Angebaut an Motoren eines Herstellers aus der Region – der den OCEANERGY-Pionieren Wittenstein alpha als Getriebelieferanten empfohlen hatte – werden Hypoid-Winkelgetriebe der Baureihe TPK+ zur Steuerung der vier bis zu 1.200 m langen Kite-Seile eingesetzt. Nach positiven Erfahrungen mit diesen Getrieben und der engen Zusammenarbeit in diesem doch recht außergewöhnlichen Projekt entschloss sich OCEANERGY, sowohl in der manuellen Steuereinheit als auch in der Drehkranzsteuerung Getriebe der Baureihen TP+, NVH und XP+ sowie die rotativen Servoaktuatoren TPM+ von Wittenstein mit an Bord zu nehmen. Dabei hat sich das Start-up schon jetzt mit der Cynapse-Funktionalität – also mit integrierter Sensorik, Logik und IO-Link-Datenschnittstelle – in den TPK+-Hypoidgetrieben für eine zukunftssichere Technologie entschieden, die später einmal wichtige Betriebs- und Zustandsdaten liefern kann, während die Energieschiffe – KI-gestützt und entsprechend der Wettervorhersagen – zur Gewinnung von grünem H2 autonom in den sechs permanenten Starkwindzonen der Weltmeere navigieren werden. Dabei soll eine solche Wasserstoff-Produktionsanlage auf ihrer achtwöchigen „Erntefahrt“ etwa 1.000 Tonnen grünen Wasserstoff erzeugen. Das wären dann etwa 6.000 Tonnen pro Jahr – eine ausreichende Menge, um ca. 40.000 Wasserstoff PKWs ein Jahr lang zu betreiben.
Und die Zukunftsvision ist imposant: Aktuell sind etwa 15.000 Tanker mit fossilen Brennstoffen auf den Weltmeeren unterwegs. Diese werden voraussichtlich bis zum Jahr 2050 verschwinden und können durch KITE HYDROGEN SHIPS ersetzt werden. Mit einer Flotte von nur 5.000 Schiffen, die weltweit im Einsatz sind, könnte ein Weltmarktanteil bei Wasserstoff von zehn Prozent erreicht werden – mit einer möglichen CO2-Reduzierung von vielen Gigatonnen.
Kitesurfen: aus privatem Hobby wird unternehmerische Herausforderung
Die Sportart Kitesurfen stand Pate bei der Umsetzung der Idee der Energieschiffe – kein Wunder, geht doch Dr. Wolfram Reiners, einer der Vorstände des Stuttgarter Startups, mit Begeisterung diesem Hobby nach. „Mein Grundgedanke war, die Kräfte, die beim Kiten am Drachensegel auftreten und an den Seilen zerren, in elektrische Energie umzusetzen“, blickt er auf die anfängliche Idee zurück. Ein faszinierender Ansatz, den er gemeinsam mit Vorstands-Kollege Ulrich Dobler und dem OCEANERGY-Team um Felix Bartels, dem Leiter der Kite-Antriebs-Entwicklung, in Form der Kite Hydrogen Ships umsetzt. „Herzstück dieses Energieschiffkonzeptes ist das patentierte K1-Drachenantriebssystem, das als grüne Steckdose für den Elektrolyseprozess an Bord dient“, erklärt Ulrich Dobler. „Während der Energiegewinnung ermöglicht das Antriebssystem die vollständige Navigation der Kite-Schiffe auf allen Windkursen, über kurze Reichweiten vor dem Wind, über große Reichweiten nach dem Wind sowie bei Richtungsänderungen. Ein elektrischer Hilfsantrieb neben dem K1-Drachenantriebssystem wird nur für Notfälle und für die Navigation in Hafennähe vorgesehen.“ Die Entwicklung des K1-Drachenantriebssystems für die Energieschiffe stellt eine große Herausforderung dar, denn bereits bei Segelflächen von 60 m² wirken auf jedes der zu steuernden Kite-Seile Kräfte von bis zu vier Tonnen – Dimensionen, die im Vergleich zu zukünftigen Segelflächen und dadurch auftretende Kräfte gering sind.
Getriebeauslegung für Prototypen basiert auf Lightversion des Antriebssystems
Allerdings waren die Auslegungs- und Betriebsdaten der Lightversion für die Auswahl und Dimensionierung des Getriebes für die Hauptachse des K1-Drachenantriebssystems durchaus hilfreich. Deren Aufgabe ist es, die vier Frequenzumrichter-gesteuerten Seilzüge des Kite zu kontrollieren, während diese per Kite-Pumping elektrische Energie erzeugen. „Hierzu startet das von OCEANERGY entwickelte Launch-Land-System den Kite automatisch in den Wind, bis es die Starthöhe von ca. 100 m erreicht hat, um dann mit Hilfe des Autopiloten den Stromerzeugungszyklus in Höhenwinden auf bis zu 1000 Meter zu beginnen.“, erläutert Felix Bartels. „Die hierbei ausrollenden Seile erzeugen einen generatorischen Betrieb des Antriebssystems – und damit Energie. Je stärker der Wind ist, desto mehr Traktionskraft und Energie werden erzeugt. Danach wird der Kite durch den Luftwiderstand minimierendes Anstellen der Segelfläche wieder eingeholt. Die hierfür erforderliche motorische Energie beträgt lediglich einen Bruchteil der zuvor generatorisch gewonnenen Energie, so dass sich während der Erntefahrt des KITE HYDROGEN SHIPS sukzessive ein Energieüberschuss aufbaut, der in erheblichem Umfang zur Gewinnung des grünen Wasserstoffs eingesetzt wird.“
Hypoid-Getriebe TPK+ unterstützen Energiegewinnung durch Kite-Pumping
Bei mehreren Online-Sitzungen und Besuchen vor Ort bei OCEANERGY wurden anhand der Daten der Lightversion sowie neuer Applikationsdaten Hypoidgetriebe der Baureihe TPK+ für die Steuerung und Kontrolle der vier Seilzüge beim Kite-Pumping ausgewählt. „Schnell und kompetent“, bringt Felix Bartels die gemeinsame Auslegung mit Wittenstein auf den Punkt. Die Winkelbauform trägt erheblich dazu bei, das gesamte K1-Drachenantriebssystems äußerst platzsparend umzusetzen und in einen seefesten Container integrieren zu können. Das gewählte zweistufige Getriebe in Baugröße 300 mit Übersetzung i=100 zeichnet sich durch eine hohe Verdrehsteifigkeit, ein geringes Verdrehspiel und hohe Lastaufnahmefähigkeit bei externen Kräften aus. Gleichzeitig gewährleistet die hochwertige Hypoidverzahnung ein hohes Drehmoment und eine besondere Laufruhe.
