“Heute schon getwittert?“, fragte mich eine Lady aus der Hightech-Branche. Die Begegnung der charmanten Social-Network-Art fand im 3D-Experience-Playground statt, in dem die Teilnehmer des Kongresses sich zum Experimentieren, Erforschen und Kennenlernen rund um 3D-Anwendungen trafen. Die Bandbreite war groß: Sie reichte von klassischen Catia-Anwendungen, dem digitalen Schuh-Designstudio bis hin zum eigentlichen Highlight.
In bester 3D-HD-Qualität konnten Besucher beim Living Heart Project am Herzsimulator erleben, wie Ärzte künftig Herzbeschwerden untersuchen und per Netzwerk mit anderen Medizinern verknüpft heilen. Im Mittelpunkt steht dabei die Kombination von realer und virtueller Welt. So taucht beispielsweise die untersuchende Hand des Arztes im virtuellen Herzen auf. Bei diesem Projekt kombiniert Dassault Systèmes das langjährige Know-how auf den Gebieten 3D-Design, 3D-Digital-Mock-Up und Product Lifecycle Management (PLM).
Faszination Nerd
Zum Playground-Besuch aufgefordert hatten Bruno Latchague, Senior Executive Vice President, und Ken Clayton, Vice President 3DS Professional Channel. Ihre Botschaft an die 900 Teilnehmer und die 1000 weltweit via Web zugeschalteten Online-Gäste: „Seien Sie der Game-changer, lassen Sie sich infizieren und inspirieren! Es ist faszinierend, ein Nerd zu sein“.
Den Arbeitsalltag eines faszinierten Nerds beschrieb sehr anschaulich Microsoft-Senior-Director Chris Colyer an einem typischen Beispiel aus dem Konstrukteurs-Alltag, bei dem auch die 3D-Experience-Plattform zum Einsatz kommt: der Entwicklung einer neuen Waschmaschine.
Der Entwickler sammelt für die world class washing machine zunächst Daten, wie erfolgreiche Modelle des Wettbewerbs aussehen. Nach einem Benchmark unter Konkurrenten steht schließlich die Design-Hülle, es geht nun ans Innere: Am virtuellen Modell spielt er alle Anforderungen an das Konsumprodukt durch – etwa unter den Aspekten einfache Herstellbarkeit und Montage sowie ergonomische Instandhaltung und Reparatur.
Weltweiter Engineering-Pool
Über das firmeneigene Intranet schaltet der Ingenieur dann andere Kollegen aus dem weltweiten Engineering-Pool hinzu; etwa einen Fachmann für Instandhaltung, der ihm aus der Ferne beim Gestalten einer reparaturfreundlicheren Maschine hilft. Diese Arbeit endet aber nicht beim Technischen. Auch die späteren Verkaufs- und Marketingaktivitäten des fiktiven Neulings pure motion werden simuliert. „Das ist kollaboratives Engineering in Reinkultur“, sagt Colyer.
Was es dem Anwender nützt, im positiven Sinn ein Computerfreak zu sein, demonstrierten die sogenannten Industry Experience Outbreak Sessions. Unter dem Stichwort Hightech nahmen die Referenten die Auswirkungen auf die Elektronikbranche unter die Lupe. Sie übernimmt laut Olivier Ribet, Vice President High-Tech Industry bei Dassault Systèmes, eine Querschnittsfunktion.
„Computer-Wissenschaft und Kompetenz auf dem Gebiet Elektronik-Entwicklung zählen prinzipiell zu den Aufgaben aller Industriebranchen“, erklärte Ribet. „Hersteller komplexer Geräte müssen heute nicht mehr nur Kompetenz beim Konstruieren mit elektronischen Systemen besitzen, sie müssen die Elektronik auch selbst entwickeln können.“
Einfache Bedienbarkeit à la Smartphone
Bei dieser komplexen Aufgabenstellung sollten die Entwickler aber eines nie vergessen: die Erwartungen der Kinder. Sie sind nämlich laut Ribet die Käufer von morgen, „die eine Welt der offenen Systeme erwarten, die sich leicht bedienen lassen“. Das heißt: Die Bedienung selbst eines sehr komplexen Gerätes muss nach dem Prinzip look and do nahezu ohne Handbuch leicht zu erlernen sein.
Dieser Wunsch rührt von den leicht zu bedienenden Smartphones und Smart Tablets her, die Kinder lieben und nutzen. Diese iWorld prägt die Zukunft der Hightech-Industrie in einem teilweise nicht mehr vorstellbaren rasanten Tempo.
