Im Maschinen- und Anlagenbau werden Kabel und Leitungen oft als störender Faktor wahrgenommen. „Je weniger Leitungen benötigt werden, desto besser“, findet Stefan Hilsenbeck, Senior Engineer Advanced Technology bei Lapp.
Beispiel Servomotoren: Eine bewährte Lösung ist hier, Stromversorgung und Drehgebersignale in einem gemeinsamen Motorhybridkabel zu übertragen. „Aus technischer Sicht sind Hybridkabel schon längst Standard, aber in der Praxis werden immer noch zu zwei Drittel separate Lösungen verwendet, mit einer Leitung für Daten und einer für Strom“, ist seine Beobachtung.
Dabei liegen die Vorteile von Ein-Kabel-Lösungen auf der Hand: „Dank Hybridleitungen wird die Systemintegration einfacher, vor allem bei dynamisch bewegten Anwendungen wie beispielsweise in der Schleppkette. Zudem muss man nur noch einen Stecker statt zwei konfektionieren. Man braucht weniger Platz, die Konfektion geht schneller. Das spart Zeit und damit Geld“, fasst er zusammen. Einsatzmöglichkeiten für Hybridlösungen sieht er unter anderem auch in der Elektromobilität, wo Ladepunkte einerseits mit Strom versorgt werden und andererseits miteinander kommunizieren müssen. „Da dafür die Leitungen oft durch Mauerwerk geführt werden, wären Ein-Kabel-Lösungen auf jeden Fall vorteilhafter in Bezug auf Robustheit, Widerstandsfähigkeit gegenüber Umwelteinflüssen oder Dichtigkeit.“
Liegen energieführende Adern und Datenadern so eng wie in Hybridkabeln, ist eine gute Abschirmung gegeneinander besonders wichtig, um Störungen durch elektromagnetische Felder (EMV) zu vermeiden. Lapp arbeitet derzeit daran, seine zeroCM-Technologie, die durch eine spezielle Verseiltechnik interne Kopplungen verringert und magnetische Abstrahlung stromführender Leitungen nach außen reduziert, auf Hybridkabel zu übertragen. „Hybridkabel der heutigen Generation haben intern viel Schirmung. Oft sind innen bis zu drei Schirmgeflechte verbaut. Unsere Idee ist nun, auf die internen Schirmgeflechte zumindest teilweise zu verzichten, wenn es uns gelingt, die störende Kopplung durch die neuartige Anordnung der Leiter zu lösen“, berichtet Hilsenbeck.
Ersatz für den Schaltschrank
Beckhoff Automation setzt bereits seit längerem auf ‚One-Cable-Technology’ (OCT) bei der Antriebstechnik und auf EtherCAT P für I/O-Technik. „Wir können damit Spannung bis 850 Volt DC und EtherCAT oder ein 24-Volt-Signal in einem Kabel fahren“, berichtet Daniel Siegenbrink, Produktmanager bei Beckhoff.
Via OCT lassen sich Motoren auch an das Beckhoff-MX-System anschließen, das Module für unterschiedlichste Funktionen ohne zusätzliche Kabel miteinander verbindet. Die Kernidee dahinter: den Schaltschrankbau in der althergebrachten Form mit seiner aufwendigen Verdrahtung weitestgehend zu ersetzen. „MX funktioniert nach dem Baukasten-Prinzip: Module mit standardisierten Schnittstellen werden auf einer Grundplatte zusammengesteckt und verschraubt“, erklärt Siegenbrink.
Das spare vor allem Zeit. „Sind für den Aufbau eines Schaltschranks mindestens 24 Stunden und für seine Planung zwei Wochen zu veranschlagen, lässt sich unser System innerhalb eines Tages planen und steht dann inklusive Tests und Prüfungen bereits nach einer Stunde zur Verfügung“, rechnet er. Der große Vorteil für Konstrukteure sei: „Sie können sich aus einem standardisierten Baukasten bedienen, der aus Modulen besteht, die wir funktional und normativ bereits vorgedacht haben. Das entlastet sie und erlaubt ihnen, in Gesamtfunktionen zu denken. Sie müssen sich nicht mehr mit jedem Element einzeln beschäftigen.“ Der Umfang von Schaltplänen reduziere sich ebenso wie der von Stücklisten. Gleichzeitig sinke die Gefahr von Fehlern bei der Verdrahtung.
