Am Lehrstuhl für Hochspannungs- und Anlagentechnik der Technischen Universität München hat man vor wenigen Monaten nach und nach alle Hochspannungsversuchsfelder modernisiert. Soweit möglich und wirtschaftlich sinnvoll, wurden dabei die eigentlichen Hochspannungserzeuger weiterverwendet. Die zugehörige Mess- und Steuerungstechnik hat man jedoch komplett erneuert und in den sicherheitstechnischen Belangen an die aktuellen Anforderungen der Norm EN 50191:2010 angepasst. Zum Einsatz kamen dabei überwiegend Sicherheitskomponenten von ABB Stotz-Kontakt, die sich sehr gut in das spezielle Umfeld von Hochspannungsversuchsfeldern integrieren lassen.
Das Fachgebiet Hochspannungstechnik wurde an der TU München (damals noch TH) 1923 eingeführt. Das Lehrstuhlgebäude mit den darin befindlichen Hochspannungsprüf- und Versuchsfeldern wurde Ende der fünfziger Jahre neu erbaut und 1963 offiziell eingeweiht. Seitdem verfügt der Lehrstuhl über eine große Hochspannungs-Versuchshalle (34 x 23 x 19 Meter) und zwei kleinere Hochspannungsversuchsfelder mit Prüfanlagen für hohe Wechsel-, Gleich- und Stoßspannungen sowie eine Prüfanlage für impulsförmige Stoßströme.
Zur Erzeugung hoher Wechselspannungen steht in der großen Hochspannungs-Versuchshalle eine dreistufige Transformatorenkaskade zur Verfügung. Jeder der drei sekundärseitig in Reihe geschalteten Einzeltransformatoren stellt eine maximale Ausgangsspannung von 400 Kilovolt zur Verfügung, so dass bei der standardmäßigen Kaskadenschaltung eine maximale Prüfwechselspannung von 1200 Kilovolt erzeugbar ist.
Die Erregerleistung wird von einem rotierenden Umformer zur Verfügung gestellt, was den Vorteil geringer maximaler Kurzschlussleistung und einer auch in der Frequenz veränderbaren Prüfspannung zur Folge hat. Die erzeugte Wechselspannung kann, um hohe Gleichspannungen zu erzeugen, mit Hilfe eines Einweggleichrichters gleichgerichtet und durch einen fest im Versuchsfeld installierten Kondensator geglättet werden. Auch hier ist sicherzustellen, dass beim Betreten des Versuchsfeldes der Glättungskondensator mittels einer elektromechanisch betätigten Entladeeinrichtung auf eine ungefährliche Spannung entladen ist.
Hohe Sicherheitsanforderungen
Die Sicherheitsanforderungen an elektrische Prüfanlagen werden in der EN 50191 und BGI 891 unter anderem durch den Einsatzzweck der Prüfanlage bestimmt. Im vorliegenden Fall werden die Prüfanlagen primär zur Durchführung von Versuchen im Rahmen von Forschungs- und Entwicklungsaufgaben verwendet, sie gelten daher als Versuchsfeld im Sinne der EN 50191. Die entsprechenden grundlegenden sicherheitstechnischen Anforderungen an Versuchsfelder, wie die Notwendigkeit entsprechender Abgrenzungen der Versuchsbereiche, entsprechende Kennzeichnungen und die Anzeige der Betriebszustände an den Zugangstüren, das Vorhandensein von Not-Aus-Einrichtungen sowie von Rettungswegen und Notausgängen sind in EN 50191 beschrieben. Aus der Risikobeurteilung ergab sich für einige Sicherheitsfunktionen ein erforderliches Performance-Level von PL d.
Um diese Anforderungen erfüllen zu können, wurde jedes Hochspannungsversuchsfeld mit einem Sicherheitszaun Quick-Guard zur Abtrennung des Steuerbereiches vom Prüfbereich und mit einer Sicherheits-SPS Pluto ausgestattet, welche die Abfrage aller sicherheitsrelevanten Sensoren und die Ansteuerung der Warnlampen und Türzuhaltungen des entsprechenden Hochspannungsversuchsfeldes übernimmt. Besonderes Augenmerk wurde hierbei auf ein durchgängiges und kompatibles System aus Sicherheitszaun, Sicherheitssteuerungen und Sensoren gelegt, das zum einen den in einem Hochspannungsversuchsfeld vorherrschenden elektromagnetischen Umgebungsbedingungen widerstehen kann und zum anderen eine einfache und strukturierte Verkabelung ermöglicht.
