Igus-Geschäftsführer Frank Blase will das Unternehmen auf eine nachhaltige Zukunft ausrichten, ohne dabei in Aktionismus zu verfallen.

Igus-Geschäftsführer Frank Blase will das Unternehmen auf eine nachhaltige Zukunft ausrichten, ohne dabei in Aktionismus zu verfallen. (Bild: P. Koller)

Das Bild hat ohne Zweifel Symbolcharakter: Auf dem wandfüllenden Display im Showroom von Igus ist das vertraute Logo des Kölner Unternehmens zu sehen. Nur, dass das bekannte Orange des Schriftzugs nach und nach in ein moosiges Dunkelgrün übergeht. Vor der Videowand steht Frank Blase, Geschäftsführer des Unternehmens, das im vergangenen Jahr erstmals die Milliardengrenze überschritten hat: hemdsärmelig und zugänglich, zugleich leise und nachdenklich. Eigenschaften, die Frank Blase prägen – und ebenso das Unternehmen, das er leitet.

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Igus-Logo
(Bild: Igus)

Um Nachhaltigkeit soll es bei dem Presseworkshop in Köln gehen und Blase zitiert lieber ausführlich aus dem Buch des tschechisch-kanadischen Wissenschaftlers Vaclav Smil, als mit seinen eigenen Überzeugungen gleich ins Haus zu fallen. Smil hat in seinem Buch drei zentrale Thesen aufgestellt, die Blase paraphrasiert: Erstens werden wir in diesem Jahrhundert noch nicht auf fossile Rohstoffe verzichten können, zweitens werde es viel länger dauern als geplant, die Energie- und Wärmewende zu schaffen und drittens: nicht panisch werden und den Weg dennoch unbeirrt weitergehen. Smil sagt von sich selbst, er sei weder Optimist noch Pessimist, sondern Wissenschaftler. Und als solcher liefert er eine solide Datenbasis für seine Thesen. Etwa die begrenzte Aussagekraft von Prognosen. Ende der 1980er-Jahre habe niemand den wirtschaftlichen Aufstieg von China auf dem Schirm gehabt, heute ist das Reich der Mitte einer der größten Energieverbraucher weltweit.

Frank Blase nutzt die Gelegenheit für ein Eingeständnis: Gerade aufgrund solcher Unsicherheiten bei der Vorhersage von Entwicklungen habe er das Thema Klimawandel bis zum Jahr 2016 nicht wirklich ernst genommen. Das hat sich grundlegend geändert: „Wir stehen vielleicht vor dem größten Veränderungs-Boom der Weltgeschichte“. Man merkt ihm den Willen an, diese Veränderung mit voranzutreiben. Aber eben auf seine ganz eigene Weise: hemdsärmelig und nachdenklich. Eher durch viele kleine Maßnahmen dort, wo man sich auskennt, als durch die große Wette auf grandiose Maßnahmen. „Weniger wegschmeißen, anders essen, besser isolieren“, so sein Mantra. Mit einem Beispiel verdeutlicht er, dass manchmal ein bisschen Nachdenken und eine kleine Verhaltensänderung viel bewegen kann. Er erzählt von Azubis im Haus, die vorgeschlagen hatten, den Aufzug doch mit Solarenergie zu betreiben. Und fügt fein lächelnd hinzu, dass er persönlich lieber Treppen steigt...

Das Unternehmen Igus hat sich jedenfalls aufgemacht, die ersten Kilometer auf dem langen Marsch zur Klimaneutralität zu gehen. Das zeigen viele Beispiele, die seit dem Umdenken von Frank Blase 2016 angestoßen wurden:

Beispiel 1: Neues Öl aus altem Plastik

Aus Kunststoff wieder Erdöl gewinnen: Dieses Ziel verfolgt das britische Unternehmen Mura Technology mit seinem HydroPRS-Verfahren, um die Kreislaufwirtschaft von Kunststoffen voranzutreiben. Seit 2020 unterstützt Igus als Investor das Vorhaben von Mura. Bei dem vom Mura-Tochterunternehmen ReNew ELP entwickelten Hydrothermal Plastic Recycling System (HydroPRS) werden zermahlene und von Glas oder Metall befreite Kunststoffabfälle erhitzt und komprimiert und dann mit Wasser in superkritischem Zustand zusammengebracht. Superkritisch wird Wasser, wenn es auf mehr als 374 Grad Celsius erhitzt wird und zugleich einem Druck von mehr als dem 218-fachen normalen Luftdruck ausgesetzt wird. Der superkritische Zustand kombiniert Eigenschaften von Flüssigkeiten und Gasen und ist dadurch in der Lage, die Polymer-Bindungen des Kunststoffs aufzubrechen.


