Binar-System im Einsatz,

Das Binar-System im Einsatz bei L‘Orange in Glatten. Hier werden schwere Gehäuse von Einspritzpumpen in einer Montagezelle von Station zu Station bewegt. Die Querbrücken mit dem Transportsystem sind an der Decke endlos umlaufend, sodass nahtlos weitergearbeitet werden kann. (Bild: L‘Orange)

Herr Kortus, zunächst einmal, was stellt die Firma L‘Orange in Glatten her?

Hans Ralf Kortus: Das Glattener Werk ist unser größtes Werk mit rund 750 Mitarbeitern. Hier wird unter anderem die Common-Rail-Technologie für Off-Highway-Anwendung produziert. Daneben haben wir noch ein Werk in Wolfratshausen und eines in Ningbo in China. Ich bin für alle drei Werke verantwortlich. Unser Zielmarkt sind Hersteller großer Motoren, zum Beispiel für Lokomotiven, Schiffe, Marineanwendungen, Muldenkipper im Bergbau und Kraftwerke, also Großdiesel. Wir haben nichts für die Straße, kein Automotive.

Wir entwickeln die Technologie selber, sind auch in einigen Bereichen Marktführer. Die Systeme entwickeln wir grundsätzlich immer mit dem Kunden zusammen. Er hat die Verbrennungstechnologie, wir bringen die Einspritztechnologie, die Injektoren, Druckerzeugung und Drucksteuerung. Heute haben wir ein recht breites Portfolio, wir können Schweröl, Diesel und Gas sowie kombiniert Gas und Diesel sowie Gas und Wasser einspritzen.

Pneumatische Greifer,
Neben einfachen Haken bietet Binar Handling auch kundenindividuelle Lastaufnahmemittel an. Bei L‘Orange sind zum Beispiel pneumatische Greifer mit Zweihandbedienung im Einsatz, um Waschmaschinen zu beladen. Die Greifmittel werden von Binar in Kooperation mit den Kunden passend entwickelt. (Bild: ke NEXT / wk)

Große Motoren also. Was bedeutet das konkret für Ihre Produkte respektive für die Produktion?

Hans Ralf Kortus: Nun, die meisten Teile, mit denen wir umgehen, sind groß und schwer. Wir rüsten zum Beispiel mit dem Wärtsilä W64 den größten Viertakter der Welt aus. Der hat eine Düse mit einer Länge von 140 Millimetern und einem Durchmesser von 94 Millimetern. Nur die Düse. Das ist schon ein großes Stück Stahl, und die zugehörigen Einspritzpumpen wiegen dann auch rund 225 Kilogramm. Bei uns im Werk werden dauernd viele schwere Lasten bewegt. Gleichzeitig haben wir kleine Serien mit geringen Stückzahlen und müssen flexibel umrüsten können.

Schwere Lasten, das bringt unseren zweiten Gesprächspartner ins Spiel. Herr Hafner, stellen Sie bitte Binar Handling kurz vor.

Stefan Hafner: Die Binar Group ist ein schwedisches Unternehmen. Wir sind spezialisiert auf elektronische Seilbalancer. Das heißt, wir bewegen Lasten bis 300 Kilogramm an einem Seil hängend elektrisch angetrieben auf und ab. Unser System besteht dabei im Wesentlichen aus zwei Komponenten: Hebewerk und Lastaufnahmemittel. Die Grundgeräte werden von der schwedischen Mutter herstellt. Aus diesem Baukasten erstellen wir in den deutschen Niederlassungen kundenindividuelle Handhabungslösungen. Bei den Lastaufnahmemitteln, die wir in unseren deutschen Niederlassungen konstruieren und fertigen, bieten wir vom einfachen Haken über elektrische oder pneumatische Greifer bis hin zu magnetischen Hebern alles an. Wir bieten sogar die Möglichkeit, die Lage des transportierten Werkstückes während der Handhabung zu verändern. Auf Wunsch haben wir auch Schnellwechselvorrichtungen für die Greifsysteme.

"Wir können sehr präzise positionieren...

Stefan Hafner,
Stefan Hafner, (Bild: Binar Handling)

... und unsere Anlagen so programmieren, dass man diese ganz spezifisch auf den jeweiligen Anwendungsfall adaptieren
kann.“ Stefan Hafner, Binar Handling

Bei L‘Orange nutzen Sie ja schon seit einigen Jahren die Handlingsysteme von Binar. Wie kam es dazu?