Im Idealfall erreicht man auch bei der Kaskadierung von Sicherheitssensoren noch ein hohes Performance-Level. Die Sicherheitssteuerungen der Pluto-Familie von ABB Stotz-Kontakt erfüllen zusammen mit den Sicherheitssensoren des Typs Eden und den Not-Aus-Tastern der Serien Inca und Smile diese Kriterien. Zusätzlich bieten die Geräte der Pluto-Familie noch die Möglichkeit, mehrere Sicherheits-Steuerungen miteinander zu vernetzen und diese in ein gemeinsames Projekt zu integrieren. Dadurch kann man im vorliegenden Anwendungsfall beispielsweise den Leistungsteil der Prüfspannungsquelle, in dem sich die redundanten Schaltgeräte zur sicheren Energietrennung und eventuell einige Erdungseinrichtungen befinden, von der eigentlichen Laborsicherheitssteuerung absetzen.
Steuern
Da die Pluto-Sicherheitssteuerungen zur Vernetzung den im Industriebereich üblichen CAN-Bus verwenden, konnte hier durch Einsatz von LWL-Signalumsetzern des Typs PSI-MOS-DNET-CAN/FO von Phoenix Contact mit einfachen Mitteln eine sichere galvanische Trennung und somit eine deutliche Reduzierung der EMV-Problematik der einzelnen Teilbereiche erreicht werden.
Die Möglichkeit der Vernetzung mehrerer Sicherheitssteuerungen innerhalb eines Projektes erlaubt auch die Realisierung von Sonderlösungen wie die Integration einer fahrbaren Faradaykugel in der großen Hochspannungshalle. Die Faradaykugel wird für Vorführungen im Rahmen von Experimentalvorlesungen benutzt und muss zu diesem Zweck mit einer Person besetzt werden. Da sich die Faradaykugel im Prüfbereich und damit innerhalb der Verbotszone nach EN 50191 befindet, musste auch diese mit entsprechenden Sicherheitseinrichtungen wie Türsensoren, Not-Aus-Taster und einer Türzuhaltung ausgerüstet werden. Zur Ansteuerung dieser Komponenten wurde ebenfalls eine Pluto-Sicherheitssteuerung in die Faradaykugel integriert, die über LWL mit der übergeordneten Laborsicherheitssteuerung vernetzt ist.
Die Sicherheits-SPS Pluto B20 verfügt über einen Busanschluss. Die ebenfalls mit einem Busanschluss versehene Sicherheits-SPS Pluto B46 wurde entwickelt, um der Nachfrage nach mehr Ein- und Ausgängen gerecht zu werden. Die B46 hat insgesamt 46 E/A, 6 davon sind unabhängige Sicherheitsausgänge. Die 40 Eingänge sind für Unfallschutzgeräte und sonstige sicherheitsgerichtete Sensoren bestimmt. Außerdem können 16 dieser Eingänge auch als nicht sichere Ausgänge benutzt werden.
Da die Programmierung über die intuitive Pluto Manager Software im Kontaktplan erfolgt, eignet sich Pluto sowohl zur Sicherheitsüberwachung als auch zur Steuerung kleinerer Maschinen. Pluto vereinfacht den Entwurf von Sicherheitssystemen und erreicht das Performance Level e nach EN ISO 13849-1 sowie SIL 3 nach EN 62061. Alle Plutos sind Master-Geräte und können sich am Netzwerk gegenseitig sehen und Entscheidungen bezüglich ihrer eigenen unmittelbaren Sicherheitsumgebung treffen. Die kostenfreie Programmiersoftware Pluto Manager ist ein auf Windows basierendes Programmierwerkzeug, das sowohl die Nutzung TÜV-zertifizierter Sicherheitsfunktionsblöcke als auch eine freie Programmierung ermöglicht.
