Stephan Burkhart,

Stephan Burkhart ist Director Sales & Application Engineering bei Rheinmetall Automotive / KS Gleitlager. (Bild: KS Gleitlager)

Wie ist die Idee entstanden, neben dem Automobilbereich, der ja Ihre klassische Sparte ist, nun Kunden aus der Industrie zu adressieren?

Burkhart: In der Automobilindustrie sind wir ja seit vielen Jahrzehnten in unterschiedlichsten Applikationsbereichen führend. Wir verfügen über eine große Auswahl geeigneter, guter Materialien, die viele Wettbewerbsvorteile bringen. Vor sieben, acht Jahren haben wir angefangen, uns in ausgesuchten Applikationsbereichen der Industrie, die ähnlich wie Automobilanwendungen funktionieren, zu etablieren. Vor zwei Jahren haben wir dann entdeckt, dass im Bereich der besonders anspruchsvollen Teile, die in kleineren Serien nachgefragt werden, ziemlich viel Bedarf besteht und dass wir dies mit unseren Kompetenzen sehr gut abdecken können.

Hack: Unsere Kernkompetenz, die wir über die Jahre gewonnen haben, ist ja die Erfahrung mit den Anwendungen in anderen Branchen. Dabei stellt der Sektor Automotive im Hinblick auf die qualitativen und prozessualen Anforderungen die Königsklasse dar. Diese Erfahrung lässt sich auch auf neue Felder projizieren.

Heißt das, dass es Anfragen nach besonderen Gleitlagern gab?

Hack: Ja, über unseren internen Vertriebskanal kam des Öfteren das Feedback, dass wir Marktsegmente bedienen könnten, wenn wir zum Beispiel unsere Katalogteile anpassten. Allerdings handelte es sich dabei nicht um Bedarfe wie im Automobilbereich, sondern mal um zehn, hundert oder tausend Stück.

Wie lässt sich das neue Geschäft denn an?

Burkhart: Wir nehmen Fahrt auf. Mit dem neuen Kompetenzzentrum können wir die Lücke zwischen der applikationsspezifischen Großserie im Industriebereich und der per Katalog erhältlichen Standardware gut schließen, indem wir jetzt auch individuell angepasste Teile in kleinen Losgrößen anbieten. Der große Vorteil ist, dass wir dieses komplette Spektrum selbst anbieten, was Seltenheitswert hat. Unsere Wettbewerber lassen diese kleineren Stückzahlen per Lohnfertigung herstellen.

Christian Wollitzer,
Christian Wollitzer weiß als Senior Manager Part Production alles rund um die Fertigung von Lagern, Buchsen und Sonderformen. (Bild: KS Gleitlager)

Hack: Wir bieten ja auch eine große Bandbreite an Materialien an. Das ist eine unserer wesentlichen Stärken. Also können wir unterschiedlichste Applikationen bedienen. Die Industrie hat natürlich andere Anforderungen. Wenn wir jetzt zum Beispiel eine Anfrage erhalten, dann schicken wir in kürzester Zeit ein Angebot und auch die Teile raus. Dabei helfen uns die kurzen Wege. Unsere Vertriebs- und Applikationsmitarbeiter und auch diejenigen, die die Lager fertigen, sitzen praktisch zusammen.

Wieso soll ein Ingenieur oder Konstrukteur aus dem Maschinen- und Anlagenbau Sie kontaktieren? Was bieten Sie ihm, was Ihr Wettbewerber nicht kann?

Burkhart: Wir verfügen, auch dank unserer großen Entwicklungsabteilung und unserer Applikationsingenieure, über eine sehr breite Erfahrung mit Applikationen unterschiedlichster Art. Außerdem verfügen wir über ein breites tribologisches Wissen. Ganz wichtig ist auch: Wir beraten in die individuelle Anwendung rein! Wir verkaufen keinen Standard, sondern nehmen die Anforderungen des Kunden auf und entwickeln eine individuelle Lösung aus Material und Lagerauslegung.

Der Konstrukteur bekommt mit Ihnen also jemanden, der ihm bei Unsicherheit Hilfestellung gibt?

Hack: Genau. Die Lagerauslegung mit der Materialauswahl in Abhängigkeit von zum Beispiel Ermüdungsfestigkeit oder Fresssicherheit wird bei uns separat betrachtet und das ist für uns einer der wichtigsten Bestandteile, mit dem wir uns vom Wettbewerb abheben. Hierzu arbeiten wir in Kundenteams.

Welche Werkstoffe und welche Lagertypen bieten Sie denn an?