Hans Ralf Kortus: Wir haben Erhebungen gemacht, was es auf dem Markt gibt. Auf einer Messe hatten wir dann die ersten Kontakte zu Binar und entschlossen uns, das System in einer Anwendung auszuprobieren. Im Grunde ging es dann durch Mundpropaganda weiter. Die Produktionsmitarbeiter fanden das Gerät gut und haben ihren Kollegen empfohlen: wenn ihr etwas Neues anschafft, nehmt dieses Gerät. Ich zitiere mal einen Mitarbeiter, der seit vier, fünf Jahren damit arbeitet: „Ich bin sehr zufrieden, das ist ein zuverlässiges, leicht zu bedienendes System, keine körperliche Anstrengung, und die Arbeit damit wird durch den flexiblen Kran auch nicht langweilig.“ Sprich, durch dieses schwerelose Bewegen macht es durchaus Spaß, mit dem Gerät zu arbeiten.

Wie läuft so ein Beschaffungsvorgang und der Einbau des Systems dann ab?

Hans Ralf Kortus: Die Planer für neue Produktionszellen reden mit den Meistern, und die mit ihren Werkern. Wenn ein System einen Vorteil verspricht, dann wird es beschafft. Die konkrete Planung und Montage läuft am Ende in Kooperation mit Binar Handling.

Stefan Hafner: Wir entwickeln die Handlingsysteme immer zusammen mit dem jeweiligen Kunden auf die Applikation zugeschnitten. In einem konkreten Projekt von L‘Orange haben wir zum Beispiel die gesamten Tische, Stellflächen und Maschinen einer umzubauenden Abteilung als Modell bekommen und damit ein Konzept ausgearbeitet, wie hier die Lasten bestmöglich zu bewegen sind. Zudem haben wir ein pneumatisches Spanngreifsystem entwickelt, mit dem auch Teile mit unterschiedlichen Durchmessern gehoben werden können.

Montagezelle,
Das Binar-System in einer Montagezelle bei L‘Orange im Überblick. Schön zu sehen ist das ovale Umlaufsystem an der Decke. Der Werker muss das Hebewerkzeug am Ende seiner Arbeitsschritte nicht zurückfahren, er kann gleich mit einem neuen Stück beginnen. (Bild: L‘Orange)

Das klingt schon komplexer. Beschreiben Sie uns bitte etwas genauer, wofür Binar Handling steht?

Stefan Hafner: Wir bewegen uns ganz bewusst im hochtechnischen, auch hochpreisigen Segment. Natürlich haben wir auch Geräte mit einfachen Haken im Programm, aber wir haben den Anspruch, speziell die komplizierten Dinge abbilden zu können. Mit unserer Technik ist es möglich, sehr präzise zu handhaben. Sie können natürlich mit einem einfachen Ketten- oder Seilzug auch Lasten rauf und runter bewegen. Aber Sie können es damit nicht so präzise machen. Wir können unsere Geräte so programmieren, dass Sie auf den halben Millimeter genau in der Höhe positionieren können, wenn es nötig ist. Wir können sehr langsam fahren. Bei uns benutzen Sie nicht eine Bedienbirne mit Tastern, wir können am Sensorgriff oder direkt am Bauteil führend fahren. Wenn es nur darum geht, schnell etwas rauf und runter zu bewegen, ist unsere High-end-Lösung möglicherweise überdimensioniert. Wir haben hierfür dann auch einfachere Anlagen im Portfolio.

Hans Ralf Kortus: Das war auch für uns ein wichtiger Punkt. Wenn ich mit einem normalen Kran arbeite, ruckeln die Teile oft. Das ist sehr unangenehm, und gerade wenn man Bauteile auf der Vorrichtung aufsetzen muss, auch deutlich komplizierter und zeitintensiver. Der Kran schwingt nach, das Bauteil pendelt sich in der Vorrichtung ein und zerschlägt mit der Zeit die Bolzen. Die kann man tauschen, das ist kein großer Akt, aber so ist es natürlich wesentlich eleganter.

Wie erreichen Sie diese Feinfühligkeit technisch?

