Eine Masse oder ein Kippmoment zu berechnen, ist zeitaufwendig und mühevoll. Sehr viel komfortabler sind geeignete Programme für physikbasierte Repräsentationen. Die sogenannten Physikengines haben ihren Ursprung in der Filmindustrie. Sie sind am Werk, wenn ein Monster auf ein Fahrzeug einhämmert, dass sich Bleche biegen und Scheiben splittern. Kein Unternehmen aus der Automobil-, Luft- und Raumfahrtindustrie kann heutzutage beim effektiven Konstruieren und Testen virtueller Prototypen darauf verzichten.
Anbieter entsprechender Software verzeichnen zweistellige Zuwachsraten. Allein das amerikanische Unternehmen Ansys erzielte in 2015 einen Umsatz von einer Milliarde Dollar. Aber wie werden diese Simulationen erzeugt und wie lassen sich damit Ressourcen einsparen?
In vier Stufen zum Ziel
„Physikbasierte Simulationen lassen sich in verschiedene Hauptdisziplinen einteilen. In Struktur- und Strömungsmechanik sowie Elektromagnetik“, sagt Georg Scheuerer, Geschäftsführer der Ansys-Filiale im oberbayerischen Otterfing. Unabhängig davon, auf welche Disziplin sich ein Simulationsprojekt bezieht, ist es prinzipiell in vier Abschnitte gegliedert. Beim Preprocessing wird durch die Software zunächst ein Geometriemodell erzeugt oder von einem CAD-Verfahren importiert, welches dann idealerweise bereits parametriert ist.
Für strukturmechanische Analysen enthält es Angaben zu Abmessungen, Materialdichten, Elastizitätsmodulen, Koeffizienten für Reibung- und Wärmeausdehnung sowie gegebenenfalls Daten für Antriebe und Lager. Im zweiten Schritt wird das Modell vernetzt, das heißt, in kleine „finite“ Elemente aufgeteilt. Danach führt die Physikengine komplexe Berechnungen durch. Postprocessing wertet dann die Ergebnisse aus. Beim automatisierten Vernetzen unterteilt ein Algorithmus das Modell in kleine 3D-Elemente. Dabei kann es sich um Tetrader, Hexa- oder Polyeder handeln. Bei der Analyse von Strömungen ist das Fluid in eine bis mehrere Millionen Elemente zergliedert, für strukturmechanische Untersuchungen von Bauteilen sind es etwa die Hälfte und im Bereich der Elektromechanik etwa Hunderttausend bis mehrere hundert Millionen.
Enorm viele sind es auch, wenn Ansys für zwei große Formel-1-Rennställe Projekte bearbeitet. Einschließlich Motorraum und Unterboden werden die Karossen der Flitzer in etwa 300 bis 700 Millionen Elemente unterteilt. Allein die Konstruktion der CAD-Zeichnung dauert einige Wochen. Und für die strömungs- und strukturmechanischen Betrachtungen rechnen hunderte Prozessoren bis zu zwei Tage lang.
Viele Elemente und Gleichungen
Geradezu simpel erscheint es, einen Roboterarm strukturmechanisch zu simulieren. Eine Unterteilung in Ein- bis Zweihunderttausend Elemente kann schon ausreichend sein. „Ist die 3D-Designzeichnung erst einmal vorhanden, dauert es etwa noch eine Stunde, bis die bearbeitete Darstellung auf einem Monitor in Aktion treten kann“, sagt Scheuerer. Die Vernetzung geschieht hier augenblicklich. Sie ist Voraussetzung dafür, dass die Physikengine auf Basis der Finite-Elemente-Methode (FEM) physikalische Größen innerhalb des Arms berechnen kann, wenn sich dieser im Ruhestand befindet oder bewegt. Für jedes Gitterelement ist ein Satz von Differentialgleichungen zu lösen, welche Spannungen, Impulse und Energieinhalt beschreiben. Und da ein Computer keine Differentialgleichungen lösen kann, ersetzt die Engine diese durch eine große Zahl linearer algebraischer Gleichungen.