cynapse®-Funktionalität ermöglicht Online-Getriebeüberwachung auf hoher See
„Da die Schiffe später autonom, also unbemannt, unterwegs sein könnten, und die Hauptachse des Antriebssystems extrem unterschiedliche Bewegungen und Kräfte des Kites auch bei starkem Wellengang beherrschen muss, haben wir OCEANERGY empfohlen, die TPK+ mit der cynapse®-Funktionalität auszustatten“, sagt Andreas Kolibius, Vertriebsingenieur bei Wittenstein alpha. „Auf diese Weise können die Daten auf hoher See aus der Ferne überwacht und analysiert werden.“ Für Felix Bartels ist die Kraftüberwachung eines der voraussichtlichen Nutzungsszenarien von cynapse®: „Wir haben vor, über cynapse® auszulesen, wie die Getriebe funktionieren. Wir werden während einer Fahrt beispielsweise die Beschleunigungswerte, die cynapse® aus der Hauptachse bereitstellt, mitloggen und sie mit früheren Werten vergleichen, um mögliche Anomalien frühzeitig zu erkennen. Wird das Energieschiff dann an einem Terminal entladen, können wir in dieser Zeit bei Bedarf reagieren.“
Getriebe von Wittenstein alpha auch in der manuellen Steuereinheit und im Drehkranz
Nach den positiven Erfahrungen bei der Umsetzung der Seilzugsteuerungen mit TPK+-Getrieben entschied sich OCEANERGY auch bei der Ausrüstung der manuellen Steuereinheit des K1-Antriebssystem für Wittenstein. Den Anforderungen entsprechend ausgelegt, werden in dieser Bedieneinheit ein spielarmes Planetengetriebe TP+ der alpha Advanced Line, das drehmomentdichte und kompakte NVH-Schneckengetriebe aus der V-Drive Value-Familie sowie zwei rotative Servoaktuatoren TPM+ verbaut, die sich durch hohe Dynamik bei geringem Platzbedarf und hoher Energieeffizienz auszeichnen.
Auch im dritten Getriebeprojekt innerhalb des K1-Antriebssystems – dem Drehkranz – kommt ein Getriebe von Wittenstein alpha zum Einsatz: ein Planetengetriebe XP+ mit einem speziell konzipierten Abtriebsdesign und dadurch einer äußerst kompakten, platzsparenden Bauweise. Neben der höchsten Drehmomentdichte am Markt überzeugt es durch maximale Verdrehsteifigkeit und Kippmomentkapazität. Diese Eigenschaften ermöglichen es, den Drehkranz mit den vier Seilzügen mit höchster Dynamik auf einer vertikalen Achse zu drehen und so eine optimale Ausrichtung der Seile zu gewährleisten.
Vom Hobby über die Herausforderung zu H2 als nachhaltigem Energieträger
Vom Freizeitvergnügen zum Vorzeigeobjekt für die Gewinnung von grünem Wasserstoff – OCEANERGY hat als Pionier in vielerlei Hinsicht einen nachhaltigen Paradigmenwechsel eingeläutet. Unter dem Strich soll es mit den KITE HYDROGEN SHIPS in nicht allzu ferner Zukunft möglich sein, durch den im Vergleich extrem hohen Nutzungsgrad von etwa 80 bis 90 Prozent, die 24/7-Verfügbarkeit sowie den besonderen Wirkungsgrad der Energieschiffe grünen Wasserstoff zu Kosten von nur 2 Euro pro Kilogramm bis zum Jahr 2035 zu erzeugen – und damit deutlich günstiger, als es mit allen anderen, bisher bekannten grünen Technologien möglich ist. Versuche im Drachentestzentrum von OCEANERGY in Kapstadt, Südafrika, beweisen, dass das Ernten von Windenergie auf dem offenen Meer – dort, wo er am stärksten und dauerhaft weht – mit Energieschiffen grundsätzlich möglich ist. Und sie bestätigen auch die Berechnungen, denen zufolge Energieschiffe im Vergleich zu stationären Windkraftanlagen bis zu 32-mal mehr Energie pro Quadratmeter eingefangener Windfläche erzeugen können. Spannende Potenziale und Perspektiven, zu deren Umsetzung Wittenstein alpha mit seinen mechanischen, mechatronischen und cybertronischen Antriebslösungen einen wichtigen Beitrag leisten wird.