Rund 70 Prozent der Unternehmen wollen ihre Produkte klimaneutral anbieten. Das sagt der Energieeffizienz-Index EEI des vergangenen Jahres aus. Diesen erhebt das Institut für Energieeffizienz in der Produktion EEP der Universität Stuttgart seit 2013 halbjährlich und wertet dazu aktuelle und geplante Maßnahmen sowie Ziele der deutschen Industrie aus. Insgesamt nahmen fast 900 Unternehmen an der aktuellen Erhebung des EEI teil.
„Die aktuelle Situation mit steigenden Energie- und Emissionspreisen sowie der Wechsel in der Bundesregierung lassen Bestrebungen zur Effizienzsteigerung offenbar wieder steigen“, konstatiert Institutsleiter Professor Alexander Sauer.
Der Anteil derer, die bereits an der Dekarbonisierung der eingesetzten Energiequellen arbeiten, ist mit 78 Prozent am höchsten. Die Emissionen der vor- und nachgelagerten Lieferkette zu dekarbonisieren, ist deutlich anspruchsvoller. Dennoch ist der Anteil der Unternehmen, die sich vorgenommen haben, diese Emissionen zu reduzieren, mit 75 Prozent überraschend hoch. Die Allermeisten stehen hier jedoch laut Sauer noch am Anfang.
Zu den ambitionierten Unternehmen gehört Schneider Electric. Das in den Bereichen Energiemanagement sowie Automatisierungstechnik tätige Unternehmen möchte bis 2030 Netto-Null-Emissionen aufweisen. „Unser Geschäftsmodell besteht schon seit langem darin, dass wir Technologien zur Verfügung stellen, die klimafreundliches Wirtschaften im Sinne von Green Deal, EU-Taxonomie und Pariser Klimaabkommen ermöglichen“, sagt Niels Wessel. Der Product Manager Drives für die DACH-Region bei Schneider Electric verweist auf die bei dieser Strategie vorhandenen Synergieeffekte: „Die Features, die eine Anlage zugleich nachhaltiger und wirtschaftlicher machen, sind heute in allen Branchen gefragt.“
Dazu hätten letztlich auch die gestiegenen CO₂-Preise beigetragen.
Da Unternehmen mit klimafreundlicheren Maschinen heute wirklich von großen finanziellen Vorteilen profitierten, seien entsprechend energieeffiziente Anlagen natürlich mehr gefragt denn je. Laut Wessel eine sehr erfreuliche Entwicklung: „Eine nachhaltigere Maschine, die weniger CO₂ emittiert, verkauft sich einfach deutlich besser als ihr weniger klimafreundliches Pendant.“
Nachhaltigkeitsstrategie weit über das Firmenimage hinaus
Vielen Entscheidern ist nach der Beobachtung des Experten für nachhaltige Produktion und Energieeffizienz mittlerweile klar geworden, dass künftige Wettbewerbsfähigkeit eng an Resilienz, Agilität und optimierten Ressourcenverbrauch geknüpft ist. Laut Wessel sollte eine entsprechende Nachhaltigkeitsstrategie weit über das aufpolierte Firmenimage hinausgehen:
„Der beste Anreiz für die Einführung von Nachhaltigkeits-Maßnahmen ist letztlich die Erkenntnis, dass ernstgemeinter Klimaschutz und Nachhaltigkeit eine Menge wirtschaftlicher Vorteile bringen.“
Wer seine Anlage zunächst rein unter Nachhaltigkeits-Gesichtspunkten modernisiert, der werde in Maßnahmen investieren, die einen bedarfsgerechten Umgang mit Energie erlaubt, die die Ausfallsicherheit erhöhen oder ganz einfach die Sichtbarkeit auf viele ansonsten unsichtbare Abläufe und Prozesse verbessern, ist sich Wessel sicher.
Schneider Electric hat über 100 seiner weltweiten Produktionsstandorte zu Smart Factories ausgebaut. Dazu zählt auch das Fertigungswerk für Antriebstechnik im baden-württembergischen Lahr – laut Wessel ein Vorbildcharakter, was den sorgsamen Umgang mit Energie und Ressourcen angeht. Zahlreiche weitere Standorte, darunter Berlin und Regensburg, arbeiten sogar laut Wessel heute schon klimaneutral. Bis 2050 möchte das Unternehmen, das 2021 den Deutschen Nachhaltigkeitspreis in der Kategorie Klima gewonnen hat, auch was das Wertschöpfungsnetzwerk anbelangt, also die Scope 3-Emissionen, klimaneutral agieren. Die F&E-Abteilungen spielen nach der Einschätzung des Klimaschutzexperten bei der Umsetzung eine entscheidende Rolle.