Durch den im Wasser vorhandenen Wasserstoff entstehen stabile kurzkettige Kohlenwasserstoffe, die gespeichert und ähnlich wie Erdöl für die Produktion von neuen Kunststoffen verwendet werden können. HydroPRS ist unempfindlich gegenüber organischen Verunreinigungen wie Papier und Lebensmittelresten, sodass sich eine breite Palette von Kunststoffabfällen als Ausgangsmaterial eignet.

Beispiel 2: Lang lebe die Kette, lang lebe der Rasen auf Schalke

Nachhaltigkeit durch Langlebigkeit: Die Energieketten von Igus in der Rasen-Verfahreinrichtung des Veltins-Stadion sind seit 21 Jahren im Einsatz.
Nachhaltigkeit durch Langlebigkeit: Die Energieketten von Igus in der Rasen-Verfahreinrichtung des Veltins-Stadion sind seit 21 Jahren im Einsatz. (Bild: P. Koller)

Fußballstadions sind jetzt nicht unbedingt für ausgefallene Technik bekannt, die Gelsenkirchener Veltins-Arena, Heimat von Schalke 04, darf da jedoch als Ausnahme gelten. Um die Arena ohne Schaden für das Gras zum Beispiel auch für Konzerte nutzen zu können, kann der Rasen komplett unter einer Tribüne seitlich aus der Arena herausgefahren und neben dem Stadion ‚geparkt‘ werden. Bei diesem ‚Ausflug‘ kommen für die Versorgung der Antriebe rund 120 Meter lange Energieketten von Igus zum Einsatz – und das seit geschlagenen 21 Jahren, ohne dass jemals eine der Ketten getauscht werden musste. Das macht deutlich: Nachhaltigkeit kann auch durch Langlebigkeit entstehen.

Das gleiche Prinzip kommt seit einiger Zeit auch beim Rasen selbst zum Einsatz. Das empfindliche Grün wird im Winter in seiner Parkposition mit Hilfe einer Rasenbelichtungsanlage mit künstlichem Sonnenlicht aus mehr als 100 000 LEDs versorgt. Auch hier unterstützen die E-Ketten von Igus die Versorgung der beiden Belichter mit Strom und Daten.
Die beiden Anlagenteile überspannen mit 80 Metern die gesamte Breite des Spielfeldes. Konzipiert und gebaut wurde die Anlage von der Rhenac GreenTec AG aus Hennef. Statt wie früher bis zu viermal pro Jahr muss der verhätschelte Rasen nun im Idealfall gar nicht mehr ausgewechselt werden – es sei denn, ein Fußballspiel fällt einmal ganz besonders hitzig aus und es fliegen die (Gras-)Fetzen.

100 000 LEDs sorgen in den Belichtern von Rhenac für die Wellness des Rasens auf Schalke.
100 000 LEDs sorgen in den Belichtern von Rhenac für die Wellness des Rasens auf Schalke. (Bild: P. Koller)

Beispiel 3: Wärmerückgewinnung als ‚Open Source‘ für die Industrie

In einem überraschenden Schritt hat Igus zur Hannover Messe 2023 eine selbst entwickelte Lösung für eine besonders kostengünstige Rückgewinnung von Maschinenabwärme für eine freie Nutzung durch andere Unternehmen freigegeben. Bei dem Konzept namens ‚Machine Heat Recovery System‘ (MHRS) werden Warmwasserströme aus dem Kühlkreislauf von Spritzgussmaschinen direkt zu Heizlüftern umgeleitet. Das bietet den doppelten Vorteil, dass die bisherige Gasheizung ausbleiben kann und zugleich weniger elektrische Energie zum Kühlen der Maschinen aufgewendet wird. Das MHRS geht dabei nicht den bekannten Weg über eine teure Wärmepumpe und auch keinen Umweg über einen Wärmetauscher, dieser würde zu Temperaturverlusten führen.


„Wir planen in Zukunft ganz auf Maschinenwärme als Heizung in der Produktion und in den Büros zu setzen“, so Dennis Berninger, Fabrikleiter bei Igus und Antreiber dieses Projekts. So ist als Nächstes geplant, das 7 209 Quadratmeter große Logistikcenter mit neun Heizlüftern auszustatten, nachdem aktuell schon eine der Produktionshallen in Köln-Lind so beheizt wird. Von dem Erfolg angespornt, hat sich Igus entschlossen, die Technologie auch anderen Industrieunternehmen zur Verfügung zu stellen. Nach einer Berechnung des Unternehmens ließen sich mehr als eine Million Tonnen CO2 und 548 Millionen Kubikmeter Gas einsparen, wenn alle Spritzgießer weltweit die Technologie einsetzen würden.

