Ohne eine Vernetzung der Maschinen und Systeme ist eine smarte Fertigung nicht denkbar.

Ohne eine Vernetzung der Maschinen und Systeme ist eine smarte Fertigung nicht denkbar. (Bild: Adobe Stock – VicenSanh)

Die jährliche Marktanalyse von HMS Networks sieht weiter einen starken Trend zu Industrial Ethernet. Was sehen wir hier: nur einen technologischen Generationswechsel oder einen tiefgreifenden Paradigmenwechsel in der industriellen Vernetzung?
Thilo Döring: Diese Entwicklung spiegelt den Trend zu einer immer stärkeren Vernetzung von Maschinen wider und dieser wird wiederum getrieben von dem Wunsch, immer mehr Daten aus den Automatisierungssystemen zu gewinnen. Man will aus diesen Daten natürlich Schlussfolgerung ziehen, mit dem Ziel, die Produktivität zu erhöhen. Das ist der Hauptgrund, wieso die industrielle Vernetzung weiter stark zunimmt.

In Kürze

  • Der Trend zum Sammeln und Analysieren von Daten treibt die Vernetzung an.
  • Zuverlässigkeit und Sicherheit stehen für Anwender im Mittelpunkt.
  • Die EU-Maschinenverordnung bringt neue Anforderungen mit.

Trifft das auch für das starke Wachstum der Drahtlos-Netzwerke in der Industrie zu?
Döring: Die Drahtlos-Netze haben heute zwar erst einen Marktanteil von 8 %, aber mit mehr als 22 % das stärkste Wachstum. Die Treiber sind hier hauptsächlich mobile Systeme wie etwa autonome Mobile Roboter. Aber ja, auch hier geht es darum, möglichst viele Daten einzusammeln.

Welche Zwecke stehen dabei im Fokus?
Döring: Zum einen geht es natürlich um vorausschauende Wartung, aber auch eine möglichst gute Abstimmung zwischen verschiedenen Anlagenteilen in einer Produktion wird immer wichtiger.

Zur Person: Thilo Döring

Thilo Döring
Thilo Döring (Bild: HMS)

Thilo Döring, Geschäftsführer der HMS Industrial Networks GmbH und Mitglied des Corporate Management Teams, davor 8 Jahre verantwortlich für den Vertriebsbereich bei HMS. Weitere Stationen waren Positionen als Vertriebsingenieur, Key Account Manager und Vertriebsleiter bei Mitsubishi Electric. Studium der Informationselektronik und Betriebswirtschaft.

Gibt es in der vernetzten Industrie der Zukunft überhaupt noch eine Nische für die klassischen Feldbusse?
Döring: Es gibt zumindest einige Argumente, die dafür sprechen. Da ist etwa die riesige installierte Basis. Es gibt auch eher konservativ ausgerichtete Industriebereiche, denen die Robustheit der Feldbusse wichtiger ist als das Thema der Datengewinnung. Und ehrlicherweise muss man sagen: Die fehlende IT-Funktionalität bei Feldbussen sorgt natürlich auch dafür, dass sie weniger anfällig sind für Angriffe von außen. Ich glaube also schon, dass uns die Feldbusse noch eine Zeit erhalten bleiben werden.

Die Ära der Feldbussysteme war ja geprägt von einer großen Vielfalt von Protokollen. Wird sich bei den ethernetbasierten Netzen ein Protokoll durchsetzen oder droht uns auch hier ein Dschungel von Optionen?
Döring: Ich fürchte, wir sind auf dem Weg genau dorthin. Mit Profinet und Ethernet/IP gibt es ja schon eine Art Kopf-an-Kopf-Rennen an der Spitze, gefolgt von einem starken Dritten mit Ethercat, das insbesondere bei der Halbleiterfertigung sehr verbreitet ist. Wir haben hier auch regionale Aspekte: Profinet ist in Europa sehr stark, Ethernet/IP in den USA und in Asien wiederum andere Protokolle. Dazu kommt der Trend zu TSN (Time-Sensitive Networking). Kurz gesagt: Wir sehen gerade noch keine Konsolidierung, die für einen einheitlichen Standard in der Zukunft sprechen würde.

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HMS hat sich zur Hannover Messe mit der Marke Ewon ja stark positioniert in Sachen Remote-Zugriff. Wie sind jetzt, ein halbes Jahr später, die Erfahrungen, was wird von den Anwendern nachgefragt?
Döring: Grundsätzlich geht es bei Remote-Lösungen immer um das Thema Zuverlässigkeit und ein hohes Maß an IT-Sicherheit über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg. Wenn ich heute ein Produkt in einer Maschine einsetze, heißt das ja noch lange nicht, dass dieses Produkt auch in 5 Jahren oder in 10 Jahren den dann gültigen Sicherheitsstandards entspricht. Kunden fordern einfach, dass Sicherheitslücken schnell geschlossen werden und das über viele Jahre hinweg. Darauf haben wir als HMS bei unserer Ewon-Lösung sehr großes Augenmerk gelegt, indem unsere Sicherheitspatches automatisch direkt in die Geräte hinein verteilt werden.

