Steuerung & IT

12. Jun. 2025 | 13:52 Uhr | von Bernhard Richter

Konstruktion from Hell

Die Vasa: Wie ein Flaggschiff sich selbst versenkte

Fakten, Firmen, Fails und Fuck-Ups aus dem siebten Zirkel der Engineering-Hölle. Heute aus der Rubrik: Königlicher Scope Creep trifft auf unzureichende Qualitätssicherung.

Vasa Museum Stockholm

Das Schiff, das weniger als eine Meile segelte. (Bild: Vasa Museum Stockholm)

Das Schweden des 17. Jahrhunderts war anders als das Schweden, das wir heute kennen. ABBA und IKEA tauchen noch lange nicht am Horizont der Geschichte auf. Zur Zeit dieser Konstruktion dominierte das Königreich praktisch die gesamte Ostsee und war eines der militärisch hochgerüstetesten Länder, die die Welt je gesehen hat.

Wir befinden uns im Dreißigjährigen Krieg. Um 1620 herum focht Schweden zwei Kriege gleichzeitig. Auf der einen Seite gegen Polen-Litauen auf der einen Seite und gegen das katholisch gläubige Heilige Römische Reich Deutscher Nation auf der anderen.

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Detailgetreue Rekonstruktionszeichnung der Vasa
Detailgetreue Rekonstruktionszeichnung der Vasa. (Bild: Björn Landström)

Marinetechnisch sah der Krieg nicht gut aus. Die polnischen Schiffe gingen aus beinahe jeder Schlacht in der Ostsee siegreich hervor und schlimmer noch – die Streitkräfte des Römischen Reiches hatten Dänemark erobert und drohten die Kontrolle über Belte und Sunde (die schwedischen Meeresstraßen) zu erlangen. Dies könnte im schlimmsten Fall bedeuten, dass die schwedische Marine in der Ostsee gefangen wird. Natürlich brauchte Schweden also eine schlagkräftige Marine, um ihre Interessen wahren zu können. Und was könnte das besser als große Kriegsschiffe? Eben!

Im Jahre 1626 führte der schwedische König Gustav II. Adolf die Feldzüge in Polen an, wo sie auch durchaus siegreich zugunsten der Schweden ausgingen. Bis auf die Seeschlachten eben. Bis zu dem Zeitpunkt nutzten die Schweden relativ kleine Schiffe mit nur einem Kanonendeck – diese Zweimaster waren mehr für Nahkampf und Entermissionen ausgelegt. Um diesem Missstand zu begegnen, orderte der Schwedenkönig den Bau von drei brandneuen Superkriegsschiffen. Gustav Adolf wollte das größte und stärkste Schlachtschiff haben, das die Welt je gesehen hat – und zwar dreimal! Das erste dieser neuen Klasse sollte die „Vasa“ werden. Benannt nach, nein – nicht dem Knäckebrot, sondern nach dem Namen der königlichen Familie Gustav Adolfs. Genauso wie das Knäckebrot nach dem König benannt wurde.

Der Bau der „Vasa” war für Schweden nicht nur eine Kriegsnotwendigkeit, sondern auch ein Prestigeprojekt. 1625 wurden etwa 1000 Eichen für den Bau der Vasa gefällt. Die Zimmerleute gingen mit Schablonen für die einzelnen Schiffsteile durch die Wälder und wählten passende Bäume aus. Das Schiff sollte mit schweren 24-Pfünder Bronzekanonen bestückt werden und hatte eine Gesamtlänge von 61 Metern ohne Bugspriet und Laterne, eine Länge zwischen den Steven von 47,5 Metern, eine Kiellänge von 38,34 Metern und eine Breite von 11,3 Metern inklusive Beplankung. Von der Unterseite des Kiels bis zum Flaggenknopf des Großmastes maß das Schiff 52,2 Meter. Die gesamte Segelfläche betrug etwa 1.300 m² und der Heckspiegel endete 15,2 Meter über dem Wasserspiegel bei einem achterlichen Tiefgang von 4,8 Metern.

Während der Konstruktion der „Vasa“ ein Sturm zehn Schiffe der schwedischen Marine im Golf von Riga versenkt hatte. Gustav Adolf befahl den Schiffsbauern ein paar kleinere Schiffe „zwischen rein zu schieben“, damit genug Kampfkraft vorhanden ist gegen die Polen. Und die Vasa sollte größer werden. Der König orderte, dass das Schiff mit 72 Kanonen bewaffnet werden soll. Man kann sich nur die Blicke auf den Gesichtern der Konstrukteure vorstellen, die nun gezwungen waren, den Befehl des Königs auszuführen. Und so wurde die Konstruktion angepasst – die Vasa bekam ein zweites Kanonendeck.   

Und auch wenn Schiffe in Europa in der Art schon gebaut wurde, ist es doch ein relativ neues Design und die königlichen Schiffsbauer hatten keinerlei Erfahrung damit. Zu dieser Zeit gab es noch keine Planzeichnungen in heutiger Form. Stattdessen benutzte man überlieferte Proportionen, die einem Schiff gute Eigenschaften geben sollten.

