Die Wirtschaft entwickelt sich in Deutschland eher seitwärts, das zeigt eine langfristige Betrachtung der Konjunkturentwicklung. Manche Gründe sind globaler Natur wie Finanzkrise oder Corona-Pandemie. Viele der Ursachen sind aber hausgemacht und könnten angegangen werden. (Bild: Adobe Stock - dmtz77)

Die Wirtschaft entwickelt sich in Deutschland eher seitwärts, das zeigt eine langfristige Betrachtung der Konjunkturentwicklung. Manche Gründe sind globaler Natur wie Finanzkrise oder Corona-Pandemie. Viele der Ursachen sind aber hausgemacht und könnten angegangen werden. (Bild: Adobe Stock - dmtz77)

Viele Menschen haben den Eindruck, dass die Wirtschaft in Deutschland seit Jahren nicht mehr wirklich vorankommt. Aber ist dieser Eindruck wirklich korrekt und von den Fakten gedeckt? Sieht man sich die Zahlen  an, dann lautet die Antwort: ein bisschen von beidem.

Betrachtet man den großen Zeitraum zwischen 1950 und 2022, dann ist laut dem Statistischen Bundesamt Destatis die Wirtschaft um durchschnittlich 3,1 Prozent pro Jahr und damit mit einer robusten Rate gewachsen.

Sieht man sich aber den Durchschnitt der letzten beiden Jahrzehnte an, dann ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) tatsächlich nur noch um etwa ein Prozent pro Jahr angestiegen - was den oben erwähnten Eindruck bestätigt.

Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung des Wirtschaftswachstums zwischen 1950 und 2022:

Entwicklung des Wirtschaftswachstums zwischen 1950 und 2022
(Bild: Destatis)
Die Grafik zeigt die Bewertung Deutschlands im World Competitiveness Ranking.
Die Grafik zeigt die Bewertung Deutschlands im World Competitiveness Ranking. (Bild: Statista)

Gestützt wird die Einschätzung auch durch Zahlen des "World Competitiveness Ranking", das seit 1989 vom IMD World Competitiveness Center (WCC) veröffentlicht wird. Das IMD – International Institute for Management Development ist eine private Wirtschaftshochschule in Lausanne (Schweiz). Nach den jüngsten Zahlen des WCC ist Deutschland seit 2014 von Platz 6 auf jetzt Platz 22 abgerutscht. Für die Bewertung werden 365 Kriterien aus vier Bereichen herangezogen. Vergleichsweise gut ist die deutsche Platzierung bei Wirtschaftsleistung (Rang 12) und Infrastruktur (14) noch relativ gut da. Ähnliches lässt sich dagegen nicht bei Effizienz der öffentlichen Hand (27) und wirtschaftliche Effizienz (29) sagen.

Die Gründe für das nachlassende Wirtschaftswachstum seit der Jahrtausendwende hat mehrere Ursachen. Das eine sind globale Entwicklungen wie die Finanzkrise 2009 oder die Corona-Pandemie ab 2020, die sich national nur begrenzt beeinflussen lassen. Viele andere sind ein rein deutsches Problem und könnten durch gezieltes Handeln zumindest abgemildert werden. Hier sind 7 Gründe dafür, warum sich die deutsche Wirtschaft gerade so schwer tut:

Deutschland erfindet zu wenig

Deutschland, die Nation der Ingenieure, ist müde geworden im Erfinden. Laut Zahlen des Deutschen Patent und Markenamtes nimmt die Zahl der Patentanmeldungen durch Firmen mit Sitz in Deutschland seit 2016 kontinuierlich ab. Nach vorläufigen Zahlen für 2022 wurden im vergangenen Jahr nur noch 37.194 Patente angemeldet. 2001 waren es noch 52.650.

Der Patentindex des Europäischen Patentamtes (EPO) für 2022 bestätigen den Trend: Deutschland liegt zwar noch auf Platz 2 der größten Patentanmelder, hat aber im vergangenen Jahr einen Rückgang der Patentanmeldungen um 4,7 % zu verzeichnen. Zum Vergleich: die USA auf Platz 1 haben um 2,9 Prozent zugelegt, China auf Rang vier sogar um 15,1 %. Laut EPO ist der Rückgang in Deutschland vor allem auf die Bereiche Transporttechnologien (einschließlich Automobilindustrie), elektrische Maschinen/Geräte/Energie und organische Feinchemie zurückzuführen.

