Eine Umbruchsphase, in der Ethernet-Lösungen Feldbussysteme ablösen, ist eingeleitet. Maschinenbauer, die hochflexible und immer produktivere Maschinen herstellen, können aus dieser Phase gestärkt hervorgehen. „Das ist jedoch nur möglich, wenn der Automatisierungsgrad von Maschinen und Anlagen und zugleich die Fertigungsdynamik und die Vernetzung weiter steigen“, erklärt Stefan Schönegger, Geschäftsführer der Ethernet Powerlink Standardization Group (EPSG).
Herkömmliche Feldbusse können dieses Datenaufkommen nicht mehr bewältigen. In einem ersten Schritt haben Maschinenbauer versucht, den Datenmengen mit mehreren Bussystemen Herr zu werden. Zum Beispiel wurden jeweils eigene Netzwerke für Antriebe, Sicherheitstechnik und Sensoren eingesetzt. „Diese parallelen Systeme sind jedoch teuer, schwierig zu synchronisieren, fehleranfällig und mit hohem Wartungsaufwand verbunden“, erklärt Schönegger. Daher setzen sich leistungsfähige Netzwerke auf Ethernet-Basis durch.
„Industrial Ethernet ist hinsichtlich Geschwindigkeit und Bandbreite ein massiver Fortschritt gegenüber herkömmlichen Feldbussen“, so Schönegger. Im Zuge der vierten industriellen Revolution tritt jedoch ein neues Problem auf: Die Zahl der Netzwerkknoten in Maschinen steigt beträchtlich an. Ursache dafür sind unter anderem intelligente Sensoren, zusätzliche Achsen und aufwendige Safety-Lösungen, damit Mensch und Maschine Hand in Hand arbeiten können.
Wenn die Zahl der Knoten im Netzwerk steigt, werden die meisten Systeme jedoch langsamer. Anders verhält es sich bei Powerlink. Die Technologie arbeitet mit dem Broadcast-Prinzip, daher stehen alle Daten jedem Teilnehmer im gesamten Netzwerk zur Verfügung. Es entsteht keine Zeitverzögerung dadurch, dass sämtlicher Datenverkehr über eine zentrale Stelle laufen muss. Der Jitter, also die Taktungenauigkeit, liegt bei unter einer Mikrosekunde. „Diese Präzision ist selbst für ein Echtzeitnetzwerk hervorragend“, sagt Schönegger.
Platz für Big Data
Nicht jedes Industrial Ethernet ist für Industrie 4.0 geeignet. Bei der Entwicklung einiger Protokolle wurde der Fokus ausschließlich auf die Zykluszeit gelegt und außer Acht gelassen, dass über ein Bussystem teilweise viele Daten übertragen werden. Ein Großteil des Datenaufkommens, welches über ein Echtzeitnetzwerk verschickt wird, ist nicht zeitkritisch. Dazu gehören zum Beispiel Servicedaten für Gerätekonfiguration und Diagnose, Prozessdaten zur Archivierung, Safety-Daten oder Videodaten einer Überwachungskamera. Diese generelle Zunahme an Daten wird auch unter dem Begriff „Big Data“ zusammengefasst. Powerlink überträgt diese Informationen in der sogenannten asynchronen Phase. Diese Phase hat keinerlei Einfluss auf die zeitkritischen Daten. Bei Bedarf können in der asynchronen Phase Protokolle wie TCP/IP eingesetzt werden.
