Wenn von interessanten Entwicklungen in der Robotik die Rede ist, dann werden zumeist Unternehmen wie Boston Dynamics (USA) oder Universal Robotics (Dänemark) genannt. Aber auch in Deutschland gibt es weit mehr als nur eine Handvoll spannender Robotik-Firmen, wie die folgenden Beispiele beweisen sollen. Eine rein subjektive und bei weitem nicht vollständige Auswahl:
Festo: Pneumatik-Cobot
Den ersten Cobot mit einem pneumatischem Antrieb hat der Automatisierungskonzern Festo bereits 2022 vor der Hannover Messe vorgestellt, dann wurde es ruhig. Auf der SPS 2023 punktete er in der direkten Mensch-Roboter-Kollaboration mit Feinfühligkeit und einem ausgezeichneten Preis-, Leistungsverhältnis. Seitdem ist er bei Pilotkunden im Einsatz, der Verkaufsstart soll noch in 2024 stattfinden.
Man mag sich denken: Ist doch egal, ob eine Achse elektrisch oder mit Druckluft bewegt wird - ist es aber eben nicht. Christian Tarragona, Leiter Robotics bei Festo, erklärt: "Durch die hohe Energiedichte von Druckluft lässt sich der pneumatische Cobot auch ohne aufwändige Kraft-Moment-Sensorik sehr feinfühlig bewegen." Das ist wichtig zum Beispiel bei Anwendungen wie dem Labeling.
Zudem bietet ein pneumatischer Cobot in Sachen Sicherheit einige Vorteile gegenüber elektrisch angetriebenen Systemen. Tarragona: „Durch exakte Druckregler in den Gelenken erkennt der Roboter, wenn er berührt wird und reagiert mit entsprechenden Safety-Funktionen.“ Zudem sind durch den Wegfall von E-Motoren und Getrieben die bewegten Massen deutlich kleiner und somit auch die bei einer Kollision übertragenen Kräfte.
Toolify: mit Xito eigenständig in die Automatisierung einsteigen
Das Unternehmen Toolify mit Sitz in Ulm geht im Kern zurück auf langjährige Forschung und Entwicklung, in denen modellgetriebene Softwareentwicklung und die modellgetriebene Kombination von Robotik-Komponenten das Thema war. Das Ergebnis ist die sogenannte Low Code Engineering Umgebung, mit der sich schnell und flexible eine Kompatibilität zwischen Komponenten wie dem Roboterarm und verschiedenen Greifern oder Kameras herstellen lässt.
Über ein digitales Baukastensystem - der Xito Lösungs-Plattform lassen sich individuelle Roboter-Anwendungen intuitiv, zügig und damit kosteneffizient realisieren. Am Bildschirm konzipierte Szenarien lassen sich unmittelbar in den Fertigungsalltag implementieren. Xito unterstützt jeden Schritt durch intuitiv gestaltete Software. Man benötigt dazu keine Programmier- oder Robotik Expertise, was vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen auf großes Interesse stößt.
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Der große Vorteil dieser Lösung, so Dr. Dennis Stampfer, einer der Gründer und CEO der Toolify Robotics GmbH: "Wenn sich ein Parameter ändert - etwa weil ich ein schwereres Werkstück bewegen muss - dann kann ich den verwendeten Arm einfach austauschen und den Rest der Anwendung aber weiterverwenden - denn dort ist die abstrakte Fähigkeit Greifen definiert, nicht der konkrete Fall ´zwei Kilo schwere rechteckige Box greifen´".
Wie das System, das auch Teil des Robotik-Marktplatzes Xito ist, funktioniert, zeigt folgendes Video:
Wie die Roboterprogrammierung leichter fällt
Roboterprogrammierung war ursprünglich ein Thema nur für hochqualifizierte Experten. Mit der Ausbreitung von kollaborativen- und Leichtbau-Robotern sinken die Hürden für die Roboterprogrammierung immer weiter und werden breiteren Gruppen etwa in Handwerk und Mittelstand zugänglich. Einige Beispiele, wie sich der Einstieg ins Programmieren von Robotern schaffen lässt:
- Roboter programmieren ist jetzt so spielerisch wie noch nie
- Wie ein neues Roboter-Betriebssystem den Einstieg erleichtert
- So einfach ist diese Roboter-Steuerung für das Handwerk
- Wie auch Laien Roboter programmieren können
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Fraunhofer IML: Simulationsbasierte KI für die Roboterentwicklung
Gleich zwei Roboter für die Logistik namens evoBOT und O3dyn (Omnidirektional, Outdoor und Open Source ) hat das Fraunhofer-Institut für für Materialfluss und Logistik IML auf der Logimat 2022 in Stuttgart vorgestellt. Beide sind dank ihrer Detaillösungen wie dem Balancieren durch ein inverses Pendel spannend - aber noch spannender ist ihre Geschichte. Entwickelt haben die Forschenden des IML die Roboter auch mithilfe eines neuen Forschungszweigs: der Simulationsbasierten Künstlichen Intelligenz. In 2023 war der evoBOT auf erster Testfahrt am Flughafen München.
Dank moderner Grafikkarten lassen sich hochkomplexe Vorgänge in Echtzeit simulieren. Mittels Motion Capturing gleichen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Verhalten in der Simulation mit dem der realen Fahrzeuge ab und optimieren so das Simulationsmodell. Je mehr sich die Differenz von Modell und Realität reduziert, umso mehr wird der Roboter zum cyberphysischen Zwilling der Simulation.
