Bei der ATS-Prüfzelle für Brüggli Industrie übernimmt ein Delta-Roboter das komplette Handling

Bei der ATS-Prüfzelle für Brüggli Industrie übernimmt ein Delta-Roboter das komplette Handling der Stanzteile. (Bild: Beckhoff)

Das Schweizer Sozialunternehmen Brüggli legt den Schwerpunkt auf Ausbildung, Umschulung und Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen oder sonstigen Handicaps. Der Bereich Brüggli Industrie bietet neben Eigenprodukten, wie Hunde-Transportboxen und Fahrradanhänger, vor allem Fertigungs- und Montagedienstleistungen im Metallbereich an. Um hier die hohen Qualitätsansprüche auch bei steigenden Stückzahlen erfüllen zu können, hat Brüggli die bisherige optische Prüfung durch eine vollautomatische Prüfzelle ersetzt. Entwickelt wurde diese von ATS Automation aus St. Gallen.

Universelle und optimal zugängliche Prüfzelle

Die Brüggli-Anlage prüft spezielle Stanzteile für die Automobilindustrie. Entwickelt wurde die Prüfzelle allerdings für den universellen Einsatz, wie ATS-Geschäftsführer Andreas Tobler erläutert: „Das Grundkonzept, das heißt die Teilezuführung, die Prüfzelle – mit den Prüfstationen und dem Delta-Roboter – sowie die Abführbänder, sind so konzipiert, dass sich ohne großen Aufwand auch andere Teile prüfen lassen. Zu ändern sind lediglich die Werkzeugaufnahmen oder Sauggreifer und natürlich die Prozess- und Bildverarbeitungssoftware.“

19-Zoll Touchscreen

Der 19-Zoll-Touchscreen des Einbau-Panel-PC CP6203 bietet ausreichend Fläche für eine übersichtliche Darstellung der mit Twincat HMI erstellten Visualisierung. Bild: Beckhoff

Der Delta-Roboter übernimmt das komplette Handling des Prüflings, um ihn auf Stanz- und Schleiffehler, Kratzer und Verschmutzung sowie auf Fremdkörper in den Bohrungen hin zu begutachten. Bei der Brüggli-Anlage wird zunächst das Stanzteil dem Zuführband entnommen, in die Stirnflächenprüfstation eingelegt und dort über einen induktiven Näherungssensor auf Fehler durch Vertiefungen im Material kontrolliert.

Außerdem werden durch Rütteln und mithilfe von Druckluftdüsen Verschmutzungen entfernt. Anschließend folgt die Oberflächenkontrolle, und zwar an je einer Prüfstation für die Ober- und die Unterseite, mit einer dazwischen geschalteten Drehstation. Hieraus ergeben sich drei auf jeweils 30 Prüfkriterien beruhende Resultate, die vom Bildverarbeitungssystem ausgewertet und als Endergebnis an das Steuerungssystem übergeben werden.

Beckhoff-Team

Von links nach rechts: Stefan Keller, Beckhoff-Vertrieb Ostschweiz, Andreas Tobler und René Meili von ATS sowie Urs Buschor und Giuseppe Pennimpede von Brüggli Industrie. Bild: Beckhoff

Entsprechend dieses Wertes platziert der Delta-Roboter den Prüfling auf eines der beiden Ausführ-Transportbänder – für Gutteile und nachzuprüfende Teile – oder aber in einen seitlichen Ausschusskanal für Fehlteile.

Auf dem Gutteil-Transportband werden zudem jeweils elf Stanzteile aufeinander gestapelt, um letztlich in den entsprechenden Transportschachteln verpackt zu werden.

Eine Besonderheit – so Andreas Tobler – ist der Aufbau als Sechs-Kant-Zelle: „Aufgrund dieser Konstruktionsweise, bei der sich alle Seiten öffnen lassen, ist das Innere der Prüfzelle sehr gut zugänglich.

Die Anordnung des Delta-Roboters im Zentrum erlaubt es, jede Position innerhalb der Zelle auf einer bestimmten Arbeitshöhe mit dem Robotergreifer anzufahren. Die seitlich angebrachten Prüfstationen können zudem im Einrichtbetrieb nach außen geschwenkt werden, was die Zugänglichkeit weiter erhöht.

Urs Buschor, Leiter Technik & Ausbildung Metallberufe bei Brüggli Industrie, ergänzt einen weiteren Aspekt: „Das Reinigen der Anlage wird durch diesen Aufbau deutlich vereinfacht und beschleunigt. Im Sinne der Ergonomie kommt hinzu, dass sich die Bedieneinheit mit dem Einbau-Panel-PC CP6203 am Tragarm sehr flexibel bewegen und um fast 360 Grad drehen lässt. So ist das Panel immer in Reichweite und zum Beispiel bei Wartungsarbeiten dennoch nicht im Weg.“

Kinematik-Bibliothek

Steuerungs- und Antriebstechnik

Die Steuerungs- und Antriebstechnik von Beckhoff – vom Panel-PC CP6203 bis hin zu den Servomotoren AM30xx – ermöglicht einen dynamischen Delta-Roboter und damit einen schnellen und präzisen Prüfablauf. Bild: Beckhoff

Als Steuerungsrechner dient der Einbau-Panel-PC CP6203 mit 19-Zoll-Touchscreen und Intel-Core-2-Duo-Prozessor mit 2,26 Gigahertz. Eingesetzt werden darauf Windows XP als Betriebssystem und Twincat NC I als Steuerungssoftware. Dazu erläutert Andreas Tobler: „Den Hauptvorteil im Sinne eines möglichst einfachen Engineerings waren für uns die vorgegebenen Roboter-
kinematiken. Twincat Kinematic Transformation (Level 3) bietet eine sehr gute Lösung für einen Delta-Roboter, insbesondere wenn dieser – wie in unserem Fall – auf den effizienten Teiletransport mit hoher Geschwindigkeit und relativ einfacher Mechanik ausgelegt ist.

