Ist bei Universal Robots verantwortlich für die Weiterentwicklung der Cobot-Technologie: Anders Billesø Beck, Vice President for Strategy and Innovation.

Ist bei Universal Robots verantwortlich für die Weiterentwicklung der Cobot-Technologie: Anders Billesø Beck, Vice President for Strategy and Innovation. (Bild: Universal Robots)

Universal Robotics hat Mitte Mai ein neues Headquarter in Odense eröffnet. Bei der Veranstaltung war viel von kognitiver Robotik die Rede. Wie genau definiert UR dieses Thema?

Anders Billesø Beck: Ich persönlich würde lieber von KI-basierter Robotik reden wollen. Ich sehe KI als eine Technologie, die sich sehr, sehr schnell weiterentwickelt und viele neue Möglichkeiten im Bereich der Robotik eröffnet. Ich finde es schade, KI nur im Kontext kognitiver Technologien zu sehen, denn ich bin überzeugt, dass KI und Robotik weitaus mehr Anknüpfungspunkte haben.

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Wo steht denn die KI-basierte Robotik aktuell?

Billesø Beck: Ich möchte das mit der Entwicklung bei selbstfahrenden Autos vergleichen. Die Industrie hat dort fünf Stufen für den Übergang vom manuellen zum vollständig  autonomen Fahren definiert. Wir sollten das Gleiche für die Robotik tun. KI wird sicher eines Tages humanoide Roboter hervorbringen, die denken und herausfinden können, wie man Probleme löst - das wäre quasi die Stufe 5. Aber wir wissen auch, dass es eine wirklich schwierige Reise wird, dorthin zu gelangen. Doch es gibt auf diesem Weg auch viele Technologien der Stufe 2, 3 oder 4, die für die Robotik von großer Bedeutung sein können. Etwa so wie die adaptive Geschwindigkeitsregelung beim Auto, die aus einem sehr manuellen Prozess einen halb automatisierten Prozess gemacht hat.

Viele Aufgaben in der Robotik erfordern heute noch einen Experten. Wenn wir diese Hürden mithilfe von KI beseitigen können, würde dies die Einführung von Robotern in vielen Bereichen erheblich beschleunigen.

Zur Person

Anders Billesø Beck ist Vice President for Strategy and Innovation bei Universal Robots in Dänemark und in dieser Funktion verantwortlich für die Weiterentwicklung von Cobot-Technologien. Anders hat an der DTU, der Technischen Universität Dänemarks, in Robotik promoviert und war in führenden Positionen am Danish Technological Institute tätig. Er ist ein ehemaliger Eliteschwimmer und war Mitglied der dänischen Nationalmannschaft.

Wenn man zurückblickt, ist KI in der Industrie nicht neu, es gibt seit langem  Mustererkennung für die vorausschauende Wartung oder Objekterkennung bei Vision-Systemen. Worin genau liegt die neue Qualität, die wir gerade bei KI sehen?

Billesø Beck: Ich denke, der neue Faktor ist die Transformer-Methodologie in den großen Sprachmodellen, durch den wir den Sprung von analytischen zu generativen Aufgaben gehen konnten.

Was bedeutet das für die Automatisierung?

Billesø Beck: Wenn man sich die Herausforderungen ansieht, die wir in der Automatisierungsindustrie haben, dann ähneln sich die Probleme bei vielen Unternehmen. Aber in jedem Unternehmen wird heute eine etwas andere Lösung für das Problem gefunden.

Also werden die gleichen Dinge viele Male neu erfunden?

Billesø Beck: Genau! Aber mit generativer KI sind wir zunehmend in der Lage, diese Problemlösungen zu standardisieren und mehr wiederverwendbare Roboterverhaltensweisen zu schaffen. KI kann unseren Kunden auch helfen, die richtigen Wege zur Lösung von Automatisierungsproblemen zu wählen.

Hat in Robotik promoviert: Anders Billesø Beck
Hat in Robotik promoviert: Anders Billesø Beck (Bild: Universal Robots)

Wenn Sie an KI in der Robotik im Sinne der Hardware-Infrastruktur denken, wo glauben Sie, ist es am nützlichsten, KI zu implementieren? In der Cloud, in der Steuerung, im Cobot selbst?