„Energy Harvesting ist eine Schlüsseltechnologie für
das Industrial Internet of Things (IIoT).“
„Hybridleitungen vereinfachen die Systemintegration, vor allem bei dynamisch bewegten Anwendungen.“
Kabel in Bewegung
Je größer die Maschinen und Anlagen und je umfangreicher die Funktionen, desto komplexer die Verdrahtungsarchitektur. Richtig anspruchsvoll wird es, sobald bewegte Elemente ins Spiel kommen. Doch auch in solchen Fällen ist für Rainer Rössel, Leiter Chainflex Cables bei Igus, eine kabelgebundene Übertragung von Signalen, Daten oder Energie die erste Wahl. Insbesondere, wenn es um „eine Vielzahl an unterschiedlichen Daten und Energiearten in einem sich wiederholenden, vom Bewegungsablauf klar definierten Bereich in einer Energiekette“ geht.
„Der Einsatz von kabelgebundenen Lösungen ist etabliert, sicher und weist fast keine Grenzen auf, wenn es um das Thema große Leistungen und/oder große Datenmengen geht, die es gilt, zu günstigen Kosten zu übertragen. Hier bietet das kabelgebundene, bewegte System klare Vorteile“, stellt er fest. An Grenzen stoßen kabelgebundene Systeme, sobald die Bewegungsabläufe nicht mehr definierbar sind und sich die zu versorgenden Komponenten oder Maschinen frei im Raum bewegen.
Strom ernten und sammeln
Wer komplett auf Kabel verzichten will, greift zu Funk für Signal- und Datentransfer. Voraussetzung dafür: Die Übertragung funktioniert ausreichend zuverlässig und auch die Frage der Energieversorgung ist gelöst. Dr. Peter Spies arbeitet am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS an integrierten Energieversorgungen und energieautarken Funksystemen. „Solche Systeme machen überall da Sinn, wo ich an spezifischen Stellen Daten erfassen will, große Entfernungen überbrücken muss und wo es nicht möglich ist, Kabel zu verlegen oder zu aufwendig wird, dies im Nachhinein zu tun“, erklärt Spies. Etwa an großen Maschinen und Anlagen, in Fabrikhallen oder auf Außengeländen wie Häfen.
Meist geht es um Sensorik und Sensordatenerfassung, gelegentlich um Aktorik. Oder um den Retrofit alter Maschinen mit Sensoren für Condition Monitoring und Predictive Maintenance, um Qualitätsüberwachung in der Produktion oder ganz allgemein darum, Batterielaufzeiten bestehender Systeme zu verlängern. Der Energiebedarf bewegt sich für solche Anwendungen in der Regel in Größenordnungen, die sich gut durch Energy Harvesting abdecken lassen.
„Kabelgebundene Ladetechnik ist weder kostengünstiger noch effektiver als
kabelloses Laden.“
„Eine kabelgebundene Übertragung bietet eine hohe Flexibilität bei den Übertragungsarten und der Kombination von Daten und elektrischer Energie.“
Energy-Harvesting-Systeme zapfen vorhandene Energiequellen aus der Umgebung an wie Licht, Temperaturunterschiede, mechanische Verformung, Bewegung oder Vibration. Ob die Ausbeute reiche, hänge immer von denselben Faktoren ab, so Spies: „Wie lange ernte ich, wieviele Daten muss ich übertragen, wie häufig soll ich senden und wie groß ist die Distanz.“
Damit ausreichende Energiemengen zusammen kommen, verfügen Energy-Harvesting-Syteme über ein Speichermedium – einen Kondensator oder eine aufladbare Batterie. „Diesen Pufferspeicher brauche ich meist für das Funksystem. Es sendet zwar nur sehr kurze Bursts im Zeit-Multiplex. Dafür sind dann jedoch genau zu diesem Zeitpunkt Ströme nötig, die ein Harvester in der erforderlichen Höhe nicht direkt liefern kann“, erklärt er.
