Mit der All Electric Society Arena in Halle 11 liefert der ZVEI auch in diesem Jahr wichtige Impulse für die Hannover Messe.

Mit der All Electric Society Arena in Halle 11 liefert der ZVEI auch in diesem Jahr wichtige Impulse für die Hannover Messe. (Bild: ZVEI/Christian Behrens CC BY-NC-SA 4.0.)

Welche Bedeutung hat die Hannover Messe für die deutsche und internationale Industrie?
Gunther Koschnick: Die Hannover Messe ist ein Schaufenster der Industrie, vor allem für Automation und Maschinenbau, in die internationalen Märkte. Sie ist die weltweite Leitmesse für große, übergeordnete Themen, wie es Industrie 4.0 in den vergangenen Jahren war. Gleichzeitig setzt sie Botschaften an die Politik und die Gesellschaft. Genau diesen Dialog fördern wir als ZVEI auch 2025 wieder aktiv mit unserer All Electric Society Arena in Halle 11. Dort werden führende Köpfe aus der Industrie mit Vertretern der Wissenschaft und der Politik über die wichtigsten Fragen der Zeit diskutieren – beispielsweise, wie künstliche Intelligenz die Industrie verändern wird, und wie sich die Wettbewerbsfähigkeit in der EU stärken lässt.

Gunther Koschnick, Geschäftsführer des ZVEI-Fachverbands Automation.
Gunther Koschnick, Geschäftsführer des ZVEI-Fachverbands Automation. (Bild: ZVEI)

Wie hat sich das Thema Industrie 4.0 in den letzten Jahren weiterentwickelt?
Koschnick: Die vierte industrielle Revolution ist nach wie vor im Gange. Digitalisierung und Automatisierung der Industrie sind noch nicht abgeschlossen. Die Geschwindigkeit der Innovationen ist weiterhin hoch, da die digitale Kommunikation viele neue Potenziale er­öffnet. Wir werden viele Industrie-4.0-Applikationen auf der Messe sehen. Jetzt geht es um das Skalieren der ­Lösungen.

Welche neuen technologischen Entwicklungen oder Standards sind aus Sicht des ZVEI besonders relevant?Koschnick: Automation und Digitalisierung benötigen Daten vom Shopfloor. Als Standard etablieren sich hier immer mehr der digitale Zwilling der Asset Administration Shell (AAS) mit seinen Datenmodellen sowie der Kommunikationsstandard OPC-UA. Ein Highlight ist die Anknüpfung von Feldgeräten durch die Kombination von Technologien wie SPE (Single Pair of Ethernet) und APL (Advanced Physical Layer). Sie ermöglichen, über das Nutzsignal hinaus, den Datenaustausch bis in den explosionsgeschützten Raum.

Wie beeinflussen Themen wie KI, IoT und Edge Computing die industrielle Automatisierung?
Koschnick: KI, IoT und Edge Computing werden perspektivisch ein selbstverständlicher Bestandteil von Automationslösungen sein. Entscheidend für den Erfolg sind die Vernetzung und die Qualität der verarbeiteten Informationen. Die Daten müssen also vom Shopfloor, aus den Datenquellen der Lieferanten und direkt aus dem Engineering kommen. Edge Computing kann vor Ort im Shopfloor das Datensammeln und die Zentralisierung von Steuerungsfunktion in sogenannten virtuellen Steuerungssystemen ermöglichen – das ist ein großer Fortschritt für die Automation.

Nachhaltigkeit ist ein großes Thema in der Industrie. Wie kann die Digitalisierung zu einer ressourcenschonenderen Produktion beitragen?
Koschnick: Digitalisierung ist der entscheidende Hebel für mehr Effizienz, also die Verringerung des Energie- und Ressourcenbedarfs. Durch den digitalen Product Passport 4.0 (DPP 4.0), verbunden mit einem digitalen Zwilling, der die Assets im Shopfloor abbildet, ist ein effizienterer Einsatz von Verbrauchern möglich. So lässt sich steuern, wann welcher Energiebedarf besteht. In einem Fabrikgleichstromnetz könnten Verbrauchsspitzen so zum Beispiel um 85 Prozent reduziert werden, was den Energie- und Materialbedarf erheblich senkt.

