Sieht eigentlich ganz simpel aus, ist aber großes Engineering-Kino. Die innere Geometrie eines hocheffizienten Gas-Brenners, der für den Zukunftspreis 2023 nominiert war, ließ sich nur mit additiver Fertigung herstellen.

Sieht eigentlich ganz simpel aus, ist aber großes Engineering-Kino. Die innere Geometrie eines hocheffizienten Gas-Brenners, der für den Zukunftspreis 2023 nominiert war, ließ sich nur mit additiver Fertigung herstellen. (Bild: Ansgar Pudenz / Deutschen Zukunftspreis)

Die Weltklimakonferenz COP28 in Dubai ist in vollem Gange und die Meinungen über den richtigen Weg zu Klimaneutralität gehen weit auseinander. Zugleich ist das Jahr 2023 auf einem nahezu sicheren Weg, das heißeste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen zu werden.

Die Internationale Energieagentur (IEA) hat 2022 in einer Studie geschätzt, dass fast 50 % der Emissionseinsparungen, die für eine Klimaneutralität benötigt werden, durch Technologien erfolgen werden, die sich aktuell noch im Demonstrations- oder Entwicklungsstadium befinden. Umso wichtiger ist es zu beobachten, wie Forschung und Entwicklung im Energie- und Clean-Tech-Bereich verlaufen. Im Folgenden sieben Beispiele für extremes Engineering im Energie-Sektor:

Von Null auf Hundert in ... ups, schon da!

Jeder, der schon einmal mit einem E-Auto gefahren ist weiß, dass die Beschleunigung nicht mit der eines normalen Verbrenners vergleichbar ist. Volles Drehmoment ab der ersten Umdrehung sorgt für Megaspaß beim Ampelstart. Auf die Spitze getrieben haben das nun Studierende der ETH Zürich und der Hochschule Luzern: Mit ihrem selbstgebauten Elektro-​Rennwagen «mythen» haben sie den bisherigen Beschleunigungsweltrekord gebrochen. Innerhalb von nur 0,956 Sekunden und 12,3 Metern beschleunigte der Bolide von 0 auf 100 km/h. Der vorherige Weltrekord von 1,461 Sekunden, aufgestellt im September 2022 von einem Team der Universität Stuttgart, wurde damit um mehr als ein Drittel unterboten. Bilder vom Rekordlauf zeigt das folgende Yoututbe-Video:

Alle Komponenten von «mythen», angefangen von den Leiterplatten bis hin zum Chassis und dem Akku, wurden von den Studierenden selbst entwickelt. Dank des Einsatzes von leichtem Carbon und Aluminium-​Waben wiegt das Rennauto gerade mal rund 140 Kilo. Vier selbst entwickelte Radnabenmotoren sowie ein spezieller Antriebsstrang verleihen dem Fahrzeug eine Leistung von 240 Kilowatt (326 PS). Um von Anfang an eine starke Bodenhaftung zu gewährleisten, haben die Studierenden des AMZ-​Teams eine Art Staubsauger entwickelt, der das Fahrzeug an den Boden saugt. Dadurch kann die Leistung möglichst effizient auf den Asphalt übertragen werden.

Von München bis Kairo mit einer Akkuladung

Rekordfahrt im Flugzeughangar: mit beschaulichen 26 km/h drehte der muc022 auf dem Münchner Flughafen seine Kreise.
Rekordfahrt im Flugzeughangar: mit beschaulichen 26 km/h drehte der muc022 auf dem Münchner Flughafen seine Kreise. (Bild: TUfast Eco Team)

Noch ein E-Auto-Weltrekord, aber diesmal ganz anderer Art: 2573,79 Kilometer - ziemlich genau die Flugentfernung zwischen München und Kairo - hat ein Batteriefahrzeug der TU München in einem Stück zurückgelegt. Damit ist der „muc022“ das reichweitenstärkste Elektroauto der Welt. Um die Rekordfahrt zu ermöglichen, stellte der Flughafen München einen leeren Flugzeughangar zur Verfügung. Am Ende standen nach 99 Stunden Fahrzeit 2.573,79 Kilometer auf dem Tacho. Übersetzt bedeutet das Resultat auch, dass das TUfast Eco Team einen Verbrauch von 0,6 Kilowattstunden auf 100 Kilometer verzeichnen kann. Zum Vergleich: Extrem sparsame Serienfahrzeuge verbrauchen rund 13 kWh auf 100 Kilometer.

