Am 15. Februar 2016 hat die internationale Organisation für Normung (ISO) neue Richtlinien veröffentlicht, die die Sicherheit von Mitarbeitern in Zusammenarbeit mit Robotersystemen sicherstellen soll. Die ISO/TS 15066 ist in diesem Zusammenhang nun die erste technische Spezifikation (TS), die sich ausschließlich mit der Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK) beschäftigt. Dabei ist sie keine bindende Richtlinie, sondern eine Hilfestellung für Unternehmen. Sie erweitert den bereits etablierten ISO-Standard 10218 ‚Sicherheitsrichtlinien für Industrieroboter‘ um rund 30 Seiten und soll in drei Jahren in die ISO 10218 integriert werden.
Da im Jahr 2011 kollaborierende Roboter noch eine wenig verbreitete Technologie waren, enthielt die damalige Überarbeitung der ISO-Norm noch hauptsächlich Punkte zu traditionellen Industrierobotern. Vor dem 15. Februar galten also allein die wenigen Abschnitte zu MRK-Anwendungen in der ISO 10218-1 und ISO 10218-2. Davon bezogen sich nur wenige Zeilen auf leistungs- und kraftbegrenzende Roboter wie kollaborierende Roboterarme. Entwickelt wurde die neue TS von dem Komitee ISO/TC 299 (vormals: ISO/TC 184/SC 2). Neben Universal Robots (UR)sind darin unter anderen die Unternehmen ABB, Rethink Robotics, Kuka und Fanuc vertreten.
Gesetzte, Normen, Standards
Der Hauptunterschied von Gesetzen, Standards und Normen ist, dass Gesetze verpflichtend sind, Standards und Normen jedoch nicht, solange es sich um B- oder C-Normen handelt. Allen drei gemein ist, dass sie lokal und international gelten können. (In den USA werden verpflichtende Gesetze auch als Standard bezeichnet, was aber nicht mit den hier beschriebenen Standards zu vergleichen ist). Standards und Normen bedeuten dasselbe – beide sind zumeist auf freiwilliger Basis umzusetzen und Hersteller können theoretisch selbst entscheiden, mit welchen Standards sie übereinstimmen wollen. Es gibt jedoch Ausnahmen: Verbindlich ist beispielsweise die EN ISO 12100 zur Sicherheit von Maschinen. Viele der Standards sind so etabliert, dass ihre Einhaltung fast einem Gesetz gleichkommt. Beispiele hierfür sind die Euromap und ISO-Normen.
Schmerzgrenzen für die Berührung
Die ISO/TS 15066 unterstützt Systemintegratoren, die Hard- und Software-Produkte in die IT und Industrie-Landschaft integrieren, bei der Risikobeurteilung zur Einführung von kollaborierenden Robotern. Sie stellt verschiedene Kollaborationskonzepte dar, auf die später genauer eingegangen wird, und beschreibt dafür notwendige Voraussetzungen. Neben Anforderungen hinsichtlich des Designs und der Risikobeurteilung der Roboterapplikation, beinhaltet die Spezifikation eine Forschungsstudie zum Thema menschliche Schmerzgrenze versus Robotergeschwindigkeit, Belastung und Auswirkungen auf definierte Körperteile. Wichtig sind hier die Schmerzgrenzen, die innerhalb des Annex A definieren, ab wann eine Berührung für den Menschen unangenehm wird. So werden Berührungspunkte im Gesicht etwa als empfindlicher eingestuft als der Oberarm – im Gesicht darf zum Beispiel gar keine Berührung erfolgen.
Geltungsbereiche von Standards
Ein Standard ist ein einheitlicher Weg, Dinge zu tun. Das bedeutet, der aktuelle ‚State of the Art‘ ist bereits als solcher etabliert, reguliert und damit ein Standard. Neue Technologien können diesem zum Zeitpunkt ihrer Entwicklung oft nicht oder nur schwer entsprechen, da sie diesen Standards meist einen Schritt voraus sind. Insgesamt gibt es allein unter dem Dach der ISO über 20 000 Standards – aber nur wenige davon sind für kollaborierende Roboter relevant. Allgemein werden die Standards von freiwilligen Teilnehmern in verschiedenen Komitees erarbeitet. Standards lassen sich in drei Gruppen unterteilen, die über verschiedene Geltungsbereiche verfügen:
- A gilt für alle Maschinen. In der Realität gibt es hier nur den Standard ISO 12100, der die Risikobeurteilung beinhaltet, die für alle Maschinen relevant ist.
- B gilt für spezifische Maschinengruppen. So können Maschinen, die sicherheitsrelevante Kontrollfunktionen besitzen, mit der ISO 13849-1 übereinstimmen und alle Maschinen, die über eine Notfall-Stopptaste verfügen, können der ISO 13850 entsprechen.