„Denn bereits beim Entwicklungsprozess schreiben wir Nachhaltigkeit in die DNA unserer Lösungen und Produkte ein“, so Wessel.
Fragen, die ganz am Ursprung der Technologieentwicklung beantwortet werden müssen, sind zahlreich: Wie lassen sich Schadstoffe in den Geräten vermeiden?
Wie lässt sich die CO₂-Bilanz eines Produkts über Herstellung, Transport, Betrieb und Entsorgung möglichst gering halten? Was passiert am Ende des Lebenszyklus, eignet sich das Produkt für ein kreislaufwirtschaftliches System? Wessel ist sich sicher:
„Nur wenn hier klare rote Linien gezogen und nicht überschritten werden, sind wir als Hersteller von Nachhaltigkeitslösungen auch wirklich glaubwürdig.“
In diesem Prozess machen sich häufig die Stärken digitaler Technologien besonders bemerkbar. Ein Beispiel ist der effiziente Einsatz erneuerbarer Energien, auf den immer mehr Unternehmen setzen. Besonders wirkungsvoll ist deren Einsatz dann, wenn die Einsatzzeiten von Maschinen und Anlagen in Perioden hoher Grünstromerzeugung fallen.
Ein spannender Ansatz ist Schneider Electric mit der SPS-Steuerung Modicon M262 gelungen.
Über deren API-Schnittstellen kann die Maschine selbstständig Wetterprognosen einholen und ihre Produktionszeiten in Phasen hoher grüner Energieerzeugung legen. „Wird zusätzlich ein Dienstleister konsultiert, der Auskunft über die Energiequellen des gerade bezogenen Stroms gibt, lässt sich die Wirksamkeit dieses Vorgehens sogar unmittelbar verifizieren und dokumentieren“, weiß Wessel.
Positive Effekte der Energiepreise auf Amortisation
Auch bei SEW Eurodrive kennt man die Vorteile eines zeitlichen Anlagenmanagements. Noch mangele es häufig an kurzfristigen Informationen zur Verfügbarkeit regenerativer Energien. Hier werde jedoch die zunehmende Digitalisierung und Vernetzung weiterhelfen, ist man sich beim Antriebshersteller sicher. Die Produkte von SEW unterliegen seit Jahren bereits energiepolitischen und damit mittelbaren klimaschutzrelevanten Vorgaben.
Die gesetzlichen Vorgaben zum Mindestwirkungsgrad von Motoren und Umrichtern führen zum mehrfachen Wechsel der eingesetzten Produkte: vom Motor ohne Vorgaben zur Energiesparklasse IE1, dann zu IE2, dann zu IE3 und nun demnächst zu IE4.
„Jedes Mal müssen die Hersteller ihr Produktportfolio ändern und der Maschinen- und Anlagenbau muss folgen und die neuen Baureihen konstruktiv und mit den neuen Betriebsdaten in der Anwendung berücksichtigen“, beklagt man bei SEW.
Besondere Effekte beobachtet das Unternehmen als Folge der aktuellen Energiekrise. Der damit verbundene Preisanstieg von Energie werfe bei den Nutzern ein höheres Augenmerk auf die Betriebskosten. Denn im gesamten Lebenszyklus eines Motors machen die Betriebskosten in der Regel 95 Prozent aus, nur fünf Prozent entfallen auf den Kaufpreis.
„Klassisch wird eine Grenze von drei Jahren gesehen, indem sich eine Investition amortisieren muss. Steigert sich der Verbrauchspreis um das Drei- bis Fünffache, so reduzieren sich die Amortisationszeit entsprechend. Damit werden jetzt viele in der Vergangenheit abgelehnten Retrofit-Projekte aus der Schublade hervorgeholt und neu gerechnet“, konstatiert der Antriebsspezialist.
Die Rückzahlungszeiten würden damit häufig im Bereich von 12 bis 18 Monaten liegen. Damit habe man neben den Effekten der direkten Reduzierung der unmittelbaren Energiekosten auch die Chance, weiteres Potenzial der Energieeinsparung aus dem Betrieb der Anlage zu realisieren.
