Lernende Maschinen in der Automatisierung
Wie Federated Learning die Produktion optimieren kann
Fast jeder nutzt Federated Learning – jeden Tag und seit Jahren. Denn das erste große Einsatzgebiet für die Machine-Learning-Anwendung war 2017 im Rahmen der Android-Tastatur.
Nutzer trainieren seitdem neuronale Netze über Smartphones hinweg, ohne dass ihre Daten dafür offengelegt werden. Inzwischen kommt Federated Learning auch in der Industrie an und hat dort das Potenzial, die Fertigung zu verbessern.
Federated Learning oder auch kollaboratives Lernen ermöglicht es, gelerntes Wissen von einem System auf ein anderes zu übertragen, ohne dass dafür lokale Daten ausgetauscht werden müssen. „Die Idee von Federated Learning ist, dass Roboter und andere Industriekomponenten, die bei den Kunden den Algorithmus ausführen und lokal selbst weiterlernen und dieses Wissen untereinander austauschen“, erklärt Jan Seyler, Leiter KI und Regelungstechnik in Forschung und Vorentwicklung bei Festo.
Daten bleiben lokal, Modelle werden global
Wenn ein Unternehmen etwa zu wenige Anlagen hat, um selbst lernen zu können, wann eine Wartung notwendig sein wird, kann es sich lohnen, das eigene Wissen mit dem anderer Anwender zusammenzuführen. Schließlich steckt in Predictive Maintenance erhebliches Potenzial für Kosteneinsparungen. Nach einer Studie von McKinsey kann KI die Inspektionskosten für Maschinen um bis zu 25 % senken.
Die Daten bleiben lokal in den jeweiligen Anlagen. Ein globales Machine-Learning-Modell wird an diese Anlage geschickt, dort mit lokalen Daten trainiert und aktualisiert zurück an die globale Stelle gesendet. So ermöglicht es Federated Learning, Maschinenmodelle auch über Werke und Kunden hinweg zu verbessern. Das ermöglicht verbesserte Qualitätskontrolle und Arbeitsabläufe und vorausschauende Wartung, während die Datenschutzbestimmungen eingehalten werden.
Erste Erfolge in anderen Branchen
Branchen wie Life Sciences oder Chemie wenden Federated Learning schon erfolgreich an. Compute Gateway-Anbieter Apheris hat mit seinem Kunden BASF ein Projekt realisiert. Das Problem: BASF stellt Basis-Chemiegüter her und will besser verstehen, wie gut die Qualität für seine Kunden ist. Weder BASF noch die Kunden wollen dafür allerdings ihre eigenen Daten herausgeben.
„Über das Compute Gateway von Apheris lassen sich die Informationen so nutzbar machen und mit Federated Analytics auswerten, dass keine Rückschlüsse auf Rohdaten möglich sind und es trotzdem gelungen ist, die Produktion zu verbessern“, berichtet Johannes Forster, Director of AI Solution Architecture bei Apheris. Denn die Sorge bei Anwendern ist groß, dass aus Produktionsdaten womöglich Informationen über Abläufe und Interna herauskristallisiert werden könnten. Deswegen verschließen sich viele Organisationen dem Thema Machine Learning mit Verweis auf den Datenschutz.
Bei Apheris ist man der Meinung, dass sich Federated Learning und Datenschutz sehr gut miteinander vereinbaren lassen. Das Unternehmen entwickelt ein Compute Gateway, über das analytische Modelle kontrolliert auf Maschinendaten ausgeführt werden können. Die Daten selbst werden nicht bewegt. Nach erfolgter Analyse vor Ort werden die Teilergebnisse über sichere Aggregation zusammengestellt, wobei die Kunden selbst definieren können, welche Daten in die Analysen einfließen sollen, welche Modelle von welchem Nutzer erlaubt sind und unter welchen Bedingungen diese ausgeführt werden dürfen. „Die Modelle kommen von den Kunden, wir stellen die sichere Umgebung bereit und schützen die Plattform etwa auch vor Cyber-Angriffen“, so Forster.
Cyber-Angriffe sicher verhindern
Unsichere Komponenten als potenzielle Einfallstore in sensible Produktionsanlagen – dieses Risiko sieht auch Festo. „Natürlich ist das ein Thema, gerade in der aktuellen weltpolitischen Situation“, stimmt Seyler zu. Derzeit zieht Festo noch keine Informationen zu eigenen Komponenten aus dem Feld zurück. „Aber hier lassen wir in Europa sicherlich noch Chancen liegen“, so Seyler. Denn wenn sichergestellt ist, dass es keine Einfallstore gibt, bietet Federated Learning große Chancen: „Ideales Szenario wäre natürlich: Ein Kunde kauft Industriekomponenten oder ganze Anlagen, setzt die bei sich ein und sie werden über die Zeit besser.“
Ein Anwendungsfeld hat dabei oft zu wenig Blickweite. Wenn es jedoch gelingen würde, diese Komponenten EU- oder weltweit zu verteilen und von jedem Anwendungsfall zu lernen, würden alle sehr stark davon profitieren: Komponenten könnten sich besser anpassen, weniger ausfallen, zuverlässiger werden und vielleicht sogar selbst Verbesserungen vorschlagen, die sie bei anderen Anwendern gelernt haben.
Produktverbesserungen aus dem Feld
Was jedoch, wenn ein Kunde dieses Prozesswissen gar nicht teilen möchte, weil es eben sein Wettbewerbsvorteil ist? In dem Fall gibt es noch die Möglichkeit, dass Anwender Machine Learning so nutzen, dass sie ihre eigenen Modelle laufend verbessern. Hersteller liefern die Komponenten mit Modellen aus ihrer Testumgebung. „Das sind aber vielleicht gar nicht die Modelle, wie der Kunde sie benötigt“, sagt Johannes Forster von Apheris. „Dann kann das Modell im Feld trotzdem weiter verbessert und trainiert werden, und dieses Wissen immerhin an den Hersteller zurückspielen. So kann dieser seine Produkte verbessern.“ Dafür gibt es verschiedene Anreizmodelle.
Auch Festo denkt bereits über vergleichbare Möglichkeiten nach: „Der Vorteil wäre vor allem, den Algorithmus zu verbessern. Wenn wir etwa an neuronale Netze denken: Wir würden dann nur die Gewichte dieser Netze aus dem Feld zurückbekommen, aber keine konkreten Verfahrzeiten oder Sensorwerte. Die Daten wären so weit abstrahiert, dass wir keine Rückschlüsse über Abläufe ziehen, aber trotzdem die Entwicklung verbessern könnten.“
Doris Beck
ist freie Journalistin in München.