Das Innovations-tempo in Europa wird durch viele externe und interne Faktoren massiv gebremst, beklagt Oliver Vietze. Der CEO der Baumer Group fordert mehr unternehmerischen Mut, An­packermentalität und vertrauensvolle Zusammenarbeit.

Das Innovations-tempo in Europa wird durch viele externe und interne Faktoren massiv gebremst, beklagt Oliver Vietze. Der CEO der Baumer Group fordert mehr unternehmerischen Mut, An­packermentalität und vertrauensvolle Zusammenarbeit. (Bild: Adobe Stock – Jürgen Fälchle)

"Deutschland bleibt innovativ, aber es fehlt der Schwung“. Was der Innovationsindikator 2023 diplomatisch ausdrückt, könnte man auch anders sagen: Viele Unternehmen sind träge geworden, langsam und kompliziert.

Das war schon anders. Es ist nicht so lange her, dass deutsche Firmen, nicht zuletzt Familienunternehmen, Spitzenreiter waren bei Innovationskraft und Innova­tionstempo. Getrieben durch den Unternehmergeist der Gründergenerationen und unkomplizierte Zusammenarbeit entlang der Wertschöpfungsketten wurden aus guten Ideen in kurzer Zeit international gefragte Spitzenprodukte. Mut, unkonventionelle Wege zu gehen, und eine pragmatische Handshake-Mentalität zwischen den Parteien brachten viele Unternehmen im Rennen um die besten Innovationen auf die vorderen Plätze.

Zur Person: Oliver Vietze

Dr. Oliver Vietze
Dr. Oliver Vietze (Bild: Baumer)

Dr. Oliver Vietze ist CEO des Sensorspezialisten Baumer Group. Er hat an der ETH Zürich Elektrotechnik studiert und dort anschließend auf dem Gebiet der CMOS-Bildsensorik promoviert. Nach seinem Abschluss hat er ein erfolgreiches Technologie-Unternehmen für digitale Bilderfassung und smarte Vision-Sensoren gegründet, welches heute eine Business Unit der Baumer Group ist. Seit 2007 führt Dr. Oliver Vietze das Familienunternehmen in zweiter Generation.

Wer bremst hier?

Wo ist die Dynamik früherer Jahre geblieben? Meine Beobachtung, und hier schließe ich die Schweiz ausdrücklich ein: Unternehmen lassen sich, teilweise ohne es zu realisieren, durch externe und interne Faktoren ausbremsen.

Die externen Faktoren sind altbekannt: unternehmensfeindliche Gesetze, unsinnige bürokratische Vorschriften, hohe Steuerbelastung, demografisch bedingter Arbeitskräftemangel, sich wandelnde Arbeitsmentalität. Gegen die externen Hemmnisse können wir nur indirekt vorgehen: durch Lobbyarbeit nicht nur bei den politischen Entscheidern, sondern vor allem in unseren Unternehmen und in unserem persönlichen Umfeld.

Wir alle müssen auf falsche politische Weichenstellungen aufmerksam machen. Dazu gehört auch, dass wir als Arbeitgeber wirtschaftliche Zusammenhänge erklären. Es wird in der Politik und immer größeren Teilen der Bevölkerung gerne übersehen oder einfach nicht verstanden, dass wir alle ‚Wirtschaft‘ sind und die Mentalität ‚der Staat wird es schon richten‘ für unsere Zukunft in Europa hochgefährlich ist. Nur eine erfolgreiche Wirtschaft wird unseren Wohlstand erhalten oder idealerweise verbessern. Hier spielt eben die Geschwindigkeit eine Schlüsselrolle, sich auf neue Herausforderungen einzustellen und mit innovativen neuen Produkten und Lösungen führend zu bleiben.

Zitat

Wir haben vieles selbst in der Hand, um beim Innovationstempo zurück auf die Überholspur zu kommen. Gerade die industrielle Automatisierung bietet viele Chancen, da in Folge der demografischen Veränderungen nichts anderes übrig bleibt, als Maschinen und Anlagen autonomer und effizienter zu betreiben.

Dr. Oliver Vietze, CEO des Sensorspezialisten Baumer Group.

Dass wir in Zen­traleuropa mittlerweile im Vergleich zu anderen Wirtschaftsräumen langsam geworden sind, haben wir aber in Teilen uns selbst zuzuschreiben. Durch den Erfolg der letzten Jahre wurden wir träge und haben vergessen, dass in einem Wettlauf immer der Schnellste das Tempo vorgibt. Damit sind wir bei den internen Faktoren, die abbremsen und unsere Wettbewerbsfähigkeit gefährden:

  • Wir haben Produktionen in Niedriglohnländer verlagert, anstelle durch schlanke Prozesse und agile Organisationen die Anpassungsfähigkeit und Schnelligkeit hier zu optimieren. Das wird dann herausfordernd, wenn durch geopolitische Verwerfungen, wie wir sie erleben, diese ‚Low-Cost-Quellen‘ versiegen oder Logistikprozesse kompliziert und langsam und damit teuer werden.
  • Bei der Zusammenarbeit mit Geschäftspartnern feilschen die beteiligten Teams lieber wochenlang um juristische Formulierungen in NDAs oder Verträgen, statt auf Vertrauensbasis einfach zu machen.
  • Der nackte Einkaufspreis von Komponenten oder Systemen entscheidet oft über den Zuschlag, dabei ist dieser nur ein Teil der Wahrheit. Total Cost of Ownership wird zu wenig beachtet.

