
Professor Paul Motzki und sein Team zeigen auf der Hannover Messe Prototypen von Robotergreifsystemen, die Werkstücke energiefrei halten und handhaben können. Darunter sind (links, dieser hält eine Stahlplatte) und Zangengreifer (rechts). (Bild: Oliver Dietze / Universität des Saarlandes)
Energie ist ein wichtiger Kostenfaktor für die Industrie. Ein hoher Verbrauch macht die Produktion teuer und belastet das Klima. Einsparpotenzial bietet eine Robotertechnologie, die bis zu 90 Prozent weniger Strom verbraucht als heutige Systeme. Das Team um die Professoren Stefan Seelecke und Paul Motzki von der Universität des Saarlandes zeigt auf der Hannover Messe (Saarland-Stand Halle 2, B10), wie ihre Formgedächtnistechnik große wie auch miniaturisierte Greifsysteme ermöglicht, die ohne zusätzliche Sensoren auskommen. Sie halten Bauteile zuverlässig ohne Druckluft, greifen sogar flexibel - und benötigen Strom nur in Form von kurzen Impulsen.
Unzählige Roboterarme sind in den Produktionshallen der Industrie im Einsatz: Sie halten Werkstücke, montieren Bauteile, sortieren, bestücken, transportieren, verladen - und fast jeder von ihnen verbraucht während seines Einsatzes ununterbrochen Energie. Da kommen einige Gigawattstunden zusammen. Viele der Greifsysteme arbeiten pneumatisch mit Druckluft, was unangenehm laut ist.
Zudem sind sie oft schwer, ihre beweglichen Teile verschleißen und sie sind in ihrem monotonen Bewegungsmuster festgelegt. Die bisherige Technik setzt der Miniaturisierung Grenzen, sodass kleine Greifsysteme mit kleinen Greifpunkten kaum realisierbar sind. Auch eine schnelle Umprogrammierung ist selten möglich, ebenso wie eine gefahrlose Hand-in-Hand-Arbeit mit dem Menschen.
Eine neuartige Antriebstechnologie kann die Industrieroboter der Zukunft deutlich energieeffizienter und zugleich flexibler, wendiger und filigraner machen. Sie basiert auf leichten Formgedächtnismaterialien, aus denen das Ingenieurteam um die Professoren Paul Motzki und Stefan Seelecke an der Universität des Saarlandes und am Saarbrücker Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik (Zema) neuartige Robotergreifer baut. Auf der Hannover Messe zeigt das Forschungsteam einige Prototypen von Robotergreifsystemen, darunter Vakuumgreifer und Zangengreifer, die Werkstücke energielos und sicher festhalten und handhaben können. „Wir können diese Greifsysteme in Hochgeschwindigkeit ansteuern, dabei genügen kurze Stromimpulse“, erläutert Paul Motzki.
So funktionieren Formgedächtnislegierungen
- In den voll elektrischen Saarbrücker Greifsystemen kommen Bündel haarfeiner Drähte aus der Formgedächtnislegierung Nickel-Titan zum Einsatz: Sie fungieren als kraftvolle künstliche Muskeln und zugleich Nervenfasern für die Technik.
- Möglich wird dies durch eine besondere Eigenschaft der Drähte: Nickel-Titan besitzt zwei Kristallgitter. Geben die ForscherInnen einen Stromimpuls in solch einen Draht, erwärmt er sich, seine Gitterstruktur wandelt sich von einer in die andere um.
- Weil die eine Struktur kürzer ist, zieht der Draht sich zusammen. Schalten sie den Strom ab, kühlt der Draht ab, wechselt die Gitterstruktur und wird lang wie zuvor: Er „erinnert“ sich also an seine andere Form.
- Dadurch kann der Draht auf winzigem Raum viel ziehen, er vollzieht mit der richtigen, ausgefeilten Mechanik drumherum winzige Bewegungen.
