Wenn die Steuerung intelligent agieren soll, muss sie wissen, was unten im Feld los ist. Beim Sensorspezialisten Balluff sieht man IO-Link deshalb als Key-Enabler für „Industrie 4.0“. ke NEXT fragt nach, warum.
Wissen ist Macht! Auf dem Weg zur dieser Tage viel gerühmten vierten industriellen Revolution gilt das mehr denn je. Schließlich lebt die „Smart Factory“ davon, dass die Anlage weiß, was das Werkstück will, und dass die eine Maschine weiß, was die andere gerade macht. Viele dezentrale Steuerungseinheiten müssen wissen, in welchem Zustand die Aktoren gerade sind, was die Peripherie im Feld gerade tut, welches Werkstück in welchem Prozessstadium ist.
Informationen zum Prozess, so wie er sein soll, liefert eine zentrale Datenbank zusammen mit den auf dem Werkstück hinterlegten Daten. Die Informationen zum aktuellen Status der Maschine liefern – richtig: Sensoren. Und ausführen müssen das Ganze dann intelligente Aktoren. Dass die Anforderungen an die Datenübertragung dabei steigen, kommunikationsfähige Sensoren gefordert sind, ist eigentlich logisch.
Standardisierung war überfällig
Allerdings, das bisherige Sensor-Interface, normativ beschrieben in der DIN EN 60947-5-2, ist zunehmend zu einem Flaschenhals geworden, weil sich nur ein oder zwei Schaltbits übertragen lassen. Wenn der Sensor ein bisschen komplexer wird, führt das meist dazu, dass ein Sonderstecker als Interface entwickelt wird. Das bedeutet in aller Regel Multipolstecker und geschirmte Multipolkabel. „Eigentlich war diese Standardisierung längst überfällig“, führt Albert Feinäugle aus, „damit man mal von dieser Stecker- und Kabelvielfalt wegkommt. Mich wundert es, dass die Kunden das solange mitgetragen haben.“ Feinäugle ist bei Balluff verantwortlich für Marketing Services im Business Development und strategischen Marketing. Als Mitglied im Steering-Comitee des IO-Link-Konsortiums hat er sich intensiv mit den Anforderungen des Maschinen- und Anlagenbaus an moderne Sensorik und Aktorik auseinandergesetzt. „Mit dem Standard IO-Link ist es nun zum ersten Mal möglich, dass Sie jeglichen Typ von Feldgerät, sei es Sensor oder Aktor, und egal welchen Komplexitätsgrad er hat, mit einem einheitlichen Interface, mit einer einheitlichen Pinbelegung ausstatten können. Gleichzeitig erhalten Sie obendrauf einen Parametrier- und Diagnosekanal. Das ist ein Riesensprung.“
Den Anstoß, dass es zu einem standardisierten neuen Interface kam, gab Branchenschwergewicht Siemens vor Jahren mit der Einführung des Systems „IQ-Sense“. Aber als alleiniger Anbieter eines solchen Systems kann man am Markt nicht erfolgreich sein. Das erkannte auch Siemens und ging über den ZVEI auf die Sensorhersteller zu. Diese wiederum stimmten sich untereinander ab und befanden die Idee für richtig und sinnvoll. Es kam zur Gründung des IO-Link-Konsortiums. Gemeinsam einigte man sich auf eine Dreileiter-Physik, die auch die Rückwärts-Kompatibilität zu den bisherigen Standards ermöglichte. Heute gibt es zwei Modi, den Kommunikationsmodus und den schaltenden Modus. „Ich glaube, die ganz wichtige Idee war, dass man das Interface, das in der DIN EN 60947-5-2 definiert ist, nicht über den Haufen geworfen hat. Sondern darauf aufgebaut hat und zugleich den Flaschenhals in der Datenübertragung eleminiert hat“, betont Feinäugle. Das bewährte mechanische Interface wurde ebenso beibehalten wie die Nutzung des einfachen Sensorkabels, das in millionenfacher Stückzahl gefertigt preiswert und überall verfügbar ist.
Der „USB-Standard“ für die Fabrikautomation
Der Fokus auf eine Sorte Kabel, die im Grunde bei jedem Kunden schon auf Lager liegt, bietet enorme Vorteile. Neben einer Reduktion des Kabel- und Ersatzteilbestands führt der Verzicht auf Sonderkabel auch zu schnelleren Instandhaltungsmaßnahmen, weil nur noch ein simples dreiadriges Kabel getauscht werden muss. Wer schon einmal die zwanzig Adern eines Spezialkabels korrekt auf einen Sonderstecker legen musste, weiß Bescheid – von den reduzierten Fehlermöglichkeiten bei drei Adern ganz zu schweigen.
