Etienne Lacroix ist der Gründer und CEO des kanadischen Automatisierungsunternehmens Vention.

Etienne Lacroix ist der Gründer und CEO des kanadischen Automatisierungsunternehmens Vention. (Bild: Vention)

Vention wurde vor acht Jahren gegründet, ist also noch ein sehr junges Unternehmen. Was war der Auslöser für die Gründung?

Etienne Lacroix: Die These war und ist, dass Industrieautomatisierung eine sehr projektbasierte Branche ist. Ein Projekt bedeutet in der Regel einen hohen Aufwand an Zeit und Ressourcen - und vor allem, dass am Ende oft eine “verwaiste” Maschine herauskommt, die nur im Rahmen des Projektes nutzbar ist.

Wieso ist das so?

Lacroix: Einer meiner “Glaubenssätze” ist, dass es nichts Manuelleres gibt als die industrielle Automatisierung. Denn um Maschinen und Roboterzellen zu entwerfen, braucht man sehr viel qualifiziertes Personal und Zeit. Man braucht Systemintegratoren, die die gesamte Technologie der traditionellen Komponentenhersteller verstehen und sie in ein funktionierendes System integrieren.

Zur Person: Etienne Lacroix

... ist der Gründer und CEO des kanadischen Plattformanbieters Vention. Bevor er Vention im Jahr 2016 gründete, war Etienne fünf Jahre lang bei McKinsey & Company als Associate Partner in den Bereichen Operations und Produktentwicklung tätig. In dieser Funktion leitete er unternehmensweite strategische, operative und transformative Programme bei globalen Industrie- und High-Tech-Unternehmen. Etienne Lacroix hat einen MBA der Harvard Business School und einen Bachelor of Mechanical Engineering der École de Technologie Supérieure.

Was ist bei Vention anders?

Lacroix: Wir bei Vention stellen uns dagegen eine Welt vor, in der die industrielle Automatisierung vollständig produktorientiert und modular wird. Wir haben ein Lego-ähnliches Ökosystem geschaffen,  das das erforderliche Fachwissen für die Steuerung dieser Projekte - erheblich reduziert. Es bedeutet, dass Automatisierung wiederholbar und wiederverwendbar wird.

Mein erster Job als 19-Jähriger während meines Studiums war die Entwicklung von Roboterzellen für die Automobil- und Luftfahrtindustrie in Montreal. So bin ich mit der Automatisierung in Berührung gekommen. Man sucht Komponenten zusammen und versucht, sie in eine CAD-Software zu integrieren. Mir wurde klar, dass all diese Komponenten erstaunlich sind, aber sie sind ganz verschieden und nicht füreinander bestimmt.

Was hat sich geändert?

Lacroix: 2014 war die Browser-Technologie WebGL weit genug fortgeschritten, um 3D-Darstellungen zu generieren, die durch mathematische Gleichungen und nicht durch das Zeichnen von Dreiecken definiert wurden. Eines Tages hat es in meinem Kopf Klick gemacht: Was wäre, wenn man auf dieser Basis alle Maschinen, die ich im Laufe meiner Karriere entworfen haben, mit einer Art Computer-Lego nachbauen könnte? Was wäre, wenn ich als Konstrukteur an einem Ort zugleich entwerfen und die Produkte bestellen könnte? Was wäre, wenn ich nur noch eine Software bräuchte und nicht mehr 15? Mit diesem Geschäftsmodell versuchen wir heute, die Industrieautomation zu demokratisieren. Wir helfen kleinen Unternehmen, die ihre Reise in die Industrieautomation beginnen und dies mit einem ganz anderen Risiko- und Kostenprofil tun wollen, als es die traditionelle Automation bieten kann.

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Aus Kostensicht mag das gerade für kleine Unternehmen sehr interessant sein. Aber wenn es um die Automatisierung als ein Werkzeug geht, um anderen Unternehmen einen Schritt voraus zu sein, ist einfacher dann wirklich immer besser?

Lacroix: Wir beliefern aktuell 4.000 Produktionsstätten, darunter auch die ganz Großen wie Tesla. In diesen Unternehmen werden wir hauptsächlich für das eingesetzt, was ich als Einstiegs- bis mittlere Anwendungsfälle bezeichne. In kleinen Unternehmen bedienen wir auch die Endmontagelinien. Diese Größenordnung ist genau der Bereich, in dem wir spielen wollen. Für diese Anwendungsfälle lautet die Wahl nicht standardisierte oder individuelle Automatisierung, sondern standardisierte Automatisierung oder weiterhin manuelle Produktion. Wir bieten also eine Lösung für einen Bereich, der meiner Meinung nach einfach unterversorgt war.