Billesø Beck: Um KI noch viel stärker als heute in der Industrie einsetzen zu können, wird es notwendig sein, dass die Bewegungssteuerung und die Entscheidungsfindung möglichst nahe an die Roboter heranrücken, also am Edge stattfinden. Das gilt jedenfalls, was den operativen Betrieb angeht. Ich denke, die Anforderungen der Industriesysteme sind einfach zu hoch, um das mit weiter entfernten Rechenressourcen zu gewährleisten. Das Training der Modelle ist aber in der Cloud sinnvoll.

Wo denken Sie, dass sich KI-basierte Robotik am schnellsten durchsetzen wird? Industrie oder Handwerk, kleine oder große Betriebe, welche Branchen? 

Billesø Beck: Tatsächlich denke ich, dass es an vielen Orten gleichzeitig passieren wird - und zum Teil auch schon passiert. Ein Beispiel: Viele Hersteller von Schweißsystem nutzen unsere Cobots. Einige davon setzen eine KI-basierte Erkennung ein, um den Schweißdrahtvorschub im Verhältnis zur Roboterbewegung zu steuern. Es ist eine kleine Funktion, aber es ist eine KI-gesteuerte Funktion, die ihre Schweißlösung viel einfacher macht.

Ein anderer OEM-Partner ist in der Bauindustrie und installiert Trockenbauwände und verwendet eine KI-basierte Bilderkennung zur Qualitätskontrolle überschliffener Nähte.

Also kann man wirklich sagen: Es passiert in vielen verschiedenen Branchen. Aber eine wichtige Erkenntnis ist auch, dass es nicht immer die große KI-Lösung sein muss. KI kann auch für viele Teilprobleme Lösungen bieten.

Mit Nvidia und Siemens haben Sie zwei sehr große, starke Partner in einer Kooperation. Wie sind die Aufgaben zwischen den Partnern aufgeteilt? Und was ist Ihr langfristiges Ziel mit dieser Zusammenarbeit?

Billesø Beck: Wir arbeiten seit mehr als fünf Jahren mit Nvidia zusammen. Wir schaffen eine sehr starke Verbindung zwischen unserem Robotik-Ökosystem und dem KI-Ökosystem von Nvidia. Auf diese Weise soll beispielsweise die Ki-basierte Idee eine Software-Start-ups über die Nvidia-Plattform schnell in UR-Roboter integriert werden können.

Und was ist die Rolle von Siemens?

Billesø Beck: Wir haben auch eine wirklich gute Partnerschaft mit Siemens, die sehr lang andauert. Zum einen sind natürlich viele UR-Roboter in den Siemens-Fabriken im Einsatz. Aber wir arbeiten auch daran, eine wirklich enge Integration zwischen den UR-Robotern und dem gesamten Siemens Digital Industries Software-Paket zu schaffen. Wir haben jetzt eine vollständige Integration, sodass man jetzt die UR-Cobots von der Siemens-Softwarearchitektur aus steuern kann.

Siemens steht ja in der Regel für große Automatisierungslösungen. Wie passen Cobots da hinein?

Billesø Beck: Auch bei größeren Kunden mit Fertigungslinien, bei denen man traditionell nicht an Cobots denkt, können Cobots viele wichtige Rollen spielen. Sei es beim Ein- und Ausladen, in Mensch-Roboter-Kollaborationsszenarien oder einfach dort, wo man einen besonders leichten und flexiblen Roboter benötigt.

Es ist also meiner Meinung nach ein sehr wichtiger nächster Schritt für die Industrie, einen Cobot als Teil dieser größeren Linieninfrastrukturen zu haben. Es ist eine Möglichkeit, viel mehr Flexibilität und auch Geschwindigkeit bei der Entwicklung hinzuzufügen und viele neue Möglichkeiten für größere Siemens-basierte Systeme zu eröffnen.

Marktforscher erwarten einen rasanten Anstieg des Marktvolumens für KI-basierte Industrierobotik von knapp 9 Mrd. Euro in 2024 bis auf fast 34 Mrd. Euro am Ende des Jahrzehnts.
Marktforscher erwarten einen rasanten Anstieg des Marktvolumens für KI-basierte Industrierobotik von knapp 9 Mrd. Euro in 2024 bis auf fast 34 Mrd. Euro am Ende des Jahrzehnts. (Bild: Statista Market Insights)

Wenn wir über KI in der Robotik sprechen, sprechen wir viel über Software. Es gibt einen großen Trend in vielen Sektoren, die Anwendung immer stärker von der Hardware zu abstrahieren. Wird sich durch KI die Roboter-Hardware zu einer Commodity entwickeln, so wie es in der IT der Fall war?

