Damit die Bedienung von IT-Systemen für die User auch in der Industrie möglichst einfach wird, müssen die Interface-Designer eine Menge Arbeit machen.

Damit die Bedienung von IT-Systemen für die User auch in der Industrie möglichst einfach wird, müssen die Interface-Designer eine Menge Arbeit machen. (Bild: Adobe Stock – ckybe)

Der Themenkomplex Usability, UX-Design, User Centric Design (UCD) ist heute in aller Munde. Inwieweit ist er denn im Maschinen- und Anlagenbau bereits angekommen?
Stefan Niermann: Grundsätzlich ist die Nutzerfreundlichkeit seit vielen Jahren ein wichtiger Aspekt eines jeden HMI. So zeigt HMI-Hardware in Produktionshallen explizite Bedienelemente, führt Nutzer über Farben und Symbole durch die Anwendung und lädt über Touch-Displays zu Interaktionen ein. Gleichzeitig rückt UX verstärkt in den Fokus, da Displays im Zuge der Digitalisierung immer öfter mechanische Schalter und Drehknöpfe ersetzen, die früher die Mensch-Maschine-Schnittstelle (HMI) bestimmten. Zudem halten neben fest an Maschinen oder Leitständen installierten Bildschirmen auch mobile Lösungen basierend auf Smartphones oder Tablets verstärkt Einzug in die Fabrikhallen. Dennoch erfährt UX bei der Entwicklung von Maschinen bisher nicht die notwendige Aufmerksamkeit.

In Kürze

  • Das Design des User Interface (UX) ist ­bedeutsam für eine sichere und effiziente Maschinenbedienung.
  • Dennoch tut sich der Maschinenbau noch schwer mit dem UX-Design.
  • Stefan Niermann von Inosoft erläutert, wie eine strukturierte Herangehensweise aussieht.

Warum sollten Maschinen- und Anlagenbauer dem UX-Design mehr Aufmerksamkeit widmen?
Niermann: Ich sehe hier mehrere Entwicklungen: Zum einen steigt mit der zunehmenden Digitalisierung und Automatisierung die Komplexität der Anlagen und Prozesse und damit auch die Bedeutung einer möglichst intuitiven Bedienung. Hinzu kommt, dass Krieg und Krisen den Kosten-, Wettbewerbs- und Effizienzdruck auf Unternehmen erhöhen. Sie sind gezwungen, effi­zienter und kostensparender zu arbeiten. Fehler in der Bedienung von Maschinen und Anlagen sind kaum noch zu tolerieren. Und letztlich führt der demografische Wandel dazu, dass Unternehmen händeringend nach Fachkräften suchen. Weniger qualifizierte Mitarbeiter gleichen den Mangel an Nachwuchs aus, benötigen aber verständliche Interfaces für ihre Arbeit.

Zitat

Mit durchdachten und optimierten Bedienoberflächen, die für Hochwertigkeit und technische Überlegenheit von Maschinen und Anlagen stehen, können Hersteller den Wert ihrer Marke steigern.

Stefan Niermann, Head of Business Development bei der Inosoft GmbH

Lohnt es sich also, in UX-Design zu investieren?
Niermann: Unbedingt. Ein auf den Bediener und seine Bedürfnisse zugeschnittenes User Interface (UI) zahlt sich auf mehreren Ebenen aus. Mit durchdachten und optimierten Bedienoberflächen, die für Hochwertigkeit und technische Überlegenheit von Maschinen und Anlagen stehen, können Hersteller den Wert ihrer Marke steigern. Zudem eröffnen sich ihnen neue Perspektiven, um ihre Produkte und Services zu vermarkten.

Gelingt es, mit dem UX-Design passende UIs zu erstellen, so profitieren die Betreiber von zufriedenen und produktiven Mitarbeitern. Fehler in der Bedienung werden reduziert und dank intuitiver Bedienoberflächen sinken auch die Schulungskosten. Neue Mitarbeiter sind schneller angelernt, arbeiten motiviert und haben keine Probleme damit, Maschinen und Anlagen sicher zu bedienen. Damit trotzen Unternehmen nicht nur dem Fachkräftemangel, sondern positionieren sich gleichzeitig als attraktive Arbeitgeber. Wenn Produktivität und Effizienz steigen, während Fehlerquoten und Kosten sinken, sichert das außerdem die Profitabilität und am Ende die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen.

