Haben die EM mit Hilfe von maschinellem Lernen 100.000 Mal durchsimuliert: Andreas Groll (l., TU Dortmund) und Achim Zeileis, Universität Innsbruck.

Haben die EM mit Hilfe von maschinellem Lernen 100.000 Mal durchsimuliert: Andreas Groll (l., TU Dortmund) und Achim Zeileis, Universität Innsbruck. (Bild: Roland Baege / Universität Innsbruck)

Am 14. Juni 2024 beginnt die Fußball-Europameisterschaft der Männer in Deutschland. Laut der aktuellen Prognose hat Frankreich eine Gewinnwahrscheinlichkeit von 19,2 Prozent. Aber auch England und Deutschland dürfen sich Hoffnungen auf den Titel machen – das prognostizieren Experten der Universitäten Innsbruck und Luxemburg, der Hochschule Molden sowie der Technischen Universitäten Dortmund und München.

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Das Forscherteam hat diese Vorhersage mit Hilfe von maschinellem Lernen erstellt. Die Prognose kombiniert mehrere statistische Modelle in zwei Schritten:

  • Im ersten Schritt werden drei komplexe statistische Modelle eingesetzt, um die Stärken aller Mannschaften und ihrer Spieler anhand unterschiedlicher Informationen zu bestimmen – darunter Spielen in der Vergangenheit, ein auf Wettquoten basierendes Buchmachermodell und die Ratings einzelner Spieler.
  • Im zweiten Schritt entscheidet ein Ensemble aus maschinellen Lernverfahren, wie die drei Modelle sowie die Stärkenschätzungen und andere Informationen über die Mannschaften am besten kombiniert werden können. Eine Rolle spielen dabei Faktoren wie Marktwert, Anzahl der Champions-League-Spieler und das Bruttoinlandsprodukt als sozio-ökonomischer Faktor des jeweiligen Herkunftslandes.

„Mithilfe unseres Modells können wir den wahrscheinlichen Verlauf des Turniers durch Simulation erkunden. Dass es sich dabei natürlich nur um Wahrscheinlichkeiten handelt und es vor dem Turnier keine Gewissheiten zum Ausgang geben kann, liegt auf der Hand“, betont Achim Zeileis von der Universität Innsbruck.

100.000 Simulationen der gesamten WM

Die gesamte EM wurde basierend auf der Modellvorhersage 100.000 Mal durchsimuliert – Spiel für Spiel und unter Berücksichtigung aller UEFA-Regeln. Damit ergeben sich Wahrscheinlichkeiten für das Weiterkommen aller Teams in die einzelnen Turnierrunden und letztendlich für den EM-Sieg.

Die Favoriten sind diesmal Frankreich mit einer Gewinnwahrscheinlichkeit von 19,2 Prozent, gefolgt von England (16,7 Prozent), Deutschland (13,7 Prozent), Spanien (11,4 Prozent) und Portugal (10,8 Prozent).

Weitere Ergebnisse der Simulation:

  • Etwas überraschend ist das wahrscheinlichste Finale (5,4 %) England gegen Deutschland, bei dem die Gewinnwahrscheinlichkeiten fast genau fifty-fifty wären.
  • Eher unerwartet ist auch, dass Titelverteidiger Italien nur die siebthöchste Wahrscheinlichkeit hat, erneut den Titel zu gewinnen (5,6 %). Dies ist auf die erheblichen Veränderungen zurückzuführen, die das Team in den letzten drei Jahren durchlaufen hat.
  • Während die meisten Buchmacher England gegenüber Frankreich vorne sehen, dreht das Modell die Rollen um. In einem möglichen Finale zwischen den beiden Mannschaften hätte Frankreich mit einer Gewinnwahrscheinlichkeit von 53,2 % allerdings nur einen kleinen Vorteil.

Deutschland bei der EM

Die Chancen des Gastgebers Deutschland bei der EM 2024 stehen nicht schlecht, wie Andreas Groll von der TU Dortmund erläutert: „Unser Modell sieht Deutschland die Vorrunde in der Gruppe mit Schweiz, Schottland und Ungarn mit 95,2 Prozent definitiv überstehen. Mit 24,6 Prozent ist auch die Chance auf das Finale und mit 13,7 Prozent jene auf den Turniersieg vergleichsweise hoch.“

Auch wenn Frankreich als Favorit gilt, bleibt das Turnier offen – selbst bei den Top-Teams sind die Gewinnwahrscheinlichkeiten vergleichsweise niedrig. „Eine Gewinnwahrscheinlichkeit von 19,2 Prozent bedeutet umgekehrt natürlich auch, dass Frankreich zu 80,8 Prozent nicht Europameister wird“, sagt Achim Zeileis.

Doch das Innsbrucker Modell von Zeileis, das auf bereinigten Wettquoten basiert und Teil dieser erweiterten Prognose ist, hat in der Vergangenheit etwa das EURO-Finale 2008 sowie Welt- und Europameister Spanien 2010 und 2012 richtig vorhergesagt.