Dieses Vorgehen kann Entwicklungszeiten massiv reduzieren: So lassen sich Prototypen bereits in der digitalen Realität testen, bevor sie gebaut werden. Zudem lassen sich die Entwicklungen von Hardware und Software auf diesem Wege entkoppeln. Die Forschenden sprechen statt dessen von einem "digitalen Kontinuum der Entwicklung", das auf diese Weise entsteht.
Luftfracht Automatisierung
Autonome Fahrzeuge und Roboter werden die Zukunft der Luftfracht in Zeiten des Fachkräftemangels maßgeblich prägen, so das Fraunhofer IML. Der evoBOT kann eine Maximalgeschwindigkeit von bis zu 60 km/h erreichen und eine Traglast von bis zu 100 kg transportieren. Dabei kann er entweder allein oder im Schwarm agieren. Durch sein stabiles Fahrverhalten ist der Betrieb des evoBOT in verschiedenen Bereichen sowohl indoor als auch outdoor möglich. Auch sein geringer CO2-Fußabdruck trägt zum vielfältigen Einsatz bei.
»Unser evoBOT ist der Beginn einer neuen Population autonomer Fahrzeuge und Roboter. Mit seinen Armen und seiner Fortbewegung auf zwei Rädern weist er in die humanoide Zukunft der Robotik. Der nun erfolgte Praxistest am Flughafen München untermauert eindrucksvoll das Potenzial dieser Entwicklung. Der evoBOT kann in vielfältigen Einsatzbereichen zu einem echten Kollegen für die Belegschaft werden«, betont Prof. Michael ten Hompel, geschäftsführender Institutsleiter des Fraunhofer IML.
Das Digitale Testfeld Air Cargo (DTAC), in dessen Rahmen der aktuelle Test durchgeführt wurde, sowie die initiale Entwicklung des evoBOT sind Förderprogramme des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV).
Avatera: ein OP-Roboter aus Mitteldeutschland
Wenn man es als Unternehmen schafft, dass ein Produktname eine ganze Gattung definiert, dann hat man es definitiv geschafft. Beispiele sind das Tempo-Taschentuch oder - für uns interessanter - der OP-Roboter daVinci. Aber mit dieser Alleinstellung war es bald vorbei: Das in Deutschland entwickelte OP-Robotersystem Avatera ist im Frühjahr 2022 erstmals und erfolgreich in der Routineversorgung bei urologischen Eingriffen eingesetzt worden. Jedoch ging das Unternehmen Avateramedical Ende 2023 in Insolvenz. Anfang 2024 wurde die weit entwickelte, patentierte, robotergesteuerte Operationstechnik- robotic surgery nebst diversen Operationsrobotern nun an die Tennor International AG, Zug, veräußert.
Das Avatara System hat damit wieder eine Zukunft und kann - auch im Vergleich zu dem daVinci - durchaus mit einigen Eigenständigkeiten aufwarten..
Laut dem Hersteller ist das Avatera-System besonders platzsparend, weil es aus nur zwei Hauptkomponenten besteht:
- Dem eigentlichen OP-Roboter mit vier Roboterarmen zur Steuerung von chirurgischen Instrumenten und Endoskop.
- Einer Steuereinheit mit integriertem Sitz und einfacher Handhabung über haptische, manuelle Eingabegeräte und Fußschalter.
Avatera bietet durch die Verwendung von Einmalinstrumenten wie Metzenbaum-Schere oder Nadelhalter eine Kostenersparnis, weil aufwändige Sterilisationslösungen nicht benötigt werden. Auch zeit- und arbeitsintensive Prozesse, wie Reinigen, Waschen, Transportieren, Befüllen, Trocknen, Warten, Verpacken und Dokumentieren von Instrumenten entfallen, so Hersteller Avateramedical.
Das folgende Video zeigt, wie Avatera entwickelt wurde und was es im Einsatz auszeichnet:
Igus: Mit klugem Kunststoff zur Low Cost Automation
Es gibt Unternehmen, die schaffen einen interessanten Spagat: sich einerseits auf das zu konzentrieren, was sie wirklich gut können, und zugleich das Geschäft auf immer neue Bereiche auszudehnen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Kölner Igus GmbH, ein Spezialist für Hochleistungskunststoff in bewegten Anwendungen.
Igus tritt immer wieder den Beweis an, dass in Kunststoff weit mehr steckt, als man denkt, zum Beispiel in Form des ersten industrietauglichen Cobot-Getriebes aus Kunststoff. Es wurde seit 2019 in ausführlichen Testreihen mit 15 verschiedenen Materialpaarungen entwickelt und ist nun Kernelement des ReBeL von Igus, einem der günstigsten und leichtesten Cobots auf dem Markt. In 2024 bekam der Cobot ReBeL passende Ausstattungselemente. Das neue Zubehör wird unter ReBeL Environment zusammengefasst. Mit der Igus Robot Control lassen sich ab sofort Kamerasysteme einfach integrieren. Auch im Bereich Delta-, SCARA- oder Portalroboter gibt es viele Innovationen.
Der Fokus auf Kunststoff ist aber kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck, die Automatisierung in Form von besonders leichten und kostengünstigen Robotern auch kleinen und kleinsten Unternehmen zugänglich zu machen - ob in einer Bildungseinrichtung oder im mittelständischen Unternehmen. Dazu hat Igus auch das Portal RBTX aufgesetzt, das einen Online-Marktplatz mit Services wie einer Live-Videoberatung kombiniert. Dieser entwickelt sich im gewohnt hohen Tempo weiter.
aktualisiert von Redaktion Automation NEXT