Ein digitaler Zwilling verbindet die reale Welt mit der Simulation - etwa einer Fabrik.

Ein digitaler Zwilling verbindet die reale Welt mit der Simulation - etwa einer Fabrik. (Bild: Adobe Stock – Sergey Nivens)

Das ist keine Doppelarbeit – im Gegenteil. Die Planung einer neuen Fabrik (oder auch „nur“ einer Produktionsline oder einer komplexeren Fertigungsstation) ist eine anspruchsvolle Aufgabe, bei der zahlreiche Parameter zu berücksichtigen sind. Hohe Investitionen werden getätigt und weil diverse Maschinen, Anlagen, Prozesse und Umgebungsbedingungen zusammenwirken, ist auch bei gründlicher Planung und bestem Know-how nicht ausgemacht, dass die Fabrik exakt so läuft, wie der Betreiber es erwartet.

Die digitale Planung mit dem Digital Twin verkürzt die reale Planung ganz erheblich. Sie vermeidet auch Planungsfehler und Iterationsschritte. Die neue Produktionslinie, die Anlage oder die Fabrik ist „first time right“, weil alle Prozesse im Vorfeld realitätsnah simuliert wurden und weil verschiedene Szenarien durchgespielt wurden, um die Zusammenhänge aller Prozesse und Parameter bestmöglich zu verstehen und schon im Vorfeld zu optimieren.

In Kürze

● Die Planung einer Fertigung mit dem Digital Twin verkürzt die reale Planung erheblich.
● Auch Planungsfehler und unnötige Iterationsschritte werden vermieden.
● Digitale Referenzmodelle ermöglichen einen Abgleich mit realen Daten.

Zugegebenermaßen ist der hier beschriebene Prozess zu Beginn etwas aufwändiger. Am Beispiel einer prozesstechnischen Anlage erklärt: Für jede zentrale Komponente einer solchen Anlage (Pumpen, Druckbehälter, Wärmetauscher, Kolben- und/ oder Schraubenkompressoren, Druckbehälter …) und auch für jeden Schritt des Produktionsprozesses benötigt man eine datenbasierte Repräsentanz, eben den digitalen Zwilling.

Wenn das Datenmodell reichhaltig und realitätsnah ist, kann der Planer (zum Beispiel) virtuelle Stoffströme durch die Anlage fördern und deren Veränderung mit allen Parametern (Temperatur, Viskosität …) simulieren und damit auch optimieren. Lange, bevor mit dem Bau der realen Anlage begonnen wurde. Damit wird die Voraussetzung dafür geschaffen, dass der Produktionsprozess effizient und (im besten Fall) „stromlinienförmig“ abläuft, mit geringer Fehlerquote, minimalem Ressourcen- und Energieeinsatz und hoher Qualität des Endproduktes.

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In der Praxis schwer umzusetzen – bisher

So sinnvoll und nützlich dieses Modell auch erscheint – In der Praxis ist es ohne gründliche Vorbereitung nicht umzusetzen. Eine wichtige Quelle für die Simulation der zu bauenden Anlage sind möglichst umfassende Daten aus bestehenden (Brownfield-) Anlagen sowie, noch besser, Daten von Best-Practice-Beispielen für den jeweiligen Prozessschritt bzw. den gesamten Prozess. Wenn solche Quellen nicht vorliegen, d. h. wenn Daten und, wichtiger noch, die Relationen zwischen den Daten fehlen, ist es gut möglich, dass selbst ambitionierte Projekte der Fabrikplanung mit dem digitalen Zwilling nicht zum gewünschten Ziel führen.

Zitat

Im späteren Anlagenbetrieb werden die anlagen- und fertigungsbezogenen Daten mithilfe von Deep-Learning-Modellen immer exakter, weil sie mit den realen Daten abgeglichen werden.

Yves-Antoine Brun, Vice President Wipro Engineering

Vom Start weg digital und KI-gestützt

Wipro hat für diese Aufgabe einen neuen und grundsätzlich anderen, KI-basierten Ansatz gewählt. Die synthetischen Datenmodelle wurden durch Key Noise Parameters (KNPs) und Key Control Parameters (KCPs) angereichert. Unter Key Noise Parameters versteht man Fehler oder irrelevante Daten, die im Betriebsprozess auftreten können, aber keinen Mehrwert haben. Key Control Parameters sind demgegenüber die für das jeweilige Erkenntnisinteresse besonders wichtigen Daten und kommen von Anlagen wie Maschinen oder Steuerungssystemen. Auf Basis dieser zusätzlichen Einsichten kann ein sehr viel realitätsnäheres Modell der zu planenden Anlage entworfen werden, das z. B. mögliche Störfaktoren deutlich genauer einbezieht.

