Dass sich Ökonomen und Management-Strategen von Denkweisen inspirieren lassen, die eher typisch für Naturwissenschaftler sind, ist nicht die Regel. Wenn sie dabei auch noch die Inspirationsquelle explizit im Namen des Managementkonzepts verwenden, wie im Fall des Design Thinking, ist das schon für sich genommen bemerkenswert. Doch worum geht es beim Design Thinking? Anders als der Name nach dem landläufigen deutschen Sprachgebrauch vermuten lässt, geht es nicht um ein hübsches Design zur attraktiven äußerlichen Produktgestaltung, unter der sich die harte Arbeit des Konstrukteurs verbirgt. Denn der englische Begriff Designer steht in der Übersetzung gleichermaßen für Designer, Entwickler, Gestalter und Konstrukteur. Darüber hinaus wird er teils auch als Synonym für einen Architekten verwendet. Design Thinking entnimmt seine Prinzipien also einem weiten Spektrum kreativer Gestaltungsdisziplinen. Aber Vorsicht: Es geht nicht um ein spezifisch technisches Ingenieur-Know-how, sondern um übergreifende Denkmuster und übergeordnete Prinzipien des Designers (in der englischen Bedeutung). Wie beispielsweise das ausgeprägte Denken und Kommunizieren in Bildern und Strukturen, anstatt in Worten und nackten Zahlen. Ein Bild, eine Prinzipskizze sagt häufig mehr als tausend Worte – ein Modell, ein einfacher Prototyp macht Dinge unmittelbar erfassbar, die in rein verbaler Beschreibung nur umständlich oder gar nicht darstellbar sind.
Design Thinking adaptiert Denkweisen und Methoden aus Design, Engineering und Naturwissenschaften, hebt sie aber jeweils aus ihrem spezifischen Fachkontext heraus. Dadurch entsteht ein Denk- und Verfahrensrahmen, der in Verbindung mit Elementen aus anderen Fachgebieten einen neuen leistungsfähigen Gesamtkontext liefert, um interdisziplinär effektiv, effizient und praxisnah Probleme anzugehen und zu lösen. Einige wesentliche Elemente des Design Thinking sind den meisten Ingenieuren und Konstrukteuren bekannt – Visualisierung von Konzepten, Denken in Bildern und Strukturen, iteratives Vorgehen und Feedbackschleifen und last but not least: Real-life-Experimente und Prototypen zur Überprüfung von Ideen und Theorie. Doch wie setzt man Design Thinking nun in die Praxis um? Dies geschieht in den sieben folgenden Schritten, wobei, das ist wichtig, in die Grundsequenz je nach Fall Feedback- und Iterationsschleifen eingefügt werden.
Schritt 1: Interdisziplinäre Kompetenzen einbringen
Eine Expedition in unbekanntes Terrain erfordert eine gründliche Vorbereitung und entsprechende Kompetenzen. Hierzu ist ein interdisziplinäres Team unverzichtbar. Die unterschiedlichen Fachkompetenzen stehen für eine größere kreative Vielfalt und führen damit zu besseren Lösungen. Ebenso wichtig: Durch die unterschiedlichen Fachkompetenzen lassen sich frühzeitig, also bereits bei der Ideenfindung und Grobkonzipierung, mögliche Probleme späterer Projektphasen erkennen. Was nutzt zum Beispiel die beste Produktidee, wenn man dabei mangels juristischer Kompetenz übersieht, dass gerade eine neue EU-Richtlinie in Vorbereitung ist, mit der die Produktidee in Konflikt steht? Idealerweise sollten die Mitglieder des Teams sehr gute Fachkenntnisse haben, zusätzlich aber auch die nötige gedankliche und kommunikative Offenheit mitbringen, um sich auf andersartige Denkweisen der übrigen Teammitglieder einstellen zu können. Denn Fachleute aus unterschiedlichen Gebieten denken und kommunizieren unterschiedlich. Auch aus diesem Grund sollte das interdisziplinäre Team auf Visualisierung und Modellierung zurückgreifen wo immer es geht. Dies fördert das gemeinsames Verständnis und die Inspiration erheblich. Damit dieses möglich ist, braucht das Team entsprechende Räumlichkeiten – einen Teamspace. Ein sachlicher Meetingraum mit einem einzigen Flipchart reicht nicht aus. Denn das Problem und – im späteren Verlauf – die Ideen und Experimente sollten für das Team im Teamspace immer visuell präsent sein und Möglichkeiten zur Ergänzung bieten.
