Moderne Fahrzeuge sind Computersysteme auf Rädern. Rund 70 Kleinstcomputer, sogenannte eingebettete Systeme (embedded systems), sind in einem Neuwagen verbaut. Sie überwachen, steuern oder regeln bestimmte Fahrfunktionen. Zum Beispiel analysieren Fahrerassistenzsysteme mit Hilfe intelligenter Sensorik ständig die Umgebung und das Fahrverhalten, um bei Gefahr blitzschnell zu reagieren. Die Automobilhersteller vernetzen diese Systeme zunehmend miteinander, um die Sicherheit und den Komfort für die Fahrzeuginsassen zu erhöhen.
Der Trend zum automatisierten Fahren führt dazu, dass die einzelnen Computer immer mehr Software verarbeiten müssen und das Gesamtsystem erheblich komplexer wird. Deshalb benötigen eingebettete Systeme künftig mehr Rechenleistung. Die Grundlagen für eine besonders effiziente Nutzung moderner leistungsfähiger Hardware schafft jetzt ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Bosch: An dem Projekt Amalthea4public arbeiten 21 Partner aus Deutschland, Schweden, Spanien und der Türkei. Die deutschen Projektpartner konzentrieren sich dabei vorrangig auf die Anforderungen der Automobilindustrie. Das Projekt läuft bis August 2017.
Paralleles Rechnen
Die Rechenleistung eingebetteter Systeme lässt sich durch den Einsatz von Mikroprozessoren mit mehreren, parallel arbeitenden Prozessorkernen (CPU) deutlich erhöhen. Im Vergleich zu den bisher verwendeten Einkernprozessoren sind diese bei gleicher Taktfrequenz um ein Vielfaches schneller. Es gibt Mehrkernprozessoren (Multi-Core Processors) und Vielkernprozessoren (Many-Core Processors). Sie unterscheiden sich in Anzahl und Vernetzung der Kerne, wobei Vielkernprozessoren in der Regel mehr als acht Kerne haben. Während Multi-Core-Hardware seit einigen Jahren in Desktopcomputern eingesetzt wird, gilt Many-Core als Zukunftstechnologie für die Verarbeitung großer Datenmengen.
Standards setzen und Entwickler vernetzen
Allerdings sind die Programme, mit denen die Industrie eingebettete Systeme entwickelt, bisher noch nicht auf das parallele Rechnen mit Multi- und Many-Core-Prozessoren ausgelegt. Die Software muss so aufgeteilt und zugeordnet werden, dass sie die neue Hardware optimal nutzt. Das Projektteam von Amalthea4public wird eine Methodik hierfür erarbeiten und eine durchgängige Softwareplattform bereitstellen. Mithilfe dieser Plattform werden Ingenieure zukünftig Multi- und Many-Core-Systeme für ihre Anwendungen effektiv und effizient entwickeln. Die Anforderungen an die neue Hard- und Software sind insbesondere in punkto Qualität und Sicherheit extrem hoch. Schließlich hängen von ihr beim automatisierten Fahren Menschenleben ab.
Die Forscher knüpfen an das Vorgängerprojekt Amalthea an, in dem bereits eine Softwareplattform für Multi-Core-Systeme erarbeitet und veröffentlicht wurde. Diese Plattform wollen sie so erweitern, dass sie auch Many-Core-Systeme unterstützt und Unternehmen ihre gesamten Entwicklungswerkzeuge darin einbinden können. Für ihre Arbeit nutzen die Forscher die Ergebnisse verschiedener öffentlich geförderter Projekte. Die Plattform basiert auf der quelloffenen Entwicklungsumgebung Eclipse und wird jedem Anwender frei zur Verfügung stehen. Zudem will das Konsortium ein Eclipse-Projekt und eine Community aufbauen, welche die Entwickler auch nach Ende des Forschungsprojekts verbindet und unterstützt. Auf diese Weise soll es gelingen, die Ergebnisse von Amalthea4public einem breiten Kreis zugänglich zu machen und als Standard für die Entwicklung eingebetteter Multi- und Many-Core-Systeme zu etablieren.
Standort Deutschland stärken
Deutschland ist weltweit einer der größten Anbieter für eingebettete Systeme und wird von dem Projekt in besonderem Maße profitieren. Es stärkt den Industrie- und Forschungsstandort auch dadurch, dass es sich auf die Zukunftstechnologie Many-Core fokussiert. Mit der einheitlichen Plattform werden Entwicklerteams, zum Beispiel bei Automobilherstellern und deren Zulieferern, Daten effizienter austauschen und so besser zusammenarbeiten können.
Kooperation aus Wirtschaft und Wissenschaft
Das deutsche Konsortium deckt fast die ganze Wertschöpfungskette in der Automobilbranche ab. Außer Bosch und Behr-Hella-Thermocontrol (BHTC) beteiligen sich die Werkzeughersteller itemis und Timing-Architects, das Unternehmen TWT, die europäische Tochtergesellschaft der Eclipse Foundation, das Offis-Institut für Informatik, das Institut für Automation und Kommunikation (ifak), die Projektgruppe Entwurfstechnik Mechatronik des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnologie (IPT-EM), die Fachhochschule Dortmund, die Ostbayerische Technische Hochschule (OTH) Regensburg und die Universität Paderborn. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert die Arbeit der deutschen Projektpartner innerhalb des Zukunftsprojektes Industrie 4.0 mit rund 3,3 Millionen Euro, hinzu kommen Projektpauschalen für die Hochschulen.
Amalthea4public steht für „Enabling of Results from Amalthea and others for Transfer into Application and building a Community“. Das Projekt gehört zum Programm ITEA2 (IT for European Advancement) der europäischen Forschungsinitiative Eureka. Eingebettete Systeme sind nicht nur in der Automobilindustrie ein wesentlicher Innovationstreiber, sondern zum Beispiel auch in der Luftfahrt, Medizintechnik, Elektronik und bei Produktionsanlagen. Die Projektergebnisse sind also für viele Wirtschaftszweige relevant.