Ein weiterer Vorteil von IO-Link ist, dass es digital ist. Die wertvollen Daten eines digitalen Sensors müssen nicht erst wieder analogisiert und über ein geschirmtes Kabel zur Steuerung geführt und dort wieder digitalisiert werden. Die Übertragung läuft verlustfrei ohne Systembruch bis zur Steuerung.
Hinzu kommt, dass es sich bei IO-Link um einen offenen Standard handelt, der auch in der IEC 61131-9 niedergeschrieben ist. Das Interface ist so ausgelegt, dass man unabhängig vom Überbau wird. IO-Link fungiert so als Plattform, mittels der alle Sensoren und Aktoren an einer Anlage unabhängig von der Steuerung eingesetzt werden können. Die steuerungsspezifischen Komponenten werden auf ein Minimum – nämlich den IO-Link-Master – reduziert. Egal, ob man in der Steuerungsebene Profinet/Profibus, Ethernet IP, CC-Link oder andere Busarchitekturen einsetzt, die Komponenten unterhalb dieser Ebene bleiben stets die selben.
Das macht die Installation flexibel, unabhängig, kosteneffektiv und ist vor allem zukunftsorientiert. Der Vergleich zur im Computerumfeld so beliebten USB-Schnittstelle drängt sich förmlich auf: Egal welche USB-Komponente morgen entwickelt wird – man kann sie an den USB-Port des Rechners anschließen. Mit IO-Link ist es ganz genauso. Unterhalb des Masters schaltet man von der Linien- in eine flexible Sterntopologie. Das bietet eine erkennbare Reduzierung der Komplexitätskosten im Maschinen- und Anlagenbau.
Nun kommt immer wieder die Meinung auf, IO-Link sei ja kein schneller Hochleistungsbus und deshalb für komplexe Anwendungen zu langsam. Dem stellt sich Jürgen Gutekunst entgegen: „Mit der Übertragungsrate von 230 KBit (Com3) lässt sich schon sehr viel machen. Für einen Analogwert mit 16 Bit Auflösung benötigt IO-Link gerade einmal 0,4 Millisekunden für die Übertragung.“ Gutekunst ist Leiter der Business Unit Networking bei Balluff. Die Telegramme bieten, so Gutekunst, bis zu 32 Byte an Prozessdaten. „Und wenn man jetzt einfach mal schaut, in welchen Taktzyklen die Bussysteme typischerweise arbeiten, dann stellt man fest, dass das IO-Link niemals der Engpass ist“, betont Gutekunst. „Erst wenn es um komplexe Regelung geht, werden natürlich andere Reaktionszeiten und andere Verfahren notwendig werden.“ Und falls es einmal nicht mehr reiche, werde sicherlich auf den IO-Link-1.1-Standard eine Version 2.0 folgen.
Die Voraussetzung für Industrie 4.0
A propos Versionsnummern. Seit einen knappen Jahr geistert das Schlagwort „Industrie 4.0“ durch den deutschen Maschinenbau. Auch dafür sieht Jürgen Gutekunst das Sensor-Interface gut gerüstet: „Ich denke, IO-Link ist auf jeden Fall eine der Voraussetzungen für Industrie 4.0. Ich möchte sagen, IO-Link ist 4.0-ready, egal wie die finalen Spezifikationen oder die unterschiedlichen Vorstellungen dazu aussehen werden. IO-Link ist schlussendlich der Nerv, den wir unten im Feld haben, in der Fertigungszelle. Was wir dort an Informationen benötigen, um egal welche 4.0-Strategie umzusetzen – es wird an IO-Link wohl nicht vorbei gehen.“
Ein Teilaspekt von Industrie 4.0 kann heute schon gut vorangetrieben werden: Condition Monitoring. Vielfach haben Maschinenbauer in der Vergangenheit den zusätzlichen Aufwand für die Übertragung von Diagnosesignalen gescheut. Mit IO-Link ist das ohne zusätzlichen Aufwand möglich. Und so, wie IO-Link auf diese Weise zu einer Enabling-Technologie für das Condition Monitoring wurde, könnte es auch für die Smart Factory zu einer tragenden Säule werden. Denn im Gegensatz zu normalen Sensorleitungen bietet IO-Link einen bidirektionalen Kommunikationskanal, über den sich nicht nur RFID-Reader anschließen und konfigurieren lassen, auch ganz neue Sensoren und Aktoren sind denkbar.