ke NEXT hakt nach: Das sagt der Autor über Design Thinking
„Der Design-Thinking-Prozess ist strukturiert, bietet aber ungewöhnliche Flexibilität und Leistungsfähigkeit durch Iterations- und Feedbackschleifen. Ein besonderer Fokus liegt auf der Visualisierung sowie auf vielen kleinen praxisnahen Tests mit kurzen Wegen von der Idee zur Konkretisierung. Design Thinking ist human centered: Ein tiefgehendes Verständnis für die aktuellen und latenten Wünsche (potenzieller) Kunden steht im Zentrum. Die Devise heißt: schneller, besser, näher dran und weiter voraus.
Tatsächlich ermöglicht konsequent umgesetztes Design Thinking Zeitgewinne, bessere Ergebnisse bei geringerem Umsetzungsrisiko und besondere Praxisnähe, kombiniert mit solidem Vorausblick auf die Zukunft. Ingenieure werden Elemente aus Lead User Development, Concurrent sowie Simultanous Engineering wiederfinden. Design Thinking ist zudem bestens kompatibel mit neuen Konzepten wie Open Innovation und Crowd Sourcing. Wie bei vielen guten Innovationen ist Design Thinking eine Kombination bekannter Elemente in neuem Kontext – mit einem Sahnehäubchen echter Neuerung obendrauf.“
Schritt 2: Rahmen und roten Faden klären
Noch bevor sich die Teammitglieder intensiv mit potenziellen Nutzern und Kunden beschäftigen, muss das interdisziplinäre Team ein gemeinsames Verständnis des Problems erreichen – auf keinen Fall sollte aber bereits in dieser frühen Phase eine gemeinsame Vorstellung von der Lösung entstehen. Vielmehr sollte das Team das Problem tiefgreifend hinterfragen und vorausschauend auf Einflussfaktoren untersuchen. Zum gemeinsamen Verständnis gehört auch abzuklären, welcher Rahmen, welche Erfolgsfaktoren für das Projekt aus Unternehmenssicht zu berücksichtigen sind: Was soll letztlich erreicht werden und an welchem roten Faden orientieren wir uns?
Schritt 3: Wirklich verstehen, was Nutzer wollen
Wichtig ist es, den zukünftigen (potenziellen) Nutzer im Design Thinking nicht nur gedanklich, sondern konkret in den Mittelpunkt zu stellen und in den Prozess der Produktentwicklung einzubeziehen. Der Weg geht dabei nicht über klassische Markt-
forschung, sondern die Mitglieder des interdisziplinären Entwicklungsteams gehen selbst auf direktem, kurzen Weg zum Nutzer. Alle Teammitglieder sind deshalb aufgefordert, sich intensiv mit dem Nutzer auseinanderzusetzen – durch Beobachtung vor Ort (nicht im Labor), durch Interaktion und Befragung und über Tests an Prototypen. Ein echtes Hineindenken in und ein tiefes Verständnis für den Nutzer ist das Ziel, auch was die latenten, nicht direkt geäußerten Wünsche, angeht.
Schritt 4: Interdisziplinäre Synthese
Anschließend stellen die Teammitglieder ihre Ergebnisse aus Nutzerbeobachtung und -kontakten gegenseitig vor und beleuchten diese aus den unterschiedlichen Fachblickwinkeln. Auch hier spielt die Visualisierung eine große Rolle und hilft, die gesammelten Erkenntnisse für alle im Team begreiflich zu machen und Ideen für die eigentliche Zielsetzung zu entwickeln.
Schritt 5: So könnte es gehen
Die Ideen lassen sich im Team mithilfe von Kreativitätstechniken generieren. Zusätzlich bietet die im Teamspace vorhandene Fülle von visuell anregenden Information gute Möglichkeiten für Teammitglieder, allein oder zu zweit weitere Ideen zu entwickeln. Während eingeplanter Inkubationszeiten können die Teammitglieder weitere Ideen ausbrüten.
Denn bekanntlich kommen die besten Ideen nicht in Kreativitätsworkshops, sondern später in langweiligen Meetings, unter der Dusche, beim Sport oder dann, wenn man nach ein paar Tagen allein im Teamspace die Dinge nochmal auf sich wirken lässt. Obwohl möglichst viele Ideen getestet werden sollen, erfordert erfahrungsgemäß die große Anzahl der Ideen eine Vorauswahl über Bewertungsverfahren.