Höchste Energiedichte aller Antriebsmechanismen
„Die Formgedächtnislegierung Nickel-Titan hat von allen bekannten Antriebsmechanismen die höchste Energiedichte. Wir bringen damit eine hohe Zugkraft in sehr kleinen Dimensionen auf“, erklärt Paul Motzki die Muskelkraft der Drähte. So kann ein etwas dickerer Draht von 500 Mikrometern mit einer Kraft von über 100 Newton ziehen, das sind mehr als 10 Kilogramm. Deutlich dünnere, haarfeine Drähte bündeln die Forscher, weil sie im Bündel wegen der größeren Oberfläche schneller abkühlen. So erreichen sie schnelle Bewegungen mit hoher Frequenz und eine stabile Zugkraft.
Tatsächlich halten die Saarbrücker Ingenieure hier einen Weltrekord: Mit 20 Drähten von 25 Mikrometer Durchmesser in einem Bündel erreichen sie eine Zugkraft von fünf Newton, die sie mit einer Frequenz von satten 200 Hertz ansteuern. Je nach Anwendung, also je nachdem, ob hohe Kräfte oder hohe Frequenzen benötigt werden, passen die Forscher die Zusammensetzung der Drahtbündel nach Dicke und Anzahl der Drähte an - das Ergebnis jahrelanger Forschung.
Die Sensorik ist schon integriert
Auf dieser Grundlage entwickeln die Forschenden elastische Greifsysteme, die ihre Finger flexibel bewegen und sich schnell an wechselnde, unterschiedlich geformte Werkstücke anpassen können. Die dafür notwendige Sensorik tragen diese Greifer bereits in sich. Die Technologie kommt ohne Sensoren aus.
Die Steuerung übernimmt ein Halbleiterchip. „Die Drähte liefern alle notwendigen Daten selbst, die Sensorik ist also automatisch integriert. Künstliche Intelligenz ordnet jedem Messwert des elektrischen Widerstands eine bestimmte Verformung der Drähte zu. So erkennt das System jederzeit die exakte Position eines Drahtbündels. Die neuronalen Netze, die wir dafür mit Trainingsdaten füttern, rechnen auch bei Störeinflüssen effizient und genau“, erklärt Paul Motzki.
Umprogrammierung im laufenden Betrieb
So können die Ingenieure präzise Bewegungsabläufe programmieren: Durch Vorgabe des Widerstands steuern sie den Draht nach Belieben. „Anders als bei den heute üblichen Industrierobotern ist eine Umprogrammierung auch während der laufenden Produktion einfach und schnell möglich. Der Greifer kann sich im laufenden Betrieb an beliebige Geometrien wechselnder Werkstücke anpassen“, sagt der Forscher. Der Zangengreifer-Prototyp für die industrielle Anwendung, den die ForscherInnen auf der Hannover Messe zeigen, hat eine Greifkraft von vier Newton – die Technik ist jedoch skalierbar in Größe, Hub und Kraft.
Ringmuskel plus Knackfrosch ist gleich Vakuum
Bei einem weiteren Prototyp, dem Vakuumgreifer, kombinieren die Forscher bewegliche Greiferfinger mit Vakuumsaugern an den Fingerspitzen. Auch hier genügen kurze Stromimpulse, um schnell ein tragfähiges Vakuum zu erzeugen und wieder zu lösen. Dazu legen die ForscherInnen die Drahtbündel wie einen Ringmuskel um ein Metallplättchen, das wie ein Knackfrosch auf und ab springen kann: Ein Stromimpuls verkürzt die Drähte, das Plättchen schnappt um und zieht an einer Gummimembran, die ein festes Vakuum erzeugt, wenn der Greifer auf einer Oberfläche aufliegt.
Auch hier wird kein Strom zum Halten benötigt, selbst wenn der Greifer ein schweres Werkstück über längere Zeit schräg hält. „Durch die Sensorfunktion ist gleichzeitig eine Zustandsüberwachung integriert, so dass der Greifer erkennt, wenn das Vakuum nicht mehr tragfähig ist“, erklärt Paul Motzki.