Beispiel 4: Mobilität von morgen aus dem Abfall von gestern

Das igus:bike kann zu einem Großteil aus recycelten Kunststoffabfällen wie alten Fischer­netzen hergestellt werden.
Das igus:bike kann zu einem Großteil aus recycelten Kunststoffabfällen wie alten Fischer­netzen hergestellt werden. (Bild: Igus)

Mobilität von morgen aus dem Abfall von gestern - diese Vision verfolgt igus mit dem igus:bike-Projekt – das Konzept eines Fahrrads, das zu über 90 Prozent aus Kunststoff besteht sowie rost-, schmier- und wartungsfrei ist. Das Besondere: Das Fahrrad kann zu einem Großteil aus recycelten Kunststoffabfällen wie alten Fischernetzen hergestellt werden. Igus entwickelt und produziert Bauteile für die Bewegung aus verschleißarmen und schmierfreien Hochleistungskunststoffen. Diese kommen bereits seit vielen Jahren in der Fahrradbranche zum Einsatz – zum Beispiel in Mountain- und Cargobikes. Seit Ende der 2000er-Jahre träumte Geschäftsführer Frank Blase jedoch von einem Vollkunststoff-Fahrrad. Um diese Vision zu realisieren, investierte sein Unternehmen in das niederländische Start-up mtrl (ehemals Dutchfiets).

Mit dem gebündelten Know-how entwickelten die beiden Firmen das erste Modell des igus:bike designed by mtrl. Neben der Verwendung recycelter Kunststoffe für das Urban-Bike sowie die Fahrradkomponenten, setzten sie auch auf einen nachhaltigen Produktionsprozess. Geformt wird der Kunststoff per Rotomoulding bzw. Rotationsgussverfahren mit niedrigem Druck und hoher Temperatur, das Wärme und bi­axiale Rotation kombiniert. Bei diesem Verfahren wird beim Gussprozess eine elektrische Beheizung verwendet, wodurch erneuerbare Energien verwendet werden können und der CO2-Fußabdruck so gering wie möglich ausfällt. Das Ziel ist, künftig lokale Produktionsstätten an Mülldeponien auf der ganzen Welt zu errichten und so eine nachhaltige Lieferkette zu schaffen.

Beispiel 5: Chainge recycelt Energieketten

Konnte mit 300 Kilogramm Last ihre Belastbarkeit beweisen: Energiekette von Igus aus recycliertem Kunststoff.
Konnte mit 300 Kilogramm Last ihre Belastbarkeit beweisen: Energiekette von Igus aus recycliertem Kunststoff. (Bild: P. Koller)

Igus selbst kümmert sich um das Recycling von technischen Kunststoffen. Im Rahmen des chainge Programms werden ausrangierte Energieketten von Igus recycelt. Betriebe können ihre ausrangierten Energie- und Schleppketten an Igus schicken, statt sie im Industriemüll zu entsorgen. Das Besondere: Igus nimmt alle Energieketten zurück – unabhängig vom Hersteller. Die ausrangierten Kunststoffe werden dann sortenrein getrennt, gereinigt und zertifiziert regranuliert, sodass das Material wiederverwendet werden kann. Im Gegenzug erhalten Kunden einen Wertgutschein von Igus, der sich nach dem Gewicht der eingesendeten Ketten bemisst.

Im Oktober 2022 wurde aus dem chainge-Programm eine ganze Plattform. Das Recyclingprogramm wurde um sechs technische Kunststoffe erweitert. Hier können jetzt neben Energieketten auch andere ausgedienten Kunststoffwertstoffe schnell und unkompliziert zur Rücksendung angemeldet werden. Gleichzeitig bietet diese Plattform einen digitalen Marktplatz, der einen Zugang zu ausgewählten Rezyklaten erlaubt. Neben der Rücknahme alter Energieketten übernimmt Igus seit Anfang dieses Jahres auch die Rücknahme von Altmaterial im Rahmen von Montageaufträgen.

Auf Basis von ‚chainge‘ ist kürzlich auch die erste Energiekette aus 100 Prozent recyceltem Material entstanden, zum gleichen Preis und mit nahezu identischen Eigenschaften wie die herkömmlichen Produkte.