Deutschland hängt digital weit zurück

Dass Deutschland in Sachen Digitalisierung nicht zu den "Vorreitern" gehört, dürfte allgemein bekannt sein. Wie weit es allerdings in manchen Aspekten zurückhängt, zeigt die Grafik unten, die auf Daten des Speedtest Global Index basieren. Das schnellste Festnetz-Internet gibt es demnach in Singapur: In dem ostasiatischen Land betrug die durchschnittliche Downloadrate der Internetanschlüsse im Ende 2023 laut Messungen auf speedtest.net rund 271 Megabit pro Sekunde (Medianwert). Deutschland belegt mit 89.85 Mbit/s den 51. Platz im Ranking. Ein wesentlicher Grund für die mäßige Geschwindigkeit der Internetanschlüsse in Deutschland ist die geringe Verbreitung von Glasfaseranschlüssen.

Bei der durchschnittlichen Bandbreite im Festnetz-Internet liegt Deutschland weit abgeschlagen auf Platz 51.
Bei der durchschnittlichen Bandbreite im Festnetz-Internet liegt Deutschland weit abgeschlagen auf Platz 51. (Bild: Speedtest Global Index)

Deutschland fällt bei der Automatisierung zurück

Ein wichtiges Kriterium für den Automatisierungsgrad eines Landes ist die Roboterdichte. Deutschland lag hier zwar 2022 noch auf einem guten dritten Rang weltweit gesehen. Doch nach den jüngsten Schätzungen der International Federation of Robotics wird es voraussichtlich schon 2023 von diesem Platz verdrängt werden - und zwar von China.

„China wird damit einen höheren Automatisierungsgrad haben und das sollte uns zu denken geben“, sagte Patrick Schwarzkopf, Geschäftsführer des VDMA Robotik+Automation. Der Grund für die höhere Roboterdichte in China liegt Schwarzkopf zufolge daran, dass die Hauptanwenderbranchen – Consumer Electronics und die Automobilindustrie – sehr stark in der Volksrepublik vertreten sind.

Deutschland wird alt

Die Bevölkerung in Deutschland wird im Durchschnitt immer älter - wodurch zunehmend Arbeitskräfte fehlen. Die Überalterung der Gesellschaft hat mehrere Ursachen: Etwa eine wachsende Lebenserwartung in Folge verbesserter Ernährung und medizinischer Versorgung oder eine im Verlauf der Jahrzehnte stark zurückgegangene Geburtenrate. Die folgende Grafik des Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung zeigt sehr anschaulich, wie sich dadurch das Verhältnis von jungen und alten Menschen in Deutschland seit 1871 schon verschoben hat und weiter verschieben wird.

Prozentualer Anteil der Menschen unter 20, ab 65 und über 80 Jahren an der Gesamtbevölkerung zwischen 1871 und 2060 (geschätzt)
Prozentualer Anteil der Menschen unter 20, ab 65 und über 80 Jahren an der Gesamtbevölkerung zwischen 1871 und 2060 (geschätzt) (Bild: BiB)

Deutschland ist unattraktiv für Einwanderung

Länder wie die USA oder Neuseeland haben es vorgemacht: Mit einer gezielten Einwanderungspolitik etwa von fachlich hochqualifiziertem Personal lässt sich wirtschaftlich Kapital schlagen. Mit dieser Erkenntnis tut sich Deutschland noch schwer. Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung im Auftrag der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) liegt Deutschland nur auf Rang 15 bei der Attraktivität für Fachpersonal - weit abgeschlagen im Rennen mit durchaus vergleichbaren Ländern wie Schweden (2. Platz), die Schweiz (3.) oder den Niederlanden (9.).