Was zeichnet die Ewon-Familie noch aus?
Döring: Was wir immer stärker beobachten: Es geht um die Standardisierung der eingesetzten Systeme. Gerade die kleineren Anwender sind heute damit konfrontiert, in den verschiedenen Maschinen innerhalb der Produktion unterschiedliche Remote-Lösungen vorzufinden. Für sie stellt sich natürlich die Frage nach der Sicherheit dieser unterschiedlichen Systeme und auch wie diese letztendlich einheitlich gemanagt werden können.
In diesem Zusammenhang rückt auch die einfache und übersichtliche Bedienbarkeit in den Vordergrund. Die Anwender möchten schnell und sicher Zugriff auf jede Maschine haben, unabhängig von dem Standort weltweit. Sie möchten sich mit einem Klick dann mit der Maschine verbinden. Genau diese sicheren Verbindungen gewährleisten wir mit unserer Cloud-Plattform, an die heute schon mehr als 450 000 Maschinen erfolgreich angebunden sind.

Familienfoto: Das Angebot von HMS Networks umfasst eine breite Produktpalette.
Familienfoto: Das Angebot von HMS Networks umfasst eine breite Produktpalette. (Bild: HMS)

Die Vernetzung von Maschinen wird mit der neuen EU-Maschinenverordnung ab 2027 noch komplexer. Worauf müssen sich Anwender einstellen?
Döring: Das Thema ist in der Tat sehr komplex. Zwei Dinge sollte man etwas näher beleuchten. Ein wichtiges Thema sind dabei mobile Maschinen, die eine sogenannte Supervisor-Funktion enthalten müssen. Das bedeutet, einer Aufsichtsperson muss es möglich sein, von außen alle relevanten Informationen über die Maschine wie deren Position und Bewegungen zu erhalten. Es geht also erstmal um Datentransparenz. Zugleich muss es möglich sein, dass die Aufsichtsperson die mobile Maschine jederzeit sicher stillsetzen und auch wieder starten kann. Da es sich um mobile Systeme handelt, erfolgt das alles über Funkverbindungen und über diese muss sichergestellt werden, dass auch Informationen in Bezug auf die funktionale Sicherheit übertragen werden – etwa durch geeignete Protokolle wie Profisafe oder CIP Safety.

Der andere Punkt, den ich gern erwähnen würde, das ist das Thema Schutz vor Manipulation in Bezug auf die Systemsicherheit. Hier geht es dann natürlich um das Thema Security oder IT-Sicherheit. Hierbei muss sichergestellt werden, dass zum Beispiel keine Drittgeräte zu einer Gefahrensituation führen, dass es keine unrechtmäßigen Veränderungen von sicherheitsrelevanten Komponenten gibt – oder zumindest zu erkennen, wenn es solche Vorfälle gegeben hat. Ich denke, diese beiden Punkte zeigen, dass die Vorgaben durch die EU-Maschinenverordnung schon recht anders sind, als das heute der Fall ist. Das sind ganz neue Herausforderung, die auf die Maschinenhersteller zukommen.

Durch Entwicklungen wie die Industrie 4.0 mit dem digitalen Zwilling wachsen die früher getrennten Bereiche IT und OT immer mehr zusammen. Welche Auswirkungen hat das denn in Bezug auf die Sicherheit der Unternehmen?
Döring: In der IT-Welt haben wir heute schon verschlüsselte Datenbanken und verschlüsselte Datenübertragung, das ist mittlerweile Stand der Technik. Auf der OT-Seite – speziell bei der Datenkommunikation über Industrial Ethernet – gibt es heute noch keine verschlüsselte Datenkommunikation. Ich glaube, das ist eine große Herausforderung, die wir in den nächsten Jahren sehen werden: hin zu einer vollständig verschlüsselten Datenkommunikation nach den aktuellen Verschlüsselungstechnologien. Es gibt erste Beispiele, wo das im Ethernet/IP umgesetzt wird, die anderen Netzwerke werden dem folgen. Das ist eine absolute Notwendigkeit, um hier zu gewährleisten, dass von außen keine Angriffe erfolgen können.

Apropos Herausforderungen: Welche Entwicklungen kommen denn insgesamt auf den Bereich Industrial Communication zu in den nächsten Jahren?
Döring: Die heutigen industriellen Netzwerke sind schon sehr stark ausgelastet und es ist eine Nachfrage nach performanteren Netzen vorhanden im Markt. Der Trend wird ganz klar von 100 Megabit pro Sekunde in Richtung 1 000 Megabit gehen, sprich Gigabit-Ethernet.

Single Pair Ethernet wird in den kommenden Jahren deutlich sichtbarer werden bei der Sensor-Anbindung. Die technologischen Vorteile liegen ja auf der Hand: Man braucht nur noch eine einheitliche Konfiguration vom Sensor bis in die Cloud. Das macht das Netzwerkmanagement deutlich einfacher.

Daneben wird Wireless eine große Bedeutung bekommen. Über 5G in der Industrie wird schon lange gesprochen. Aber jetzt haben große Unternehmen, vor allem im Automobilbereich, damit begonnen, Campusnetze aufzubauen und konkrete Erfahrungen damit zu sammeln. Kleine und mittlere Unternehmen sind hier noch zurückhaltend, wegen der hohen Investitionen. Aber es muss auch nicht immer 5G sein, es gibt je nach Anwendung etliche Wireless-Alternativen: von Bluetooth über die etablierten 4G-Mobilfunknetze bis hin zu WLAN, das mit dem Standard WiFi 6 einen großen Schritt gemacht hat.

Der Autor: Peter Koller

Peter Koller
(Bild: Anna McMaster)

Gelernter Politik-Journalist, heute News-Junkie, Robotik-Afficionado und Nerd-Versteher. Chefredakteur des Automatisierungsmagazins IEE. Peter Koller liebt den Technik-Journalismus, weil es das einzige Themengebiet ist, wo wirklich ständig neue Dinge passieren. Treibstoff: Milchschaum mit Koffein.

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