Viele Harvester für Anwendungen in der Industrie sind maßgeschneidert. Das gilt vor allem, wenn Licht – sprich Solarzellen – oder Thermogeneratoren als Energielieferanten nicht infrage kommen. Am größten ist die Herausforderung bei Vibrations-Harvestern, die immer genau auf die jeweilige Vibrationsfrequenz und Schwingungsamplitude beispielsweise einer Maschine abgestimmt sein müssen. Dennoch sei die Nachfrage groß, so Spies: „Vor allem durch den steigenden Bedarf an autarken Sensoren für das Industrial Internet of Things. Energy Harvesting ist hier eine Schlüsseltechnologie.“
Volle Power ohne Kabel
„Bei Geräten und Maschinen, die kabellos kommunizieren, ist es wünschenswert, dass auch für die Stromversorgung auf Kabel verzichtet werden kann“, findet Cem Som, Power Transformers and Custom Magnetics Vice President bei Würth Elektronik (WE). Bewährte Formen Energie ohne Kabel zu übertragen sind induktive Kopplung und magnetische Resonanzkopplung. Meist kommen sie in Ladesystemen zum Einsatz. „Kabelgebundene Ladetechnik ist weder kostengünstiger noch effektiver als kabelloses Laden.
Und Letzteres ermöglicht geschlossene oder gar hermetisch versiegelte Gehäuse – wartungsfrei und ohne offene Kontakte, was in vielen Anwendungen von
Vorteil ist“, erklärt er. In Fabrikhallen sieht Som vor allem bei batteriebetriebenen Flurförderzeugen, fahrerlosen Transportsystemen (Automated Guided Vehicle, AGV) und autonomen mobilen Robotern (AMR) einen Trend zum kabellosen Laden. AGV benötigen typischerweise 3 kW, insgesamt seien die Leistungsbereiche von 100 W bis 16 kW in der Industrie besonders interessant.
„Was den Siegeszug des kabellosen Ladens in industriellen Anwendungen ausbremst, ist das Fehlen von Standards“, sagt Som. Der internationale ‚Qi-Standard‘ des Wireless Power Consortium (WPC) regelt bereits die Anforderungen an Consumer-Elektronik in einem unteren Bereich der Leistungsübertragung bis 15 W, der E-Mobility-Standard SAE J2954 das kabellose, stationäre Laden von Elektrofahrzeugen mit bis zu 11 kW. Seitens des WPC gebe es Bestrebungen, zusätzlich einen Standard für industrielle Anwendungen zu entwickeln, auch Würth sei hier engagiert, so Som. „Wenn es erst einen solchen Standard gibt, dann könnten zertifizierte Produkte in großer Zahl schnell Lösungen nach sich ziehen“, erwartet er.
Neben Energie lässt sich auf demselben Weg zusätzlich Information übertragen.
„Durch Modulation des Wechselfeldes zwischen Sender und Empfänger können beliebige Daten von der Empfängerseite an die Senderseite übermittelt werden. Ein Anwendungsbeispiel wäre ein mobiles Gerät, das beim Aufladen einen Statusreport oder Sensordaten an eine Basisstation übermittelt“, skizziert Som das Konzept. Auch sonst sieht er vielfältige Verwendung für kabellose Systeme zur Energieübertragung: „Unserer Meinung nach könnte man die kabellose Stromversorgung auf breiter Front einführen. Neben den Möglichkeiten beim Design robuster, wartungsarmer Geräte bietet die Technik auch die Chance, viel Kupfer für Kabel einzusparen.“
Michaela Neuner, freie Autorin keNEXT