In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war etwa das Süßen von Tee eine gefährlich und nicht selten blutige Angelegenheit. Zucker wurde damals in Form von Zuckerhüten produziert. Das waren große, bis zu 1,50 hohe Stücke von Kristallzucker in Kegelform, die nach dem Erkalten der Zuckermasse aus Zuckerrohr steinhart waren. Um kleinere, handlichere Stücke für die alltägliche Nutzung zu bekommen, mussten Teile von diesen Kegeln abgeschlagen werden. Dafür gab es spezielle Werkzeuge wie Zuckerhammer, Zuckerhacke, Zuckerbrecher oder Zuckerzange.
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Eine Frau hatte ihre Hand im Spiel...
Das war nicht ohne Risiko für die Bediensteten. Man konnte sich dabei leicht verletzten. Auch Juliane, die Ehefrau von Jakob Christoph Rad, soll sich einmal selbst verletzt haben, als sie Zuckerstückchen anfertigte. Rad, geboren 1799 als Sohn eines österreichischen Militärbeamten, wurde 1840 mit der Leitung einer Zuckerfabrik im mährischen Datschitz (dem heutigen Dačice) betraut. In dieser Zeit begann der gelernte Kaufmann und Freizeit-Erfinder wohl mit seinen Experimenten, den Zucker gleich von Anfang an in ein komfortabler zu nutzende Form zu bringen.
So funktioniert die Würfelzuckerpresse
Im Österreichischen Biographischen Lexikon wird die Funktionsweise der Würfelzuckerpresse folgendermaßen beschrieben: "In eine Platte aus Messing wurden 400 quadratische Löcher gestanzt und auf eine zweite Platte gesetzt. Zuckermehl, das aus den noch nicht ganz getrockneten Zuckerhüten mittels einer Schneidemaschine gewonnen wurde, konnte nun in die Löcher gesiebt werden. Eine Pressmaschine drückte den eingesiebten Zucker auf die Hälfte seines ursprünglichen Volumens zusammen. Sobald die Öffnungen vollständig gefüllt waren, presste sie die Würfel auf eine Holzplatte, auf der sie noch 10 bis 12 Stunden trockneten."
Ob es am Druck von der Ehefrau lag, ist nicht bekannt. Aber schon nach drei Monaten konnte Rad seiner Juliane eine erste Packung mit Zuckerwürfeln als Geschenk präsentieren. Am 23. Januar 1843 wurde Rad ein fünfjähriges kaiserliches Privileg für die Erfindung erteilt, im Jahr darauf folgte noch ein Patent. Der wirtschaftliche Erfolg stellte sich aber nur langsam ein. Doch der kam für die Erfindung später unter ganz anderen Vorzeichen.
Vom Würfelzucker zur Zündkapsel
Die Geschichte der Würfelzuckerpresse zeigt aber auch, wie selbst die scheinbar unschuldigste Erfindung doch für militärische Anwendungen zweckentfremdet werden kann. Verantwortlich dafür war Victor von Alder, der Schwiegersohn von Jakob Christoph Rad. Er modifizierte die Würfelzuckerpresse so, dass sie zur industriellen Erzeugung von Zündkapseln verwendet werden konnte. Das brachte ihm im 1. Weltkrieg eine Monopolstellung ein und ließ ihn zu einem der damals reichsten Österreicher werden.
Der Autor: Peter Koller
Gelernter Politik-Journalist, heute News-Junkie, Robotik-Afficionado und Nerd-Versteher. Chefredakteur des Automatisierungsmagazins Automation NEXT. Peter Koller liebt den Technik-Journalismus, weil es das einzige Themengebiet ist, wo wirklich ständig neue Dinge passieren. Treibstoff: Milchschaum mit Koffein.