Schritt 6: Verwirklichen, testen, verbessern
Anstatt zu lange abstrakt zu debattieren, werden die Ideen, wo immer möglich, im kleinen Umfang und mit geringem Aufwand experimentell getestet. Dazu werden die Prototypen zunächst auf das Notwendigste reduziert und gegebenenfalls als Simulation im Computer ausgeführt. In dieser Phase geht es zwar auch darum, unbrauchbare Ideen auszusortieren, insbesondere will man aber neue Erkenntnisse zur Weiterentwicklung aus realen Ergebnissen gewinnen.
Schritt 7: Mit Iteration schneller und besser zum Ziel
Zumindest Controller, die unter Ausschluss von Risiken geradeaus gehen möchten, bekommen bei diesem Szenario Sorgenfalten auf der Stirn und zweifeln, ob Design Thinking nicht leicht ins kreative Chaos führt und Unternehmensressourcen verschwendet. Diese Befürchtung ist unbegründet, denn Design Thinking besteht aus mehr als vielen kleinen Experimenten und selbstverständlich läuft das Team nicht jeder Idee mit einem Versuchsaufbau hinterher. Es gibt klare Strukturen und Abläufe – und zwar so, wie es sein sollte, wenn man sich innovativ ins Produkt-Neuland vorwagt oder Probleme gründlich auf unkonventionellen Wegen angehen will. In solchen Situationen sind Pfadfinderqualitäten gefragt und das bedeutet: methodisch, auf Basis eines klaren roten Fadens iterativ in Schritten vorzugehen. Gerade durch viele kleine, iterative Tests, die auch mit vielen kleinen und billigen Fehlschlägen verbunden sind, vermeidet das Unternehmen die Gefahr großer, teurer Projektfehlschläge und erhöht die Entwicklungsgeschwindigkeit. Der optimale Weg lässt sich so zügig identifizieren. Aus der kreativen Vielfalt folgt mit entsprechender Steuerung sukzessive die Fokussierung auf die eine Variante, die im späteren Projektverlauf bis zur Marktreife ausgebaut wird. Die Kollegen vom Controlling werden dabei nicht arbeitslos – im Gegenteil: Wirksames Portfolio-Controlling – nach den Grundsätzen, wie sie von Risikokapital-Finanzierern angewendet werden – spielt eine wichtige Rolle im Design-Thinking-Prozess und fügt sich nahtlos ein.
Das bleibt hängen
Fachübergreifend denken wie ein Gestalter
- Der Begriff Design bezieht sich nicht auf die äußere Gestaltung eines Produkts. Er steht stattdessen für die Denkmuster von Designern, Entwicklern, Gestaltern und Konstrukteuren.
- Die Methode Design Thinking adaptiert Denkweisen und Methoden aus Design, Engineering und Naturwissenschaften, hebt sie aber jeweils aus ihrem spezifischen Fachkontext heraus.
- Dabei wird ein visuelles und strukturelles Denken und Kommunizieren betont und eine Philosophie der vielen kleinen Tests und Prototypen verfolgt. Die Bedürfnisse und Beweggründe von Menschen stehen im Mittelpunkt. Deshalb ermöglicht Design Thinking ein tieferes Verständnis für aktuelle Kundenbedürfnisse und insbesondere deren latente Wünsche. Produkte und Dienstleistungen lassen sich zielgenauer konzipieren und entwickeln.
- Ein wesentliches Element ist das Zusammenarbeiten in fachübergreifenden Teams. Dadurch verbessert sich die interdisziplinäre Zusammenarbeit innerhalb der Firma.
- Weil die verschiedenen Abteilungen zusammenarbeiten, wird vorhandenes Wissen effektiver genutzt und effizienter umgesetzt. Auch Risiken von Entwickungsvorhaben reduzieren sich, beispielsweise weil Normenspezialisten schon anfangs eingebunden sind.
- Der Prozess ist strukturiert, bietet aber ungewöhnliche Flexibilität und Leistungsfähigkeit durch Iterations- und Feedbackschleifen.
- Mit der Methode können Unternehmen größere Innovationschancen früher erkennen und mit weniger Fehlschlagsrisiko umsetzen und Entwicklungszeit und -kosten einsparen.
- Design Thinking erleichtert auch größere Innovationsschritte und komplexe Problemlösungen.