Stefan Hafner: Wir haben auf der einen Seite eine Lasterkennung in dem Gerät selbst. Das heißt, wir kennen über eine Messzelle immer das Gewicht, das unter dem Gerät hängt. Alles weitere ist Elektronik. Das Geheimnis ist hier wirklich die Ansteuerung des Motors. Um das elektronisch so feinfühlig regeln zu können, muss man sich in der Elektronik sehr gut auskennen. Ich sage immer, wir haben einfach die besseren Programmierer. Aber natürlich bieten wir auch etliche weitere Features, die die Arbeit erleichtern.

Was heißt das konkret?

Stefan Hafner: Wir haben grundsätzlich eine Drehdurchführung in unseren Geräten, elektrisch und pneumatisch. Das heißt, alles was unterhalb unserer Lastzelle hängt, kann ich endlos drehen. Das macht außer uns sonst keiner standardmäßig. Dadurch verhindere ich verdrehte Kabel und damit Anlagenausfälle durch verschlissene Leitungen. Wir können die Anlagen programmieren, wir können auch unsere Kunden auf gewisse Programmierebenen lassen, sodass man die Anlagen ganz spezifisch auf den jeweiligen Anwendungsfall adaptieren kann. Zum Beispiel können wir lastabhängig und positionsabhängig Geschwindigkeiten programmieren. Sprich, ich kann ein Bauteil aufnehmen, hochheben und schnell in meine Ablageposition fahren. Und dann, wenn ich das Bauteil fügen muss, also ab einer gewissen Höhe, fahren wir automatisch, ohne dass der Werker etwas denken muss, im Kriechgang. Wir sind auch in der Lage, unsere Anlage mit der Linie des Kunden zu verknüpfen, um zu interagieren. Solche Dinge können wir besonders gut.

"Mit einem normalen Kran ist das Handling...

Hans Ralf Kortus,
Hans Ralf Kortus, (Bild: Binar Handling)

…komplizierter und zeitintensiver. Dort ruckelt es oft und die Balance ist schlechter als mit den Binar-Geräten. Auch das Aufsetzen an der Vorrichtung ist mit der Handführung schonender. Hans Ralf Kortus, L‘Orange

Ist das Hauptziel für den Einsatz Ihrer Systeme Ergonomie oder geht es auch um eine effizientere Produktion?

Stefan Hafner: Das ist unterschiedlich. In einer Position, wo der Werker sowieso einen Handarbeitsplatz hat und Lasten bewegen muss, dient das Gerät hauptsächlich zu seiner Entlastung. Er wird möglicherweise nicht schneller, aber er ist entspannter, ihm geht es besser, seiner Bandscheibe geht es besser. Dafür muss er vielleicht abends ins Sportstudio gehen, weil er tagsüber nicht richtig ausgelastet ist. Dann gibt es aber andere Anwendungen, die ohne die Hebehilfe gar nicht möglich wären. Wenn ich 150 Kilogramm bewegen muss, kann das ein Werker nicht. Da müsste ich ohne Hebehilfe vier Arbeiter hinstellen, die daran keinen Spaß hätten, auch wegen der entsprechenden Verletzungsgefahr. Sprich, ich mache manche Prozesse überhaupt erst möglich mit der Anlage, und das mit geringerem Personalaufwand.

Hans Ralf Kortus: Wir sehen die Geräte in erster Linie als Entlastung des Mitarbeiters, schon ab Bauteilgewichten von acht oder neun Kilogramm. Aber dadurch, dass wir nicht nur einen einfachen Seilzug haben, sondern oft auch fahrbare Katzen an der Decke oder flexible Schwenkkräne, kommt der Werker auch von der Zeit her besser klar, weil er manche Bauteile nicht mehrmals umsetzen muss. So gesehen ist es auch ein Effizienzgewinn.

Wären das nicht auch Aufgaben für Roboter?

Stefan Hafner: Es gibt viele Anwendungen, wo sich der Roboter nicht lohnt. Das sind zwar wiederkehrende Prozesse, aber sie sind nicht so häufig und nicht so genau definiert, dass sich ein Roboter rentieren würde. In dieser Nische zwischen der händischen Arbeit und dem Roboter sind unsere Geräte gut aufgestellt.

ke NEXT TV und das intelligente Heben (Quelle: ke NEXT TV)

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