In den meisten Fällen gibt es in einer Maschine oder Anlage nur wenige wirklich zeitkritische Prozesse, zum Beispiel die Antriebssteuerung. Die zugehörigen Knoten können durch das sogenannte Multiplexing-Verfahren in jedem Zyklus abgefragt werden, wohingegen allgemeine Statusinformationen, zum Beispiel von Temperatursensoren, weitaus seltener abgefragt werden müssen. Dadurch wird die Datenmenge optimiert und damit die Dauer eines Zyklus‘ perfekt an die jeweilige Applikation angepasst. „Für die Leistungsfähigkeit dieses Konzepts gibt es ein beeindruckendes Beispiel“, erzählt Schönegger und fährt fort: „Bei einer zweidimensionalen Folienstreckanlage des Unternehmens Brückner Maschinenbau haben wir mit Powerlink 728 Achsen mit einer Taktrate von 400 Mikrosekunden synchronisiert. Das ist Weltrekord.“
Topologiefreiheit ohne Spezialhardware
Auch wenn Ethernet grundsätzlich eine freie Wahl der Topologie ermöglicht, muss bei den meisten Industrial-Ethernet-Systemen spezielle Hardware verwendet werden, um dies umzusetzen. Powerlink hingegen gewährt volle Freiheit bei der Wahl der Topologie ohne spezielle Hardware. Das Netzwerk kann problemlos dem Maschinenaufbau angepasst werden. Bus-, Ring- und Baumstrukturen können beliebig kombiniert, abgeändert und ergänzt werden. „Sogar im laufenden Betrieb können Knoten vom Netzwerk getrennt und neue hinzugefügt werden“, sagt Schönegger. „Im Zeitalter flexibler Produktionsprozesse, modularer Maschinen und dezentraler Intelligenz, wie sie Industrie 4.0 vorsieht, ist das ein nicht zu unterschätzender Faktor.“
Zunehmende Flexibilität und Modularität erfordern häufig dezentrale Steuerungskonzepte. Diese lassen sich mit Powerlink leicht umsetzen. Da der Datenverkehr nicht über eine zentrale Stelle geschleust werden muss, können einzelne Netzwerkknoten direkt – also ohne Zeitverlust – miteinander kommunizieren. Zentrale Steuerungslösungen sind durch die hohe Netzwerk-Performance ebenso möglich.
Ringredundanz zum Nulltarif
Ein Ausfall des Netzwerkes kann bei kritischen Applikationen hohe Sachschäden verursachen oder sogar Menschen gefährden. Daher werden entsprechende Maschinen und Anlagen häufig mit aufwendigen Redundanz-Lösungen vor Netzwerkausfällen geschützt. „Mit Powerlink lässt sich eine einfache Ringredundanz bereits für wenige Euro verwirklichen“, erklärt Schönegger. Es wird ein einziges zusätzliches Kabel benötigt, um eine Linie zum Ring zu schließen. Das Erkennen eines Leitungsausfalls innerhalb des Rings und das Umschalten vom ausgefallenen auf den redundanten Kommunikationspfad erfolgen von einem Zyklus auf den nächsten.
Zudem ist das Echtzeitnetzwerk sehr unempfindlich gegenüber elektromagnetischen Störungen, was zu einer hohen Maschinenverfügbarkeit beiträgt. Aufgrund der geringen EMV-Empfindlichkeit kann das Netzwerk problemlos mittels Schleifring oder über Funkverbindungen betrieben werden. Bei Schleifringen der Hersteller Cobham und Schleifring wird sogar eine Datenübertragungsrate von 100 Mbit/s erreicht, ohne dass die Netzwerkstabilität durch die parallele Übertragung der 24-Volt-Stromversorgung und des 750-VDC-Zwischenkreises beeinträchtigen wird. Der durchgängigen Vernetzung der intelligenten Fabrik steht also nichts im Wege.
Gigabit-Ethernet ohne Zusatzkosten
Das Echtzeitnetzwerk entspricht zur Gänze dem Ethernet-Standard IEEE 802.3. „Diese Kompatibilität birgt große Vorteile für Powerlink-Nutzer“, sagt Schönegger. Sie profitieren von den ständigen Weiterentwicklungen der Ethernet-Technologie. Da komplexe Maschinen ein immer höheres Datenaufkommen aufweisen, ist es absehbar, dass die derzeitige Bandbreite von 100 Mbit/s an ihre Grenzen stoßen wird. Aufgrund der Standardkonformität wird es dann ein Leichtes sein, auf Gigabit-Ethernet umzusteigen. „Netzwerke, die zwar auf Ethernet basieren, allerdings nicht mit dem Standard konform sind, werden massiven Entwicklungsaufwand in eine Bandbreitensteigerung stecken und gegebenenfalls sogar neue, proprietäre Hardware entwickeln müssen.“ jl
Technik im Detail: Zu 100 Prozent offen
Powerlink ist eine zu 100 Prozent offene Technologie. Der Protokoll-Stack wurde unter der BSD-Lizenz als Open-Source-Software veröffentlicht und ist von der Plattform www.sourceforge.net bisher mehr als 30.000-mal heruntergeladen worden. Durch seine Offenlegung bietet Powerlink einen hohen Investitionsschutz. Das Echtzeitnetzwerk ist ein reiner Software-Stack und damit auf jeder Hardware-Plattform lauffähig. Die Netzwerkinfrastruktur kann entsprechend der Anwendung vollständig mit handelsüblicher Ethernet-Hardware angelegt werden. Daher liegen die Betriebskosten für die Maschine (Total Cost of Ownership) niedriger als bei jedem anderen Industrial Ethernet.