Der Mitarbeiter mit der AR-Brille erhält Anweisungen zur Anpassung der Prozessparameter zwecks Reduzierung des Materialverbrauchs. Der „Experte“ auf der anderen Seite führt ihn entsprechend durch die Einstellungen.

Der Mitarbeiter mit der AR-Brille erhält Anweisungen zur Anpassung der Prozessparameter zwecks Reduzierung des Materialverbrauchs. Der „Experte“ auf der anderen Seite führt ihn entsprechend durch die Einstellungen. (Bild: Lapp)

Das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (siehe Kasten) stellt Unternehmen in Deutschland vor große Herausforderungen. Zum einen soll es dazu beitragen, die internationale Menschenrechtslage zu verbessern, zum anderen kritisieren UnternehmerInnen und Verbände die neuen bürokratischen Hürden, die den Firmen aufgebürdet werden – und dies in wirtschaftlich schwierigen Zeiten. Lapp hat sich trotzdem schon sehr früh mit dem Thema beschäftigt und kann bereits jetzt ein entsprechendes Risikomanagement vorweisen. Der Einsatz von Augmented Reality spielt dabei eine wichtige Rolle. Aber nicht nur dort …

In Kürze

  • Die rechtlichen Anforderungen an Unternehmen in Bezug auf die Lieferkette wachsen.
  • Beim Audit weit entfernter Zulieferer kann Augmented Reality helfen.
  • Zugleich kann die Technologie als "Problemlöser" in der Fertigung eingesetzt werden.

Fertigung an 19 internationalen Standorten

Für international aufgestellte Unternehmen wie Lapp bedeutet das Gesetz auf jeden Fall einen sehr großen zusätzlichen administrativen Aufwand. Immerhin fertigt Lapp an 19 internationalen Standorten und verfügt über 41 eigene Vertriebsgesellschaften. Zudem kooperiert das Familienunternehmen mit rund 100 Auslandsvertretungen. Trotzdem begrüßt Lapp die neuen gesetzlichen Regeln und hat bereits einen Verhaltenskodex für ZuliefererInnen entwickelt, der sie darin auffordert, die geltenden Gesetze einzuhalten und die international anerkannten Umwelt-, Sozial- und Corporate Governance-Standards (ESG-Standards) zu befolgen.

Zudem sind die LieferantInnen angehalten, diese Standards auch bei ihren Lieferanten und Zulieferern umzusetzen. Diesen „Supplier Code of Conduct“ muss bei Lapp jeder Zulieferer unterzeichnen. Ergänzend dazu hat Lapp einen global gültigen standardisierten Risikomanagement-Prozess erstellt und eingeführt. Daraus wurden Präventionsmaßnahmen entwickelt, je nach Land, Warengruppe sowie einer Einschätzung, wie groß das Einflussvermögen von Lapp auf die jeweiligen Lieferanten ist.

Vor Ort sein, ohne vor Ort zu sein

Aber wie kann das alles kontrolliert werden? Bei Verdachtsfällen will Lapp zunächst mit konkreten Fragestellungen oder Audits die Einhaltung der Standards überprüfen. Da aber Vor-Ort-Audits als Präventivmaßnahme zum Schutz von Menschenrechten bei LieferantInnen sehr zeitintensiv und mit großem Reiseaufwand verbunden sind, setzt Lapp seit mehr als zwei Jahren Augmented Reality-Technik ein – um „vor Ort zu sein, ohne vor Ort zu sein“. Dank dieser Technik können virtuelle Audits weltweit in kürzester Zeit durchgeführt werden.

Die Augmented Reality-Brille funktioniert quasi wie ein megastarkes digitales Fernglas, womit man über tausende von Kilometern Entfernung auf die genauen Buchtitel eines Wohnzimmerregals sehen kann – wo auch immer auf der Welt.

Bei sprachlichen Barrieren sind auch Symbole möglich

Dafür braucht man lediglich ein Laptop mit entsprechender Software und eine Person, die sich in diesem weit entfernten Wohnzimmer befindet und die mit der entsprechend konfigurierten AR-Brille auf dem Kopf auf das Bücherregal blickt. Die Person am Laptop kann dem AR-Brillenträger dann genau sagen oder auch mit digitalen Zeichen am Laptop mitteilen, welches Buch aus dem Regal gezogen werden soll und welche Seite aufgeschlagen werden soll.