Zwei Kanonendecks bedeutet doppelt so viel Gewicht über der Wasserlinie und das untere der beiden Decks muss, so nah an der Wasseroberfläche sitzen wie möglich, um das Gesamtgewicht des Schiffes unten zu halten.

Hinzu kam, dass sich einige Konstrukteure Sorgen machten – denn die allgemeine Konstruktion ließ das Schiff leicht rollen – In der Ära der Segelschiffe eine gewünschte Eigenschaft, um sich „in den Wind“ zu legen. Allerdings machte die Vasa das etwas zu gut. Während eines Werftbesuches zum Fortschritt des Baus wurde dem verantwortlichen Schiffbauer demonstriert, wie kippelig das Schiff war. 30 Mann liefen wiederholt über das Deck des Schiffes hin und her laufen ließ. Das Schiff kam ins Rollen. Erschreckend weit, so dass der anwesende Admiral vor Angst schreiend den Männern befahl damit aufzuhören.

Zwei Kanonendecks – doppelt gefährlich

Man beschloss, dem König nichts davon mitzuteilen, da er ja schon sehnsüchtig auf die Fertigstellung seines Flaggschiffes wartete. Man verstaute insgesamt 120 Tonnen Ballast im Schiff, in der Hoffnung, dass das genug sei. Denn, so wurde der Kapitän später zitiert, man hätte nicht einen Stein mehr im Rumpf unterbringen können. Und wenn, doch so wäre das Wasser durch die Kanonenluken des unteren Decks reingelaufen.

Prächtig musste sie aussehen, das Juwel der schwedischen Marine. Über 700 Statuen mit fratzenhaften Gesichtern zierten die Vasa. Sie sollten Schwedens Stärke demonstrieren und den Gegner demütigen und ängstigen. Manche Figuren stellten polnisch-litauischen Hochadel dar, der unter Gewichten der Masten zerdrückt wird und auch nur von der Toilette aus zu sehen waren. Ein Gewimmel aus römischen Kriegern, Löwen, Nixen, Fantasiefiguren und griechischen Gottheiten überzog das Schiff. Die Figuren entstanden im Renaissance- und frühen Barockstil. Ihre Motive stammten hauptsächlich aus der Bibel, aber auch aus griechischen und römischen Sagen sowie aus verherrlichten schwedischen Königsstammbäumen.

Am 10. August 1628 verließ das Schiff unter den Augen hunderter Schaulustiger und unter viel Getöse den Hafen. Gegen 16 Uhr legte es langsam ab und segelte entlang der Küste. Die Kanonen feuerten einen Salut, die Segel wurden eingeholt und das Schiff drehte, um der Küstenlinie zu folgen, als es den Hafen verließ. Als das Schiff die Klippen auf seiner rechten Seite passierte, frischte der Wind auf. Die Vasa neigte sich im Wind und da durch den Salut die unteren Kanonenluken noch offen waren, nahm die Vasa Wasser auf. Nach etwas mehr als einer halben Seemeile und 20 Minuten Fahrt sank die Vasa und nahm 30 bis 50 der 150 Mann starken Besatzung mit in den Tod.

Als der König vom Verlust der Vasa informiert wurde, war er rasend vor Wut und orderte eine Untersuchung an, um einen Schuldigen zu finden. Viele der Besatzung gaben zu, dass sie von der extremen Rollneigung gewusst haben, sie aber keine Schiffsbauer gewesen seien und dachten, dass sich das so gehört. Auf die Frage des Staatsanwalts, warum denn das Schiff so schlecht entworfen wurde, antworteten die Schiffbauer damit, dass das Schiff genau so gebaut wurde, wie es bestellt wurde. Vom König persönlich genehmigt. Warum ist dann also das Schiff gesunken, wollte der Anwalt weiter wissen. Die lapidare Antwort: Das weiß der Allmächtige allein!

Der Prozess führte zu keiner Verurteilung.

Bernhard Richter verantwortlicher Redakteur keNEXT
(Bild: B.Richter)

Der Autor Bernhard Richter ist verantwortlicher Redakteur für die keNEXT. Er beschreibt sich selbst als besserwisserischer olivgrün angehauchten Nerd-Metaller mit einem Hang zu allem Technischen, Faszinierendem, Absurden. Das ganze gepaart mit einem deftigen Schuss schwarzem Humor. Der studierte Magister Anglistik, Geschichte und Ethnologie hat mittlerweile schon einige Jahre (Fach-) Journalismus auf dem Buckel, kennt aber auch – dank Ausflug in die PR – die dunkle Seite der Macht.

Privat findet man ihn oft in Feld und Flur – aber auch auf dem Motorrad, in der heimischen Werkstatt Wolfsburger Altmetall restaurieren oder ganz banal (mit Katze auf dem Schoß) vorm Rechner, zocken.

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