Der Nürnberger Antriebs- und Automatisierungsspezialist Baumüller hat 2021 Autonome Mobile Roboter (AMR) ins Programm genommen, die vom Kooperationspartner Sesto Robotics aus Singapur geliefert werden. ke NEXT sprach darüber mit Thomas Scholz und Jörn Meißner von Baumüller Anlagen-Systemtechnik.
Baumüller hat 2021 eine Kooperation mit Sesto Robotics geschlossen. Wie sieht diese aus?
Jörn Meißner: Die Kooperation ist gestartet worden, da Sesto einen flexiblen Partner mit Erfahrung in der Automatisierung für die AMR-Vermarktung in Europa gesucht hat. Dabei kann Baumüller aus dem Produkt des AMRs eine maßgeschneiderte Komplettlösung für unsere Kunden schaffen. Sesto liefert uns das Basisgerät, also den AMR, die Software zur Navigation und das gesamte Flottenmanagement. Wir von Baumüller bringen diese Geräte beim Kunden in Betrieb und modifizieren die AMRs mit Aufbauten und Peripherie zu einer kompletten Lösung. Unsere Aufgabe ist es dabei zu schauen, was der Kunde braucht: Ist es mit dem Basisfahrzeug getan? Welche Anforderungen werden an den Aufbau gestellt? Wie wird die Interaktion zwischen dem Aufbau, dem Grundgerät und der Peripherie realisiert? Müssen weitere Controller, wie z.B. von einem Roboterarm, programmiert bzw. eingebunden werden?
Thomas Scholz: Die Kooperation ist entstanden, weil wir das Thema AMR als einen der starken Trends in der Produktion und der Produktionsautomatisierung sehen. AMRs bieten Riesenvorteile, die man mit konventionellen Logistikmöglichkeiten nicht heben kann.
Könnten Sie diese Vorteile bitte erläutern?
Jörn Meißner: Ein zunehmend wichtigeres Argument zum Einsatz von solchen autonomen Fahrzeugen ist die Vermeidung von fest verbauter Fördertechnik. Dadurch hat man auf einmal viel mehr Platz in der Werkhalle. Man kann den freigewordenen Platz für weitere Aggregate verwenden, man ist flexibel gegenüber Erweiterungen oder Modernisierungen. Wenn eine ausgetauschte Maschine, ein moderner Typ, mehr Platz benötigt als die alte Maschine, dann ist das damit kein Problem mehr. Man muss also nicht unbedingt die Fördertechnik verändern und alles umbauen, sondern ändert im Falle des AMR-Einsatzes nur die Koordinaten der Zielposition.
Das klingt wie das Arbeiten mit mobilen Schreibtischen, nur eben in der Fabrik?
Jörn Meißner: Korrekt. Was wir jetzt sehen, ist, dass sich die Welt in der Industrie komplett ändert und dass wir zukünftig mit bewegten Funktionen arbeiten, also dass ein kollaborierender Roboter frei beweglich in der Produktion einsetzbar ist und seine Aufgaben an verschiedenen Orten ausführen kann. Das geht so weit, dass man sogar darüber nachdenkt, Produktionshallen komplett anders zu gestalten. Denn die Hallenfläche ist damit auch mehrfach mit Assets benutzbar.
Zur Person: Thomas Scholz und Jörn Meißner
Thomas Scholz Ist Head of Sales and Technology bei der Baumüller Anlagen-Systemtechnik. Jörn Meißner ist bei Baumüller Anlagen-Systemtechnik als Sales Manager
tätig.
Sehen Sie Branchen, die aktuell besonders auf AMRs setzen?
Jörn Meißner: Der Zwang zur Automatisierung betrifft alle. Die Anforderungen sehen wir vor allen Dingen im verarbeitenden Gewerbe, überall dort, wo Teile zur nächsten Maschine oder zum Lager transportiert werden. Die Automatisierung und der Boom in der Intralogistik und Logistik haben dazu geführt, dass ein extremer Bedarf an gewerblichen Arbeitskräften vorhanden ist.
Thomas Scholz: Wenn man in einem Werk eine Nachtschicht von Samstag auf Sonntag fahren möchte, ist es eine große Herausforderung, dafür genügend Personal zu bekommen. Wir haben in Kitzingen ein Motorenwerk, in dem wir auch Nachtschichten und Geisterschichten fahren können, für das kein Personal mehr notwendig ist, um die Maschinen zu unsäglichen Tageszeiten zu befüllen oder zu entleeren. Damit haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht. Die Personalnot ist letztlich der Haupttreiber für die Entwicklungen in dem Segment.
Wie sieht das in anderen Ländern aus?
Jörn Meißner: Die Personalnot ist nicht nur in Deutschland ein Treiber und Motivator für den Einsatz von solchen autonomen Fahrzeugen, sondern mittlerweile in ganz Europa. Egal, welches Lohnniveau in dem Land, überall wird es schwieriger, Personal für Arbeiten, womöglich noch im Schichtbetrieb zu bekommen.
Thomas Scholz: Letztendlich ist es auch ein Thema aus Arbeitssicherheits- oder Arbeitsmedizinischer Sicht. Wenn man körperlich ermüdende Tätigkeiten durch autonom fahrende Systeme oder Robotiksysteme ersetzt, kann man die Arbeitsbedingungen für die Werker ein Stück weit angenehmer gestalten. Und dadurch wieder eine gewisse Attraktivität des Arbeitsumfeldes schaffen.
Früher hieß es, Roboter nehmen den Menschen die Arbeitsplätze weg. Das heißt also, dass das Gegenteil richtig ist?
Jörn Meißner: Wenn man die Arbeitsplätze in Deutschland in den letzten 30 Jahren, in denen Roboter in massivem Stil eingeführt wurden, betrachtet, ist die absolute Anzahl der Arbeitsplätze in Deutschland gestiegen. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass die Industrie in Deutschland wettbewerbsfähiger geworden ist durch die Robotik. Genau das wird oftmals verkannt. Die Arbeitsplätze verlagern sich, entweder in andere Fachbereiche oder in qualifiziertere Bereiche beziehungsweise in periphere Bereiche. Aber die Automatisierung sichert uns hier in Europa nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit.
Sehen die Unternehmen die Robotik als Garanten der Lieferketten?
Jörn Meißner: Es gibt hier sicher einige Vorreiter, wie zum Beispiel Tesla mit der Gigafactory. Diese Unternehmen aus dem Automobil- oder Elektronikbereich haben schon entsprechende Werke oder aber große Investitionen angekündigt. Denn sie sehen hier in Europa unsere Zuverlässigkeit, Nachhaltigkeit und politische Stabilität. Diese Aspekte gewinnen jetzt rasant an Bedeutung.
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