Genauso funktioniert es in der Fabrik. Der „Spezialist“ sitzt am Laptop und sieht genau, was der AR-Brillenträger gerade sieht. Er kann mit dieser Person sprechen und ihr genau sagen, was gezeigt werden soll. Wenn es sprachliche Barrieren gibt, sind auch Symbole möglich. Den Pfeil auf dem Laptop sieht auch der Brillenträger vor Ort und kann entsprechend handeln.

Hintergrund: Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz

  • Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) regelt die unternehmerische Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten in den globalen Lieferketten. Unternehmen mit Hauptverwaltung, Hauptniederlassung, Verwaltungssitz, satzungsmäßigem Sitz oder Zweigniederlassung in Deutschland sind ab einer bestimmten Anzahl von Mitarbeitenden verpflichtet, Sorgfaltspflichten einzuhalten.
  • Diese Sorgfaltspflichten umfassen unter anderem den Schutz vor Kinderarbeit, das Recht auf faire Löhne und den Schutz der Umwelt. Unternehmen müssen Beschwerdekanäle für die Menschen in den Lieferketten einrichten und regelmäßig über das Lieferkettenmanagement berichten. Bei Verstößen gegen das Gesetz drohen hohe Bußgeldstrafen.
  • Das neue Gesetz betrifft zunächst seit 1. Januar 2023 in Deutschland ansässige Unternehmen mit mindestens 3.000 Beschäftigten. Ab 1. Januar 2024 findet das Gesetz auch Unternehmen mit mindestens 1.000 Beschäftigten in Deutschland Anwendung. Unter diese zeitliche Richtlinie fällt auch Lapp.

Trotz der „Schonfrist“ bis 2024 hat der Hersteller von integrierten Lösungen im Bereich der Kabel- und Verbindungstechnologie bereits vor über einem Jahr die entsprechenden Weichen gestellt, um die neuen Gesetzesanforderungen global in der ganzen Unternehmensgruppe umzusetzen. Zwar handelt es sich um ein deutsches Gesetz, jedoch müssen die Sorgfaltspflichten in allen Landesgesellschaften beachtet werden.

Brillen kommen an vielen Standorten zum Einsatz

Als AR-Technik-Partner hat Lapp den italienischen Softwareanbieter „OverIT“ mit seiner cloudbasierten Software „SPACE1“ gefunden. Mit einer geliehenen, vorkonfektionierten Augmented Reality Brille fing alles an. Heute hat Lapp mit „OverIT“ einen mehrjährigen Vertrag mit Lizenzen für die ganze Lapp Gruppe weltweit geschlossen und an den vielen Produktions- und Vertriebsstandorten kommen die Augmented Reality Brillen immer öfter zum Einsatz.

Mit großem Erfolg: Die Augmented Reality-Technik kam kürzlich bei einem potentiellen Lieferanten für Kabel mit Sitz in Indien zum Einsatz. Vor Freigabe wurde eine Risikoanalyse durchgeführt. Als Präventivmaßnahme ist das Unternehmen verpflichtet, den Supplier Code of Conduct zu unterzeichnen und muss darüber hinaus Detailfragen zum Thema Umgang mit Menschenrechten beantworten. Als zusätzliche Absicherung führte das Team aus dem Supplier Management von Lapp mit der Augmented Reality-Brille eine virtuelle Produktionstour durch.

Der Termin war sehr kurzfristig angesetzt, da hier der besondere Fokus auf die Einhaltung Arbeitssicherheit-Maßnahmen bestand. Fazit: Der Kabelhersteller hat das Audit bestanden und konnte als neuer Lieferant bei Lapp aufgenommen werden. Hätte sich bei der virtuellen Tour ein konkreter Verdacht ergeben, würde anschließend ein gezielter Besuch vor Ort stattfinden. Schlimmstenfalls behält sich Lapp das Recht vor, Geschäftsbeziehung auszusetzen oder zu beenden.

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Wegen der guten Erfahrungen setzt Lapp die Augmented Reality-Technologie auch in seinen eigenen Produktionswerken ein. Nicht zur Kontrolle, sondern als Hilfsmittel, um beispielsweise bei technischen Problemen schnell Lösungen finden zu können. So musste kürzlich eine große Maschine aus China zur Erweiterung der Produktionskapazität innerhalb kürzester Zeit aufgebaut werden. Da noch Reiseverbot herrschte, unterstützte der chinesische Hersteller den Aufbau, indem alle Schritte über die AR-Brille vor Ort auf sein Laptop übertragen wurde und er die nächsten Aufbau-Schritte mitteilen konnte.

Markus Liller,

Leiter Supplier Management bei U.I. Lapp.

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