Die wichtigsten Einsteiger-Tipps zur Robotik-Normung haben wir für Sie zusammengestellt.

Die wichtigsten Einsteiger-Tipps zur Robotik-Normung für Sie zusammengestellt. (Bild: Pixabay/free)

Wie funktioniert Arbeitsschutz in der Robotik? Wann gilt die Arbeit mit einem Roboter als sicher?

Für die Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK) - die Arbeit zwischen Mensch und Maschine - gelten einige Normen und Maßnahmen als unverzichtbar. Damit Unternehmen den Überblick im Arbeitsschutz-Dschungel nicht verlieren, hat unsere Redaktion den Normungs-Experte Stefan Sagert von der VDMA-Fachabteilung Robotik nach praktischen Einstiegs-Tipps gefragt. Lesen Sie hier die 9 wichtigsten Punkte, die es für den Einstieg in die sichere Mensch-Roboter-Kollaboration zu beachten gilt.

Unfallgefahren und Schutzmaßnahmen

Die nachfolgend beschriebenen Regeln und Normen für den Umgang mit Robotern ist die Basis für die Arbeitssicherheit. Laut BGHM ereignen sich mehr als drei Viertel aller schweren Arbeitsunfälle an Industrieroboteranlagen zum Beispiel bei der Störungsbeseitigung. Meist geht dem Unfall eine Produktionsstörung voraus, etwa durch verklemmte Teile oder verschmutzte Sensoren. Die Beschäftigten versuchen dann mitunter, den Gefahrenbereich bei nicht vorschriftsmäßig stillgesetzter Anlage zu betreten, um die Störung zu beheben.

Inzwischen schaffen leistungsfähige Kamerasysteme, welche die Roboterbewegungen begrenzen können, sichere Arbeitsräume, um im entscheidenden Moment den Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin vor einem Unfall zu schützen. Zudem wird die Sicherheitstechnik von Robotersystemen kontinuierlich weiterentwickelt. Ferndiagnosen kommen bereits mit Erfolg zum Einsatz. Das Vorschriften- und Regelwerk wird kontinuierlich den sich ändernden Technologien angepasst.

1. Maßnahme: Überblick verschaffen

Stefan Sagert, Referent und Normungs-Experte der VDMA-Fachabteilung Robotik
Stefan Sagert, Referent und Normungs-Experte der VDMA-Fachabteilung Robotik. (Bild: VDMA)

Beim Einstieg in die Robotik ist die Kenntnis der relevanten Normen und Vorschriften wichtig, die dazu dienen, Arbeitsunfälle beim Betreiben von Robotern und Roboter-Anlagen zu verhindern. Zu nennen sind hierbei zum Beispiel die ISO 10218 Teil 1 und Teil 2 als zentrale Sicherheitsnorm für Industrieroboter, oder auch die ISO/TS 15066. Bezugsquelle für die Normen ist der Beuth-Verlag in Berlin.

Als Leitfaden zur Orientierung dient außerdem das VDMA-Positionspapier zur Sicherheit bei der Mensch-Roboter-Kollaboration sowie entsprechende DGUV-Informationen: So interpretiert die DGUV-Information 209-074 „Industrieroboter“ die sicherheitstechnischen Anforderungen der Maschinenrichtlinie und insbesondere der Normen in verständlicher Form anhand vieler praktischer Beispiele. Bei Einhaltung der DGUV 209-074 können Hersteller von Roboter-Anlagen davon ausgehen, dass sie den Stand der Technik gemäß Maschinenrichtlinie und für das CE-Zeichen eingehalten haben, da sich die DGUV 209-074 sehr eng an die Normen anlehnt und diese interpretiert. 

Was macht eigentlich die VDMA-Fachabteilung Robotik?

In der VDMA-Fachabteilung Robotik sind rund 100 Mitglieder organisiert. Ihr Produktportfolio reicht von der Roboter-Herstellung über die Integration von Roboter-Systemen bis zu Produkten der Robotik. Als Fachabteilung vertritt sie gemeinsame Interessen, bringt Player der Branche zusammen und widmet sich der Entwicklung und Behandlung wichtiger Zukunfts- und Trendthemen. Dazu gehören zum Beispiel auch Themen wie die Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK) und die Sicherheitsnormung. Die VDMA-Fachabteilung Robotik koordiniert das nationale Spiegelgremium des internationalen Komitees (ISO/TC 299) zur Robotik-Normung. Der DIN-Normenausschuss Maschinenbau (NAM) ist laut Vereinbarung zwischen VDMA und dem DIN organisatorisch und personell dem VDMA angegliedert.

2. Arbeit mit einem Industrieroboter: Die EG-Konformitätserklärung

Beim Einsatz eines Roboter-Systems ist die EG-Konformitätserklärung von zentraler Bedeutung. Mit dieser bestätigt der Lieferant, dass er als verantwortlicher Hersteller auftritt und die Anlage mit den grundlegenden Sicherheits-Anforderungen aller relevanten europäischen Richtlinien konform ist. Denn vor Inbetriebnahme muss sichergestellt sein, dass die Maschine der EG-Maschinen-Richtlinie (aktuelle Fassung: 2006/42/EG) und der zentralen Sicherheitsnorm für Industrieroboter DIN EN ISO 10218 (Teil 1 und Teil 2) entspricht.

3. Was will ich mit einem Roboter erreichen?

Es ist wichtig, das Ziel der Roboteranlage im Fokus zu haben. Zum Beispiel sollten Unternehmen überlegen, ob tatsächlich ein MRK-System zur Mensch-Roboter-Kooperation benötigt wird oder ob nicht auch eine Roboter-Anwendung mit Schutzzaun Thema sein kann. Denn abhängig vom Ziel und von den Gegebenheiten muss eine MRK-Anwendung nicht immer die sinnvollere Lösung für die Arbeit sein.

