Eine kleine Flasche hat Platz im ersten Mini-Kühlschrank mit künstlichen Muskeln. Student Nicolas Scherer (l.) und Doktorand Lukas Ehl forschen im Team der Professoren Stefan Seelecke und Paul Motzki am neuen Kühlsystem.

Eine kleine Flasche hat Platz im ersten Mini-Kühlschrank mit künstlichen Muskeln. Student Nicolas Scherer (l.) und Doktorand Lukas Ehl forschen im Team der Professoren Stefan Seelecke und Paul Motzki am neuen Kühlsystem. (Bild: Oliver Dietze / Universität des Saarlandes)

Das große Ganze

Heizen und Kühlen steht etwa für die Hälfte des gesamten globalen Energieverbrauchs, so die Internationale Organisation für erneuerbare Energien Irena. Aktuelle Kompressionskühlsysteme verbrauchen dabei im Verhältnis etwa dreimal soviel Energie wie eine Heizung vergleichbarer Leistung.

Ein Forscherteam an der Universität des Saarlandes und am Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik (ZeMA) will nun mit der Elastokalorik eine energieeffizientere Kühlmethode praxistauglich machen.

Wie funktioniert "Elastokalorik"?

Die neue Technologie beruht auf einem verblüffend schlichten Prinzip: Wärme wird aus einem Raum abtransportiert, indem Drähte gezogen und wieder entlastet werden. Die sogenannten Formgedächtnisdrähte aus der superelastischen Legierung Nickel-Titan - auch künstliche Muskeln genannt - nehmen dabei in der Kühlkammer Wärme auf und geben diese außen wieder ab. „Mit unserem Verfahren, der Elastokalorik, erreichen wir beim Kühlen Temperaturdifferenzen von rund 20 Grad Celsius ohne klimaschädliche Kältemittel und weit energieeffizienter als mit den heute üblichen Techniken“, erklärt Professor Stefan Seelecke. Der Wirkungsgrad elastokalorischer Materialien beläuft sich auf mehr als das Zehnfache im Vergleich zu heutigen Klimaanlagen oder Kühlschränken.

Stichwort: Formgedächtnis-Legierungen

Um Wärme zu transportieren, nutzen die Forscher die besondere „Superkraft“ der künstlichen Muskeln aus Nickel-Titan: das Formgedächtnis. Drähte dieser Legierung erinnern sich an ihre ursprüngliche Form und nehmen diese wieder an, nachdem sie verformt oder gezogen werden. Ähnlich wie Muskeln werden sie lang und wieder kurz, können entspannen und anspannen.

Der Grund hierfür liegt tief im Inneren der Legierung Nickel-Titan: Diese hat zwei Kristallgitter, zwei Phasen, die sich ineinander umwandeln können. Anders als bei Wasser sind die Phasen nicht fest, flüssig und gasförmig, sondern beide fest. Bei diesen Phasenumwandlungen der Kristallstruktur nehmen die Drähte Wärme auf und geben sie wieder ab. Der Effekt wird verstärkt, wenn mehrere Drähte gebündelt werden: Sie nehmen durch die größere Oberfläche mehr Wärme auf und geben mehr Wärme wieder ab.

Reality Check

So simpel das Prinzip auf den ersten Blick scheint, so komplex sind die Forschungsfragen, die zu klären sind, will man damit einen Kühlkreislauf konstruieren. Im Mini-Kühlschrank, den das Forschungsteam jetzt in Hannover vorstellt, sorgt ein speziell konstruierter, patentierter Nockenantrieb dafür, dass Bündel aus 200 Mikrometer dünnen Nickel-Titan-Drähten fortwährend um eine runde Kühlkammer rotieren: „Während sie im Kreis wandern, werden sie auf der einen Seite belastet, also gezogen, und auf der anderen Seite entlastet“, erklärt Doktorand Lukas Ehl, der am Kühlsystem arbeitet.

Luft wird an den rotierenden Bündeln vorbei in die Kühlkammer geleitet, wo die Drähte entlastet werden und so der Luft Wärme entziehen. In der Kühlkammer zirkuliert die Luft dann dauerhaft um entlastete Drähte. Beim Weiterdrehen transportieren die Drähte Wärme aus der Kühlkammer heraus und geben sie ab, indem sie außen wieder gezogen, also belastet werden. „Etwa zehn bis zwölf Grad Celsius können auf diese Weise in der Kühlkammer erreicht werden“, sagt Student Nicolas Scherer, der im Rahmen seiner Masterarbeit am Projekt forscht.

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So geht es weiter:

Allein bei Kühlschränken soll es nicht bleiben. „Wir wollen das Innovationspotenzial der Elastokalorik in verschiedenste Anwendungsgebiete einbringen, etwa in die Industriekühlung, auch in die E-Mobilität zur Kühlung in Elektrofahrzeugen oder den Haushaltsgerätesektor“, erläutert Paul Motzki. Das Energieministerium der USA wie auch die Kommission der Europäischen Union deklarierten die Saarbrücker Klimatechnologie bereits als zukunftsträchtigste Alternative zu den bisherigen Verfahren.

Noch ein Vorteil der Elastokalorik: Der Wärmetransport durch die superelastischen Drähte funktioniert auch als Wärmepumpe. „Auch beim Heizen erreichen wir Temperaturdifferenzen von rund 20 Grad Celsius“, sagt Stefan Seelecke. Vor dem Hintergrund von Klimawandel und Energieknappheit bei zugleich steigendem Bedarf an Kühlung und Heizen ist das Verfahren also vielversprechend.

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