Wollitzer: Das sind im Grunde aus Kundensicht drei Lagerkategorien: Zum einen die Metallpolymerlager, Dreistofflager genannt, bei uns intern die Marke Permaglide. Dann haben wir noch die Zweischichtlager, das sind die metallischen Lagerwerkstoffe. Die dritte Werkstoffgruppe ist die Option, mit Monometall zu arbeiten. Außerdem bieten wir noch in unserem Werk in Papenburg die Option, Rohmaterial selbst strangzugießen. Das sind meistens kupferbasierte Bronzewerkstoffe. Weltweit gibt es nur ganz wenige Hersteller, die diese Breite an Materialien selbst im Haus haben, und zwar in Form der gesamten Wertschöpfungskette, die bei der Bandherstellung anfängt. Das sind ja unsere Werkstoffe, wir haben die Patente darauf! Wir liefern unsere Werkstoffe an viele Hersteller, die den Werkstoff dann umformen. Aber beraten im Hinblick beispielsweise der Designauslegung, das können nur ganz Wenige.

Hack: Man darf dabei nicht vergessen: Eine unserer Kernkompetenzen ist, dass wir die Bandmaterialien selbst herstellen und dadurch Qualität erzeugen.

Was hat ein Konstrukteur davon, dass Sie Ihre Werkstoffe selbst herstellen?

Burkhart: Wir können dadurch auch für die kleinen Stückzahlen auf unser komplettes Materialportfolio zurückgreifen und im Prinzip aus der Großserie heraus fertigen. Ein Fertiger wird nur die gängigsten Materialtypen verkaufen. Einer der größten Vorteile ist jedoch, dass wir auf die jeweilige Kundenanwendung eingehen und einen Standardwerkstoff weiter optimieren können. Dadurch können wir beispielsweise im Hinblick auf die Langlebigkeit oder Performance noch mal ein paar Prozent rausholen. Allerdings funktioniert das ganze System nur mit der Beratungskomponente.

Das neue Industrial-Bearings-Zentrum: Details zur Herstellung der Gleitlager

Key Account Manager Tobias Hack zeigt ein in der neuen Produktionszelle gefertigtes Lager. (Bild: KS Gleitlager)
  • Am Hauptsitz von KS Gleitlager in St. Leon-Rot, zwischen Karlsruhe und Heidelberg, ist das neue Industrial Bearings Kompetenzzentrum angesiedelt. Es produziert maßgefertigte Gleitlager bis Losgröße eins für den Industriebereich.

  • Gemäß den spezifischen Kundenanforderungen stellen die Mitarbeiter Buchsen mit einem Durchmesser von zwei bis 600 Millimetern, Bundbuchsen und unterschiedlichste hochpräzise Gleitlager wie beispielsweise Streifen, Scheiben, Segmente oder individuelle Sonderformen her. Industriekunden können dabei aus einem Angebot von über achtzig Werkstoffen auswählen.

  • Das Herzstück ist mit einer Fläche von mehr als 700 m² die sogenannte Produktionszelle. Das Produktionsprogramm umfasst mehr als 3000 aktive Artikel. Hieraus ergeben sich für den Industriekunden große Individualisierungsmöglichkeiten für maßgeschneiderte Lösungen gemäß seinen ganz spezifischen Anforderungen und unabhängig von der Stückzahl.

  • Ein erfahrenes Vertriebs- und Ingenieursteam steht mit seinen kompletten Problemlösungs- und Fertigungskompetenzen und seinem Werkstoff-Know-How als direkter Ansprechpartner zur Verfügung, um mit dem Kunden eine praxisorientierte, schnelle Lösung zu finden.

Hack: Außerdem können Hersteller, die das Material zukaufen und umformen, für die Produkte keine Gewährleistung übernehmen. Ein Beispiel: Ein mittelgroßer Hersteller hat Probleme mit seinen Gleitlagern und findet heraus, dass die Materialien von uns sind. Wir stellen dann fest, dass das Design nicht in Ordnung ist. Der Kunde bekommt im Anschluss die richtige Lagerauslegung und Designkompetenz und kann von uns die Materialien inklusive des Endprodukts haben. Dieser Fall kommt des Öfteren vor! Das ist der Vorteil im Vergleich zu Umformern und Händlern, die Katalogteile verkaufen, ohne zu wissen, wo die Grenzen dieser Materialien liegen.

Wie lange dauert es, bis ein Konstrukteur seinen Prototypen in den Händen hält?

Burkhart: Falls Werkzeug und Rohmaterial vorhanden sind, schaffen wir einen Prototyp tatsächlich in 24 Stunden. Es kam bisher aber nur wenige Male vor, dass es dermaßen schnell gehen musste.