Billesø Beck: Aus meiner Sicht besteht kein Zweifel, dass es in der Robotik-Hardware immer noch viel Entwicklungspotenzial gibt, es gibt immer noch viele Fortschritte, die man in der Mechatronik machen kann. Der Grund dafür ist: Am Ende muss die reale physische Welt manipuliert werden. Natürlich kann man die Fortschritte in der Software für eine stärkere Standardisierung nutzen, kann Beschränkungen der Hardware teilweise durch Software kompensieren. Aber dennoch muss man am Ende immer noch reale Objekte greifen. Robotik ist der Ort, an dem Hardware und Software aufeinandertreffen und wirklich Dinge in der realen Welt tun.

Zitat

Robotik ist der Ort, an dem Hardware und Software aufeinandertreffen und wirklich Dinge in der realen Welt tun

Anders Billesø Beck

Aber die Software gewinnt an Bedeutung?

Billesø Beck: Eine wichtige Frage ist, wie wir es schaffen, modulare und standardisierte Denkansätze in die Robotik zu bringen. Es gibt hier interessante Ansätze aus der Softwareindustrie, wie etwa Applikations-Container. Das hat dazu geführt, dass dort das Abstraktionsniveau immer weiter steigt. Wenn man Software schreibt, startet man heute auf einer viel höheren Abstraktionsebene als vor 20 Jahren.

Etwas Ähnliches passiert heute in der industriellen Fertigung. Bei der Roboter-Integration in eine Fertigungslinie musste früher zunächst viel mechanische Ingenieurarbeit geleistet werden, dann viel Softwareentwicklung von Grund auf.  

Mit unserem UR+ Ökosystem ist es uns schon gelungen, die Integration zwischen dem Roboter und der weiteren Hardware zu standardisieren. Aber wir müssen an einen Punkt in der Robotik-Welt kommen, wo die Fähigkeiten und das, was das System tun kann, auf höheren Abstraktionsebenen liegen. Die Roboter-Integration muss aufhören, ein Konstruktionsprozess zu sein. Es sollte nicht mehr notwendig sein, alles von Grund auf neu konstruieren zu müssen.

Eine weitere Verschiebung im Robotik-Sektor ist der extrem schnelle Aufstieg Chinas sowohl in der Robotik als auch in der KI. Glauben Sie, dass der Westen eine Chance hat, bei KI-basierter Robotik dagegenzuhalten?

Billesø Beck: Es gibt in China einen sehr starken Fokus auf diese Themen, sehr ehrgeizige Pläne, und eine wirklich gute Umsetzung dieser Vorhaben. Es besteht kein Zweifel, dass wir im westlichen Teil der Welt - egal auf welcher Seite des Atlantiks - wirklich fokussiert sein müssen. Möglicherweise hat Europa in Folge der vergangenen Krisen etwas an Geschwindigkeit und Innovation verloren.

Man darf aber nicht vergessen, dass Europa eine sehr starke Position in der Fertigung hat. Wir sind wirklich gut darin, uns sehr auf die Lösung der realen Probleme zu konzentrieren. Aber wir müssen wieder schneller werden. Der aktuelle Trend zu immer mehr Regulierung ist dabei nicht hilfreich.

Unternehmen in Europa und in Deutschland sind konservativ, laut Eurostat haben 2023 nur 8 % der Unternehmen in der EU KI-Technologien genutzt. Welche Tipps würden Sie Unternehmen geben, die in das Thema KI-basierte Robotik einsteigen möchten?

Billesø Beck: Mein erster Tipp ist, dafür jene Prozesse zu identifizieren, die besonders wertvoll für ihr Geschäft sind.

Tipp Nummer zwei ist, neugierig zu sein und das Thema wirklich ernst zu nehmen und es anzugehen. Überall, wo wir sehen, dass diese Technologien gut angenommen werden, dann auch deswegen, weil die Unternehmen es wirklich wollen. Natürlich muss man strukturiert experimentieren, aber vor allem muss man muss es ernsthaft wollen.

Mein letzter Rat ist, wirklich ehrgeizig in seinen Plänen zu sein. Denn es gibt absolut viele andere in der Welt, die auch ehrgeizig sind. Also muss man die konkreten Dinge finden, die einen von allen anderen abheben können, und dann ehrgeizig daran arbeiten.

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