Beim Beginn der Entwicklungsarbeiten vor rund drei Jahren war Beckhoff der einzige Anbieter mit einem offenen Steuerungssystem, bei dem sich mit einem vorgegebenen Kinematik-Modul alle Anforderungen abgestimmt auf unsere eigene Delta-Robotermechanik lösen ließen.“ Und auch auf der Softwareseite gab es durch die Flexibilität von Twincat genügend Raum für individuelle Anpassungen.

So werden die Positionen des Delta-Roboters nicht wie üblich über ein NC-Programm angesteuert, sondern vielmehr direkt in der Software-SPS Twincat PLC. Dazu Andreas Tobler: „Konzeptionell wollten wir die gesamte Prüfzelle aus der SPS heraus steuern können. Hierfür wurde ein spezieller Baustein programmiert, um die Positionen direkt vorgeben zu können. Abgesehen davon reichte für das Engineering eine Parametrierung aus. Dieses Konzept hat die Ablaufsteuerung für uns erheblich vereinfacht. So lassen sich beispielsweise für das Teachen auf einfache Weise die Positionen über das Bedienpanel anfahren und festlegen, – und das, ohne dass eine Änderung vom NC-Programm erforderlich wäre.“

Für die dynamische Umsetzung der Positionsvorgaben sorgen fünf Servo- und zwei Schrittmotorachsen: Drei zweikanalige Servoverstärker AX5206 bewegen über drei Servomotoren AM3033 und zwei AM3022 drei Roboterachsen und auch die Drehteller der beiden Oberflächenprüfstationen. Hinzu kommen außerdem zwei Schrittmotorklemmen EL7031 mit Schrittmotoren der Art AS1000 zur Ansteuerung der zwischengeschalteten Drehstation sowie zwei Ethercat-Koppler EK1100 und insgesamt 55 Ethercat-Klemmen für die I/O-Datenverarbeitung.

Integrierte Steuerungsarchitektur

Allein schon durch die Einbindung der Roboterkinematiken bietet PC-Control mit seiner integrierten Steuerungsarchitektur aus Sicht von René Meili, Entwickler bei ATS, einen großen Vorteil. Und mit Twinsafe sei auch die Maschinensicherheit ein integraler Bestandteil des Gesamtsystems: „Der Panel-PC übernimmt sämtliche Steuerungs- und Visualisierungsaufgaben – von der benutzerfreundlichen Bedienung bis zum Delta-Roboter. Somit werden keine separaten Roboter- und Sicherheitssteuerungen benötigt. Die integrierte Steuerungsarchitektur vereinfacht das Engineering und reduziert die Kosten der Lösung.“

Die Vorteile bestätigt auch Andreas Tobler: „Um die Maschinensicherheit in jedem Betriebszustand gewährleisten zu können, haben wir uns für die integrierte Sicherheitslösung Twinsafe entschieden. Umgesetzt ist dies mit der Twinsafe-PLC EL6900, vier Twinsafe-Digital-Eingangsklemmen EL1904 und einer Twinsafe-Digital-Ausgangsklemme EL2904. Dazu kommen die Twinsafe-Drive-Optionskarten AX5805 der drei Servoverstärker AX5206.

Realisiert wurden auf diese Weise die Sicherheitsfunktionen Not-Halt (STO) und Schutztür-Überwachung. Dabei profitieren wir in hohem Maße von Ethercat, das neben seiner Leistungsfähigkeit zusätzlich den Vorteil der durchgängigen Datenkommunikation bietet. Denn es war von vornherein das Ziel, mit nur einem Bussystem I/O-Daten zu erfassen, Safety zu lösen und Antriebe zu synchronisieren.“

Giuseppe Pennimpede, Teamleiter Qualität und Service bei Brüggli Industrie, nennt einen weiteren Aspekt: „Die Nutzung von Twincat-HMI bietet ebenfalls Vorteile, denn durch die nahtlos integrierte Visualisierung stehen die benötigten Variablen ohne einen Daten-ex- oder -import durchgängig zur Verfügung. Entsprechend schnell und fehlerfrei lassen sich zum Beispiel Variablenänderungen durchführen.“ bf

Technik im Detail

Twincat

Das Beckhoff-Twincat-Softwaresystem verwandelt nahezu jeden kompatiblen PC in eine Echtzeitsteuerung mit Multi-SPS-System, NC-Achsregelung, Programmierumgebung und Bedienstation.
Twincat substituiert daher herkömmliche SPS- und NC/CNC-Steuerungen sowie Bediengeräte. Features sind:
- offene, kompatible PC-Hardware
- Einbettung von IEC 61131-3-Software-SPS, Software-NC und Software-CNC in Windows NT/2000/XP/Vista, Windows 7, NT/XP Embedded, CE
- Programmiersystem und Laufzeit wahlweise auf einem PC oder getrennt
- Anbindung an alle gängigen Feldbusse
- PC-Schnittstellen werden unterstützt
- Datenanbindung an Bedienoberflächen und andere Programme mittels offener Standards (OPC, OCX, DLL etc.).

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