Herr Vetter, was hat Pilz, was haben Sie mit Robotern zu tun?
Pilz sorgt für Sicherheit, und das ist gerade auch bei Robotern dringend nötig. Ich selbst bin seit 2007 bei Pilz, habe dort im technischen Support begonnen. Seit 2010 arbeite ich im Consulting für Maschinensicherheit, wir übernehmen die CE-Kennzeichnungen im Auftrag des Kunden, des Maschinenherstellers. Mit dem Thema Mensch-Roboter-Kollaboration, mit MRK, befasse ich mich seit 2013, und 2014 hat mir dann Pilz die Möglichkeit gegeben, ein Robotik-Team zu gründen. Seitdem ist MRK und deren sicherheitstechnische Bewertung mein tägliches Brot.
Warum haben Sie sich der MRK gewidmet, was hat Sie daran interessiert?
Zu Beginn, das muss man ganz klar sagen, war MRK schlicht etwas Neues, MRK galt als „sexy“ und viele Kunden wollten es einfach ausprobieren. Durch neue, intelligente Sicherheitsfunktionen in den Robotersystemen, zum Beispiel eine sehr hohe Feinfühligkeit, kann man nun in Bereiche vorstoßen, die zuvor sicherheitstechnisch überhaupt gar nicht möglich waren. Das wiederum ermöglicht zusammen mit der Kreativität und dem Mitdenken des „kollaborierenden“ Menschen Lösungen, die mit der normalen Komplettautomatisierung so nicht zu realisieren sind. Das fanden auch wir spannend. Mittlerweile sieht man, wie sich das Ganze wandelt. Die Applikation darf jetzt nicht mehr nur sexy sein, sie muss wirtschaftlich laufen, muss sich rentieren und sicher sein. Das macht MRK sogar noch spannender.
Wo soll diese neue Technologie hinführen? Wer soll sie einsetzen und wo überall kann sie Ihrer Meinung nach eingesetzt werden?
Die Zukunftsvision von MRK ist im industriellen Umfeld ganz klar das Daniel-Düsentrieb-Helferlein, das heute hier, morgen dort den Menschen bei der Arbeit unterstützt. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Treiber dieser neuen Technologien sind momentan hauptsächlich die Automobilisten und Elektronikkonzerne. Auf der anderen Seite: Durch die immer größer werdende Beliebtheit der MRK-Roboter steigen auch deren Verkaufszahlen. Damit sinkt der Preis, und wenn man dann in einem Bereich landet, wo auch der kleine Lohnfertiger sich einen Roboter, etwa zur Maschinenbestückung, leisten kann, dann gibt es natürlich ganz neue Anwendungsfälle für diese Systeme.
Warum soll der Weg noch so weit sein? Die Systeme gibt es doch mittlerweile.
Ein wesentlicher Punkt ist, dass die Bedienkonzepte noch deutlich vereinfacht werden müssen, dass sie vielleicht sogar vereinheitlicht werden müssen. Als eine Voraussetzung für die weite Verbreitung von MRK-Systemen wird zum Beispiel häufig genannt, dass leichte Bedienbarkeit der eines Autonavigationssystems entsprechen sollte. Einige Hersteller sind da schon recht nah dran, teilweise sind andere aber auch sehr, sehr weit davon weg.
Nun kümmern Sie sich mit Ihrem Team ja vorwiegend um die Sicherheit von MRK-Anwendungen. Ist das so schwierig, dass man dafür eine eigene Dienstleistung braucht?