Denn neben dem Austausch zu energiesparenden Motoren könne die Nachrüstung mit einer Drehzahlregelung und einem daraus resultieren zeitlich neu bewerteten Anlagenmanagement ein Mehrfaches der Reduktion der Energiekosten ergeben.
Die Energiebilanz der eigenen Produktionsstandorte stehen nach Aussage des Antriebsspezialisten seit Jahren im speziellen Fokus der Geschäftsführung. Der Neu- und Ausbau werde hier konsequent betrieben: Regenwasser auffangen, aufbereiten und nutzen anstelle von Trinkwasser; Installation von Fotovoltaikanlagen auf geeigneten Flächen; Wärmedämmung und Wärmepumpen sind für die Beheizung von Büroflächen präferiert. Aber auch firmenseitige Bereitstellung von Ladeinfrastrukturen für die Förderung des Ausbaus der E-Mobilität der Mitarbeitenden ist erklärtes Ziel. Zudem fördert SEW die Bereitstellung und Nutzung von Leasingfahrrädern.
F&E-Abteilungen als Ermöglicher von Nachhaltigkeit
Klimaneutralität im Jahr 2030 heißt bei Phoenix Contact das Ziel. Der Spezialist für Elektrifizierung, Vernetzung und Automatisierung setzt neben Photovoltaik-Anlagen und Wärmepumpen bei der Energieversorgung der eigenen Standorte unter anderem auf einen Eisspeicher, der sich derzeit im Bau befindet.
„Das Unternehmensziel der All Electric Society erfordert eine klare Ausrichtung auf die Nachhaltigkeit“, sagt Andreas Niebuhr.
Der Senior Director Automation Solutions in der Business-Unit Manufacturing Solutions betont die diesbezügliche Bedeutung der F&E-Abteilungen. Diese würden den Maschinen- und Anlagenbau befähigen, die Nachhaltigkeitsmaßnahmen umzusetzen.
Als wichtige Punkte nennt er neben neuen Maschinenplattformen, die zentrale Energiedatenerfassung und -auswertung sowie Energieeffizienz-Benchmarks alternativer Antriebskonzepte, etwa bei der Wahl zwischen hydraulischen und elektrischen Spritzgießmaschinen.
Zunehmende Anfragen registriert Niebuhr etwa bei der Umsetzung einfacher Möglichkeiten zur Abschaltung von nicht genutzten Montagemaschinen. Entsprechende Konzepte befänden sich in der Einführung. Die Entwicklungsstrategie sei auf diese Anforderungen ausgerichtet worden.
Das Blomberger Unternehmen berechnet und weist sukzessive den Product Ecological Footprint (PEF) für alle seine Produkte aus. Natürlich erfasst man auch den Energie- und Stoffverbrauch der eigenen Produktionsbereiche.
„Die Strategie des Unternehmens liegt in der detaillierten Erfassung der Verbrauchsdaten jeder einzelnen Anlage“, berichtet Niebuhr. Daneben setzt man bei Phoenix Contact auf den Einsatz, die Sektorenkopplung. Power-to-X, Energiespeicherung und bidirektionales Laden von Elektrofahrzeugen sollen zukünftig einen Stromüberschuss für spätere Zeitpunkte verfügbar machen. Entsprechende Konzepte werden aktuell in einem im Bau befindlichen Gebäude realisiert.
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Wasserstoff als Rückgrat der Energiewende
Das Thema Sektorenkopplung und Wasserstoff spielt auch bei 2G Energy, Hersteller von Blockheizkraftwerken (BHKW) eine zunehmend wichtige, fast schon entscheidende Rolle.
„Unsere installierten Anlagen können auch heute schon mit 100 Prozent regenerativen Gasen, egal ob Biogas, Klärgas oder Wasserstoff, betrieben werden“, sagt Stefan Liesner. Das Thema CO₂-Fußabdruck habe sich in den letzten Jahren zu einem zentralen Argument bei Investitionsentscheidungen entwickelt, konstatiert der Head of Public Affairs.