- C gilt für spezifische Maschinen. Für komplette Robotersysteme ist dies beispielsweise die ISO 10218-2, für nicht komplettierte Anwendungen die ISO 10218-1.
Wenn ein Unternehmen also mit einem Standard übereinstimmen will, müssen alle Bedingungen erfüllt sein, die normativ sind. Ein wichtiger Teil in Standards ist der sogenannte ‚Scope‘. Er definiert für welche Produkte der Standard Anwendung findet. Gültigkeit behält der Standard dann für fünf Jahre. Anschließend entscheiden die Länder, ob er beibehalten werden soll.
Die vier Arten der Mensch-Roboter-Kollaboration
Spricht man von Mensch-Roboter-Kollaboration, so definiert die EN ISO 10218 vier verschiedene Ansätze für die Realisierung solcher Arbeitsplätze. Die Grundvoraussetzung: Mensch und Roboter müssen in einem gemeinsamen Arbeitsbereich agieren. Gradmesser für die Abgrenzung der verschiedenen Räume ist das jeweils zugrundeliegende Sicherheitskonzept. Dabei gibt es vier Schutzprinzipien:
- Sicherheitsgerichteter überwachter Halt: Beim Zutritt eines Menschen in den Kollaborationsraum stoppt der Roboter. Dieser Stillstand hält solange an, bis der Mitarbeiter den gemeinsamen Arbeitsraum wieder verlassen hat.
- Handführung: Die Bewegungen und Kräfte, die der Mensch auf den Roboter ausübt, werden mittels Sensoren in eine Roboterbewegung umgewandelt. Der Roboter wird also komplett durch die Mitarbeiter gesteuert, meist unterstützt durch eine Zustimmungseinrichtung wie einen Dreipunktschalter.
- Geschwindigkeits- und Abstandsüberwachung: Der Abstand von Mensch und Roboter wird konstant überwacht. Wird die vorgeschriebene Distanz unterschritten, reduziert sich die Geschwindigkeit des Roboters bis auf einen Sicherheitshalt.
- Leistungs- und Kraftbegrenzung: Das Gefährdungspotenzial des Roboters wird durch die Beschränkung dynamischer Parameter reduziert. So lassen sich die Kontaktkräfte zwischen Mitarbeiter und Roboter-technisch auf ein ungefährliches Maß begrenzen.
Die vierte Art der Mensch-Roboter-Kollaboration stellt aus Sicht von Universal Robots die Idealform dar. Nur mittels der Leistungs- und Kraftbegrenzung kann ein Mitarbeiter den Roboter wie ein Werkzeug flexibel in seinen Arbeitsalltag integrieren und an sich verändernde Produktionslayouts anpassen. Alle anderen Typen der MRK erfordern in der Umsetzung zusätzlichen Aufwand.
So benötigt beispielsweise der sicherheitsgerichtete überwachte Halt die Installation einer zusätzlichen Überwachungseinrichtung, beispielsweise eines Flächenscanners, einer Lichtschranke oder einer Sensor-Fußmatte. Die jeweiligen Sensoren überwachen den Arbeitsraum des Roboters auf eintretende Personen und geben eventuelle Stopp-Befehle an den Eingang des Roboters weiter.
MRK-Design in der Praxis
Das patentierte Sicherheitssystem der sechsachsigen UR-Roboter ist mit acht justierbaren Sicherheitsfunktionen ausgestattet, die die Positionen und Geschwindigkeiten der Gelenke, die Position, Orientierung, Geschwindigkeit und Kraft des Tool Center Points (TCP) sowie Impuls und Leistung des Roboters begrenzen. Alle Roboter sind vom TÜV Nord gemäß EN ISO 13849 (betreffend der Sicherheit von Maschinen sowie sicherheitsbezogene Teile von Steuerungen) mit Performance Level D zertifiziert.
Gesamtes Layout der Anlage unter die Lupe nehmen
Wichtig ist, dass der kollaborierende Betrieb innerhalb der kompletten Applikation durch eine Risikobeurteilung bestätigt wird. Dabei wird das gesamte Layout der Anlage unter die Lupe genommen – wie Greifsystem, Roboter und Applikation. Der Roboter ist hier nur eine Komponente. Eine erfolgreich abgeschlossene Risikobeurteilung ist notwendig, um die Anwendung sicher zu betreiben. Grundvoraussetzung für die Inbetriebnahme für Roboter in der MRK ist eine sicherheitszertifizierte Robotersteuerung (sichere Geschwindigkeit und Position) und Sensorik (Performance Level D).