Der Wind hat sich stark gedreht. Vor zehn Jahren war weltweit das Handelsvolumen noch fast doppelt so hoch wie das Wirtschaftsvolumen. Steigende Automation und damit verbunden die Rückholung der Produktion ins Verbraucherland ist laut dem Verband für Schiffbau und Meerestechnik (VSM) einer der stärksten Gründe für diese Entwicklung. Weltweit sorgen hohe Überkapazitäten für niedrige Transportraten und Ebbe in den Investitionskassen. Seit 2012 ist die Gross-Tonnage (GT) neu beauftragter Schiffe weltweit um fast 90 Prozent auf elf Millionen GT in 2016 abgestürzt.
Trotz der angespannten Marktlage im Frachtbereich konnten sich deutsche Schiffbauer durch Fokussierung auf Nischen wie Kreuzfahrtschiffe und Megayachten, aber auch Fähren und Spezialschiffe für Behörden und Forschungszwecke Aufträge für knapp 18,5 Milliarden Euro sichern. Immerhin ein Anteil von 18 Prozent am weltweiten Auftragsmarkt. Drei Viertel aller deutschen Komponenten für maritime Maschinen und Anlagen werden ins Ausland geliefert. Das setzt die Zulieferer unter Druck. Die Exportnation Deutschland spürt stärker werdenden Gegenwind. Doch die Politik legt mit der maritimen Agenda 2025 den Kurs fest. Hauptziele sind neben Ausbau der Technologieführerschaft, Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und des Klimaschutzes vor allem der Ausbau der digitalen Infrastruktur.
Neuer Aufwind
Maritim 4.0 mit Konzepten für autonome Schifffahrt soll der Branche neuen Aufwind geben. Breitbandanschlüsse mit mindestens 1 GBit-Datenraten bei Herstellern und Häfen werden gefördert. Ein Beispiel dafür ist die Hochseeinsel Helgoland, die vom Bund aktuell unterstützt wird: Über die Bereitstellung von Satellitendaten soll IT-Unternehmen die Entwicklung von neuen, sicherheitskritischen Echtzeit-Anwendungen wie Assistenzsystemen für (teil-) autonomen Schiffsbetrieb und optimierte Routennavigation, aber auch Hafenüberwachung, ermöglicht werden.
Im Bereich Klimaschutz werden seit 2016 in dem zehnjährigen Leuchtturmprojekt e4ships Wasserstoffzellen- und Brennstoffzellentechnologie gefördert, um die durch Bordstromversorgung und Schiffsantrieb erzeugten Emissionen stark zu reduzieren. Laut VSM konnten in 2016 durch das BMWi-Förderprogramm „Maritime Technologien der nächsten Generation“ 22 neue Verbundforschungsvorhaben mit 86 Teilvorhaben begonnen werden, die mit insgesamt 35,1 Millionen Euro gefördert werden.
Auf europäischer Ebene gibt es im Rahmen des Horizon2020-Programms Fördermittel. Beteiligungs- und Wagniskapital können Start-ups und KMU unter den Stichworten Blue Careers, Blue Labs und Blue Technology erhalten. Aber auch strategische Partnerschaften wie mit Big Blue sind ein guter Weg, um neuen Technologien Auftrieb zu geben: Gemeinsam mit IBM setzt Transportriese Maersk auf eine komplette Digitalisierung seiner Logistikprozesse.
Zur Verwaltung der Frachtinformationen haben die Partner ein System auf Basis von IBMs Blockchain-Lösung Hyperledger Fabric entwickelt. Profitieren soll ein ganzes Netzwerk aus Spediteuren, Reedereien, Häfen und Zollbehörden, das IBM und Maersk mit der Lösung weltweit zusammenbringen will. Da nur zehn Prozent aller global transportierten Güter ohne Schifffahrt in der Lieferkette auskommen, ist das Potenzial zur Steigerung der Wirtschaftlichkeit und Fehlervermeidung enorm. Die Aufrechterhaltung der Kühlkette einer Lieferung von Ostafrika nach Europa erforderte laut Maersk in den vergangenen Jahren allein mehr als 200 unterschiedliche Interaktionen von knapp 30 beteiligten Parteien.
Datentsunami mit Cloud Azure bändigen
Big Blue ist nicht der Einzige, mit dem Maersk gemeinsam die Segel setzt. Mit dem Riesen aus Redmond soll der Datentsunami, der bei steigender Digitalisierung der Prozesse von Logistik bis hin zu Instandhaltung anrollt, in Microsofts Cloud Azure aufgefangen werden. Allein von der Flotte werden monatlich 30 Terabyte per Satellit übertragen. Abläufe zu über 600 Schiffen, die weltweit gut 70 Häfen ansteuern und jährlich über 17 Millionen Container transportieren, sowie die damit verbundenen vier Millionen Reparaturarbeiten pro Jahr sind zu analysieren und auszuwerten, um die Auslastung der Flotte zu maximieren und so über zehn Millionen Euro einzusparen.
Kunden der Logistik-Firma erhalten laut Ibrahim Gokcen, Chief Digital Officer Maersk, zukünftig über die gesamte Lieferkette hinweg detaillierte Einblicke und damit eine höhere Transparenz für ihre eigene Planung. Maersks hausinterner Digitalisierungsbereich Damco wird einige Anwendungen als eigenständige Apps über den Maersk App Store bereitstellen, insbesondere für strategisch wichtige Abläufe wie die Zollabfertigung.
Disruptive Ideen zu digitalen Diensten, wie sie im Privatbereich durch AirBnB, Uber oder die Banking-App N26 bekannt sind, machen auch vor der Schiffslogistik nicht halt. Das Berliner Startup Freight Hub will den Meerestransport mit Fracht-2.0-Diensten revolutionieren. Als Full-Service-Spedition ohne eigene Assets flanscht sich der Service auf die Angebote der Reedereien und kann dadurch digitales Containertracking und die Verwaltung von Frachtdokumenten ermöglichen.