Was sind die Besonderheiten bei Ihrer Produktion?

Wollitzer: Die Besonderheit ist, dass wir sehr flexibel aufgestellt sind. Wir können sowohl kleine als auch große Losgrößen produzieren. Wir haben durch unsere verschiedenen Fertigungsverfahren die Möglichkeiten, auch auf neue Geometrien relativ schnell einzugehen. Zum einen haben wir vollautomatisierte Prozesse, mit denen wir kostengünstig große Stückzahlen herstellen oder auch kleine Losgrößen abbilden können.Zum anderen können wir aber auch alle Prozesse Schritt für Schritt auf Einzelanlagen durchführen.

Manueller Kalibriervorgang,
Manueller Kalibriervorgang im Kompetenzzentrum Industrial Bearings. (Bild: KS Gleitlager)

Hack: Und durch unsere neue Zelle sind wir in der Lage, auch dadurch schnell Produkte in kleineren Stückzahlen herzustellen, indem wir zum Beispiel im Lager vorhandene Standardteile kürzen oder anpassen.

Wollitzer: Oder indem wir Zusatzmerkmale anbringen, wie Bohrungen, Aussparungen oder Nutgeometrien. Das ist im Nachgang sehr schnell möglich, wenn man ein bereits bestehendes Teil nimmt.

Und wie stellen Sie die hohe Qualität sicher?

Wollitzer: Wir definieren schon im Vorfeld, welche Merkmale kritisch zu bewerten sind und auf welche Merkmale wir besonderes Augenmerk legen müssen. Zum anderen haben wir sehr gut ausgebildete Mitarbeiter, die auch selbst die Prüfungen durchführen. Das bedeutet, wenn das Produkt auf der Anlage läuft, muss der Anlagenbediener immer wieder festgelegte, standardisierte Prüfungen durchführen. Der Mitarbeiter muss alle  Prüfergebnisse direkt in ein RQM-System einpflegen, damit wir nachverfolgen können, wie das Teil in der Serie gelaufen ist, welche Prüfungen gemacht wurden und wie die Prüfergebnisse waren.

Lager und Bundbuchsen,
Lager und Bundbuchsen von KS Gleitlager. Das Bild zeigt jedoch nur eine kleine Produktauswahl. Durch die Kombination von Werkstoffauswahl und Abmessung existieren quasi unbegrenzte Möglichkeiten. (Bild: KS Gleitlager)

Was bedeutet: „Wir überzeugen durch unsere hohe Produktgestaltungskompetenz?“

Burkhart: Ein fertiges Produkt bedeutet für uns, dass der Kunde es in der Anwendung einsetzen kann. Dazu kombinieren wir unsere Werkstoff- mit unserer Fertigungskompetenz und erhalten so sehr viele Möglichkeiten, ein individuelles Produkt zu erschaffen.

Sie bieten 73 verschiedene Werkstoffe an?

Burkhart: Ja. Um die Materialdefinition an einem Beispiel zu verdeutlichen: Wenn wir beim Stahl oder Aluminium eines walzplattierten Werkstoffes das Elastizitätsmodul minimal verändern, so erhalten wir neue Werkstoffeigenschaften und damit einen neuen Werkstoff.

Welches ist Ihr häufigster Lagerwerkstoff?

Hack: Im Bereich Gleitlagerbuchsen ist das unser Permaglide-Werkstoff. Das ist ein Dreischicht-Werkstoff mit einer Stahlunterlage, einer Bronzeschicht und einer Permaglide-Schicht oben drauf. Im Bereich motorische Lager kommt oft unser Stahl-Bronzematerial zum Einsatz. Unser Stahl-Aluminiumwerkstoff wird bei uns im Werk schwerpunktmäßig für Anlaufscheiben genutzt, aber auch zum Teil für Buchsen.

Merken Sie im Alltag, dass die Konstrukteure Ihre Beratung brauchen?

Burkhart: Im Industriebereich merken wir das sehr stark, weil das Gleitlager oftmals als C-Teil betrachtet wird, dass man bestenfalls über Katalogware bedient. Dass wir mit unseren Gleitlagern mehr machen können als mit Standardlagern, ist den meisten in der Praxis gar nicht mehr bewusst. Außerdem kann sich ein großer Automobilhersteller unterschiedliche Spezialisten leisten, was bei einem kleineren Industriebetrieb so nicht möglich ist. Dann stehen wir als externe Spezialisten für diese Beratungsleistung zur Verfügung.

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