Der deutsche Mittelstand ist sehr konservativ, wie wollen Sie ihre potenziellen Kunden von dem innovativen Ansatz von Vention überzeugen?

Lacroix: Wir versuchen, uns sehr an den Markt anzupassen, den wir in Deutschland bedienen. In Deutschland verbringen wir mehr Zeit mit unseren Kunden vor Ort als etwa in den USA, was genau auf solche kulturellen Präferenzen zurückzuführen ist. Aber die deutschen Hersteller, insbesondere die kleinen und mittleren, sind auch sehr innovativ und nach meiner Erfahrung durchaus bereit, eine neue Art der Automatisierung zu testen.

Mittlerweile haben andere - auch große - Hersteller die Zeichen der Zeit ebenfalls erkannt und versuchen, Automatisierungslösungen einfacher, digitaler und modularer zu machen. Haben sie keine Angst, überholt oder vielleicht sogar geschluckt zu werden?

Lacroix: Ich glaube, dass es gut für die gesamte Branche ist, wenn viele Akteure versuchen, die aktuellen Probleme zu lösen. Der Markt für industrielle Automatisierung und diskrete Fertigung ist eine der größten Branchen, und er ist im Begriff, eine massive Veränderung durchzumachen. Als ich ein Teenager war, konnte man sich Musik kostenlos herunterladen, heute zahlt jeder einen Geldbetrag pro Song. Warum? Steve Jobs entwickelte den iPod und den iTunes Store und schuf so viel Komfort, dass die Leute bereit waren, dafür zu bezahlen. Wir haben uns für einen ähnlichen Ansatz entschieden, bei dem Hardware und Software zusammenarbeiten, um eine positive Benutzererfahrung zu schaffen. Jemand, der noch nie einen Roboter oder eine SPS programmiert hat, kann das in dieser Umgebung erfolgreich tun.

Verstanden. Aber ist der Versuch, ein Automatisierung-Ökosystem zu schaffen, das von der Konstruktionssoftware über die Hardware bis zur Remote-Wartung reicht, nicht etwas riskant für ein noch junges Unternehmen?

Lacroix: Wir glauben einfach an die Zusammenführung von Hardware und Software während des gesamten Arbeitsablaufs, um eine möglichst positive Benutzererfahrung zu schaffen. Um dies zu verwirklichen, müssen wir die gesamte Wertschöpfungskette abdecken: Nicht nur die Designphase, die Simulation mit dem digitalen Zwilling, die Programmierung, die Bereitstellung, den Betrieb mit Fernüberwachung und Fernsupport und all die cloudbasierten Angebote, die es den Nutzern ermöglichen, ihre eigene End-to-End-Lösung zu erhalten.

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KI ist gerade ein absolutes Buzzword in der Automatisierung. Gerade in Kombination mit Cobots wird ein enormes Potenzial für eine kognitive Robotik erwartet. Ist der Hype gerechtfertigt?

Lacroix: Tatsächlich glaube ich, dass diese Entwicklung noch in einem sehr frühen Stadium ist. Ich sehe eigentlich im Moment eher Cloud Robotics als einen ganz realen Game Changer. Das ist meiner Meinung nach wahrscheinlich der größte Wendepunkt für kleine und mittlere Unternehmen.

Was verstehen sie genau darunter?

Lacroix: Das Problem bei der heutigen Industrieautomatisierung ist, dass man die genaue Leistung nicht kennt, bevor man die Maschine nicht gebaut und das Geld dafür ausgegeben hat. Und das ist für kleine und mittlere Unternehmen sehr kostspielig. Wenn man das also in der Cloud virtualisieren kann und einen präzisen virtuellen Zwilling hat, lässt sich das Prozessrisiko praktisch eliminieren. Und man kann das Gelernte wieder mit anderen teilen.

Vor gut zehn Jahren sind die Kosten für die Softwareentwicklung durch Cloudangebote wie AWS massiv gesunken. Niemand muss heute mehr eigene Server kaufen. Wir stehen kurz davor, dasselbe in der Robotik zu erreichen. Wenn man eine Cloud-Robotik-Plattform hat, die digitale Zwillinge hervorbringt, lässt sich die Entwicklung von Anwendungen beschleunigen und viel günstiger machen.

Der Autor: Peter Koller

Peter Koller
(Bild: Anna McMaster)

Gelernter Politik-Journalist, heute News-Junkie, Robotik-Afficionado und Nerd-Versteher. Chefredakteur des Automatisierungsmagazins IEE. Peter Koller liebt den Technik-Journalismus, weil es das einzige Themengebiet ist, wo wirklich ständig neue Dinge passieren. Treibstoff: Milchschaum mit Koffein.

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