Die Vision ist das Internet der Dinge (IoT: Internet of things), in dem auch Maschinen mit Maschinen selbstständig kommunizieren. „Das Internet of Things wird unser Leben radikal umkrempeln“, stimmte ihm Alex Blanter, Partner bei A.T. Kearney, zu. „Im Jahr 2020 wird es sechs Prozent der Weltwirtschaft beeinflussen.“
Das Beratungsunternehmen geht von 30 Milliarden neuen IoT-Geräten bis 2020 aus. Die Folge sei auf jeden Fall ein total überhitzter Wettbewerb in vielen Branchen. So investieren laut A.T. Kearney allein die Hersteller von elektronischen Speichern wegen des IoT-Hypes aktuell 18 Milliarden US-Dollar in den Bau neuer Fabriken. „In fast allen Industriebranchen wird IoT viele Produkte in Hightech verwandeln“, prophezeite Blanter. „Viele traditionelle Produkte enthalten künftig daher mehr Elektronik, Software und Sensoren.“ Als ein Beispiel nannte er das Elektroauto Tesla, das für viele andere Automobilhersteller mittlerweile als Vorbild dient.
Neue Entwicklungswege
Der Wandel der Fahrzeuge hin zu rollenden Computern erfordert neue Wege beim Entwickeln und Bauen. Über ein ehrgeiziges Vorhaben berichtete Ram Pentakota, Global Chief Engineer bei Johnson Controls. Um in die 3D-Welt zu wechseln, entschied sich der Automobilzulieferer dafür, das Erstellen von 2D-Dateien im Produktions-Engineering zu automatisieren, um auf dieser Basis dann 3D-Master-Modelle mit Hilfe des Catia-Moduls Functional Tolerancing and Annotation (FTA) zu erhalten.
Das Verfahren erprobte das Unternehmen unter anderem in den Bereichen Formenbau, Punktschweißen, Qualitätssicherung und beim Erstellen von Service-Unterlagen. Bewährt hat sich dabei beispielsweise, dass sich mit Catia Solutions spätere Änderungen in der 2D-Zeichnung auf die bereits erstellten 3D-Modelle übertragen lassen.
Die ersten Erfahrungen sind gut, doch der Aufwand ist groß. „Der Umstieg auf 3D-Master-Modelle ist ein kultureller Wechsel“, erklärte Pentakota. Dabei gelte es, sehr viele Bereiche zu berücksichtigen – von den internen Prozessen, Zertifizierungen, Supply-Chain, Kommunikation bis hin zur Kollaboration. Dabei sei aber die „automatische 2D-Erstellung ein guter Zwischenschritt auf dem Weg zur kompletten 3D-Darstellung“. Bewährt hat sich bei Johnson Controls, bei dem 3D-Einstieg die neuen Kommunikationskanäle des Social Networkings zu nutzen.
Vereinheitlichung der Datenbasis
Das Vereinheitlichen der Datenbasis mit Hilfe von Delmia V6 Business geht Honda North America in ihren neun Fabriken an. Werksübergreifend sollen beispielsweise Entwickler und Designer zusammenarbeiten und dabei die gleichen, validierten Informationen aus einer einheitlichen Datenbasis nutzen.
Als Basis dient ihnen laut Melissa Vance, Staff Engineer aus dem Virtual Maturation Team, ein effizientes weltweites Global Manufacturing Verification Tool. Mit seiner Hilfe ließen sich dann auch in Echtzeit wichtige Produktionsdokumente wie etwa Fertigungsstücklisten (MBOM) schnell, effektiv und vor allem einheitlich erstellen.
Ein wesentlicher Vorteil bestehe in einem nahtlosen Prozess, der doppelte Datenerfassung bei jedem Beteiligten vermeidet und so im Sinne von single version of truth für einheitliche Daten sorge. Eine wichtige Voraussetzung etwa für das kollaborative Arbeiten.
„Bis jetzt verlief vieles in einer Dateneinbahnstraße vom Design zur Produktion“, sagte Vance. „Die Entwickler sehen nun, wie ihre CAD-Daten – auch im Vergleich zu den CAM-Dateien – in der Produktion genutzt werden. Entwickler und Downstream-Users können jetzt mit der Einheitsdatenbasis besser zusammenarbeiten.“ Das führe bei den Entwicklern bereits in der Konzeptphase zu einem verbesserten und genaueren Verständnis der Fertigungsprobleme.
„Bei Schichtwechsel bleibt uns oft wenig Zeit für Wartung der Maschinen und Teachen der Roboter“, sagt die Ingenieurin. „Wir nutzen nun die Funktionen von Delmia Robotics, weil es die Offline-Programmierung, Modifizierung und Prüfung von Programmen für Roboter direkt in der Catia 3D-Umgebung ermöglicht.“
Dassault Systèmes stellt auf der Hannover Messe in Halle 7, Stand D28 seine neuesten Produkte vor.