Er ist sich sicher, dass sich Wasserstoff in den nächsten Jahren zu dem Rückgrat der Energiewende entwickeln wird, besonders in Deutschland mit dem gleichzeitigen Ausstieg von Atom- und Kohleenergie. 2G Energy hat weltweit bereits mehr als 20 Projekte mit Wasserstoff-BHKW umgesetzt. „Viele weitere werden folgen“, prognostiziert Liesner. Aktuell plant das Unternehmen aus Heek im westlichen Münsterland am eigenen Produktionsstandort den Einsatz eines Elektrolyseurs in Kombination mit einer PV-Anlage. Ziel ist, den Wasserstoff lokal selbst zur Strom- und Wärmeerzeugung zu nutzen.
„In der Theorie produzieren wir allein durch die BHKW-Teststände schon heute deutlich mehr Strom, als wir am Standort Heek benötigen“, berichtet Liesner. Sicher ist, dass Klimaschutz mittlerweile weit mehr ist als eine Marketingmaßnahme.
Liesner bringt die Situation so auf den Punkt: „Bei unseren Kunden besteht ein hohes Eigeninteresse an Energieeinsparung aus Kostengründen. Das grüne Image hat sicher einen Mehrwert in Sachen Marketing – allerdings ist es wichtig, hier glaubwürdig zu sein.“
5 Hebel für Unternehmen, ihren CO₂-Fußabdruck zu verringern
- CO₂-arme Stromerzeugung:
Hebel der Kategorie 1 umfassen Technologien, mit deren Hilfe der Stromsektor seine Emissionen reduzieren kann. Die Stromindustrie stößt mit jährlich 10 Gt einen beträchtlichen Teil der gesamten Treibhausgasemissionen aus. In dieser Kategorie bieten erneuerbare Energien das größte Einsparpotenzial. Theoretisch ließe sich die Stromerzeugung dadurch vollständig dekarbonisieren. Angesichts der praktischen Grenzen für den Einsatz von erneuerbaren Energien wird das jährliche Einsparpotenzial jedoch auf 5 Gt geschätzt. - Wirtschaftlich tragbare Technologien:
Kategorie 2 umfasst alle vorhandenen und wirtschaftlich tragbaren Technologien, die aktuell zur Emissionsreduzierung in allen Sektoren des verarbeitenden und nicht verarbeitenden Gewerbes eingesetzt werden können. Die wichtigsten Hebel sind Technologien zur Heizungsoptimierung und Wärmerückgewinnung (Einsparung von 1,8 Gt Treibhausgasen) und zur Verbesserung der elektrischen/mechanischen Effizienz (0,8 Gt). - Kostspielige Technologien:
Zu Kategorie 3 gehören Technologien, die zwar derzeit in der einen oder anderen Form verfügbar, aber noch nicht wirtschaftlich tragbar sind – sei es, weil sie zu kostspielig sind oder weil sie noch nicht in einem Umfang eingesetzt werden können, der nennenswerte Auswirkungen hätte. Dazu gehören zum Beispiel die Methan-Abscheidung in der Landwirtschaft oder die vollständige Umstellung auf Elektrofahrzeuge im Bergbau- und Mineralsektor. - Umweltfreundliche Treibstoffe:
Kategorie 4 umfasst alle Technologien, die bei der Ersetzung von fossilen Brennstoffen durch umweltfreundliche Treibstoffe aus Wasserstoff, Biomasse und ‚Power-toX‘-Brennstoffen (P2X) eine Rolle spielen. Zur vollständigen Nutzung des Dekarbonisierungspotenzials muss die Energie für die Herstellung von Wasserstoff und von P2X-Brennstoffen vollständig aus erneuerbaren Quellen stammen. Sobald diese initiale Hürde überwunden ist, können zahlreiche Sektoren und Anwendungen davon profitieren. Insgesamt können die globalen Treibhausgasemissionen durch den Einsatz solcher Treibstoffe um 4,9 Gt verringert werden. - Kohlenstoffabscheidung, -nutzung und -speicherung (CCUS):
In Kategorie 5 geht es um den Einsatz von CCUS-Technologien zur Abscheidung, Verwendung und Speicherung von Treibhausgasen, die bei der Stromerzeugung und anderen industriellen Prozessen anfallen, wo fossile Brennstoffe nicht in wirtschaftlich sinnvoller Weise durch umweltfreundliche Brennstoffe ersetzt werden können oder die bei der Förderung von Erdgas entstehen. Durch solche Technologien können die Gesamtemissionen potenziell um 7,3 Gt reduziert werden.
Quelle: Boston Consulting Group, VDMA