Ein schönes und auffälliges Beispiel für die clevere Nutzung von IO-Link und dessen Bidirektionalität stellt das Balluff-Smart-Light dar. Im Grunde ist es eine typische Signalleuchte für Maschinen. Aber wo man bei anderen Lampen im Inneren eine Schar Klemmen sieht, findet man bei Balluffs Modell schlicht einen M12-Anschluss für IO-Link. Über den lassen sich so komplexe Mehrfachfunktionen abbilden, dass von der Prozessvisualisierung bis zum Disco-Licht alles drin ist. Das nenne ich mal 4.0!
Autor: Wolfgang Kräußlich, Leitender Chefredakteur
Im Gespräch mit Albert Feinäugle und Jürgen Gutekunst, Balluff
„Man muss bereit sein, etwas zu verändern“
Eine Schnittstelle schickt sich an, die Feldebene zu erobern. ke NEXT war vor Ort in Neuhausen auf den Fildern und hat bei Balluff als einem der wichtigsten IO-Link-Verfechter nachgehakt, warum das Interface zum neuen Industriestandard aufsteigen könnte.
Ich habe gehört, dass IO-Link als Balluff-Bus bezeichnet wird…
Jürgen Gutekunst: Das sind gleich zwei Fehler in einem Satz. Erstens ist es kein Bus – es ist analog zu USB eine Punkt-zu-Punkt-Verbindung. Und zweitens, es ist nicht von Balluff, sondern es ist das Ergebnis einer Gemeinschaftsarbeit, die das gesamte Konsortium geleistet hat. Aber natürlich sehen wir uns als wichtigen Treiber von IO-Link, weltweit.
Welche Rolle spielt das Konsortium für IO-Link?
Jürgen Gutekunst: Eine sehr wichtige. Sehen Sie, im Konsortium sind heute sehr viele hochkarätige Firmen, die im Bereich der Sensorik etwa 70 % des Marktanteils darstellen. Alleine das gibt eine gewisse Sicherheit, dass IO-Link seinen Weg machen wird. Ein weiteres Indiz für den Erfolg ist die Tatsache, dass in der Zwischenzeit schon insgesamt neun Chiphersteller mit im Konsortium sind. Das sind zwei ganz wesentliche Faktoren, dass IO-Link in den nächsten drei bis sieben Jahren einen erheblichen Marktanteil erreichen wird. Wir sehen das auch schon an unseren Zahlen. Wir wachsen im Bereich IO-Link hoch zweistellig, und das inzwischen auf einer doch ganz komfortablen Basis.
Welche technischen Gründe sprechen für den von Ihnen prognostizierten Erfolg?
Albert Feinäugle: Wir sehen IO-Link zukünftig ganz klar als die Schnittstelle für die Fabrikautomation. Da liegt der Vergleich mit dem USB-Interface nahe, das wir uns heute gar nicht mehr wegdenken können von den Rechnern. Genauso sehe ich das in der Fabrikautomation: IO-Link wird jede Menge unterschiedlicher Schnittstellen im Feld ablösen.
Und das geht so einfach durch die Nutzung von IO-Link?
Albert Feinäugle: Naja, um davon wirklich Nutzen zu ziehen, bedarf es auch einer Änderung im Mindset. Man muss hier schon bereit sein, etwas zu verändern. Auch unsere Kunden müssen sich für die nächste Generation aufstellen. Die Veränderung in Bezug auf IO-Link bedeutet in erster Linie eine Veränderung in der Topologie der Netzwerksysteme. Man sollte den IO-Link-Master als Gateway sehen und die in der Automatisierung übliche Linientopologie nach oben hin reduzieren, um darunter mit IO-Link eine Sterntopologie aufzubauen. Das reduziert die aufwendige Busverkabelung.
Glauben Sie nicht, dass sich analog zu den vielen Feldbussen noch weitere andere Schnittstellen etablieren werden?
Jürgen Gutekunst: Die Steuerungshersteller pflegen auf der Busebene eine Dominanz, die werden sie wohl nie aufgeben. Deswegen werden wir auch in zehn Jahren noch unterschiedliche Ethernet-Systeme haben. Auf der IO-Ebene ist es eher so wie bei Druckern für den PC: Der Kunde möchte jeden Drucker einfach anschließen können, egal ob an Apple-, Windows- oder Linux-Rechner. Das ist der Grund, warum USB so erfolgreich ist. Im Maschinenbau ist es ähnlich: Der Entwickler möchte einen Sensor anbinden, egal ob an CC-Link, Ethernet/IP oder Profinet. Die Sensorbranche hat es geschafft, sich auf einen Standard zu einigen. Ich glaube, es ist jetzt gar kein Platz mehr für ein weiteres System. wk