Beispiel 6: Weniger Schmiermittel durch Kunststoff-Gleitlager

DICO-Geschäftsführer Harald Börsch erläutert, an welchen Stellen der Autowaschstraßen Kunst- stoff-Gleitlager zum Einsatz kommen und so umweltbelastende Schmierstoffe gespart ­werden können.
DICO-Geschäftsführer Harald Börsch erläutert, an welchen Stellen der Autowaschstraßen Kunststoff-Gleitlager zum Einsatz kommen und so umweltbelastende Schmierstoffe gespart ­werden können. (Bild: P. Koller)

Eine wichtige Eigenschaft von Kunststoff ist der Verzicht auf zusätzliche Schmiermittel, der durch sie möglich wird. Dass sich ablösende Fette die Umwelt belasten, leuchtet ein, bis zu 22,7 Millionen Tonnen sind es jährlich weltweit. Speziell entwickelte Kunststoffe mit fest eingebundenen Partikeln machen zusätzliche Schmierstoffe überflüssig. Das macht sich zum Beispiel der Hersteller von Autowaschstraßen DICO (Dirty In Clean Out) in Troisdorf zunutze. Durch die Verwendung von Kunststoffgleitlagern von Igus in den Anlagen können Dutzende von Schmierstellen in den Anlagen eingespart werden – trotz praktisch ständigem Kontakt der Lager mit Wasser und Reinigungsmitteln. Bei jährlich rund 200 produzierten Waschstraßen eine deutliche Verbesserung der Umweltverträglichkeit.

Beipiel 7: Rheinkrake und Plastic Fischer: Flüsse säubern und Ocean Plastics verhindern

Die beiden von Igus unterstützten Initiativen Rheinkrake und Plastic Fischer befreien Flüsse von Abfall, ehe dieser in die Meere gelangen kann.
Die beiden von Igus unterstützten Initiativen Rheinkrake und Plastic Fischer befreien Flüsse von Abfall, ehe dieser in die Meere gelangen kann. (Bild: Igus)

Mit ‚Rheinkrake‘ und ‚Plastic Fischer‘ unterstützt Igus zwei Initiativen, die Plastik aus Flüssen abfängt, bevor es im Meer landet. Geschätzte 380 Tonnen Kunststoff schwemmt der Rhein jedes Jahr in die Nordsee. Allein am Grund der Nordsee liegen laut Schätzungen mehr als 600 000 Kubikmeter Abfall – das meiste davon Plastikmüll. Bei der Krake handelt es sich nicht um einen achtarmigen Tintenfisch, sondern eine schwimmende Müllfalle der Kölner Rhein-Aufräum-Kommando-Einheit (K.R.A.K.E. e.V.), die rund um die Uhr Abfall aus dem Rhein fischt. Sie besteht aus einem Fangkorb, der zwischen zwei Schwimmkörpern befestigt und entgegen der Fließrichtung geöffnet ist. Der Korb ist so konstruiert, dass er an der Wasseroberfläche treibendes Plastik erfasst, aber nicht zur Gefahr für Fische und Vögel wird.


Ein ähnliches Konzept verfolgt ‚Plastic Fischer‘. Das Kölner Impact Start-up sammelt und verarbeitet seit 2021 Plastikabfälle aus Flüssen in Indien und Indone­sien, um der Meeresverschmutzung entgegenzuwirken. Auch Plastic Fischer hat dafür eigene Müllfallen, sogenannte TrashBooms, entwickelt. Die schwimmenden Barrieren bestehen aus einem robusten Stahlrahmen, Rohren als Schwimmkörper und einem verzinkten Gitter, das den Plastikmüll stoppt. Das Team verfolgt den Ansatz, technisch einfache und kostengünstige Lösungen einzusetzen, die aus lokal verfügbaren Materialien am Einsatzort gebaut werden. Zudem werden durch das Projekt vor Ort Vollzeitarbeitsplätze geschaffen, wodurch wiederum die lokale Wirtschaft gefördert wird. Seit Beginn der Initiative wurden bereits über 900 Tonnen Plastikmüll eingesammelt. Davon über 21 Tonnen durch die finanzielle Unterstützung von Igus.

Der Autor: Peter Koller

Peter Koller
(Bild: Anna McMaster)

Gelernter Politik-Journalist, heute News-Junkie, Robotik-Afficionado und Nerd-Versteher. Chefredakteur des Automatisierungsmagazins IEE. Peter Koller liebt den Technik-Journalismus, weil es das einzige Themengebiet ist, wo wirklich ständig neue Dinge passieren. Treibstoff: Milchschaum mit Koffein.

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