Generative KI in der Fertigung kann zum Beispiel Wartungshistorien, Betriebsanleitungen, Problemlösungsberichte und Echtzeitdaten analysieren, um Vorschläge zur Behebung von Fehlern zu machen.

Generative KI in der Fertigung kann zum Beispiel Wartungshistorien, Betriebsanleitungen, Problemlösungsberichte und Echtzeitdaten analysieren, um Vorschläge zur Behebung von Fehlern zu machen. (Bild: Stock.Adobe.com - Анатолий Сав)

Ende 2024 haben Siemens und ServiceNow eine Ausweitung ihrer Kooperation bekannt gegeben, um die Automatisierung auf dem Shopfloor mithilfe von Generativer KI voranzutreiben. Die Zusammenarbeit der beiden Unternehmen konzentriert sich darauf, Siemens‘ Sinec Security Guard zur Verbesserung der Cybersicherheit in der Produktion und den Siemens Industrial Copilot für generative KI-gestützte Automatisierung mit der Workflow-Automatisierung von ServiceNow zu kombinieren. Automation NEXT hat sich zu diesem Thema mit Jürgen Schön, Director Manufacturing Industry GTM - EMEA bei ServiceNow, zu diesem Thema unterhalten.

ServiceNow ist seit 20 Jahren am Markt. Wie hat sich das Unternehmen seit seiner Gründung entwickelt?

Jürgen Schön: ServiceNow wurde als Cloud-Lösung mit Fokus auf IT-Service-Management (ITSM) entwickelt. Das Ziel war es, IT-Abteilungen durch standardisierte Prozesse zu unterstützen, um Probleme effizient zu lösen und Services unternehmensweit bereitzustellen. Heute sind wir Marktführer in diesem Bereich und bieten eine Plattform der Plattformen, die Silos auflöst und Arbeitsabläufe unternehmensweit verbindet. Wir arbeiten eng mit unseren Kunden zusammen, um ihre digitale Transformation zu beschleunigen. In den letzten Jahren haben wir jedoch erkannt, dass die Herausforderungen, die wir in der IT gelöst haben, auch in anderen Unternehmensbereichen bestehen. Daher haben wir unser Angebot erweitert und unterstützen inzwischen Bereiche wie Einkauf, Fertigung, Entwicklung, Vertrieb und Kundenservice. Unsere Plattform hilft, Silo-artige Strukturen aufzulösen und End-to-End-Prozesse zu ermöglichen. Diese Transformation ist entscheidend, da Unternehmen mit zunehmend heterogenen Systemlandschaften und steigenden Anforderungen konfrontiert sind. 

Zur Person: Jürgen Schön

Jürgen Schön, Director Manufacturing Industry bei ServiceNow. (Bild: Service Now)

Jürgen Schön verfügt über mehr als 30 Jahre Erfahrung mit Unternehmen in der Fertigungsindustrie als Berater und Technologiebotschafter. Seit Anfang 2021 ist er in der Funktion als Director Manufacturing Industry bei ServiceNow tätig und verantwortet das europäische Go-to-Market von digitalen Workflowlösungen für Industrieunternehmen. Seine Leidenschaft ist das Aufzeigen von Optimierungspotentialen bei Geschäftsprozessen entlang der Wertschöpfungskette. Das Themenfeld „Identifizierung digitaler Geschäftsmodelle“ ist ein weiterer Schwerpunkt seiner Tätigkeit.

Wie adressiert ServiceNow die speziellen Herausforderungen in der Fertigungsindustrie, insbesondere die Trennung zwischen IT und OT (Operational Technology)?
Schön: Die Trennung zwischen IT und OT ist historisch bedingt und stellt viele Unternehmen vor Herausforderungen. OT-Netzwerke sind oft dezentral, bestehen aus proprietären Systemen und haben ganz andere Sicherheits- und Betriebsanforderungen als die klassische IT. Vor etwa vier Jahren haben wir uns entschieden, unsere Expertise aus dem ITSM-Bereich auf OT-Anwendungen auszuweiten. Ziel ist es, beide Welten miteinander zu verbinden. Unsere Plattform ermöglicht es, sowohl IT- als auch OT-Daten zu integrieren, um eine umfassende Sichtbarkeit und Sicherheit zu gewährleisten. Dadurch können Probleme schneller identifiziert und behoben werden. Dies ist besonders wichtig, da Produktionsausfälle enorme Kosten verursachen können. Unsere Lösungen schaffen zudem Transparenz in komplexen Fertigungsumgebungen, die oft aus Dutzenden oder sogar Hunderten unterschiedlicher Werke mit individuellen Anforderungen bestehen. 

Sie haben auf dem World Forum in München eine Kooperation mit Siemens vorgestellt. Was steckt dahinter?
Schön: Siemens ist einer unserer wichtigsten Industriekunden, und unsere Zusammenarbeit umfasst verschiedene Bereiche. Im vergangenen Jahr haben wir gemeinsam ein Produkt vorgestellt, das das Scannen und Identifizieren von OT-Netzwerkkomponenten erleichtert und gleichzeitig industrielle Cybersicherheitsherausforderungen adressiert. Diese Lösung wurde durch unsere Plattform ergänzt, um Sicherheitslücken zu priorisieren und Schwachstellen zu managen. Der nächste Schritt in unserer Partnerschaft ist die Integration von Workflows und KI-gesteuerten Automatisierungen, um den Nutzern eine effizientere Steuerung und Problemlösung zu ermöglichen. Siemens bringt hierbei seine Expertise in der OT ein, während wir die Verbindung zu IT-Prozessen herstellen. Gemeinsam entwickeln wir neue Ansätze, um Unternehmen in der Fertigung noch besser zu unterstützen. 