Ich bin überzeugt: Wir haben vieles selbst in der Hand, um beim Innovationstempo zurück auf die Überholspur zu kommen. Gerade die industrielle Automatisierung bietet viele Chancen, da in Folge der demografischen Veränderungen nichts anderes übrig bleibt, als Maschinen und Anlagen autonomer und effizienter zu betreiben.

Was können wir tun, um wieder schneller zu werden?

Schlanke Prozesse im Unternehmen: Die höheren Produktions- und Entwicklungskosten in Deutschland und der Schweiz müssen wir mit schlanken, schnellen Prozessen kompensieren. Dabei sehen wir insbesondere außerhalb der Produktion und Order Fulfillment Teams erhebliches Beschleunigungs- und Kostensenkungspotenzial.

Bei Baumer praktizieren wir seit 30 Jahren konsequent Lean Management und bündeln die Kompetenzen für Produktgruppen von der Entwicklung über Industrial Engineering bis zur Produktion an spezifischen Standorten, sogenannten Kompetenz-Centern. Das bedeutet kurze Wege zwischen Entwicklung/Engineering und Produktion, kurze Reaktionszeiten und ein höheres Innovationstempo. Wir haben an unseren Kompetenz-Centern eine hohe Wertschöpfungstiefe, weil ich überzeugt bin, dass das Auftrennen von Wertschöpfungsketten über Standorte hinweg im Unternehmen die Komplexität erhöht und damit Zeit und Geld und Zeit kostet.

Die Bündelung der Kompetenzen bedeutet für unsere Kunden, dass wir unkompliziert alle Beteiligten an einen Tisch bringen können, um schnell zu innovieren und Lösungen zu schaffen.

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Partnerschaftliche Zusammenarbeit von innovativen Firmen: Echte Innovation entsteht nicht, indem man nur eine Komponente durch eine äquivalente günstigere ersetzt. Wir müssen vielmehr Probleme ‚neu denken‘. Das funktioniert am besten, wenn die beteiligten Spezialisten von Kunde und Lieferant auf Augenhöhe und mit innovativem Spirit gut zusammenarbeiten und die gesamte Applikation wirklich verstehen. Das verlangt, dass man die Themen offen miteinander besprechen kann.

Wir haben sehr gute Erfahrungen gemacht mit regelmäßigen Innovationsmeetings mit strategischen Partnern. Hier entwickeln wir auf Vertrauensbasis und oftmals ohne Protokoll sehr effizient und schnell neue Lösungen. Mein Eindruck ist, dass die offene Atmosphäre dieser Treffen jedes Mal einen enormen Kreativitätsschub gibt. Ich glaube fest an den nachhaltigen Erfolg durch langfristige, vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Kunden und Lieferanten. Diese Partnerschaften beschleunigen zwangsläufig den Weg hin zu optimalen Lösungen und treiben Innovationen. Gerade die Sensorik hat enormes Potenzial für neue Ansätze zur Effizienzsteigerung und Kostenreduktion von Maschinen und Anlagen.

Smarte Produkte, die Zeit sparen: Ein weiterer Weg zu mehr Speed sind smarte Produkte, die dem Anwender Arbeit abnehmen. Wir wollen die Zeit von Engineering und Testing bis zu Inbetriebnahme sowie dem Betrieb von Maschinen und Anlagen massiv reduzieren. Für uns als Sensorhersteller heißt das, wir gewährleisten nicht nur erstklassige Primärfunktionen für einen sicheren und zuverlässigen Betrieb des Equipments, sondern fokussieren immer mehr auf smarte Funktionen und Features, damit unsere Kunden schneller werden. Mit Blick auf die Total Cost of Ownership bergen intelligente Produktlösungen, smartifizierte Komponenten und digitale Services oft ungeahntes Einsparpotenzial. Sie bieten große Differenzierungsmöglichkeiten, um Prozesse zu beschleunigen und Kosten über die Wertschöpfungskette zu reduzieren.

Finden wir zurück auf die Überholspur?

Um beim Innovationstempo wieder zur Spitzengruppe aufzuschließen, sind viele Steine aus dem Weg zu räumen. Nicht alles haben wir selber in der Hand. Als Optimist glaube ich aber fest daran, dass wir zu alter Stärke und wettbewerbsfähigem Speed zurückfinden. Der erste Schritt dorthin: Wir müssen uns wieder daran erinnern, was uns im Wettlauf um die besten Ideen die Spitzenplatzierungen eingebracht hat: unternehmerischer Mut, Anpackermentalität und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Wir können nur schneller werden, wenn wir partnerschaftliche, unkomplizierte Zusammenarbeit wieder lernen.

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