Das Fazit von Ralph Heck, Vorstandsvorsitzender der Bertelsmann Stiftung: "Deutschland braucht Fachkräfte auch aus dem Ausland, um seinen Wohlstand zu sichern. Der internationale Vergleich macht deutlich, was Deutschland tun muss, um die für unser Land so wichtige Fachkräftezuwanderung noch besser zu gestalten“. Gemeint sind damit Themen wie schleppende Digitalisierung, die gesellschaftliche Akzeptanz von Migrant:innen und ein Übermaß an Bürokratie.

Bei der Attraktivität für hochqualifizierte ausländische Fachkräfte ist Deutschland unter den OECD-Staaten auf Platz 15 abgerutscht.
Bei der Attraktivität für hochqualifizierte ausländische Fachkräfte ist Deutschland unter den OECD-Staaten auf Platz 15 abgerutscht. (Bild: OECD / Bertelsmann Stiftung)

Deutschland ist überreguliert

Ein Beleg für eine Überregulierung von Deutschland findet sich auch der Studie "Länderindex Familienunternehmen". Sie bewertet die Attraktivität des deutschen Standorts aus der Perspektive von großen Familienunternehmen nach verschiedenen Kriterien. Besonders schlecht schneidet Deutschland - das ja maßgeblich von mittelständischen Familienbetrieben geprägt ist - beim Thema Regulierung ab.

Für Familienunternehmen seien Regulierungsbarrieren von besonderer Bedeutung, weil sie durch ihre spezielle Eigentümerstruktur zumeist kurze Entscheidungswege aufweisen und schnell auf veränderte Umweltbedingungen reagieren können, so die Studie. Einschränkungen durch Regulierungen können diese Vorteile ganz oder teilweise wieder zunichtemachen.

An der Spitze in diesem Ranking liegen die USA mit einem Indexwert von 81,32 Punkten. Deutschland befindet sich im aktuellen Ranking auf Rang 19, um fünf Ränge verschlechtert gegenüber der Vergleichsrechnung für die Vorperiode. Die günstigsten Ergebnisse werden im Bereich „Arbeitsmarkt und Tarifrecht“ erzielt, wo sich Deutschland im Mittelfeld der Länderauswahl befindet. Vergleichsweise schlecht sind die Resultate hingegen in den Bereichen „Geschäftsgründung“, „Regulierungen im laufenden Geschäftsbetrieb“ und vor allem in der betrieblichen Mitbestimmung. Mit diesem Resultat befindet sich Deutschland in der aktuellen Rangliste unter den drei am stärksten regulierten Ländern der Länderauswahl und ist hinter das traditionell in der Schlussgruppe zu findende Italien zurückgefallen.

Deutschland benachteiligt Frauen

Bei der unterschiedlichen Bezahlung von Männern und Frauen für die gleiche Arbeit nimmt Deutschland in der Europäischen Union einen unrühmlichen drittletzten Platz ein. Der Unterschiede im Bruttostundenverdienst von 17,6 Prozent wird nur noch von Österreich und Estland übertroffen, wie die Grafik unten zeigt. Laut dem Wirtschaftforschungsinstitut DIW dämpft die Lohnlücke auch den Anreiz für Frauen, zu arbeiten oder mehr zu arbeiten, und das wiederum bedeute, dass Arbeitspotenzial, also Potenzial für Wachstum, brach liege.

In die gleiche Kerbe schlägt eine aktuelle Studie der acatech - Deutsche Akademie der Technikwissenschaften mit dem Titel Innovationssystem Deutschland: Die Fachkräftesicherung in Deutschland unterstützen: "Viel wäre zu holen, wenn mehr Teilzeitbeschäftigte ihre Arbeitszeit erhöhen können – das setzt bessere Angebote für Kinderbetreuung und Pflege voraus", so das Fazit der Autoren - denn diese unbezahlte Care-Arbeit wird zum weit überwiegenden Teil von Frauen geleistet.

Der Autor: Peter Koller

Peter Koller
(Bild: Anna McMaster)

Gelernter Politik-Journalist, heute News-Junkie, Robotik-Afficionado und Nerd-Versteher. Chefredakteur des Automatisierungsmagazins IEE. Peter Koller liebt den Technik-Journalismus, weil es das einzige Themengebiet ist, wo wirklich ständig neue Dinge passieren. Treibstoff: Milchschaum mit Koffein.

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