Im späteren Anlagenbetrieb werden die anlagen- und fertigungsbezogenen Daten mithilfe von Deep-Learning-Modellen immer exakter, weil sie mit den realen Daten abgeglichen und entsprechend justiert werden. So entsteht ein „manufacturing brain“, das die Anlage fortwährend optimiert. Die Voraussetzungen dafür sind u. a. ein starker Validierungsmechanismus für die Beispieldaten und das Training der KI-Modelle.

So abstrakt diese Strukturen in der Beschreibung sind, so konkret ist ihr Nutzen in der Praxis. Wipro hat solche Konzepte bereits für diverse Unternehmen u. a. aus der Energiewirtschaft und der Chemieindustrie realisiert. Bestandteil eines solchen Konzeptes ist das reichhaltige 3D-Modell einer Anlage als digitaler Zwilling.

Der Nutzen in der Praxis

Zum Beispiel wurde im Zuge der Planung einer Offshore-LNG-Anlage eine Simulation erstellt, die Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen Anlagenkomponenten, Rohrleitungen, Prozesse darstellte. Auf dieser Basis ließ sich ein „Blueprint“ des Prozesses generieren, an dem sich die Planer und Entwickler der Anlage ebenso orientieren können wie später die Betreiber, konkret etwa die Prozessmanager.

In einem anderen Fall hat Wipro für ein international agierendes Chemieunternehmen einen „Asset Digital Twin“ (siehe Kasten) erstellt und über 45 Betriebsstätten ausgerollt. Dabei sind rund 1.100 prozessrelevante Maschinen und Anlagen integriert.

Bleibt am Ende die Frage: Lohnt sich der anfängliche Aufwand für die Planung und Simulation mit dem digitalen Zwilling? Ganz klar: Jawohl. Das von Wipro entwickelte Konzept des digitalen Zwillings bzw. des „Smart Asset Twins“ bringt Nutzen nicht nur bei der Fabrikplanung, sondern auch Tag für Tag im Anlagenbetrieb. Über viele Jahre hinweg profitiert der Anwender von Kosteneinsparung, besserer Planbarkeit und höherer Produktivität. Damit ist der „Smart Asset Twin“ ein eindrucksvolles Beispiel für den Nutzen von KI-gestützten Managementplattformen in der industriellen Produktion – und das gilt nicht nur in der Chemieindustrie, und es bewährt sich auch bei kleineren Standorten und Anlagen.

Stichwort: Smart Asset Twins

Voll digitale Referenzdatenmodelle ermöglichen einen Abgleich mit realen (Betriebs-)Daten. Sie erfassen Daten in Echtzeit und erlauben u. a. auch eine vorausschauende Fahrweise von Anlagen und Prozessen.

Die Datenmodelle nutzen Künstliche Intelligenz und Machine Learning und sind mit der IT-Infrastruktur des Anwenders, z. B. mit der Prozessleittechnik, vernetzt. Die aktuellen Ergebnisse können als 2D- oder 3D-Modelle in den Leitwarten bzw. auf mobilen Devices visualisiert werden.

Zu den konkreten Nutzeffekten eines solchen „Asset Digital Twins“ oder „Smart Asset Twins“ gehören:

  • Kürzere Planungs- und Inbetriebnahme-zeit von neuen Fabriken/Anlagen oder Produktionslinien.
  • Verkürzter „Return on Invest“.
  • Verbesserte Schulung der Mitarbeiter an neuen (virtuellen bzw. simulierten) Anlagen.
  • Ein Potenzial für Produktivitätssteigerung in der Größenordnung von 25
    bis 50 %.
  • Verbesserung der Effizienz.
  • Klare Darstellung der Prozesszusammenhänge.
  • Verringerter (und transparenter) CO2-Fußabdruck.
  • Verbesserte Möglichkeit der Fernüberwachung und -wartung kann den Zeitaufwand für den Service um 60 bis 80 % senken und die Verfügbarkeit der Anlage steigern.
  • Optimierte und automatisierte Produktionsplanung mit Potenzial für 15 bis 20 % Zeitersparnis.

Autor: Yves-Antoine Brun

Yves-Antoine Brun
Yves-Antoine Brun (Bild: Wipro Engineering)

Vice President und Sector Head Europe bei Wipro Engineering Edge. Er verfügt über 25 Jahre Branchenerfahrung mit einem starken Fokus auf die Märkte Engineering und Manufacturing. Bevor er zu Wipro kam, war Brun CEO eines großen Engineering Service Providers in Deutschland. Als studierter Ingenieur hat er sich in den letzten 25 Jahren hauptsächlich mit der Fertigungsindustrie beschäftigt.

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