transnet verantwortlich. Um Stromausfälle zu verhindern, schreiben die Netzbetreiber kurzfristig verfügbare Kapazitäten auf dem Regelenergiemarkt aus.
Anlagenbetreiber und große Stromabnehmer wie Industrieunternehmen, die sich grundsätzlich bereit erklären, auf Schwankungen im Stromnetz schnell zu reagieren, erhalten eine Vergütung für ihre Bereitschaft, flexible Leistung vorzuhalten. Im Falle eines Abrufs von Regelenergie passen sie ihre Produktion oder Leistungsentnahme entsprechend an, sodass die Netzfrequenz wieder innerhalb des Normbereichs stabilisiert werden kann. Dafür erhalten sie einen Arbeitspreis von den Netzbetreibern. Ein guter Anreiz für virtuelle Kraftwerksbetreiber und ihre Anlagenkunden, die schon heute Strom aus erneuerbaren Energien als Sekundärreserve zur Stabilisierung des Netzes liefern.
Weitere Links zum Thema:
- Video “Virtuelle Kraftwerke: Fiktion oder Realität im Jahr 2015?”, Deloitte Deutschland vom 19. April 2013
- Video “Statkraft – virtuelles Kraftwerk – Animation”, Statkraft vom 15. Oktober 2012
- Studie “Virtuelle Kraftwerke als wirkungsvolles Instrument für die Energiewende”, PwC vom Februar 2012
Autorin: Britta Muzyk, freie Mitarbeiterin für ke NEXT