„Alle Elemente eines Gitters sind entweder direkt oder indirekt verbunden und stehen miteinander in Wechselwirkung. Bei einer Vernetzung von einer Million Zellen ist daher je abhängige Variable wie Dehnung oder Geschwindigkeitskomponente eine Matrix von einer Million Zeilen und einer Million Spalten simultan zu berechnen“, sagt Scheuerer. Und zwar entsprechend der zeitlichen Auflösung von Bewegungsabläufen für jeden Zeitpunkt neu. Das erfordert nicht nur hocheffiziente Lösungsalgorithmen, sondern auch hohe Kapazitäten zum Speichern der Matrix. Mit der gleichen Simulation lassen sich nicht nur strukturmechanische Effekte nachbilden, sondern auch thermische Einflüsse untersuchen. Zum Beispiel, ob sich ein Lager durch falsche Belastung erwärmt, dadurch die Schmierung zu versagen und es ausfallen könnte.
Die graphische Darstellung einer Simulation oder das Komprimieren von Daten zu anschaulichen Größen wie Wirkungsgrade oder Widerstandsbeiwerte erfolgt durch Postprozessoren und erfordert wesentlich geringeren Rechenaufwand als das Processing. Sie ermöglichen es, errechnete Effekte farblich codiert abzubilden und die Bilder in Echtzeit zu animieren. „An Hand eines dynamischen Farbmusters ist erkennbar, wie sich die Spannungen in einem Roboterarm räumlich ändern, während sich dieser bewegt“, sagt Scheuerer.
Automatisch das Design verändern
Aber die Physikengine von Ansys kann noch mehr, als nur ein gegebenes Modell nach physikalischen Gesichtspunkten zu berechnen. Sie kann auch das Design eines Roboters verändern, indem sie geometrische Abmessungen variiert oder andere Antriebe und Lager wählt. Würde sich ein stählerner Arm an bestimmten Stellen mehr als zulässig verbiegen, ändert die Engine automatisch relevante Parameter, rechnet erneut und prüft, wie gut die Randbedingungen nun erfüllt sind. Je nach Problemstellung können 30 bis 40 iterative Zyklen notwendig sein, bis eine oder mehrere optimale Lösungen ermittelt sind. „Es gibt auch Algorithmen, die entsprechend einem genetischen Prozess zwei gute Lösungen miteinander kreuzen, um Eigenschaften in einer Konstruktion zu vereinigen“, erklärt Scheuerer.
Wie gut kann aber eine Maschine nach einem realen Vorbild simuliert werden? Oder wie gut ist eine in der Cyberwelt funktionierende Vorlage realisierbar? Einerseits hängt dies davon ab, wie detailliert das erstellte Modell ist. Andererseits spielt die relevante Physik eine große Rolle. Bei strukturmechanischen Analysen liegen die Abweichungen in der Regel bei fünf Prozent. Das kann schon zu viel sein, wenn es darum geht, dass ein Montageroboter eine Tür in den Rahmen eines Autos einpasst. „Dann kann es notwendig sein, die reale Situation noch genauer zu betrachten und die Simulation entsprechend anzupassen“, sagt Scheuerer.
Hundert Prozent Übereinstimmung sind erreichbar, aber es ist immer abzuschätzen, ob der Aufwand lohnt. Im Vergleich zu strukturmechanischen Auswirkungen sind Strömungsmechanik und elektromagnetische Effekte schwieriger darzustellen. Auch wenn die Absolutwerte hier nicht genau vorhergesagt werden, treffen Trendvorhersagen bei Variation relevanter Parameter häufig zu. Herkömmliche Software stellt je Physikdisziplin eine eigene Benutzeroberfläche zur Verfügung. Mit der Konsequenz, dass diese zu verlassen ist, geht man von einer physikalischen Simulation zu einer anderen über. Da es aber nur wenige Indus-triegüter gibt, für die nur eine Physik relevant ist, hat der Softwarespezialist mit Ansys Integrated Multiphysics eine Software entwickelt, bei der auf einer Oberfläche alle drei Physikdisziplinen darstellbar sind. „Der Trend geht definitiv zu sehr komplexen, gekoppelten Simulationen, zum Beispiel zur Darstellung eines Verbrennungsmotors oder eines ganzen Flugzeugs“, sagt Scheuerer.