Zur Person: Stefan Niermann

Stefan Niermann
Stefan Niermann (Bild: Inosoft)

Stefan Niermann ist Head of Business Development bei der Inosoft GmbH in Hiddenhausen. Nach einer Ausbildung zum Elektroinstallateur folgte ein Studium der  Elektrotechnik/Automatisierungstechnik, das Niermann als Dipl.-Ingenieur (FH) abgeschlossen hat. Er ist seit 29 Jahren bei Inosoft tätig. Das Unternehmen gehört mit der Produktfamilie VisiWin zu den führenden Herstellern von Prozessvisualisierungs-Software.

Wo tut sich der Maschinen- und Anlagenbau denn noch schwer mit dem Thema UX-Design?
Niermann: Unserer Erfahrung nach hapert es an der Festlegung fundierter und klarer Designempfehlungen. So haben viele Maschinenbauer zwar konkrete Vorstellungen darüber, welche Anforderungen neue Bedienoberflächen erfüllen müssen, verlieren den Nutzer jedoch bei der Festlegung des Designs aus den Augen. Oder sie bleiben in der Umsetzungsphase stecken. Konkret läuft das dann so, dass verschiedene Fachabteilungen und Stakeholder einbezogen, große Pläne geschmiedet und Lastenhefte geschrieben werden. Im Fokus steht dabei das Ansinnen, die Bedürfnisse aller Beteiligten zu befriedigen. Das führt jedoch dazu, dass ein roter Faden fehlt und die Anwender Lösungen erhalten, die zwar den Wünschen der Stakeholder entsprechen, aber hinsichtlich der intuitiven und praktikablen Bedienung nicht auf die eigentlichen Bedürfnisse abgestimmt sind. Oft stellt sich dann im Betrieb heraus, dass die neue Oberfläche zwar modern aussieht, die Bediener damit allerdings nicht effizient arbeiten können.

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Und wie gelingt der Prozess?
Niermann: Maschinen- und Anlagenbauer sollten beim Thema UX auf die Expertise von Fachleuten setzen. Durchdachte Designs sparen nicht nur endlose Diskussionen mit den Stakeholdern, sondern auch viele Entwicklerstunden und machen teure Anpassungen überflüssig. Um fundierte und klare Designempfehlungen geben zu können, steht idealerweise am Anfang eines UX-Designprojekts die Phase ‚Verstehen und Priorisieren‘. Hier geht es darum, dass die Designer zunächst die größeren Zusammenhänge ganzheitlich erfassen. Im Rahmen von zum Beispiel Interviews, Workshops, Benchmark- oder Stakeholder-Analysen verschaffen sie sich einen Überblick über die Anforderungen der verschiedenen Nutzer und entwickeln das ‚Big Picture‘. Basierend darauf erarbeiten sie ein Verständnis von der Maschine und ihrer Umgebung und konkretisieren die Anforderungen an die geforderten Designs.

In der Projektphase ‚Kreieren und Spezifizieren‘ entstehen dann erste Bedienkonzepte, und die Designer erstellen und entwickeln Grundprinzipien für die Gestaltung. Es folgen Konkretisierungen in Form von Moodboards sowie Wireframes, spezifizierte Designscreens, interaktive PDFs und Prototypen zum Durchklicken. Am Ende des Designprojektes steht letztlich der UX/UI-Styleguide.

Je besser die Designer den Kunden verstehen, je enger die Abstimmungen erfolgen und je detaillierter der Styleguide ausgearbeitet wird, desto einfacher können die Entwickler die Designs später umsetzen. Das spart nicht nur viel Zeit, sondern vor allem auch Entwicklungskosten.

Ist das dann nicht erst der Anfang der Umsetzung?
Niermann: Richtig. Der Styleguide dient dem Entwickler als Baukasten, mit dem er nun die Designvorgaben IT-seitig umsetzt. Doch bevor es losgeht, sollte der Maschinenbauer einige richtungsweisende Entscheidungen treffen:

  • Bringen wir die Ressourcen für die Entwicklung selbst auf oder beauftragen wir externe Entwickler?
  • Mit welcher Software setzen wir das UX-Design um?
  • Soll das Design browserbasiert oder nativ realisiert werden?

Grundsätzlich ist es wichtig, dass die Entwickler sowohl das Design Manual verstehen als auch die Prozesse, die mit dem UI bedient werden sollen. Nur so gelingt es, die Designs erfolgreich in die Sprache der Bediener und der Maschine zu übersetzen. Daher sollten Entwickler früh in das Designprojekt eingebunden werden, damit sie ihr Know-how einbringen und von Anfang an einschätzen können, was mit den vorhandenen oder avisierten Tools umsetzbar ist und was nicht.