Das Entwicklerteam mit dem muc022.
Das Entwicklerteam mit dem muc022. (Bild: Viktoriya Zayika / MCube)

Dementsprechend benötigte das Rekordfahrzeug auch nur eine Traktionsbatterie mit einer Akkukapazität vom 15,5 Kilowattstunden. Für den Antrieb sorgte ein permanent erregter Synchronmotor (PSM) mit einer Leistung von 400 Watt. Für die enorme Reichweite sorgten ein extrem niedriger Widerstandsbeiwert (cW-Wert) von 0,159 und ein Leergewicht des Fahrzeugs von 170 Kilogramm - vor allem aber das beschauliche Tempo von 26 Kilometern pro Stunde im Durchschnitt.

Elektrotechnik extrem auf hoher See

1.900 Tonnen am Haken: die Umspannstation für den Offshore-Windpark Gode Wind 3 auf dem Weg zu ihrem Monopile-Fundament.
1.900 Tonnen am Haken: die Umspannstation für den Offshore-Windpark Gode Wind 3 auf dem Weg zu ihrem Monopile-Fundament. (Bild: Orsted)

Ohne elektrische Energie ist Industrie im 21. Jahrhundert kaum denkbar. Günstig soll sie sein, immer verfügbar und zugleich nachhaltig erzeugt...

An einem Sommertag Ende August 2023 hat ein Kranschiff in der Nordsee die Umspannstation für den Offshore-Windpark Gode Wind 3 auf dessen Monopile-Fundament gehoben. Um Windstrom von hoher See zu den Industriekunden an Land zu bringen, ist Elektrotechnik extrem erforderlich. An die 1.900 Tonnen schwere Umspannstation werden 23 Offshore-Windturbinen mit insgesamt 253 MW Leistung angeschlossen.

Die Energie fließt von dort zur Offshore-Plattform DolWin kappa des Netzbetreibers Tennet. Dort wird der 155-kV-Drehstrom aus mehreren Windparks gesammelt, in Gleichstrom mit 320.000 Volt Spannung umgewandelt und über ein 45 Kilometer langes Unterseekabel an Land gebracht. 900 Millionen Watt können dank der hocheffizienten Hochspannungsgleichstromübertragung (HGÜ) maximal transportiert werden.

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Der Power-Drachen

EnerKíte präsentiert Hochleistungsflügel auf der Husum Wind
Der innovative Gitterschalenflügel für Flugwindkraftanlagen von Enerkite. / (Bild: Enerkite GmbH)

Windkraftanlagen sind umso effizienter, je höher sie sind. Der Grund: In größeren Höhen weht der Wind stärker und stetiger. Allerdings werden klassische Windturbinen mit immer größerer Nabenhöhe auch immer schwerer, komplexer und teurer. Einen Ausweg aus dem DIlemma können Flugwindkraftanlagen weisen. Hightech-Versionen der altbekannten Drachen, die Kinder im Herbst gerne steigen lassen. Das von Enerkite entwickelte System besteht aus einem sehr schlanken Flügel, der aber zugleich äußerst biege- und torsionssteif ist. Nach der anspruchsvollen Entwicklung des automatischen Rotationsstarts ist das Flügeldesign nun final validiert und damit ein weiterer wichtiger Meilenstein in der Produktentwicklung erreicht.

Konzeptentwurf einer mobile E-Auto-Ladeinfrastruktur mit Stromversorgung durch Flugwindkraftanlagen.
Konzeptentwurf einer mobile E-Auto-Ladeinfrastruktur mit Stromversorgung durch Flugwindkraftanlagen. (Bild: Enerkite GmbH)

Flugwindkraftanlagen können den Ausbau der Windstromerzeugung stark beschleunigen. Das finale Produkt soll in 40-Fuß-Containern mit Sattelschleppern oder Tiefladern zum Einsatzstandort transportiert und schnell in Betrieb genommen werden. Aufgrund der stetigen und starken Höhenwinde soll die Power-Drachen den doppelten Jahresertrag einer konventionellen Windturbine gleicher Leistung liefern können.

Der VW-Konzern und Enerkite arbeiten gemeinsam an einer mobilen E-Tankstelle für Elektroautos, die von Flugwindkraftanlagen mit Strom versorgt werden soll.