Welche Rolle spielt generative KI (GenAI) in Ihren Lösungen?
Schön: Generative KI ist ein Schlüsselelement, um komplexe Prozesse effizienter zu gestalten. Sie ermöglicht es uns, große Datenmengen aus verschiedenen Quellen zu analysieren, zusammenzufassen und den Nutzern in handlungsorientierter Form bereitzustellen. Ein konkretes Beispiel ist das Schwachstellenmanagement in der Fertigung: GenAI kann Wartungshistorien, Betriebsanleitungen, Problemlösungsberichte und Echtzeitdaten direkt innerhalb der Plattform analysieren, um Vorschläge zur Behebung von Fehlern zu machen. Zudem wird die Entscheidungsfindung erleichtert, indem KI-Lösungen Wartungsfenster optimieren und sicherstellen, dass Maschinen so wenig wie möglich ausfallen. Solche Anwendungen sparen Zeit, erhöhen die Produktivität und tragen dazu bei, die Kompetenzen von Mitarbeitern durch intelligente Unterstützung zu erweitern. 

Die deutsche Industrie ist stark reguliert, z. B. durch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Wie unterstützt ServiceNow hierbei?
Schön: Unsere Plattform ist hervorragend dafür geeignet, regulatorische Anforderungen zu erfüllen. Sie ermöglicht es, Daten aus verschiedenen Systemen zusammenzuführen, Prozesse zu standardisieren und die Nachweispflichten transparent zu gestalten. Beim Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das Unternehmen dazu verpflichtet, entlang ihrer Lieferkette menschenrechtliche und ökologische Standards zu dokumentieren, haben wir Lösungen entwickelt, um diese komplexen Anforderungen effizient zu managen.  

Wie gehen Sie mit den Herausforderungen des Energieverbrauchs im Zusammenhang mit KI um?
Schön: Der Energiebedarf ist ein wichtiges Thema, besonders bei der Nutzung von KI. Das Training großer Modelle, wie etwa bei GPT-4, benötigt enorme Mengen an Energie. Unsere Vision ist es, durch nachhaltige Innovationen wie Small Language Models den Energieverbrauch zu reduzieren und gleichzeitig die Leistung zu maximieren. In der Industrie sehen wir zudem Herausforderungen, da OT-Umgebungen oft mit begrenzter Rechenleistung und strengen Latenzanforderungen arbeiten. Eine mögliche Zukunft könnte der verstärkte Einsatz von Small Language Models auf Edge-Geräten sein, um KI-gestützte Entscheidungen näher an der Maschine zu treffen. Das Training würde weiterhin in der Cloud stattfinden, während die operative Ausführung lokal erfolgt. Derzeit stehen wir jedoch noch am Anfang der großflächigen Nutzung von generativer KI in Unternehmen. Der Fokus liegt aktuell darauf, sinnvolle und praxisnahe Anwendungsfälle zu finden, die echten Mehrwert bieten. 

Die Arbeitsproduktivität ist ein Maß für die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft. Wie die Statista-Grafik mit Daten der Deutschen Bundesbank zeigt, bewegen sich beide Indizes für Deutschland in den letzten Jahren um die Marke von 100 Punkten und stagnieren dort. 2023 sind beide Indizes außerdem leicht rückläufig.
Die Arbeitsproduktivität ist ein Maß für die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft. Wie die Statista-Grafik mit Daten der Deutschen Bundesbank zeigt, bewegen sich beide Indizes für Deutschland in den letzten Jahren um die Marke von 100 Punkten und stagnieren dort. 2023 sind beide Indizes außerdem leicht rückläufig. (Bild: Statista / Deutsche Bundesbank)

Welchen Rat würden Sie einem mittelständischen Unternehmen geben, das in die Nutzung von KI einsteigen möchte?
Schön: Ein Unternehmen sollte zunächst die Bereiche identifizieren, in denen ein klarer Optimierungsbedarf besteht, sei es bei der Mitarbeiterproduktivität, der Fehlerreduktion oder der Effizienzsteigerung. Anschließend sollten bestehende Daten- und Systemlandschaften analysiert werden, um festzustellen, was bereits vorhanden ist und welche zusätzlichen Datenquellen benötigt werden. Schließlich empfiehlt es sich, mit einem klar abgegrenzten Pilotprojekt zu starten, um erste Ergebnisse zu validieren. Ein gutes Beispiel ist die Instandhaltung: Durch den Einsatz von KI könnten Wartungshistorien, Bedienungsanleitungen und Problemlösungen in Echtzeit analysiert werden. Dies spart nicht nur Zeit, sondern erhöht auch die Maschinenverfügbarkeit, entlastet Mitarbeiter und ermöglicht nachhaltiges Wachstum durch intelligente Automatisierung.. Dieser schrittweise Ansatz hilft, die Potenziale von KI effizient und auch risikominimiert zu nutzen. 

Wie sehen Sie die Zukunft von KI in der Industrie?
Schön: Ich glaube, dass sich analytische und generative KI in Zukunft stärker vereinen werden. Bei ServiceNow arbeiten wir erfolgreich daran, KI-Komponenten tief in unsere Plattform zu integrieren, um eine nahtlose und einheitliche Benutzererfahrung zu schaffen. Die langfristige Vision, eine allgemeine KI zu entwickeln, liegt noch in weiter Ferne. Für die nahe Zukunft sehe ich den Fokus darauf, spezialisierte KI-Anwendungen für konkrete Geschäftsprobleme zu entwickeln. Besonders im Bereich der Fertigung gibt es hier noch großes Potenzial, um Prozesse weiter zu automatisieren und Entscheidungsfindungen zu unterstützen. 

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