Schließen- und umschließen
Die Schutzumhausung Quick-Guard besteht aus einem Minimum an verschiedenen Komponenten, wie Aluminiumprofilen, patentierten Montagebeschlägen, Gitter-Verriegelungen, Punktschweißgittern, Polycarbonat- oder Schallabsorptions-Platten. Dank des patentierten Schraubverriegelungssystems werden alle Beschläge vormontiert mit Befestigungsschrauben und Nutensteinen geliefert. Man braucht keine Löcher in die Profile zu bohren, und alle Schnitte sind gerade. Die zugehörige Computer-Software SafeCAD erstellt automatisch 3D-Zeichnungen sowie Komponenten- und Schnittlisten, die auch als Grundlage für das Zusammenbauen und Errichten dienen.
An jedem Zugang zu den Versuchsfeldern ist ein berührungsloses Sicherheits-Sensorpaar Eden angebracht. Es besteht aus dem aktiven, elektrisch verdrahteten Teil Adam und dem passiven, als Betätiger wirkenden Teil Eva. Der wartungs- und verschleißfreie Sensor hat einen Schaltabstand von 0 bis 15 Millimetern und lässt sich unter einem Winkel von 0 bis 360 Grad betätigen.
Die elektromagnetische Zuhaltung Magne 1B kann eine Tür oder Klappe mit einer Zuhaltekraft von bis zu 1500 Newton geschlossen halten. Dabei überwacht der zusätzlich angebrachte berührungslose Sensor Eden, dass die Tür oder Klappe sicher geschlossen ist. Der Elektromagnet enthält einen Informationsausgangskontakt, der anzeigt, dass die Zuhaltekraft die erforderliche Stärke erreicht hat.
So lässt sich überwachen, dass er fachgerecht montiert wurde und sich zwischen dem Elektromagnet und der Ankerplatte nichts befindet. Unterschiedliche Zuhaltekräfte (bis zu 1500 Newton) erhält man, indem man die Spannung am Elektromagnet zwischen 0 and 30 Volt variiert. Bei einer Spannung von 0 Volt ist kein Magnetfeld mehr vorhanden, auch kein Remanenzmagnetismus. Dadurch kann kein magnetisches Material am Elektromagnet haften bleiben, so dass eine zuverlässige Anwendung gewährleistet ist. Als Zubehör gibt es einen Montagesatz, einen Kunststoffhandgriff sowie ein Handgriffprofil für die Befestigung an herkömmlichen Türen mit dem Zaunsystem Quick-Guard und einem Türspalt von 5 bis 15 Millimeter.
Not-Halt-Taster Smile
Inca ist ein Not-Halt-Taster für den Einbau in Schaltschränke und Bedienfelder. Sein Anschluss erfolgt über abnehmbare Anschlussklemmen. Funktion und Optik des Tasters sind dieselben wie beim Not-Halt-Taster Smile. Sowohl Inca als auch Smile sind mit einer LED ausgestattet, die den aktuellen Zustand des Tasters anzeigt. Leuchtet die LED grün, ist der Not-Halt-Taster nicht aktiviert. Ein rotes Licht weist dahingegen darauf hin, dass der Taster betätigt wurde. Blinkt die LED rot/grün, wurde einer der vorgeschalteten Not-Halt-Taster aktiviert. So lässt sich schnell feststellen, welcher Not-Halt-Taster aktiviert wurde. Genau wie Smile ist auch Inca in zwei Varianten erhältlich: für dynamische und für statische Schaltkreise.
Die Anwender am Lehrstuhl für Hochspannungs- und Anlagentechnik der TU München sind von der Sicherheits-Komplettlösung aus einer Hand von ABB Stotz-Kontakt begeistert. Neben der leicht verständlichen Produktdokumentation und Montage, der EMV-Verträglichkeit und der intuitiven Bedienung der eingesetzten Sicherheitsprodukte von ABB darf vor allem das Angebot von aufeinander abgestimmten Kundenschulungen zum Thema Maschinensicherheit nicht unerwähnt bleiben. bf
Dr.-Ing. Thomas Hinterholzer
Technische Universität München
Günther Bissle
ABB Stotz-Kontakt