Diese Cobots sind ja recht klein und kompakt, außerdem haben sie ausgeklügelte Sicherheitsfunktionen an Bord. Das klingt für mich nach auspacken und loslegen…
Da sprechen Sie eigentlich schon die größte Gefahr an. Der kollaborierende Roboter, der Cobot, der ja mit dem Menschen zusammenarbeiten soll, darf deswegen nicht furchteinflößend sein, einfach um vom „Kollegen Mensch“ akzeptiert zu werden. Da wird er leicht unterschätzt. Deshalb die klare Warnung: Ja, auch diese Roboter sind per se nicht sicher. Es sind Industriemaschinen, die man für Sicherheitsfunktionen sensibel schalten kann. Wenn man diese Sensibilität ausschaltet, dann sind es hoch effiziente, schnelle Maschinen, die ein sehr hohes Gefahrenpotenzial für den Menschen darstellen. Egal, ob es jetzt ein MRK-Leichtbauroboter ist oder ein kleinerer Industrietischroboter: Wenn da ein Mensch im Weg ist, dann wird er auf jeden Fall verletzt. Bei einer traditionellen Roboterzelle können Sie schon auf dem CAD-Layout sehen, wo sie anfängt und wo sie aufhört. Bei MRK verschwimmen die Grenzen, Sie müssen das Umfeld mit betrachten, müssen einkalkulieren, dass jetzt eine Kollision möglich ist. Auf der anderen Seite haben Sie ganz neue Sicherheitsfunktionen, die der Roboter von Haus aus mitbringt, sodass man eine breitere Sichtweise auf die Applikation braucht. Deswegen hat Pilz dieses Experten-Team für Robotik gegründet. Und mit dem neuen Regelwerk ISO/TS 15066 haben wir zum ersten Mal Kollisionswerte in der Hand, mit denen wir die Sicherheit eines solchen Systems und gleichzeitig auch das Weglassen des Schutzzauns argumentieren können.
Sie sprechen die neue technische Spezifikation für kollaborierende Roboter an. Was hat es damit auf sich?
Die TS 15066 gibt es jetzt seit Februar dieses Jahres. In ihr sind maßgeblich die vier Methoden benannt, mit denen MRK-Systeme sicher gemacht werden können (siehe Kasten). Unter anderem haben wir hier nun erstmals Grenzen für Kollisionswerte in einem normativen Dokument zur Hand. Die Grenzwerte, die dort genannt sind, sind keine Verletzungsgrenzwerte, sondern es sind Schmerzgrenzwerte. Jedem Körperteil wurde eine entsprechende Federkonstante zugewiesen, um die Nachgiebigkeit des Körpers bei der Messung simulieren zu können.
Was bedeutet das mit der Federkonstante? Reicht nicht ein Kraftwert?
Nun, wenn ich ein Robotersystem in der Kraft begrenze, dann ist das eine Schwelle, die das System irgendwann detektiert. Die Frage ist nun, bei welcher Dynamik und an welcher Stelle detektiert das System diese Kraft. Denn klar ist: Wenn eine Kollision stattfindet, ist der Bremsweg vom Auslösen bis zur Geschwindigkeit null, dieser Bremsweg findet im menschlichen Körper statt. Auch hierbei darf je nach Körperteil die eingestellte Grenze nicht überschritten werden. Das macht das Thema so komplex, auch später bei der Validierung. Man muss immer die tatsächlich real mögliche Kollision an der fertigen Anlage untersuchen. Dazu muss man eine Kraft- und Druckmessung durchführen, um nachher sicherzugehen, dass die Grenzwerte eingehalten werden.
Was passiert, wenn der Mensch sich dumm verhält oder sogar mutwillig in den Roboter läuft?
Genau diese Szenarien macht die Sicherheitsbetrachtung, sprich die Risikobeurteilung, für solche Applikationen sehr komplex. Eine Mutwilligkeit zu verhindern ist natürlich kaum möglich, aber das gilt auch bei jeder anderen Maschine. Aber Fahrlässigkeit muss man einbeziehen. Man muss zum einen die bestimmungsgemäße Verwendung betrachten: Wann muss eine Person betriebsmäßig in die Applikation, was hat sie dort zu tun? Ebenso, und hier wird es schwieriger, muss man überlegen, was denn die vorhersehbare Fehlanwendung sein könnte. Hier gilt es, sämtliche möglichen Szenarien zu erdenken und dann die entsprechenden risikomindernden Schritte abzuleiten.