Was ist bei der Auswahl der Software zu beachten?
Niermann: Meist nutzen Maschinen- und Anlagenbauer proprietäre oder Standardsoftware für ihre HMI-Programmierung. Allerdings sind Designern und Entwicklern damit oft Grenzen bei der Umsetzung gesetzt. Viele Programme von Automatisierungsanbietern bieten oft nur die vorgefertigten Funktionen und lassen kaum Raum für Flexibilität und Kreativität zur Gestaltung des grafischen Designs der Oberflächen. Individuelle Anpassungen sind dann nur mit aufwendiger und damit kostspieliger Programmierung möglich.
Wir bei Inosoft verfolgen mit VisiWin einen anderen Ansatz. Unsere Prozessvisualisierung setzt auf Offenheit, etablierte Standardtechnologien, Programmierung und Parametrierung, Standardisierung und Modularität. Unser Fokus in Bezug auf das Design liegt auf Durchgängigkeit und Wiederverwendbarkeit. Denn nur so entsteht UX-Design, das konsistent, flexibel und dadurch wirtschaftlich ist.

Stichwort: User Experience (UX)

User Experience (UX) in der Softwareentwicklung bezieht sich auf die Gesamtheit der Eindrücke und Interaktionen, die ein Nutzer mit einer Software-Anwendung erlebt. Sie umfasst Design, Benutzerfreundlichkeit und die emotionale Reaktion des Nutzers. Es ist wichtig, dass Softwareentwickler UX von Anfang an berücksichtigen. Das umfasst eine Vielzahl von einzelnen Aspekten von der Erstellung von Prototypen, um die Benutzerinteraktion zu testen bis hin zur Beachtung von Barrierefreiheit.

Wie sieht die konkrete Umsetzung in diesem Fall aus?
Niermann: Wenn es nun darum geht, die Vorgaben des Styleguides mit seinen Listen für Farben, Farbverläufe, Schriftarten, Abständen und so weiter in die Applikation zu überführen, sind dem Entwickler mit VisiWin bei der Umsetzung nahezu keine Grenzen gesetzt. So erlaubt es die Grafikschnittstelle Entwicklern etwa, bei Bedarf Transparenz, Farbverläufe oder Animationen einzusetzen und alle Elemente wie Buttons oder Listen individuell zu stylen oder gänzlich neu zu erfinden.
Steht das neue UI, kann der zugrundeliegende Styleguide immer wieder verwendet und auf weitere Projekte übertragen werden. Da die Visualisierung mit VisiWin auf wiederverwendbaren Modulen basiert, gibt es nur eine zentrale Quelle für Test, Freigabe, Wartung, Versionierung und Verwaltung der Module. Dieser Ansatz ermöglicht ein effizientes Engineering über verschiedene Maschinen- und Anlagenprojekte hinweg.

Wie sollten Applikationen denn heute umgesetzt werden, eher alle browserbasiert oder doch nativ?
Niermann: Beide Ansätze, nativ und browserbasiert, haben Vor- und Nachteile, schließen einander aber nicht aus. Grundsätzlich geht es um die Frage, ob die Bedienung über mobile Endgeräte oder über ein Bedienterminal realisiert werden soll.

VisiWin ist ein offenes System, das je nach Kundenwunsch auf native und auf webbasierte Lösungen angepasst werden kann. Das Modern UI basiert auf der leistungsfähigen Grafikschnittstelle Windows Presentation Foundation (WPF), die animierte High-End-Grafiken, anspruchsvolle Designs oder 3D-Grafiken darstellen kann. Das Web UI ermöglicht plattformunabhängige Nutzeroberflächen auf mobilen Geräten auf Basis von HTML5 und Java-Script.

Wir empfehlen Industrieunternehmen, den Einsatz ganzheitlich zu betrachten und die Implementierung sorgfältig zu durchdenken. Bei einer Windkraftanlage
in abgeschiedener Lage ist der Fernzugriff über den Browser für das Wartungspersonal unabdingbar. In einer Produktionsanlage mit komplexen Prozessen stellt unter Umständen der Zugriff per Panel-PC die bessere Wahl dar. Letztlich spielen Faktoren wie die Nutzung des HMI, die Sicherheit und die Komplexität der Prozesse und Funktionen eine Rolle bei der Entscheidung.

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