  • Kollaborierende Robotersysteme stellen ein Bindeglied zwischen rein manuellen Arbeitsplätzen und Vollautomation dar. In einem je nach Kollaborationsart weitestgehend schutzzaunlosen Betrieb kann so der Roboter die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei manuellen Tätigkeiten unterstützen. Er kann beispielsweise besonders unergonomische oder monotone Arbeiten übernehmen, während andere Tätigkeiten an diesem Arbeitsplatz weiterhin manuell ausgeführt werden. Von den derzeit bekannten vier Kollaborationsarten bietet die sogenannte Leistungs- und Kraftbegrenzung besonderes Potenzial (sogenannte Leichtbauroboter). Hierbei müssen zum Beispiel Kräfte und Drücke des Roboters einschließlich Werkzeug bei Kontakt mit Personen so begrenzt werden, dass es nicht zu Verletzungen kommt.
  • Der bekannteste Industrieroboter ist der Knickarmroboter. Er hat eine serielle Kinematik, also eine Aneinanderreihung von Roboterachsen, und meistens sechs rotatorische Achsen. Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere Bauarten, zum Beispiel Scara-Roboter, Portalroboter oder Deltaroboter mit einer Stabkinematik. Alle diese Industrieroboter und -anlagen einschließlich deren Werkzeuge bringen eine Vielzahl von mechanischen Gefährdungen mit sich – etwa Quetsch- und Schergefahren. Roboteranlagen müssen daher mit Schutzeinrichtungen umgeben sein, zum Beispiel mit Schutzzäunen, oder Gefahrenbereiche müssen mit Laserscannern oder Lichtvorhängen abgesichert werden.

4. Arbeits-Einsatz: Wie sieht die geplante Robotik-Applikation aus?

Ein wichtiger Punkt ist die Frage nach der bestimmungsgemäßen Verwendung des Systems. Soll heißen: Wie sieht die Applikation aus, für die ich zum Beispiel eine MRK plane. Im Zusammenhang damit ist auch von Bedeutung, welche Körperregionen der Beschäftigten bei einer bestimmten MRK-Anwendung betroffen sein können. Die Gestaltung des jeweiligen Arbeitsplatzes ist dabei essentiell.

5. Arbeitssicherheit in der Robotik: Biomechanische Grenzwerte

Bei MRK-Automatisierungen sind die biomechanischen Grenzwerte nach ISO/TS 15066 relevant. Es kann in der MRK nämlich durchaus zu Berührungen zwischen Mensch und Roboter kommen. Dabei muss sichergestellt sein, dass die maximale Krafteinwirkung bestimmte Grenzwerte nicht überschreitet. Sie geben je nach Körperregion an, mit welcher Kraft oder mit welchem Druck ein Kontakt zwischen Mensch und Robotersystem stattfinden darf.

6. Ohne die geht’s grundsätzlich nicht: Die Risikobeurteilung

Eine bedeutende Rolle für den Arbeitsschutz in der Robotik spielt die Risikobeurteilung, die individuell für jede Anwendung erstellt werden muss. Sie ist vorrangig für den Gesetzgeber zu erstellen; die Aufbewahrungsfrist beträgt zehn Jahre. Die gesamte Anwendung aus Roboter, Endeffektor (zum Beispiel Greifer), Peripherie, Arbeitsplatz und Werkstück muss ganzheitlich betrachtet werden, damit die Arbeit wirklich sicher ist.

Im Rahmen der Risikobeurteilung sind auch die eventuellen Kontaktsituationen zwischen Mensch und Roboter-System zu betrachten und gegebenenfalls Messpunkte für Messungen von biomechanischen Grenzwerten abzuleiten. In der ISO/TS 15066 finden sich entsprechende biomechanische Grenzwerte für die verschiedenen Körperregionen.

Ein gute Übersicht über die Risikobeurteilung für Industrieroboter findet sich zum Beispiel auf dem Blog von Universal Robots.

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7. Robotik: Was bringt die Zusammenarbeit mit einem Systemintegrator?

Die Hinzuziehung eines Systemintegrators kann von großem Vorteil sein. Dieser übernimmt dann quasi die Rolle des Herstellers der gesamten Anlage, unterstützt auch bei weiteren technischen Aufgaben und unter Umständen auch bei der Auswahl des geeigneten Roboters sowie weiterer benötigter Komponenten. Er bringt dann auch das Typenschild mit dem CE-Kennzeichen an.

8. Sicherheit schon bei der Roboter-Auswahl berücksichtigen

Bei der Auswahl des Roboters sollten nicht nur Eigenschaften wie Reichweite, Traglast und Geschwindigkeit Kriterium sein, sondern auch notwendige sicherheitstechnische Aspekte für die Arbeit. Insbesondere ist zu prüfen, ob das ausgewählte Cobot-Modell die Arbeits-Anforderungen nach ISO 10218-1, ISO 10218-2 und ISO TS 15066 erfüllen kann. Denn ohne die Erfüllung der sicherheitstechnischen Anforderungen der Vorschriften und Normen darf ein Hersteller an seine Anlagen kein CE-Zeichen anbringen und ein Anwender darf Anlagen ohne CE-Kennzeichnung nicht betreiben.

9. Wohin geht die Anlage?

Bei der Lieferung von Anlagen ins EU-Ausland sind unter Umständen länderspezifische Informationen und Vorschriften hinsichtlich Marktzulassung zu berücksichtigen, wie zum Beispiel die EAC (Eurasian Conformity)-Kennzeichnung für das Gebiet der Eurasischen Wirtschaftsunion oder die KC-Zertifizierung (Korea Certification).

überarbeitet von Redaktion Automation NEXT

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