Aber wie wird der Strom eigentlich genau erzeugt? Enerkites arbeiten in zwei Phasen:

  • In der Arbeitsphase fliegt der Flügel bei maximaler Seilkraft in liegenden Achten quer zum Wind. Das Seil wird herausgelassen und treibt eine Generatorwinde am Boden an.
  • In der Rückholphase gleitet der Flügel schnellstmöglich zum Ausgangspunkt zurück. Der Generator arbeitet hier im Motorbetrieb. Hier schließt sich der Zyklus.
  • In der langen Arbeitsphase ist die Kraft etwa zehnmal so groß wie in der kurzen Rückholphase. Somit liefert jeder Zyklus einen positiven Energiebeitrag. Eine Steuerung regelt dabei den zyklischen Ablauf, begrenzt die Lastspitzen und passt den Flugpfad optimal den sich ändernden Windbedingungen an.

Das folgende Youtube-Video zeigt einen Testflug mit dem neuen Hochleistungsflügel EK200:

 

Die Windturbine, die alles auf den Kopf stellt

Soll eine erheblich höhere Energiedichte als klassische Windturbinen liefern: die Counter-rotating vertical axis turbine.
Soll eine erheblich höhere Energiedichte als klassische Windturbinen liefern: die Counter-rotating vertical axis turbine. (Bild: WorldWideWind)

Auch die klassische, turmbasierte Windturbine ist noch längst nicht ausentwickelt - zumindest wenn man dem Denkansatz des norwegischen Start-ups WorldWideWind folgt. Das Konzept der Norweger basiert auf einem schwimmenden Turm, an dem in unterschiedlichen Höhen zwei gegenläufig rotierende, horizontale Turbinenräder angebracht sind. Der Generator ist dabei im "Fuß" der Anlage unter Wasser eingebaut und stabilisiert den Turm im Wellengang. Aber das sind nicht die einzigen Besondernheiten der CRVT (Counter-rotating vertical axis turbines). Die Dreiblatt-Propeller verfügen über seitliche Streben, sodass ein Konus entsteht, der mehr Windenergie einfangen kann. Durch den Verzicht auf ein Umlenkgetriebe kann der Generator von den Wellen direkt angetrieben werden, so dass weniger Energie verloren geht.

Die folgende Grafik zeigt die Details der CRVT:

Weist eine Vielzahl interessanter Detaillösungen auf: die Counter-rotating vertical axis turbine.
Weist eine Vielzahl interessanter Detaillösungen auf: die Counter-rotating vertical axis turbine. (Bild: WorldWideWind)

Im Ergebnis soll die CRVT 30 % leichter sein als gleichstarke herkömmliche Turbinen und bis zu einer Größe von 400 Meter und einer Leistung von 40 MW skalieren. Auf diese Weise sollen die Gestehungskosten für Offshore-Windstrom auf die Hälfte herkömmlicher Hochsee-Turbinen sinken. Ob das wirklich klappt, soll in Kürze ein Testlauf in norwegischen Gewässern mit einem19 Meter hohen Prototypen zeigen.

Drei Männer und ein Brenner

Der 3-D-Reku-Brenner mit seinen Entwicklern (v.l.): Dipl.-Ing. (FH) Jens te Kaat (Geschäftsführender Gesellschafter Kueppers Solutions) und seine Mitarbeiter Bernd-Henning Feller und Dan-Adrian Moldovan.
Der 3-D-Reku-Brenner mit seinen Entwicklern (v.l.): Dipl.-Ing. (FH) Jens te Kaat (Geschäftsführender Gesellschafter Kueppers Solutions) und seine Mitarbeiter Bernd-Henning Feller und Dan-Adrian Moldovan. (Bild: Ansgar Pudenz)

Manchmal kommen große technologische Errungenschaften in vergleichsweise bescheidenem Gewand daher. Ein Beispiel dafür ist der 3-D-Reku-Brenner, der mit seinen Entwicklern für den Zukunftspreis des Bundespräsidenten 2023 nominiert ist. Viele Industriebranchen benötigen für die Herstellung ihrer Produkte große Mengen an Wärme, die bislang vor allem aus Erdgas erzeugt werden. Nun ist Erdgas sehr teuer geworden und zudem als fossiler Brennstoff nicht zukunftsfähig.