„Fußball bleibt ein chaotisches Spiel“

Prof. Daniel Link (Bild: TUM)

An der Analyse von Sportereignissen mithilfe von KI arbeitet auch Prof. Daniel Link von der Technischen Universität München (TUM). Im Interview spricht er darüber, wie Daten im Fußball erfasst und verarbeitet werden:

Bei der Fußball-EM 2024 wird eine gigantische Menge an Informationen während der Partien gesammelt. Wie werden diese Daten eigentlich erfasst?

Daniel Link: Es gibt drei verschiedene Datenquellen. Zum einen werden die Spielergebnisse wie Pässe, Torschüsse oder Zweikämpfe durch Datenlogger manuell erfasst. Zum anderen gibt es optische Verfahren: Das Spielfeld wird von mehreren Kameras erfasst, die die Bewegungen der Spieler und des Balls im Videobild erkennen. Bei der EM 2024 ist zusätzlich der Ball selbst mit einem Sensor versehen.

 

Was geschieht dann mit den Spieldaten?
Link: Die Rohdaten werden in einer zentralen Datenbank gespeichert und daraus ein Standardset an Leistungsindikatoren wie Laufleistung, Passquoten und Zweikampfstatistiken abgeleitet. Diese werden den beteiligten Mannschaften und auch den Medien direkt zur Verfügung gestellt. Viele Teams beschränken sich auf dieses Datenset. Mannschaften können aus den Rohdaten aber auch eigene Informationen ableiten.

 

Welchen Vorteil bringt es, selbst die Daten zu analysieren?
Link: Es gibt Potenzial für tiefere taktische Analysen, zum Beispiel mittels Verfahren des Machine Learning. Diese können zum Beispiel helfen, komplexe taktische Konstrukte wie Pressing oder Gegenpressing zu erkennen und abzuschätzen, in welchen Situationen welche Spielweise erfolgreich ist.

 

Was reizt Sie daran, KI und Sport zusammenzubringen?
Link: KI ist insbesondere geeignet, um komplexe Klassifikationsprobleme zu lösen. Der Sport ist ein ausgesprochen interessantes Anwendungsfeld, weil hier menschliches Verhalten in einer natürlichen, höchst kompetitiven, aber gleichzeitig durch das Regelwerk komplexitätsreduzierten Raum untersucht wird. Ein Beispiel hierfür ist das Erkennen von Matchphasen auf Basis der taktischen Intention der Mannschaften. Darüber hinaus ist die Auswertung von Sportdaten ein großer Wirtschaftszweig, in dem sich Berufsperspektiven für Studierende ergeben.

 

Werden die Analysealgorithmen irgendwann so ausgereift sein, dass Fußball als Spiel auserzählt ist?
Link: Nein, Fußball bleibt ein chaotisches Spiel. Fußball lebt von vielen Zufallselementen wie Pfostenschüssen oder abgefälschten Bällen, die man aber natürlich auch erzwingen muss. Wie eine individuelle Partie ausgehen wird, ist schwer vorherzusagen. Das macht den Sport aber so interessant, weil der Underdog auch mal gewinnen kann. Dazu kommt, dass sich die Art, wie Fußball gespielt wird, ständig weiterentwickelt. Daten helfen, einzelne Aspekte besser zu verstehen und Trainingsbelastungen zu steuern. Wir stehen erst am Anfang, wenn es darum geht, diese Daten umfassend zu nutzen.

Die Technikgeschichte des Fußballs

Intelligente Bälle, Videoassistenten und Künstliche Intelligenz: Im modernen Fußball spielen elektronische Hilfsmittel eine immer größere Rolle. Technische Innovationen gab es im weltweit wohl beliebtesten Spiel allerdings schon immer. Seit seiner Erfindung arbeiten kreative Köpfe an Lösungen, um Spielerinnen und Spieler besser, Ausrüstung passgenauer und Fußballspiele für das Publikum attraktiver zu machen.

„Der Ball bleibt rund – wie Innovationen den Fußball prägen“ – unter diesem Motto zeigt das Deutsche Patent- und Markenamt (DPMA) Patentdokumente aus aller Welt in der Onlinegalerie "Fußball und Technik" und kommentiert und erläutert Erfindungen zu allen Aspekten des Spiels. Anlässlich der Europameisterschaft in Deutschland wurde die Galerie neugestaltet und um viele aktuelle Erfindungen erweitert.

„Von ersten Bällen und Schraubstollenschuhen über Torgestelle bis hin zum Videobeweis und KI-gestützten Analyseverfahren: Unsere Galerie erzählt die Technikgeschichte des Fußballs. Und sie gibt einen Ausblick auf das, was vielleicht noch kommt“, sagt DPMA-Präsidentin Eva Schewior.

Der Autor: Peter Koller

Peter Koller
(Bild: Anna McMaster)

Gelernter Politik-Journalist, heute News-Junkie, Robotik-Afficionado und Nerd-Versteher. Chefredakteur des Automatisierungsmagazins Automation NEXT. Peter Koller liebt den Technik-Journalismus, weil es das einzige Themengebiet ist, wo wirklich ständig neue Dinge passieren. Treibstoff: Milchschaum mit Koffein.

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