Welche konkreten Lösungen präsentiert der ZVEI oder seine Mitglieder in diesem Bereich?
Koschnick: Neben der All Electric Society Arena als Diskussionsforum der Industrie mit Politik und Gesellschaft ist der ZVEI auf seinem Stand mit wichtigen Praxisbeispielen vertreten. Vorgestellt werden mit verschiedenen Exponaten und in Vorträgen Lösungen und Initiativen wie die Open Direct Current Alliance (ODCA), die an Gleichstromlösungen für die Net-Zero-Factory arbeitet, Anwendungen für den Digital Product Passport 4.0 sowie Datenraumprojekte in der Antriebstechnik und der Prozessindustrie.

Wie beeinflusst der Fachkräftemangel die Digitalisierung und Automatisierung in der Industrie?
Koschnick: Das ist unbestreitbar eine Herausforderung, vor allem in Deutschland. Digitalisierung und Automatisierung benötigen systemisches Denken und hochqualifizierte Fachleute für die technische Umsetzung. Investitionen in eine zukunftsfähige Bildung, gezielte Zuwanderung und das internationale Kooperationen könnten den Mangel an Fachkräften kompensieren. Auch KI ist schon heute in Engineering-Werkzeugen und im Service im Einsatz. Das wird dem Mangel an Expertinnen und Experten teilweise entgegenwirken.

Bleiben Sie informiert

Diese Themen interessieren Sie? Mit unserem Newsletter sind Sie immer auf dem Laufenden. Gleich anmelden!

Welche Maßnahmen sind aus Sicht des ZVEI notwendig, um dem entgegenzuwirken?
Koschnick: Vor allem Bildung. Wir brauchen Ingenieurinnen und Ingenieure, und mit der Talentsuche und -förderung können wir gar nicht früh genug anfangen. Schon in den Grundschulen sollten wir ‚Creator Programme‘ starten, wie es in anderen Ländern üblich ist. So lässt sich Interesse an naturwissenschaftlich-technischen Zusammenhängen wecken, damit Jungen und Mädchen möglichst schon in jungen Jahren Spaß daran entwickeln, Lösungen für die Herausforderungen der Zeit zu entwickeln.

Wie bewerten Sie die industriepolitischen ­Rahmenbedingungen in Deutschland und Europa?
Koschnick: Es braucht Rahmenbedingungen und Gesetze, damit Wirtschaften und Leben in geordneten Bahnen verlaufen kann. Komplexität lässt sich nur mit Standards organisieren – sie sind auf politischer und sozialer Ebene genauso nötig wie im technischen Bereich. Für Europa wäre es jedoch wichtig, mehr chancenorientierte Rahmenbedingungen zu bieten, anstatt Verbote und Berichtspflichten ständig auszubauen. 9 von 10 Unternehmen haben in einer Umfrage in der Elektro- und Digitalindustrie Anfang dieses Jahres hohe bürokratische Lasten bemängelt. Der ZVEI fordert daher unter anderem ein Regulierungsmoratorium im Digitalbereich, damit die Unternehmen sich auf ihre Innovationskraft konzentrieren können.

Was erwarten Sie sich persönlich von der Messe?
Koschnick: Wir befinden uns in einer ernstzunehmenden Rezession. Eine Hannover Messe, die die nationale und internationale Wirtschaft verbindet, die Gesellschaft und Politik integriert, kann positive Signale hervorbringen. Wir brauchen eine Effizienzwende in der Politik – aber auch einen Stimmungswandel in den Unternehmen. Denn die Hälfte der Wirtschaft ist Psychologie.

Sie möchten gerne weiterlesen?