Der von Kueppers Solutions in Dortmund entwickelte Gasbrenner geht beide Probleme an. Zum einen reduziert er den Bedarf an Erdgas – und damit die CO2-Emissionen – im Vergleich zu herkömmlichen Brennern um 12 bis 50 Prozent und produziert zudem viel weniger Stickoxide. Zum anderen kann er perspektivisch auch mit grünem Wasserstoff betrieben werden und ist damit eine Brücke zu einer nachhaltigen Prozesswärme-Erzeugung.

Dafür war einiges an smartem Engineering notwendig: Ein Kernelement des 3-D-Reku-Brenners ist ein Wärmetauscher mit der Bezeichnung iRecu. Der Wärmetauscher nutzt mathematisch komplexe TPMS-Strukturen (Triply Periodic Minimal Surface, die nur über Computerprogramme berechnet und nur im 3D-Druck gefertig werden können.

Concentrated Solar Power (CSP)

Die Nutzung von Sonnenenergie hat sich ja mittlerweile zur am schnellsten wachsenden erneuerbaren Energiequelle gemausert, dank ihrer Vielseitigkeit. Photovoltaik oder Solarthermie finden sich auf Hausdächern, als Parkplatzüberdachung, bis hin zu großen Kraftwerken, die sich über mehrere Quadratkilometer erstrecken. Oft übersehen wird dabei eine dritte Form der Solarenergiegewinnung, nämlich die in Form von Solarturmkraftwerken. Dabei wird das Sonnenlicht über eine große Anzahl von Spiegeln auf einen kleinen Punkt an der Spitze eines Turms konzentriert. Dort entstehen Temperaturen von mehr als 1000 Grad Celsius, die genutzt werden, um ein Trägermedium wie etwa flüssiges Salz zu erhitzen. Über das Trägermedium wird an anderer Stelle Wasser in Dampf umgewandelt und damit eine Turbine angetrieben.

Ging Mitte 2021 in Betrieb: Das Solarturmkraftwerk Cerro Dominador in der Atacama-Wüste.
Ging Mitte 2021 in Betrieb: Das Solarturmkraftwerk Cerro Dominador in der Atacama-Wüste. (Bild: acciona)

Eines der größten Kraftwerke dieser Art befindet sich in der chilenischen Atacama-Wüste - und ein Kraftwerksbau an diesem Ort erfordert ein besonderes Engineering. Die Atacama-Hochebene ist einer der trockensten Orte der Erde - und zugleich einer mit der höchsten Sonneneinstrahlung von durchschnittlich 4000 Stunden pro Jahr. Zum Vergleich: Berlin verzeichnet mit etwa 1.746,7 Sonnenstunden pro Jahr weniger als die Hälfte davon.

Der mithilfe einer beweglichen Verschalung gebaute 252 Meter hohe Turm des Kraftwerks.
Der mithilfe einer beweglichen Verschalung gebaute 252 Meter hohe Turm des Kraftwerks. (Bild: ferrovial)

Unter diesen unwirtlichen Bedingungen und begleitet von kleineren Erdbeben hat der Projektentwickler acciona das Cerro Dominador Kraftwerk in die Wüste gebaut. 10.600 Heliostaten (in zwei Ebenen gebogene Spiegel) auf einer Fläche von 700 Hektar bündeln computergesteuert das Sonnenlicht auf einen Receiver in 252 Metern Höhe. Die erzeugte Leistung beträgt 110 MW - und kann durch die Speicherfähigkeit des geschmolzenen Salzes quasi rund um die Uhr abgerufen werden.

Für den Bau des Solarturms kam eine besondere Bautechnik zum Einsatz: eine bewegliche Verschalung. Diese umfasst nur einen geringen Teil der Turmhöhe und bewegt sich stattdessen mit einer Geschwindigkeit von 5 bis 20 Zentimetern pro Stunde weiter nach oben, während der Beton darin aushärtet.

Dank des Solarturmkraftwerks können jährlich etwa 400.000 Tonnen CO2 eingespart werden.

Der Autor: Peter Koller

Peter Koller
(Bild: Anna McMaster)

Gelernter Politik-Journalist, heute News-Junkie, Robotik-Afficionado und Nerd-Versteher. Chefredakteur des Automatisierungsmagazins IEE. Peter Koller liebt den Technik-Journalismus, weil es das einzige Themengebiet ist, wo wirklich ständig neue Dinge passieren. Treibstoff: Milchschaum mit Koffein.

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